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Autobauer stehen Schlange in Niklasdorf

Galvano-Spezialist Platingtech erfindet Schlüsseltechnologien
Autobauer stehen Schlange in Niklasdorf

„Die Möglichkeiten der Galvanotechnik neu definieren“ wollten Helga und Wolfgang Kollmann, als sie Platingtech gründeten. Und das haben sie auch geschafft. Vier Jahre nach dem Produktionsstart gehören Firmen wie BMW, VW, Volvo und Audi zu ihren Kunden.

Von unserem Redaktionsmitglied Olaf Stauß olaf.stauss@konradin

„Bitte rufen Sie in fünf Minuten nochmal an, ich muss schnell in die Produktion“, unterbricht Wolfgang Kollmann das Gespräch, und schon ist er weg. Zehn Minuten später hat er den Hörer wieder in der Hand: „Wissen Sie, wenn meine Techniker in der Glastür stehen, weiß ich, jetzt brennt’s.“ Noch immer schwebt ein Hauch von Pioniergeist über der Platingtech Kollmann & Co GmbH im österreichischen Niklasdorf. Vier Jahre nach der Inbetriebnahme der ersten Fertigungslinie und knapp ein Jahr nach dem Start der zweiten hat sich daran nichts geändert. In Niklasdorf wird nicht herkömmlich galvanisiert. Auf den Anlagen entstehen Schichtsysteme, die bisher kaum jemand für realisierbar hielt.
Spacecoat zum Beispiel ist eine mikrometerdünne Abstandshalter-Schicht auf Zahnrädern. Sie sorgt dafür, dass in der Montage das richtige Spiel eingestellt wird. Die Schicht hält die Zahnflanken auf Distanz und zerfällt in sich, sobald die Zahnräder angetrieben werden. BMW verwendet Spacecoat-behandelte Zahnräder schon seit 2001. Bei VW beginnt in wenigen Wochen der Serieneinsatz und Volvo testet zurzeit Prototypen. Für dieses Jahr rechnet Kollmann mit einem Umsatz von 1,5 Mio. Euro bei Spacecoat, der weiter anwachsen wird.
Auf der neueren Anlage in Niklasdorf wird die Produktfamilie Polymet produziert. Dabei handelt es sich um dreidimensionale Polymergewebe, die mit einer umhüllenden Metallschicht überzogen sind – reißfest, verschleiß- und korrosionsbeständig und nahezu chemisch resistent. Das Material bietet Einsatzmöglichkeiten bis in den Designer-Bereich hinein. Polymet kann die Leistungsfähigkeit von Brennstoffzellen, Batterien und Piezo-Aktuatoren enorm steigern. Platingtech wird damit in diesem Jahr einen Umsatz von voraussichtlich 1,5 Mio. Euro machen, für die Zukunft sieht Kollmann ein Potenzial von 30 Mio. Euro und mehr.
„Wir wollten von Anfang an individuelle Metallüberzüge entwickeln“, erklärt er, „und zwar genau so, wie sie der Anwender braucht: abgestimmt auf seine Bauteile, Beanspruchungen und Materialien.“ „Wir“ – das ist er und seine Frau Helga, die er bei einem gemeinsamen Industrieprojekt kennengelernt hat. Sie arbeitete als gelernte Galvanotechnikerin für einen Chemielieferanten, während er in der Forschung und Entwicklung von Steyr Fahrzeugtechnik tätig war. „Wie es eben ist, wenn man am Abend zusammensitzt und miteinander spricht: Wir sind auf viele Ideen gekommen und waren der Meinung, dass die Oberflächentechnik längst nicht ausgereizt ist.“ 1994 gründeten sie Platingtech. Bis 1997 betätigten sie sich als Consulter und bauten einen Kapitalstock auf. Dann richteten sie ein Technikum in angemieteten Kellerräumen ein und stürzten sich in die anvisierten Entwicklungsarbeiten. In diese Phase hinein platzte im Jahr 2000 – wie gerufen – der BMW-Entwicklungsauftrag für Spacecoat.
