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Aufschwung im Wunderland

Indien: Vom Billiglohnland zum Handelspartner auf Augenhöhe
Aufschwung im Wunderland

Zwischen unvorstellbarer Armut, kulturellen Besonderheiten und steigender Konsumlust entwickelt sich Indien zu einem ernst zu nehmenden Wachstumsmarkt für deutsche Unternehmen. Vor allem der Maschinenbau und die Automobilindustrie profitieren davon.

Stolz führt Satish C. Kuppasgoudar seine Besucher aus Deutschland durch die Produktionshalle. „Das sieht ja aus wie bei uns“, meint einer. Die Delegations-Gruppe, bestehend aus Geschäftsführern, Vertriebsspezialisten und Bankenexperten, staunt. Nach der einstündigen Fahrt über staubige, holprige Straßen, durch die Millionenstadt Bangalore und vorbei an den Elendsvierteln, steht sie jetzt auf dem Gelände der ACE Designers Ltd. bei Bangalore und bekommt vor Augen geführt, dass indische Werkzeugmaschinenhersteller bereits einen beachtlichen Qualitätsstandard erreicht haben.

„Unsere Vorteile liegen nicht in den billigen Arbeitskräften, sondern in der Qualität unserer Maschinen“, bekräftigt der Technische Leiter Kuppasgoudar. „Alle Produkte haben internationalen Standard.“ Seit 1986 verkauft das Unternehmen seine CNC-Maschinen nicht nur in Indien, wo ACE als größter Hersteller von CNC-Drehmaschinen einen Marktanteil von 40 % hält. Neben den asiatischen Märkten und den USA werden auch Brasilien, Ägypten, Großbritannien, Spanien und Deutschland beliefert. Rund 136 Mio. US-$ setzte das Unternehmen 2005 und 2006 um, die jährlichen Wachstumsraten liegen bei 30 %. Auch die Maschinen und Komponenten für den eigenen Werkzeugmaschinenbau produziert ACE am Standort Bangalore. Mit einem Produktionsvolumen von 30 Mrd. US-$ stellt die indische Maschinenbaubranche die volle Bandbreite an Produkten her. Der anhaltende Boom in der verarbeitenden Industrie treibt die Nachfrage nach Werkzeugmaschinen in Indien weiter an. Für das laufende Jahr rechnet der indische Werkzeugmaschinenverband IMTMA (Indian Machine Tool Manufacturers Association) mit einem Umsatzplus von 35 %. Da bisher jedoch wenig in Forschung und Entwicklung investiert wurde, die Abnehmer allerdings verstärkt nach Maschinen aus dem oberen Qualitätssegment verlangen, haben deutsche Maschinenexporteure eine gute Ausgangsposition. Vor allem Spezialmaschinen werden aus Deutschland nachgefragt. Grund für den hohen Absatz von Werkzeugmaschinen ist nach Ansicht von IMTMA-Präsident C.P. Rangachar der Aufschwung in der verarbeitenden Industrie, die seit drei Jahren schneller wächst als das indische Bruttoinlandsprodukt – zuletzt um knapp 12 %.
Trotz seiner hohen Zuwächse ist Indien kein einfacher Absatzmarkt für ausländische Maschinenbauer, denn der indische Kunde ist in der Regel sehr preissensibel. Da die Unternehmen die Life-Cycle-Costs der Maschinen oft nur unzureichend berücksichtigen, greifen sie häufig auf den günstigsten Anbieter zurück. Abnehmer von importierten Maschinen verlangen zudem minimale Stillstandzeiten – angesichts der Größe des Landes und der vergleichsweise schlechten Infrastruktur eine Herausforderung. Ausländische Anbieter, die auf dem indischen Markt Fuß fassen wollen, sollten sich deshalb einen technisch versierten indischen Handelsmittler suchen, der einen reibungslosen Kundendienst gewährleisten kann.
Von deutschen Unternehmen wird die Wirtschaftsmacht Indien häufig noch kritisch beäugt: Wie das Beratungsunternehmen Capgemini mit einer aktuellen Studie belegt, sind zwar 97 % der Manager und Unternehmer im Maschinenbau und in der Metallindustrie davon überzeugt, dass deutsche Produkte ein gutes Image auf dem indischen Markt haben. Bundesweit glaubt aber nur ein Bruchteil davon, dass die deutsche Wirtschaft davon profitieren wird. Das Fazit der Studie: Viele Führungskräfte beschränken sich auf die Beobachterrolle, weil sie in ihrem Umfeld bislang keine Berührungspunkte mit Indien haben. Antonio Schnieder, CEO Capgemini Zentral- und Osteuropa, warnt davor, durch den Boom in China den indischen Elefanten aus dem Auge zu verlieren: „Indien ist nicht mehr nur riesiger Absatz- oder billiger Beschaffungsmarkt. Das Land entwickelt sich zum Handelspartner auf Augenhöhe.“
