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Atex-Vorschrift macht die Kupplung zum Gerät

Ex-Schutz ist für Kupplungsanbieter KTR eine Wachstumschance
Atex-Vorschrift macht die Kupplung zum Gerät

Im Dienste der Sicherheit müssen auch mechanische Bauteile im Ex-gefährdeten Bereich gewissen Vorschriften genügen. Darauf hat der Konstrukteur einer Kupplung zu achten, aber auch der Anwender. Am besten geht´s, wenn beide die Möglichkeiten abklären.

Nikolaus Fecht ist Fachjournalist in Gelsenkirchen

Gegen Explosionen hat ein Kupplungshersteller aus Rheine etwas: Die KTR Kupplungstechnik GmbH entwickelte als eines der ersten Unternehmen der Branche Kupplungen für Antriebe, die den strengen Regeln der neuen Atex-Verordnung entsprechen. Sie gilt in der EU seit rund einem Jahr: Die Atex 95 (früher Atex 100a) regelt akribisch, welche Anforderungen Geräte erfüllen müssen (siehe Kasten unten). Davon sind, im Gegensatz zu den bisherigen Regelungen, nicht mehr nur die elektrischen Geräte, sondern auch die mechanischen Bauteile betroffen. Speziell bei Kupplungen besteht an besonderen Einsatzorten, wie zum Beispiel in Silos oder im Untertage-Bergbau, die Gefahr, dass eine Erwärmung oder die elektrostatische Aufladung ein Gas explodieren lässt.
Die gültigen Regelungen müssen sowohl die Anwender der Kupplungen als auch die Hersteller bei ihrer Arbeit berücksichtigen. Dabei steckt, wie in allen Gesetzestexten, der Teufel im Detail. Betroffen von den Vorschriften sind sogenannte Geräte, die einzeln oder kombiniert als Energiequelle fungieren können. Per Definition fallen unter „Gerät“ sowohl Maschinen als auch Betriebsmittel – und zwar unabhängig davon, ob es sich um stationäre oder ortsbewegliche Vorrichtungen handelt. Die entscheidende Frage ist, ob diese Geräte Energie übertragen oder speichern können. Atex greift in den Fällen, in denen die potenzielle Energie ausreicht, um eine Explosion auszulösen. Dazu Bernd Tenfelde, Gruppenleiter Konstruktion Kupplungen bei KTR: „Weil eine Wellenkupplung Energie überträgt, ist sie laut Atex keine Komponete, sondern ein Gerät.“ Das heißt: KTR muss bei seinen Produkten grundsätzlich die Regeln der Atex beachten und die Frage beantworten, ob eine Gefährdung besteht.
Ob die Energiemenge den gefährlichen Bereich erreicht, hängt in erster Linie von den Temperaturen ab, die beim Betrieb des Gerätes Kupplung entstehen. „Ab 70 bis 80 Grad Celsius wird es kritisch“, konstatiert der Experte aus Rheine.
Ansatzpunkte, um die Atex-Vorschriften zu erfüllen, finden sich sowohl in der Konstruktion der Kupplungen als auch in ihrer Anwendung.
Mögliche elektrostatische Aufladungen bekämpfen die Kupplungsspezialisten, indem sie den verwendeten Kunststoff beispielsweise erden: So ersetzen die Nordrhein-Westfalen bei der Bowex-Kupplung, einer durchschlagenden Bogenzahn-Kupplung in der Werkstoffpaarung Kunststoff/Stahl, den Kunststoff durch einen leitfähigen Polyamid mit Kohlefaser. Bei der drehelastischen Klauenkupplung Rotex fiel dieser Aufwand hingegen erst gar nicht an, obwohl auch hier das Stahl-Kunststoff-Werkstoffpaar verwendet wird: Die acht Kunststoffflächen am Außendurchmesser der Kupplung sind aber so klein, dass sich der Kunststoff wegen der extrem niedrigen Reibung nicht elektrostatisch auflädt.
„Wir mussten im Prinzip alle von uns verwendeten Werkstoffe daraufhin prü- fen, ob sie den Atex-Anforderungen entsprechen“, erklärt Tenfelde. Das Resultat: Während sich Stahl und Grauguss als unproblematisch erwiesen, stellten sich Aluminium-Druckguss mit einem höheren Magnesiumanteil sowie einige Kunst stoffe als kritisch heraus. Diese Pionierarbeit der KTR-Ingenieure interessiert die Antriebstechnik-Branche sehr, und es pilgerten bereits viele namhafte Kunden nach Rheine, um sich die Lösungen anzusehen.
Doch bevor sich ein Antriebshersteller an ähnlich umfangreiche Untersuchungen an seinen Materialien macht, empfiehlt der altgediente Kupplungskonstrukteur Tenfelde, bei Kunden nach den Produkten zu fragen, die bereits problemlos in Ex-gefährdeten Bereichen arbeiten. Diese Komponenten lassen sich laut Tenfelde nach detailliertem Prüfen leicht an Atex anpassen. Die KTR-Ingenieure haben diese Erkenntnis auch mit dem Blick auf die Zukunft genutzt: Das Konstruktionsprinzip der erfolgreich eingesetzten Kupplungen diente ihnen als Vorbild für Neuentwicklungen.
Während sich der Hersteller allein mit der Konstruktion auseinandersetzt, müssen Anbieter und Anwender ihr Wissen zusammenführen, wenn es darum geht, die Risiken beim Einsatz zu bewerten. Denn Atex95 ist nicht gleich Atex95: So können sich beispielsweise bei Lüftern, die im Bereich der Kupplung angebracht werden, explosionsgefährdende Staubablagerungen absetzen. In diesen Fällen schreibt KTR dem Anwender beispielsweise engere Wartungsintervalle vor, um Risiken zu minimieren. Die Atex-Vorschriften wirken sich darüber hinaus sogar auf die Montage- genauigkeit der Bauteile aus: So sind beispielsweise Schrauben mit einem mittelfesten Kleber zu sichern, damit sie sich nicht durch Vibrationen lösen. Sonst kann es nicht nur zur Funkenbildung durch aneinander schlagende Bauteile kommen, sondern auch zu mechanischen Beschädigungen.
Diesen Aspekt berücksichtigen die Anwender jedoch noch nicht immer, obwohl sich bei der Auswahl Einsparpotenziale ergeben. Tenfelde: „Sonst ist das so, als wenn jemand loszieht und einfach ein Auto kaufen will – ohne jede weitere Angabe“. Damit der Kunde aber nicht einen Ferrari erhält, obwohl er nur einen Golf braucht, sollte er sich ebenso wie der Hersteller die Randbedingungen der Atex 95 sehr genau ansehen und dem Hersteller mitteilen, unter welchen Einsatzbedingungen er das Antriebselement einsetzen wird.
Bei allem Aufwand und Veränderungen, die das Regelwerk verursacht, sollten die Antriebstechnik-Hersteller die neuen Vorschriften zum Explosionsschutz aber nicht nur als lästiges, europäisches Regelwerk ansehen. Konstruktionsexperte Tenfelde sieht, dass daraus sogar neue Marktchancen erwachsen können: „Dank unseres Einstiegs in das Regelwerk konnten wir unseren Umsatz gut steigern.“ Eine weitere Motivation für global Aktive: Für Unternehmen mit hohem Exportanteil lohnt sich der Aufwand auf jeden Fall, denn mittlerweile gilt auch außerhalb der EU in vielen Länder wie beispielsweise den USA die Atex 95.
Werkstoffe sind auf Atex-Tauglichkeit hin geprüft
Mit Atex-Know-how spart der Konstrukteur an der richtigen Stelle

