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An sonnigen Tagen kreist der Roboter hilflos über dem Scheibenstapel

Robot-Vision: Zukunftsträchtige Techniksymbiose zeigt zuweilen Schwächen
An sonnigen Tagen kreist der Roboter hilflos über dem Scheibenstapel

Die Bildverarbeitung birgt manche Tücken, vor allem wenn sie mit einem Roboter kombiniert ist. Sind die Bildausschnitte falsch gewählt, braucht der Rechner zu lange. Stimmen die Lichtverhältnisse nicht, greift der Roboter ins Leere. Bevorzugt setzen Anwender deshalb komplette Systeme ein.

Bernhard Foitzik ist Fachjournalist in Neustadt an der Weinstraße

Pfiffig sind die Werker in der Gläsernen Manufaktur Dresden schon. Denn gelegentlich gilt es, das Visionsystem bei der Scheibenmontage des Phaeton zu überlisten. Gläserne Fassaden und viel Tageslicht schaffen eine freundliche Arbeitsatmosphäre. Nur dem Roboter behagen diese Bedingungen nicht. An sonnigen Tagen kreist er gelegentlich suchend über dem Scheibenstapel. Der Maschine muss geholfen werden. Dafür liegt auf der Werkbank schon ein Stapel grüner Papierhandtücher bereit. Drei, vier Mal gefaltet und unter eine bestimmte Scheibenecke gelegt – schon kann der Roboter, übrigens ein VW-Eigenbau, weiter arbeiten.
Front- und Heckscheibe werden an der letzten von drei Roboterstationen der Manufaktur eingeklebt. Per Kamera erfasst der Roboter die Ist-Position der Karosse. Die Referenzpunkte werden gespeichert und dienen dazu, die Scheibe beim Einkleben exakt zu positionieren. Auch die Lage der Scheiben auf dem Stapel selbst muss präzise erkannt werden. Ist-Daten von Karosserie und Scheibe werden abgeglichen, denn die Scheiben sollen ja mittig sitzen und umlaufend die gleiche Fuge haben. Die erforderliche Präzision erreichen die Roboter vor allem mit Hilfe eines Bildverarbeitungssystems. Die Isra AG, Darmstadt, lieferte dazu mit diversen 3D-Systemen das entsprechende Equipment.
Das Beispiel der Scheibenmontage zeigt, dass Lichtverhältnisse auf die Funktion eines Robot-Vision-Systems – so nennen Spezialisten die Kombination aus Robotik und Bildverarbeitung – einen großen Einfluss haben. Nicht immer können ideale Bedingungen herrschen. Hartnäckig widersetzen sich bestimmte Applikationen einer Standard-Ausstattung. So reflektieren stählerne Bremsscheiben natürlich Licht, mehr als einer Kamera normalerweise lieb ist. Abhilfe bei derart problematischen Bedingungen könnte ein System der Kamera Werk Dresden GmbH schaffen. Da sich der Sensor dieses Kameratyps mit variabler Charakteristik auslesen lässt, bewältigt die Bildverarbeitung auch extreme Helligkeitsunterschiede. Jochen M. Braun, Vertriebsingenieur bei den Vision-Spezialisten aus Dresden, referierte dazu auf dem Forum MicroTechnology in Hannover: „Eine differenzierte Bildauswertung hilft zuverlässig weiter.“ Permanente Prozesse, wie beispielsweise beim Schweißen, können mit einer schnellen Dresdner Kamera, die auf einen bestimmten Bildausschnitt konzentriert ist, leicht bewältigt werden. „Dazu muss die Intelligenz allerdings in der Kamera sitzen“, betont BildverarbeitungsExperte Braun.
Positions- und Lageerkennung sind die häufigsten Aufgaben für Visionsysteme. Das ergab eine Studie der FH Südwestfalen und der FH Bochum. Über 53 % der befragten Unternehmen setzen sie zu diesem Zweck ein. Mangelnde Abstimmung zwischen Kamera und Roboter lässt diesen jedoch leicht ins Leere greifen. Im Prinzip dürften an den Schnittstellen keine Probleme auftauchen. Praktiker erleben das häufig allerdings anders. Die Fanuc Robotics GmbH aus Neuhausen hat deshalb, übrigens als einziger Roboterhersteller, mit dem V-500i ein eigenes Visionsystem entwickelt. Mit Hilfe der Softwarefunktion „Visual Line Tracking“ passt ein Roboter, der Teile von einem Förderband greifen soll, seine Geschwindigkeit an die des Bandes an und kann dann sicher zugreifen.
