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Auswahl und Implementierung werden vom Anwender unterschätzt

Machine-Vision ist technische Grundlage für die Null-Fehler-Strategie
Auswahl und Implementierung werden vom Anwender unterschätzt

Der Leistungszuwachs in der Rechnertechnik und flexiblere Systemlösungen weisen der Bildverarbeitung einen der vorderen Plätze in der Qualitätssicherung zu. Doch den Sprung zum Standardprodukt, das sich problemlos in die Fertigung integrieren lässt, haben moderne Sichtprüfsysteme noch nicht geschafft.

Andreas Beuthner ist Fachjournalist in Stockdorf

Präzision, Geschwindigkeit und Qualitätsstandard moderner Produktionsanlagen lassen sich ohne leistungsfähige Sichtprüfsysteme nicht mehr realisieren. Das bestätigen ausnahmslos alle Fachleute, die mit Visionsystemen befasst sind: „Bildverarbeitungssysteme ermöglichen eine hundertprozentige Kontrolle, gerade in schnellen Produktionsprozessen“, unterstreicht Manfred Hock, Geschäftsführer der Fachabteilung Industrielle Bildverarbeitung im Verband Deutscher Maschinen und Anlagenbau (VDMA).
Dabei muss der Anwender keine Bedenken mehr haben, dass seine Prozesse möglicherweise zu schnell für die Bildverarbeitung sind. Vorbei sind die Zeiten, als die industriellen Prozesse mit ihren hohen Taktraten die Vision-Systeme jagten: Die Kameras konnten gar nicht so schnell gucken wie die zu prüfenden Bauteile vorbeiflitzten. Heute haben sich die Verhältnisse umgekehrt. Schnelle Hardware verleiht der Bildverarbeitung Flügel. Es gibt keinen Fertigungsprozess mehr, der für die Sichtprüfung zu schnell wäre.
Unstrittig sind die Vorteile, die moderne Kameratechnik dem Benutzer bietet. Bereits einfache Standardanwendungen decken Erkennung und Klassifikation, Roboter- und Maschinenführung sowie Inspektions- und Vermessungsaufgaben ab. Selbst Prüfingenieure, die technischen Neuerungen mit Vorsicht begegnen, sind von der Zuverlässigkeit heutiger Bildverarbeitungssysteme überzeugt: „Wir müssen unseren Kunden die geforderte Produktqualität zusichern“, sagt Mathias Tetek, Projektleiter Bildverarbeitung der Linhardt-Gruppe im Produktionswerk Vichtach. Der Hersteller von Tuben, Dosen und hochpräzisen Verschlüssen für die Pharma- und Kosmetikindustrie setzt Bildverarbeitung für die Inspektion von Trockenmittelstopfen für Arzneimittelbehälter ein.
„Generell ist die Entscheidung für ein Vision-System immer sehr schwierig“, betont Tetek. „Die Messaufgaben sind anspruchsvoll, die elektronische und mechanische Integration der Systemkomponenten in die Produktionsanlage sind problematisch.“ Allein sieben Messkriterien ermittelten Tetek und sein Team für die automatische Sichtprüfung der Kunstsoff-Verschluss-Stopfen für Arzneimittelflaschen. Unter anderem muss der Durchmesser der Verschlussolive mit einer Messgenauigkeit von 0,02 mm erfasst werden. Zugleich werden umfangreiche Prüfungen an dem Verpackungsmaterial für die Arzneiflaschen vorgenommen.
Lassen sich die Kriterien für die Messaufgabe noch exakt festlegen und Qualitätsanforderungen mit einem Zahlenwert verbinden, müssen sich die Prüfingenieure gründlich mit den Vorgaben auseinandersetzen, wenn sie das Kamerasystem in die Produktionsanlage integrieren. Da Linhardt über einen sehr flexiblen Werkzeugbau verfügt, bearbeitet die Maschine bei einer Taktzeit von 1,5 bis 2 s gleich drei Trockenmittelstopfen gleichzeitig. Das bedeutet den Einsatz von drei hochauflösenden Kameras, die innerhalb einer Sekunde die auf einem Werkstückträger transportierten Produkte inspizieren.