So setzen Antriebstechniker Atex um
Nach den Erfahrungen des Konstruktionsexperten Bernd Tenfelde gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, sich den Umgang mit der neuen Atex-Verordnung zu erleichtern.
(1) Klären Sie, ob bei der Anwendung Explosionsschutzmaßnahmen erforderlich sind.
Gibt es brennbare Stoffe, könnte ein explosionsfähiges Gemisch entstehen oder besteht die Möglichkeit, dass sich eine explosionsfähige Atmosphäre bildet?
(2) Fällt das fragliche Bauteil überhaupt unter die Atex-Vorschrift?
Das Regelwerk nimmt Einzelteile wie Kupplungsnaben, Verbindungsflansche oder drehstarre/-steife Verbindungen ausdrücklich aus.
(3) Vorarbeit nutzen
Klären Sie mit Kunden aus kritischen Einsatzbereichen (zum Beispiel Bergbau, chemische oder pharmazeutische Industrie), welche Produkte bereits problemlos in Ex-gefährdeten Bereichen zum Einsatz kommen. Diese Geräte lassen sich in der Regel leichter an Atex anpassen.
(4) Antriebe einstufen
Es lohnt sich, als Basis für die weiteren Arbeiten alle Produkte einmal nach Gerätegruppe, Gerätekategorie, Stoffgruppe, Zone, Explosionsgruppe, Temperaturklasse und Umgebungstemperatur laut Atex zu sortieren.
(5) Materialauswahl
Informieren Sie sich bei Werkstofflieferanten über die spezifischen Eigenschaften von Materialien (Reibwerte!), die Hinweise auf die elektrostatische Aufladung geben. Diskutieren Sie mit den Experten Alternativen.
(6) Kennzeichnung
Versehen Sie Bauteile immer mit der vorgeschriebenen Atex-Kennzeichnung, damit diese Elemente nicht in einem unzulässigen Bereich zum Einsatz kommen.
(7) Kundeninformation
Informieren Sie die Geschäfts- und Betriebsleitung Ihrer Kunden über den Umgang mit Atex-Geräten. Ein Beispiel: erster Instandhaltungscheck nach drei Monaten, regelmäßige Wartung, nur Austausch von kompletten Teilen, Unterrichtung der Instandhaltung.
(8) Verbindungstechnik
Sichern Sie Formschlüsse über Passfeder und Gewindestifte sowie Schrauben mit mittelfestem Kleber.
(9) Sicherheit bei der Auslegung
Sorgen Sie für höhere Sicherheit durch ausreichende Betriebsfaktoren bei der Bauteilauslegung.

Explosives Regelwerk: Atex
Seit dem 1. Juli 2003 gilt in der EU die Produktrichtlinie Atex 95 (bisher Atex 100a). Sie dient „der Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten für Geräte und Schutzsysteme zur bestimmungsgemäßen Verwendung in explosionsgefährdeten Bereichen“. Die Atex 95 (exakt: Explosionsschutz nach Richtlinie 94/9/EG) legt die Regeln „für das Inverkehrbringen von Produkten fest, die in explosionsgefährdeten Bereichen eingesetzt werden oder explosionsgefährdete Bereiche enthalten“.
Beispiel aus dem Antriebsbereich: Explosionsgefahr droht beispielsweise durch drehende Kupplungen, bei denen Funken, zu hohe Erwärmung oder elektrostatische Aufladung entstehen können.
Weitere Informationen:
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
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