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Aus Lärm werden Energiequellen

Robuste Patch-Wandler machen Fahrzeuge leiser und effizienter
Aus Lärm werden Energiequellen

Fahrzeuge werden immer leichter. Das verursacht Schwingungsprobleme, ausgehend von Antrieb, Abgasanlage, Klimaanlage und auch den Reifen. Die Ingenieure im Europäischen Zentrum für Adaptronik (Ecas) haben dafür eine Lösung gefunden und mit ihr zugleich eine neue Energiequelle erschlossen.

Der Lärm geht, Energie bleibt: Piezokeramische „Patch“-Wandler können einen Sender und eine Steuerung beherbergen, beispielsweise für einen Airbag, und benötigen dafür Energie. Diese bekommen sie aus den Schwingungen, die jedes Auto beim Fahren erzeugt. Möglich machen das ihre besonderen Eigenschaften: Die kleinen Mikrosysteme sind nicht nur energieautark, sondern auch flexibel, robust und langlebig. Mechanische Schwingungen werden von einem Sensor selbständig erkannt und in elektrische Schwingungen umgewandelt. Die so gewonnene Energie im Milliwatt-Bereich kann für Gegenschwingungen nutzbar gemacht werden, um störende Vibrationen zu tilgen, oder – dank des Batteriespeichers – auch als Energiequelle für Geräte wie etwa die Einparkhilfe im Auto. „Das ist keine Zukunftsmusik mehr, sondern bereits in mehreren Industriezweigen Praxis“, weiß Prof. Elmar Breitbach. Der Ecas-Gründer und ehemalige Adaptronik-Wegbereiter im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat Forschungseinrichtungen und Industrie in dem Netzwerk zusammengeführt, um die Technologie für häufig auftretende Probleme in der Industrie nutzbar zu machen.

So hat die österreichische Linz Center of Mechatronics GmbH gemeinsam mit dem Institut für Technische Mechanik der Johannes Kepler Universität Linz und Siemens Corporate Technology adaptronische Wandler weiterentwickelt und für den Einsatz in Fahrzeug-Klimaanlagen erfolgreich in einem Pilotprojekt getestet. Die kleinen Patch-Wandler können mithilfe der Adaptronik-Technologie die Schwingungen der Klimaanlage eigenständig erkennen und den störenden Brummton mit Gegenschwingungen tilgen. Auch hier könnte die dabei umgewandelte Energie für die Fahrzeugelektronik genutzt werden. „Die Einsatzmöglichkeiten sind vielseitig“, erklärt Stefan Linke von der Invent GmbH. „Man könnte sich durch die energieautarken Mikrosysteme viele lästige und vor allem störanfällige Verkabelungen ersparen.“ Der Hersteller der DuraAct-Wandler entwickelt diese Technologien gerade in einem Forschungsprojekt mit dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung weiter und bereitet die Serienreife vor.
Leisere Fahrzeuge sind ein wichtiger Faktor für mehr Fahrkomfort. Aber auch Anwohner in viel befahrenen Gebieten würden aufatmen, wenn weniger Lärmbelästigung von LKW ausginge. So wurden in einem europäischen Projekt beim DLR an LKW-Ölwannen die piezokeramischen Wandler angebracht, von denen bisher starker Lärm ausging, verursacht vom Motorblock. Mittels Adaptronik ließ sich der Geräuschpegel um 6 dB senken, die Schall-Leistung also um 75 % reduzieren. So könnte auch Dämm-Material eingespart werden, was der Forderung nach leichteren Fahrzeugen weiter entgegen kommt. Die Technologie wurde bereits erfolgreich beim Airbus A400M eingesetzt, an dem die 11 000 PS starken Propeller für „Unruhen“ sorgen.
Die Adaptronik ist dabei nicht neu. „Wir hatten erhebliche Entwicklungsverzögerungen, weil die frühere Generation der Patch-Wandler nicht robust genug war, um den Anforderungen im Fahrzeugbau gerecht zu werden“, räumt Breitbach ein. Inzwischen sei dies aber Geschichte. „Die neue Generation der piezokeramischen Wandler ist robust und flexibel“, erklärt Stefan Linke. „Eine neuartige Ummantelung schützt das Innenleben der Wandler und macht sie biegsam und resistent gegenüber mechanischen Einwirkungen.“
Die piezokeramischen Wandler lassen sich nicht nur bei den Fahrzeugen selbst nutzen, sondern auch bereits im Herstellprozess. Im Maschinenbau kommt die Adaptronik immer häufiger zum Einsatz, um Schwingungen zu kontrollieren. So arbeiten Maschinen oder Roboterarme mit den Patch-Wandlern wesentlich präziser und schneller, auch bei größeren Schneid- und Fräsaufgaben wie beispielsweise im Schiffbau.
Aus dem Ecas e. V. heraus wurde nun unter der Geschäftsführung von Prof. Elmar Breitbach zusätzlich die Adaptronics International GmbH gegründet. „Wir wollen damit die adaptronischen Lösungen und Wettbewerbsvorteile durch eine engere Vernetzung von Wissenschaft und Industrie rascher nutzbar machen“, so Breitbach. Bisher gebe es zwar viele Anwendungsmöglichkeiten, aber noch zu wenig konkrete Entwicklungsprojekte. Dabei könne vor allem die Automotive-Industrie Potenziale erschließen und Vorsprünge ausbauen: Intelligente Werkstoffe sind leicht, können Steuerungen integrieren und sind dabei sehr robust. Die Adaptronics International GmbH arbeitet sogar bereits an der nächsten Entwicklungsstufe. Die adaptronischen Systeme sollen durch den elektronischen Ersatz der Schwingungsmasse noch leichter werden. Die Energie hierfür könne leichterhand von überschüssiger Energie des Verbrennungsmotors kommen. „Übrigens gibt es auch bei Elektroautos viele Einsatzmöglichkeiten“, so Breitbach weiter. Jetzt müsse nur noch die Industrie den nächsten Schritt machen. Im Ecas-Netzwerk freue man sich über konkrete Anfragen.
  • Dr. Andreas Brosinger Geschäftsstellenleiter beim European Center of Adaptive Systems e.V. (Ecas) in Hann. Münden
  • Henryk Balkow Freier Fachjournalist in Erfurt

Ecas e. V.

Das Europäische Zentrum für Adaptronik e. V. mit Sitz in Göttingen ist ein Netzwerk zwischen Wissenschaft und Industrie. Ziel des Ecas ist es vor allem, durch Entwicklungsprojekte rasch und professionell industrielle Herausforderungen zu lösen sowie Wettbewerbspotenziale mit der Adaptronik zu erschließen. Gründer und Vorsitzender ist Adaptronik-Wegbereiter Prof. Elmar Breitbach.
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