„Prinzipiell produzieren wir die Schichten selbst, die wir entwickeln“, sagt Kollmann – schon wegen des nötigen Know-how. Das gilt nicht nur für Spacecoat, sondern auch für alle anderen Produkte. Beispielsweise für die Beschichtungen der Mikropartikel, die ein Kunde zum Herstellen von neuartigen, keramischen Bremsbelägen benötigt. In Motorradrennen haben sich diese Keramikbeläge bereits bewährt. Die Kollmanns arbeiten zurzeit daran, das „Mikropartikel-Plating“ (MPP) vom Labor in die Fertigung zu holen.
Mehr als „nur“ eine Beschichtung ist das Polymet-Gewebe. „Wir beziehen das Grundmaterial als Gewebe, Vlies, Schaum oder Folie und umhüllen es vollständig mit einem Metallfilm“, erklärt Kollmann. Unter anderem liefert Platingtech das Material an einen Hersteller von Piezo-Aktoren, der ein Patent des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrttechnik (DLR) umsetzt. Die Aktuatoren werden zur aktiven Schwingungsdämpfung eingesetzt, beispielsweise um den Lärm von Flugzeugturbinen zu senken. Polymet bettet die Piezos in seine metallisierten Gewebestrukturen ein, sorgt für die Kontaktierung und schützt sie vor Erschütterungen.
Polymet ist zweifellos der „Schlager“ unter den Platingtech-Produkten. Ursprünglich haben die Österreicher den Werkstoff ausschließlich für die Brennstoffzelle entwickelt. Das metallisierte Polymergewebe ersetzt dort zwei sehr teure Komponenten: das Gasdiffusionslayer und die für die Stromableitung zuständigen Bipolarplatten. Gleichzeitig erhöht es den Wirkungsgrad.
Von mindestens ebenso hoher Bedeutung ist aber der Einsatz in Lithium-Ionen-Polymerbatterien. Der neue Werkstoff könnte die Leistungsgrenzen weiter hinaus schieben. „Bisher wird die stromerzeugende Aktivmasse auf eine Kupferfolie auflaminiert“, erklärt Galvanik-Experte Kollmann. „Wenn die Aktivmasse vergrößert wird, verschlechtert sich der Übergangswiderstand. Das ist wie bei einem Kaugummi, der ab einer gewissen Dicke nicht mehr richtig haftet.“ Polymet bietet eine bessere Lösung. Das metallisierte Gewebe nimmt die Aktivmasse in sich auf und durchsetzt sie kreuz und quer mit Stromableiter-Fäden. „Die Folge ist eine um den Faktor 2 oder sogar 3 gesteigerte Leistung der Batterie.“ Nicht nur für Handys und Notebooks ließen sich diese Effekte gut nutzen. Die Akkus sind dann auch nicht mehr an bestimmte Formen gebunden. „Diese Lithium-Polymer-Batterien sehen aus wie ein stärkeres Blatt Papier“, verrät Kollmann. „Sie können sie problemlos irgendwo hinkleben.“
Platingtech ist längst kein Zwei-Personen-Betrieb mehr, sondern zählt heute 22 Mitarbeiter. In der Endausbau-Stufe sollen es einmal 50 sein. Neben den beiden Chefs arbeiten zwei weitere Fachleute im F&E-Bereich, demnächst werden es insgesamt fünf sein. Dieses rasante Wachstum der letzten vier Jahre beruht auf dem Markterfolg von Spacecoat und Polymet. Doch dabei soll es nicht bleiben. „Wir haben noch einige Ideen in petto, die wir umsetzen wollen“, meint Wolfgang Kollmann. Die Arbeit macht ihm Spaß – nicht zuletzt mit seiner Frau als Kollegin und Geschäftspartnerin. „Wir sind 24 Stunden am Tag zusammen. Und das ist absolut spitze.“
Polymergewebe erhält metallischen Maßanzug
Akkus werden flach wie ein Blatt Papier
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