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Anstelle des Kniehebels bewegt ein Muskel die Stanze

Pilotprojekt: Register-Schneidemaschine mit pneumatischem Muskel
Anstelle des Kniehebels bewegt ein Muskel die Stanze

Papier und Kunststoff lassen sich um rund 30 % produktiver verarbeiten, wenn ein Fluidic Muscle die Stanzeinheit bewegt. Die bisher nur für Pilotanwendungen verfügbaren Antriebe sollen im Herbst auf den Markt kommen.

Von unserem Redaktionsmitglied Dr. Birgit Oppermann

So rasch, wie sich die zugeschnittenen Kunststoffregister in der Ablage sammeln, kann der Maschinenführer sie kaum entnehmen. Das macht aber nichts, denn diesen Job muss er ohnehin an einen besonders schnellen Verpackungsautomaten abtreten, sobald die Maschine in der Produktion laufen wird.
Im Augenblick kontrolliert und testet er am Prototypen vor allem das Zusammenspiel der Schneide- und Stanzeinheiten. Die letzte Schneide im Prozess arbeitet anstelle des üblichen Kniehebels mit einem pneumatischen Muskel, wie ihn die Esslinger Festo AG & Co. herstellt. Damit haben die Konstrukteure der Karl Widmann Schweißmaschinen GmbH aus Schlierbach kürzlich maschinenbauliches Neuland betreten und sind mit dem Ergebnis zufrieden: Bewegt vom Muskel, schafft die Schneide vier Hübe/s. Mit diesen 240 Blatt/min arbeitet die neue Maschine ein gutes Drittel schneller als das Vorgängermodell.
„In der Ausführung mit dem Muskel wiegt die Schneideeinheit nur etwa 23 Kilo, also rund 40 Kilo weniger als mit Kniehebel“, berichtet Peter Wiedemann. Er ist Konstruktionsleiter bei dem mittelständischen Hersteller von Maschinen und Anlagen, auf denen unter anderem Sichthüllen, Schnellhefter oder Register gefertigt werden. Weil die neue Schneideeinheit so leicht ist, lasse sie sich mit dem Spindelantrieb schneller verfahren und sei darüber hinaus günstiger. „Das funktioniert insgesamt so gut“, lobt Wiedemann, „dass wir auch bei weiteren Einheiten den Wechsel vollziehen wollen.“
Konstruktiv gab es keine großen Veränderungen, um den pneumatischen Muskel einzusetzen. Lediglich ein zylinderförmiges Metallrohr ist erforderlich, das den Membranschlauch und seine Steuereinheit hält. Ventile regeln die Druckluftzufuhr in den faserverstärkten Schlauch, das Herzstück des pneumatischen Muskels. Da seine flexiblen Wände bei Druckzunahme nachgeben, nimmt der Durchmesser des Schlauches zu, so dass er sich verkürzt. So wird das Schneidwerkzeug in das Material gedrückt. Dann wird der Muskel über gegenläufig wirkende Spiralfedern wieder gestreckt – eine Bewegung, von der mit dem bloßen Auge kaum mehr als ein Vibrieren wahrzunehmen ist. Doch das genügt, um einen Hub von 8 bis 10 mm zu realisieren und das Schneidwerkzeug beim Vorwärtsfahren mit einer Kraft von bis zu 700 N durch das Material zu führen. „Obwohl wir die Einheit mitsamt den Ventilen mit acht Gramm beschleunigen“, hebt der Konstruktionsleiter hervor, „schalten diese ordnungsgemäß.“
Als zusätzlichen Kniff haben die Maschinenbauer einen Metall-Pin in den Schlauch des Muskels eingebaut. Er reduziert das Volumen der einströmenden Luft auf die Minimalmenge, die gerade erforderlich ist, um den gewünschten Hub zu erzeugen.