Nur mit einer gründlichen Vorbereitung und einem detaillierten Pflichtenheft sind die Linhardt-Ingenieure ans Ziel gekommen. Anfang des Jahres realisierten sie zusammen mit dem BV-Anbieter Signum Computer GmbH aus München das Inspektionssystem. Ein Standard-PC unter Windows NT erfasst die Durchmesserwerte pro Maschinentakt und erstellt eine auftragsbezogene Produktions- und Fehlerstatistik.
Eine genaue Angabe über den Zeitraum für den Return of Investment (ROI) lässt sich nach Aussagen von Tetek nicht machen. Im besten Fall erreichen die Kosteneinsparungen bereits nach einem Jahr die Aufwendungen für das Equipment und die Implementierung. Doch das hängt von der Auftragslage ab. Im schlimmsten Fall rechnet Tetek mit einer Amortisationszeit von fünf Jahren. Aber auch das mag er nicht als Faustregel gelten lassen, denn die Rentabilität der Produktionslinie und die Effizienz der Fertigung wechseln mit jedem Fortschritt in der Automatisierung. Zudem spielen Markt und Nachfrage eine große Rolle, deren Schwankungen niemand mittelfristig vorausahnen kann.
Die vielen unbekannten Größen machen den Qualitätsverantwortlichen die Entscheidung nicht erst seit heute schwer. Verbandsvertreter Manfred Hock verweist immer wieder darauf, dass „das Gespräch mit Spezialisten die wichtigsten Anhaltspunkte liefert.“ Die rasante Entwicklung der PC hat auch die Bildverarbeitung vorangetrieben. Komplexe Verfahren lassen sich inzwischen mit Standard-Hard- und Software unter Produktionsbedingungen realisieren. Innovative Sensorik eröffnet neue Einsatzfelder. Neben schneller dreidimensionaler Vermessung sind derzeit auch Röntgen- und Infrarot-Inspektionsgeräte im Einsatz.
Die PC-gestützte Bildverarbeitung hat die Kosten für ein Inspektionssystem nach unten gedrückt und zugleich das Anwendungsspektrum erheblich erweitert. Vor allem hat die Hundertprozent-Kontrolle Spuren im Qualitätsmanagement hinterlassen. Die statistische Überwachung von Produktionsprozessen ist Schnee von Gestern. Aber nicht nur die zuverlässige Beurteilung von Qualitätsmerkmalen spielt eine Rolle, sondern auch die Dokumentation der Prüfwerte. Wer bei Reklamationen lückenlos nachweisen kann, dass sein Produktionsprozess einwandfrei arbeitet, hat gegenüber Geschäftspartnern und Endkunden gute Karten.
Um Ansprüche aus der Produkthaftung abzuwehren, müssen sich Prüfergebnisse zum beanstandeten Produkt rückwirkend zuordnen lassen. Hier spielen automatische Sichtprüfsysteme ihre Stärken aus. Neben einer korrekten Bildaufnahme rückt damit die Bildauswertung und -verarbeitung in den Mittelpunkt. Als Basistechnologie stehen dafür PC-Rechner mit Windows NT, PCI-Bussystem und Schnittstellen sowie unterschiedliche Auswertungssoftware bereit. Im einfachsten Fall begnügen sich Prüfingenieure mit einer Einsteckkarte, die analoge Kamerasignale digitalisiert. Diese sogenannten Framegrabber sind bereits für unter 1000 DM zu kaufen und erfüllen alle Anforderungen bei einfachen und standardisierten Messaufgaben.
Der Einzug des PC und die zunehmende digitale Auswertung der Prüfergebnisse haben allerdings auch eine Kehrseite. Der steigende Software-Anteil in der Bildverarbeitung setzt programmiertechnische Kenntnisse voraus. Analyse- und Auswertesoftware muss den wechselnden Ansprüchen der Qualitätssicherung sowie allen fertigungstechnischen Änderungen folgen. Je nach Fertigungsauftrag werden die Applikationsingenieure mit Anpassungsmaßnahmen konfrontiert, die wiederum Entwicklungszeit und womöglich zusätzliches Personal kosten.