Längst erkannt hat das die schwäbische Bosch-Gruppe, die bereits seit 80 Jahren in Indien aktiv ist und dort zwischen 2005 und 2008 weitere 325 Mio. Euro für Sachanlagen ausgeben will. Nach der Eröffung der ersten Hochdruckpumpen-Fertigung für Common-Rail-Dieseleinspritzsysteme am Standort Bangalore im vergangenen Jahr wird in diesem Jahr die Produktion von kompletten Common-Rail-Injektoren in Nashik aufgenommen. Insgesamt beschäftigt Bosch derzeit mehr als 15 000 Mitarbeiter in Indien. „Indien ist ein Wachstumsmotor unseres Geschäfts in der Region Asien-Pazifik“, erklärt Dr. Bohr, der als Länderverantwortlicher der Unternehmensgruppe für den Subkontinent zuständig ist, das Engagement in Indien. Seit 2002 steigen die Fahrzeugverkäufe im Land im Jahresschnitt um 20 % – dabei besitzt erst etwa jeder Zweihundertste Inder ein Auto. Starkes Wachstum erwartet die Bosch-Gruppe deshalb bei den Niedrigpreisautos, den so genannten Low Price Vehicles, deren Nettopreis bei weniger als 7000 Euro liegt. Der indische Hersteller Tata kündigte bereits für 2008 das One-Lakh-Car an, ein Auto zum Preis von „One Lakh“, was rund 100 000 Rupien oder 2000 Euro entspricht. Neben der boomenden Automobilindustrie heizen auch die Elektronikfertigung, der Maschinenbau und die Medizintechnik den Bedarf auf dem asiatischen Subkontinent an.
Doch sowohl im Automobil- als auch im Maschinenbau kommt das Land nicht ohne Importe aus: Der Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken (VDW) bescheinigt den indischen Anbietern zwar eine deutliche Qualitätssteigerung bei ihren Produkten. Gleichzeitig sieht der Verband langfristig gute Lieferchancen für seine Mitglieder und deren Werkzeugmaschinen, die wegen ihrer hohen Präzision und Servicefreundlichkeit gefragt sind. Laut VDW betrifft das in erster Linie Bearbeitungszentren, Schleif- und Poliermaschinen, Drehmaschinen, Fräsmaschinen, Pressen sowie Biege- und Abkantmaschinen.
Boris Alex, der für die Bundesagentur für Außenwirtschaft (bfai) aus New Dehli über die wirtschaftliche Entwicklung in Indien berichtet, kennt die Dynamik des Marktes, warnt aber vor unüberlegtem Handeln: „Unternehmen dürfen sich nicht von der Euphorie verleiten lassen.“ Auch wenn internationale Firmen 2006 ihre Investitionen im Land um 150 % auf 11 Mrd. US-$ steigerten, müsse Indien vor allem in den Bereichen Infrastruktur und Volksbildung gegenüber anderen Schwellenländern aufholen.
Obwohl 380 Universitäten, rund 12 000 Colleges und mehr als 1500 Forschungseinrichtungen gut ausgebildete Fachkräfte hervorbringen – darunter jährlich 300 000 Ingenieure – kann heute ein Drittel der Bevölkerung weder lesen noch schreiben. Dennoch: „Ausländische Investoren haben bis auf weiteres keine Probleme, qualifiziertes und motiviertes Personal zu moderaten Kosten zu finden“, erklärt der Indien-Experte. Das kann auch Andreas Lapp bestätigen: „Ich bin davon überzeugt, jeder Deutsche findet in Indien die Region und die Menschen, mit denen er gut kann.“ Der Unternehmer aus Stuttgart, mit der Lapp-Gruppe seit 1996 erfolgreich auf dem Subkontinent aktiv, hat Indien zum Schwerpunkt seiner Asien-Strategie gemacht und produziert in Bangalore Anschluss- und Steuerleitungen fast ausschließlich für den indischen Markt (siehe Interview Seite 17). Seiner Meinung nach ergeben sich für deutsche Unternehmen unbedingt Chancen in Indien, da der Subkontinent ein Schwergewicht in Asien darstellt.
Der erste Kontakt zu potenziellen Geschäftspartnern gelingt neben einer Delegationsreise am besten über die Präsenz auf den entsprechenden Messen, beispielsweise auf der Werkzeugmaschinenmesse IMTEX, die in diesem Jahr erstmals auf dem neuen Messegelände in Bangalore stattfand und künftig alle zwei Jahre ihre Tore öffnet, um auch ausländische Aussteller nach Indien zu locken.
Aber: Indiens Weg zur Wirtschaftsmacht ist noch weit und der Investitionsbedarf für den Ausbau des Straßen- und Schienennetzes, der Flug- und Seehäfen sowie der Wasserversorgung gewaltig: „Stromausfälle und Verkehrschaos sind an der Tagesordnung“, weiß bfai-Korrespondent Alex aus eigener Erfahrung. Das indische Ministry of Commerce schätzt, dass bis 2012 Projekte mit einem Volumen von 500 Mrd. US-$ realisiert werden müssen, um die Infrastruktur des Landes den Bedürfnissen der Wirtschaft und der Bewohner anzupassen. Ein gewaltiger Schritt für das asiatische Schwellenland – doch der indische Elefant ist bereit.
Deutsche Unternehmen haben Indien im Visier