Verglichen mit dem Schneiden über eine Kniehebelkonstruktion ist laut Wiedemann ein wichtiger Vorteil, dass der Muskel die größte Kraft zu Beginn der Bewegung aufbringt, während der Kniehebel sein Maximum erst spät erreiche. Durch die veränderte Schneidbewegung verbesserten sich die Standzeiten des Werkzeugs. So könne selbst beim Materialwechsel vom Papier zum Kunststoff das übliche Nachschleifen der Schneide entfallen.
Kriterien wie Standzeit, Geschwindigkeit, Prozesssicherheit und Wartungsaufwand seien für die potentiellen Betreiber solcher Maschinen am interessantesten. „Ob Muskel oder Kniehebel ist letztlich unwichtig“, hat der Konstruktionsleiter beobachtet, als der Prototyp auf der Messe Drupa in Düsseldorf ausgestellt wurde. „Allerdings müssen wir glaubhaft machen, dass ein ganz neues Bauteil, wie wir es hier verwenden, den Anforderungen der Kunden gerecht wird.“
Bisher habe der Prototyp alle Tests bestanden, berichtet der Schlierbacher. Von den 7,5 Millionen Hüben seien sogar rund fünf Millionen unter Überlast gefahren worden. „Im Prinzip ist die Konstruktion so simpel wie ein einfach wirkender Zylinder“, lobt Wiedemann, der durch einen Fachbeitrag erst im Herbst des vergangenen Jahres auf die Bauelemente aufmerksam wurde. Die Monate bis zur Messe im Juni hätten ausgereicht, um den Prototypen fertigzustellen. Die einfache Ersatzteilhaltung sieht er als weiteren Vorteil : „Wenn ein Schaden auftritt, muss man nur ein neues Stück vom Membranschlauch gerade abschneiden und einsetzen.“
Den Membranschlauch will der Hersteller Festo ab Herbst auf den Markt bringen. „Gerade weil es sich um ein ungewöhnliches Bauteil handelt, haben wir zunächst mit einer größeren Anzahl von Pilotkunden zusammengearbeitet, als es sonst üblich ist“, betont Bernd Lorenz, bei den Esslingern Leiter der Membrantechnologie im Bereich Produktmanagement Innovation. Bislang seien die Erfahrungen positiv. Auch die Produktionstechnik für das elastische, faserverstärkte Material sei gesichert.
Rund 1800 Anfragen stapeln sich nach Lorenz’ Angaben schon jetzt in seinem Büro: „Wir kommen mit dem Beraten kaum nach.“ Er legt allerdings Wert darauf, dass sich mit dem Muskel zwar neuartige Anwendungen realisieren, aber nicht einfach jeder Pneumatikzylinder ersetzen lasse. Viele Anfragen kämen zur Zeit aus der Automobil- und Luftfahrtindustrie, aber auch Werkzeugmaschinenbauer hätten Interesse bekundet. Konstruktions-leiter Wiedemann rät aufgrund seiner praktischen Erfahrungen: „Der Einsatz des pneumatischen Muskels lohnt sich, wo kurze Hübe kombiniert mit großen Kräften zu realisieren sind.“
Anwendungen: Fluidic Muscle bei der Arbeit
In verschiedenen Anlagen zeigt sich, wie ein pneumatischer Muskel bisherige Antriebe ergänzt.
Pneumatik der ungewöhnlichen Art will die Esslinger Festo AG & Co. mit ihrem Fluidic Muscle ermöglichen. Der mit Aramidfasern verstärkte Membranschlauch aus Elastomer wird mit Standardkomponenten wie beispielsweise Ventilen und Steuereinheiten aus der Pneumatik kombiniert und reagiert auf Druckveränderungen: Seine Wand gibt nach, der Durchmesser nimmt zu, und der Schlauch verkürzt sich. Die größte Kraft liefert dieser Antrieb zu Beginn der Bewegung. Verschiedene Konstruktionen mit diesem Element haben Anwender in Pilotprojekten getestet.
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