Mancher Anwender unterschätzt die softwaretechnischen Entwicklungszyklen und den Aufwand, der betrieben werden muß, um digitale Bildobjekte zu erzeugen, zu verwalten und zu verknüpfen. Programmierer winken jedesmal ab, wenn die Softwareindustrie ihre Marketingbotschaften ausbreitet und behauptet, der Einsatz von Programmiersprachen wie Visual Basic, Delphi oder C/C++ löse alle Probleme. Das von Microsoft favorisierte Component Object Model (COM) beispielsweise kommt sehr gut mit einfach strukturierten Datenobjekten zurecht. Schwierig wird es dann, wenn es sich um komplexe Bilddaten handelt, die sich nur mit speziellen Verfahren behandeln und auswerten lassen. Dreidimensionale Objektkonturen, das Aufbereiten von Kamerasignalen, die Korrektur von Erfassungsfehlern oder ein Weißabgleich führen zu komplexen Datenstrukturen mit entsprechend aufwendiger Verbindungslogik.
Mit großen Datenmengen und komplexen Auswertungen sieht sich auch Elke Würfel konfrontiert. Sie ist zuständig für die Qualitätssicherung bei dem Thüringer Optik-Hersteller Wahl Optoparts GmbH. Das Unternehmen stellt asphärische Kunststofflinsen her und suchte ein 3D-Inspektionssystem, das schnell und mit hoher Auflösung fehlerhafte Linsen erkennt. „Herkömmliche taktile Prüfverfahren sind nicht geeignet“, sagt Würfel. „Die dauern zu lange und hinterlassen Spuren auf der Oberfläche.“
Oft gibt es gar keine Alternative zur Bildverarbeitung
Der Optik-Hersteller entschloss sich für den Einsatz eines berührungslosen Lens-Shape-Control-Systems, das vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik (IOF) in Jena entwickelt wurde. Ein Rechner ermittelt aus den 200000 Koordinaten der asphärisch gekrümmten Linsenoberflächen ein dreidimensionales Bild, das mit den Referenzdaten der Sollform verglichen wird und Fehler im Mikrometerbereich aufdeckt. „Es gab damals keine Alternative, um asphärische Oberflächen mit dieser Genauigkeit zu messen“, betont Würfel.
Ohne externe Unterstützung wäre es dem Unternehmen nicht gelungen, eine zuverlässige 3D-Oberflächenkonturerfassung für transparente Optiken zu installieren. Vor allem die Software und das speziell konfigurierte Rechnersystem mussten so aufeinander abgestimmt werden, dass die erforderlichen schnellen Reaktionszeiten erreicht wurden. Nur so ließen sich das Endprodukt optimieren und Vorteile in der Herstellung erreichen.
Mittlerweile ist Elke Würfel davon überzeugt, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. „Über die Software lassen sich fast alle Oberflächenstrukturen und Konturen messen.“ Nach ersten Probeläufen hat sich die Qualität der Produkte schnell und dauerhaft erhöht. Verbesserungen im Detail sollen das Niveau weiter anheben.
Null-Fehler-Strategie: „Menschliche Prüfer sind ungeeignet“
Norbert Bauer, Leiter der Geschäftsstelle Fraunhofer-Vision in Erlangen, ist davon überzeugt, dass mit Bildverarbeitung die Null-Fehler-Strategie gefahren werden kann.
? Wo liegen die Stärken der Bildverarbeitung? Wann kommt sie sinnvoll zum Einsatz?
! In der sogenannten Null-Fehler-Strategie. Ein unentdeckter Fehler in der Produktion ist teuer. Die Kosten, ihn zu beseitigen, verzehnfachen sich mit jedem Produktionsschritt. Richtig teuer wird es dann, wenn der Kunde reklamiert. Mal ganz abgesehen vom Imageschaden. Zu den eindringlichsten Beispielen zählen die Rückrufaktionen der Automobilhersteller. In den meisten Fällen ist es wirtschaftlich sinnvoll, die Qualität der Produkte bereits während der Fertigung lückenlos sicherzustellen. Für diese Null-Fehler-Strategie sind menschliche Prüfer grundsätzlich nicht geeignet. Die notwendige Objektivität und ermüdungsfreie Ausdauer kann nur von Automaten wie Bildverarbeitungs-Systemen geleistet werden.