Wie viele Roboter heute schon mit einem Kamerasystem ausgerüstet sind, ist bislang in keiner Statistik erfasst. Dass es mehr werden, ist naheliegend und wird auch von Branchenvertretern bestätigt. Die VDMA-Fachabteilung Industrielle Bildverarbeitung meldet seit Jahren zweistellige Wachstumsraten. 2003 gab es ein Plus von 15 %. Für das laufende Jahr werden wenigstens 10 % erwartet. Die Roboterhersteller im VDMA-Fachverband Robotik + Automation meldeten 2003 ein Plus von 12 % – nach Jahren mit rückläufigen Zahlen bei den Neuinstallationen. Noch längst sind nach Meinung von Experten nicht alle Potenziale ausgeschöpft. Erstaunlich ist nur, dass die offiziell referierten Margen und Potenziale seit Jahren unverändert sein sollen.
In der Boombranche Industrielle Bildverarbeitung sind viele kleine, aber innovative Unternehmen aktiv, die oft keine zehn Jahre alt sind. Eine marktbeherrschende Position hat kein Anbieter. Marktstudien wie die bereits erwähnte, listen über 200 Hersteller von Vision-Systemen auf.
„Wir sind dabei, uns mit neuen vielversprechenden Entwicklungen zu befassen“, versichert Dr. Volker Wünsch, Reis Robotics GmbH, Obernburg. „Im Moment gehen wir sukzessive in den 3D-Bereich.“ Momentan liege man mit Vision-Systemen im 2D-Bereich auf der Basis von CCD-Kameras noch auf der sicheren Seite. Zuverlässigkeit geht hier vor Experimentierfreude. Doch immer häufiger ist man auch in Obernburg mit Aufgaben konfrontiert, bei denen schnelle Produktwechsel und kleine Losgrößen die 3D-Bildverarbeitung notwendig machen. Festanschläge zur Positionierung und mechanische Vorrichtungen sind in solchen Fällen viel zu unflexibel.
Möglichst direkt, möglichst inline zu messen und dabei keine Zeit zu verlieren, ist eine Domäne der Bildverarbeitung. Nicht nur aus Qualitätsgründen sind Vision-Systeme an Schweißrobotern deshalb gefragt. Das reine Erkennen einer Naht ist dabei eine einfache Übung für Roboter und Kamera. Ganz anders sieht es aus, wenn die tatsächliche Qualität einer Schweißnaht beim Mehrlagenschweißen beurteilt werden soll. Norbert Kleinendonk, Verkaufsleiter Europa bei der OTC Daihen Europe GmbH, Mönchengladbach, erläutert das Problem: „Es gibt derzeit keine exakte Möglichkeit, tatsächlich erreichte Lagenquerschnitte und Lagenbilder zu checken und daraus Anpassungen vorzunehmen.“
Bislang überwacht man die Qualität lediglich indirekt über die Auswertung von Schweißparametern. Auf der Tokyo Robot Show im vergangenen Herbst stellte OTC Daihen ein Vision-System vor, das beim Mehrlagenschweißen mit Robotern immer die jeweilige Position der Lage findet und die nächste Lage entsprechend anpasst. Eine „vorlaufende“ Kamera beobachtet den Spalt zwischen den zu verschweißenden Teilen. Bei Bedarf kann so die Bahn des Roboters korrigiert werden. „Sensitive Sensorik“ nennt OTC Daihen diese Technik. Berechtigterweise, denn das Vision-System korrigiert nicht nur die Position, sondern eventuell auch die Parameter.
