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Eine Einordnung in die neue Arbeitszeiterfassung

Serie Recht: Arbeitszeiterfassungspflicht
Arbeitszeiterfassung, ja – moderner Arbeitszeitbegriff, nein

Arbeitszeiterfassung, ja – moderner Arbeitszeitbegriff, nein
Am 18.04.2023 hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes und anderer Vorschriften (RefE-ArbZG) veröffentlicht. Entsprechend ungeklärt bleibt insbesondere weiterhin, welche Zeiten genau als Arbeitszeit zu erfassen sind. Bild: MQ-Illustrations/stock.adobe.com
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat am 18.04.2023 einen Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes und anderer Vorschriften (RefE-ArbZG) veröffentlicht der die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) an die werktägliche Arbeitszeiterfassung berücksichtigt. Ein Überblick und eine Einordnung.

» Dr. Theofanis Tacou, LL.M, ist Rechtsanwalt und Local Partner bei der Wirtschaftskanzlei GSK Stockmann

Der RefE-ArbZG wird den Anforderungen einer modernen Arbeitswelt (Arbeitswelt 4.0) nicht gerecht. Vor allem Aspekte der Digitalisierung und die Erfahrungen mit der Covid-Pandemie werden kaum berücksichtigt, um dringend erforderliche strukturelle Änderungen im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) umzusetzen. Entsprechend ungeklärt bleibt insbesondere weiterhin, welche Zeiten genau als Arbeitszeit zu erfassen sind.

Eine Pflicht zur Dokumentation der Arbeitszeiten bestand bislang nur bei Überschreiten der täglichen Höchstarbeitszeit und im Falle von Sonntags- und Feiertagsarbeit. Mit seinem Beschluss vom 13.09.2022 hat das BAG entschieden, dass Arbeitgeber dazu verpflichtet sind, jegliche Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer elektronisch zu erfassen. Zur Pflicht der Arbeitszeiterfassung hatte der Europäischen Gerichtshof zuvor mit Urteil vom 14.05.2019 klargestellt, dass Mitgliedstaaten verpflichtet sind, ein objektives, verlässliches und zugängliches Zeiterfassungssystem einzuführen.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat am 18.04.2023 einen entsprechenden Referentenentwurf zur Umsetzung der gerichtlichen Leitlinien vorgelegt. Kernpunkte des RefE-ArbZG sind unter anderem die Pflicht zur täglichen Aufzeichnung des Beginns und des Endes der Arbeitszeit aber auch der Dauer der Arbeitszeit. Zudem soll die Aufzeichnungspflicht auf die Arbeitnehmer delegiert werden können. Außerdem sollen Arbeitnehmer sich die Lage der Arbeitszeit unter Einhaltung der Höchstarbeitszeitgrenzen frei einteilen können; Tätigkeiten im Rahmen einer Vertrauensarbeitszeit sollen weiterhin möglich sein.