? Welche Investitionen kommen auf den Anwender zu?
! Wenn eine völlig fehlerfreie Produktion auch mit höchstem Aufwand nicht erreicht werden kann, ist es sinnvoll, Restfehler durch automatisches Messen und Inspizieren zu erkennen und auszusondern. Der hierfür notwendige Aufwand hängt stark vom Anwendungsfall ab und kann zwischen 15000 DM und einigen Millionen DM liegen. In den meisten Fällen liegen die Kosten für einen Prüfautomaten zwischen 50000 und 150000 DM.
? Wie lange dauert es, bis sich eine solche Anlage bezahlt macht? Gibt es da eine Faustregel?
! Kleinere Betriebe ermitteln weniger die Qualitäts- und Fehlerkosten. Die Pflege der statistischen Daten wäre ein zusätzlicher Aufwand. Meist wird nur das direkte Einsparpotenzial durch den Ersatz von menschlichen Inspekteuren betrachtet. Doch auch hier sollte sich die Investition nach einem Zeitraum von ein bis zwei Jahren amortisiert haben.
? Auf was muss ein Anwender besonders achten?
! Auch kostengünstige Inspektions-Lösungen sind in der Regel technisch anspruchsvoll. Sie müssen von den Mitarbeitern bedient und gewartet werden. Hierfür ist eine entsprechende Qualifikation notwendig. Oft sind kundenspezifische Lösungen gefragt. Dadurch wird eine langfristige Zusammenarbeit mit dem Lieferanten der Prüfanlage unumgänglich. Bei der Auswahl des Anbieters sollte dieser Gesichtspunkt sorgfältig bedacht werden. Der aktuelle Kaufpreis ist also nicht das einzige Kriterium. Gute Leistung und Ideen lassen sich später nicht mehr erzwingen.
Fachmesse Vision: Das BV-Herz schlägt in Stuttgart
Alljährlich im Herbst trifft sich die Machine-Vision-Branche auf dem Stuttgarter Messegelände Killesberg. Dort findet vom 18. bis 20. Oktober die Vision 2000 statt, eine „lupenreine Fachmesse für die industrielle Bildverarbeitung“ – so die Messe Stuttgart. BV-Papst Don Braggins, seines Zeichens Director der UK Industrial Vision Association:„Die Vision ist die bedeutenste Fachmesse für Bildverarbeitung in Europa.“
Mehr als 120 Aussteller zeigen Marktneuheiten und Verbesserungen im Komponenten- und Systembereich. Im Trend liegen nach wie vor PC-basierte Systeme. Auf dem Vormarsch sind zudem Kameras, denen die Prozessoren gleich eingebaut wurden. Solche Modelle sind für Anwendungen konzipiert, wo vor allem Rechenleistung gefragt ist. Für besonders anspruchvolle Applikationen lassen sich solche Kameras auch parallel schalten.
Besucher, die sich bislang noch nicht durchringen konnten, ein BV-System zum Beispiel zur Qualitätssicherung zu installieren, können sich am Vortag der Messe (17. Oktober) auf einem Einsteiger-Workshop schlau machen. In dem eintägigen Seminar, das zum zweiten Mal stattfindet, vermitteln Vertreter der Branchenführer aber auch Anwender Grundlagen und Einstiegshilfen für die Installation und den Einsatz dieser neuen Technologie in der eigenen Fertigung. Ergänzend zur Theorie erläutert ein praktischer Teil die einzelnen BV-Komponenten und deren Funktionsweise.
Eine feste Größe im Rahmen der Fachmesse sind die „Industrial Vision Days“ unter Federführung der Fachabteilung Industrielle Bildverarbeitung im VDMA. Experten aus Industrie, Forschung und Lehre konnten im vergangenen Jahr in rund 40 Vortragsveranstaltungen über 1400 Zu-hörer für das Thema gewinnen. ub
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