In der Praxis läuft das folgendermaßen ab: Ist der Luftspalt größer, muss mehr Material eingebracht und die Energiezufuhr verringert werden. Eine „nachlaufende“ Kamera überwacht das Ergebnis. Dadurch lässt sich sofort erkennen, ob die Naht korrekt gezogen wurde. Stimmt nur eine von mehreren Lagen nicht, stellt dies die Qualität in Frage. Kleinendonk: „Sinnvoll kann man diese Aufgabe nur mit Bildverarbeitung lösen.“ Bei dem neuen Verfahren handelt es sich keineswegs nur um ein „Messeversuchsmuster“. Auf der Robot Show wurde darüber gesprochen, dass dieses System bereits in der japanischen Automobilindustrie erprobt wird.
Seit Visionsysteme dreidimensional sehen, setzt die Automobilindustrie auf so genannte flexible Mess-Systeme (FMS). So hat etwa die französische PSA, wie nahezu alle Automobilhersteller, derartige Systeme beim so genannten X4-Projekt im Einsatz, unter anderem beim Citroën C5. Über diese Linie laufen mehrere Modelle und Varianten. Alle Rohkarossen werden in der Linie exakt vermessen. Damit ist eine Qualitätskontrolle anhand von exakten Messergebnissen schon in einer frühen Phase des Rohbaus möglich. In jeder FMS-Station sind vier Fanuc-Roboter des Typs M-16iL im Einsatz, ausgestattet mit Laserkamera und -sensor der Perceptron Inc., Plymouth. Jeder Roboter vermisst 14 Punkte. Das Ergebnis wird im Rechner verarbeitet, mit den Sollwerten verglichen und die Ergebnisse visualisiert. Fred Stronk, der das Projekt für Perceptron gemanagt hat, schwört auf die Technik: „Mit einem fest installierten System vermessen Sie keine sieben Modelle auf einer Linie.“
Immer häufiger sollen erfasste Daten über die jeweilige Prozessstation hinaus genutzt werden – nicht nur für die Qualitätskontrolle. Bei Daimler-Chrysler in Rastatt ist ein so genanntes Spaltmess-System im Einsatz. Polidoros Pagonis, Leiter Marketing und Administration bei der Stuttgarter Inos Automationssoftware GmbH, bezeichnet das Verfahren als einzigartig: „Wir verknüpfen die ausgewerteten Daten der Endmontage mit den ausgewerteten Daten des Rohbaus.“ Zweck dieser Übung ist es, so schnell wie möglich über die Analyse der Produktionsdaten Einfluss auf die Fertigung zu nehmen. Optische Sensoren erfassen 3D-Daten, die dann von der Vision-Software ausgewertet werden. Aus den 3D-Positionen der optischen Kantenübergänge lassen sich Spaltbreite und Übergang ermitteln. Die Ergebnisse werden gespeichert und auf einem Monitor an einer Nachbearbeitungsstelle angezeigt.
So weit ist das Verfahren noch ganz klassisch. Nur: Dem Werker wird aber auch angezeigt, an welchem Scharnier der montierten Tür er nachbessern muss, um den außerhalb der Toleranz liegenden Türspalt zu korrigieren. Und die in der Endmontage ermittelten Informationen werden zurück an den Rohbau gegeben, um notfalls Prozessparameter zu korrigieren. Der Qualitätsregelkreis schließt sich.
Papierhandtücher helfen dem Roboter auf die Sprünge

Griff in die Kiste

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Es gibt sie noch, die Dauerbrenner in der Automatisierungstechnik. Der legendäre „Griff in die Kiste“ gehört sicher dazu und ist trotz Hochleistungskameras noch immer ein Thema, das mehr Entwickler als Praktiker beschäftigt. Thorsten Böhm, Leiter Software-Entwicklung bei der ADC GmbH in Scharnebeck: „Die Hardware-Seite ist geklärt. Hier setzt sich Ethernet als Schnittstelle durch. Auf der Software-Seite sehe ich das Problem noch nicht gelöst.“ Denn dummerweise nehmen lose Teile in einer Kiste oft Positionen ein, die von den Programmen nicht erkannt werden. „Dann ist der Roboter blind“, so Böhm. Auch mit mehreren Kameras bekommen die Entwickler das Problem nicht in den Griff. Böhm: „Durch eine zweite Kamera wird die Sache nicht einfacher.“
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