Wer A sagt, muss auch B sagen

Die (neue) Arbeitserfassungspflicht erfordert in Bereichen mit festen Arbeitszeiten und entsprechenden Zeiterfassungssystemen kaum einen Umsetzungsbedarf. Anders zu bewerten ist hingegen der Umsetzungsbedarf bei flexiblen Arbeitszeitmodellen, wie z.B. bei Tätigkeiten mit flexiblen Arbeitszeiten, Außendiensttätigkeiten und Tätigkeiten im Rahmen mobilen Arbeitens oder Home-Office. Denn bei diesen Arbeitszeitmodellen stellt sich – insbesondere auch unter Berücksichtigung der Digitalisierung der Arbeitstätigkeit – weiterhin die Frage, welche Zeit als Arbeitszeit zu erfassen ist. Arbeitszeit ist die Zeit, in welcher der Arbeitnehmer gemäß dem Arbeitsvertrag dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt. Sie reicht vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne Ruhepausen (vgl. § 2 Abs. 1 ArbZG). Dieser gesetzlich definierte Arbeitszeitbegriff vermag den Anforderungen der aktuellen und digitalen Arbeitswelt kaum zu entsprechen. Bereits in der Vergangenheit musste die Rechtsprechung klären, ob und unter welchen Voraussetzungen Arbeitsbereitschaft, Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit gelten. Das gleiche gilt nach wie vor auch für Dienstfahrten und Wegezeiten. Mittlerweile hat sich die Arbeitswelt weiterentwickelt. „Moderne Arbeitswelt“ oder „Arbeitswelt 4.0“ sind einige der Begriffe, die den Veränderungsprozess der Arbeitswelt im aktuellen digitalen Zeitalter beschreiben. Flankiert werden die neuen Arbeitsformen – wie etwa Mobiles Arbeiten – auch von Aspekten eines modernen „Arbeitsschutzes 4.0“. Insoweit ist die Motivation der Europäischen und nationalen Rechtsprechung nachvollziehbar, da der Gesetzgeber hinsichtlich der Arbeitszeiterfassung, eines modernen Arbeitszeitbegriffs oder eines Mobile-Arbeit-Gesetzes bisher nur zögerlich fortschreitet, um die aktuellen Herausforderungen entsprechend zu mitigieren. Es scheint so, als ob dem Europäischen und nationalen Gesetzgeber – aufgrund einer drohenden Auseinandersetzung mit einhergehenden Komplikationen – die Entschlossenheit fehlt, gesetzliche Regelungen zu implementieren, die eine bedarfsgerechte Balance zwischen Praktikabilität und Arbeitnehmerschutz gewährleisten. Die bloße Auferlegung einer vollständigen Zeiterfassungspflicht kann eine solche Balance nicht herstellen. Zwar haben die meisten Unternehmen Arbeitszeiterfassungsmechanismen auch unter Berücksichtigung arbeitsrechtlicher Herausforderungen entsprechend implementiert, allerdings genügt die bloße Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gerade im Dienstleistungsbereich – z.B. auch im Rahmen von Telearbeit oder Mobiler Arbeit – weder den tatsächlichen operativen Bedarfen noch dem Arbeitnehmerschutz. Aktuell wird z.B. unter Berücksichtigung des aktuellen Arbeitszeitbegriffs (auch) eine kurzfristige Tätigkeit mit Arbeitsinhalten als Arbeitszeit gewertet, wenn diese arbeitsvertraglich vom Arbeitgeber gefordert ist oder sie erkennbar als Teil der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung angenommen wird. Liest ein Arbeitnehmer nach Beendigung seiner regulären Arbeitszeit abends kurz vor dem Einschlafen E-Mails durch so stellt auch das kurzfristige Lesen der E-Mails unter Umständen Arbeitszeit dar, die dann auch zu erfassen wäre. Denn der aktuelle Arbeitszeitbegriff kennt keine Bagatellgrenzen. Der diesbezüglichen Erfassungspflicht ist grundsätzlich zuzustimmen, allerdings dürfte der Arbeitnehmer erst nach elf Stunden ununterbrochener Ruhezeit seine Arbeit wieder aufnehmen. Ein Umstand, der in der Praxis kaum umsetzbar ist. Ähnliche Probleme dürften auch im Rahmen von Telearbeit, Mobiler Arbeit oder Workation bestehen, wenn beispielsweise der Arbeitnehmer während seiner Freizeit zum Smartphone greift, um kurzfristig E-Mails zu lesen oder zu beantworten. Soweit sich der Arbeitnehmer alternativ entscheiden sollte, diese Zeiten nicht zu erfassen, kann dies als Verstoß gegen die Arbeitszeiterfassungspflicht zu Lasten des Arbeitgebers betrachtet werden, der nach dem RefE-ArbZG bußgeldbewährt ist. Denn zukünftig sollen derartige Verstöße sogar mit einem Bußgeld von bis zu 30.000 EUR geahndet werden.

Wer wagt, gewinnt

Der Gesetzgeber setzt zwar in seinem RefE-ArbZG die Leitlinien der Rechtsprechung im Grundsatz entsprechend um, allerdings vermögen sowohl die bloße Arbeitszeiterfassungspflicht als auch die Sanktionierung bei Verstößen dieser es nicht, den Anforderungen einer modernen Arbeitswelt gerecht zu werden. Insbesondere eine grundlegend erforderliche Auseinandersetzung mit dem Arbeitszeitbegriff fehlt. Die aktuellen Anforderungen an eine moderne und digitale Arbeitswelt werden nicht berücksichtigt. Insoweit bleibt abzuwarten, dass das BMAS den RefE-ArbZG entsprechend anpasst. Bis dahin verbleibt den Arbeitgebern – sofern möglich und soweit noch nicht umgesetzt – ein elektronisches Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen und die Arbeitszeiten entsprechend zu erfassen.

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