Tipps zu Recht und Steuern:

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Markteinstieg Indien

  • Indien verfügt über ein ausgefeiltes Rechts- und Steuer-system. Basis ist das englische Common Law, es bestehen jedoch in den Details wesentliche Abweichungen, gerade bei Investitionen durch ausländische Unternehmen.
  • Das indische Recht sieht vor, dass ein indischer Vertriebs- oder Joint-Venture-Partner in bestimmten Fällen künftige Aktivitäten des ausländischen Unternehmens in Indien blockieren kann. Wird dies im Vorfeld nicht vertraglich geregelt, kann es zu kostspieligen Konflikten kommen.
  • Dokumente wie Absichtserklärungen oder Texte zur Vorbereitung einer Gesellschaftsgründung sollten nicht ohne rechtliche Prüfung unterzeichnet werden.
  • Das Besteuern von Verkaufsgeschäften oder Gewinnen ist in Indien komplex ausgestaltet. Die einzelnen Staaten haben eine Art Umsatzsteuer, auch sind die Zollregelungen zu beachten. Sonderwirtschaftszonen bieten Steuer- und Zollvorteile.
Weitere Informationen: www.roedl.com

Marktchancen
Laut Banken- und Wirtschaftsexperten hat Indien das Potenzial, zur drittgrößten Volkswirtschaft der Welt heranzuwachsen. Der Standort glänzt mit einem Realwachstum von 9 %. Internationale Unternehmen zeigen verstärkt Interesse an dem Land und steigerten 2006 ihre Investitionen um 150 % auf 11 Mrd. US-$. Doch vor allem in den Bereichen Infrastruktur und Volksbildung muss der Subkontinent gegenüber anderen Schwellenländern aufholen.
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