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Baukastensystem Match-X erschließt den Weg zur Miniaturisierung

Mikrosystemtechnik: Allianz aus Praxis und Forschung will Konzept am Markt etablieren
Baukastensystem Match-X erschließt den Weg zur Miniaturisierung

Das Vorpreschen in der Mikrosystemforschung zeigt erste Erfolge. Würden die Ergebnisse jedoch konsequenter genutzt, könnten die Minisysteme für viele Mittelständler zur treibenden Kraft werden. Hilfestellung geben will jetzt ein Baukasten für mikrotechnische Elemente, die sich selbst in kleinen und mittleren Stückzahlen wirtschaftlich produzieren lassen.

Von unserem Redaktionsmitglied Dietmar Kieser

So manches „Baukastenkonzept” hat Erfolgsgeschichte geschrieben. Lego-Steine sind der Klassiker schlechthin. Der PC ist das Paradebeispiel dafür, wohin ein Modulkonzept führen kann: zu extremen Entwicklungsschritten, stark sinkenden Preisen und einer Vielzahl von Mitspielern, die an der Standardisierung partizipieren.
Von dieser Art firmenübergreifender Modularisierung soll jetzt eine technische Disziplin profitieren, an der das Etikett „Technologiezoo” klebt: die Mikrosystemtechnik. Ihre Materialien und Funktionen sind so vielfältig wie das Leben hinter Gittern eines Tiergartens. Zudem fließt in den oft millimetergroßen Bauteilen eine Vielzahl von Technologien zusammen: von der Elektronik über Fluidtechnik und Mechanik bis hin zur Optik.
Mit elektronischen und nicht-elektronischen Funktionen ausgestattet, winkt den Winzlingen ein schier unerschöpfliches Einsatzpotenzial. Mit ihrer Hilfe werden Maschinen, Anlagen und Geräte kleiner, intelligenter und erhalten eine Vielzahl neuer, hilfreicher Funktionalitäten. Auf rund 40 Mrd. US-$ taxieren Branchenkenner das weltweite Marktvolumen im Jahr 2002. In Deutschland begann das Bundesforschungsministerium (BMBF) 1990 mit der Förderung der Mikrosystemtechnik. Mit rund 1 Mrd. DM hat der Staat bislang dieses Forschungsgebiet bezuschusst.
Doch alle Finanzspritzen halfen nicht, das Dilemma dieser Zukunftstechnologie des 21. Jahrunderts zu überwinden. Der Grund: Die Kombination von Aktoren, Sensoren oder Motoren in einem System rechnet sich nur, wenn sie in Massen gefertigt werden. Die Automobilindustrie ordert beispielsweise Mikrosensoren in Millionen Stückzahlen und somit preiswert. Anwendungsspezifische Entwicklungen, wie Maschinenbauer sie benötigen, sind hingegen teuer. Der breite Durchbruch, da ist sich die Fachwelt einig, ist nur mit standardisierten Komponenten, Schnittstellen und Fertigungsschritten zu schaffen. Doch von Standardbauelementen, die sich à la Mikroelektronik kombinieren und zu einer Vielzahl von spezifischen Systemen zusammensetzen lassen, ist die Welt der hybriden Minisysteme noch weit entfernt.
Jetzt scheint dieses Ziel in greifbare Nähe zu rücken: Ein Baukasten namens Match-X könnte bald schon gefüllt sein mit modularen Komponenten und Subsystemen, die sich dank einheitlicher Schnittstellen zu intelligenten Einheiten integrieren lassen. Mit dem Griff in die Kiste soll es sich für Maschinenbauer lohnen, kundenspezifische Mikrosysteme selbst in kleinen und mittleren Stückzahlen aufzubauen. „Anwender reduzieren dadurch Entwicklungszeiten und -kosten drastisch”, streicht Gerd Bauer vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) einen Vorteil heraus.
Doch dies sei noch längst nicht alles, betont der Mitiniatiator des Match-X-Baukastens, der am Stuttgarter Fraunhofer-Institut mittelständischen Maschinenbauern den Mikrokosmos erschließen hilft. Das Entwicklerteam, das jeweils aus Wissenschaftlern des IPA und des Berliner Instituts für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM) besteht, hat Match-X in einen Anwender- und einen Herstellerbaukasten zerlegt. Der Anwenderbaukasten soll künftig fertige Systeme enthalten, deren Elemente wie etwa Sensoren oder Aktoren wiederum dem herstellerorientierten Baukasten entstammen.
Doch warum die Trennung, wo doch beide Baukästen ein Ziel eint: der Industrie modulare Mikrosysteme bereitzustellen? Für die Begründung muss Gerd Bauer etwas zurückblicken. 1995 beauftragte der Verein Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) das IPA mit einer Studie, um für die eigene Branche Potenziale und Einsatzmöglichkeiten der Mikrosystemtechnik auszuloten. „Dabei stellten wir fest, dass die Maschinenbauer diese Technik als sehr fremd empfanden”, schildert der IPA-Ingenieur. Wenn schon ein Mikrosystem, dann sollte es bitteschön maschinenbautauglich, das heißt mit einem 20er-Schraubschlüssel verarbeitbar sein, interpretiert er leicht ironisch die damals gehegten Vorbehalte der Praxis gegenüber der neuen Technologie.
Ein Jahr später folgte das nächste Aha-Erlebnis, weil Forscher und Praktiker sich erst einmal sprachlich annähern mussten. 1996 mündeten die Ergebnisse der Potenzialstudie in ein vom BMBF aufgelegtes Leitprojekt. Das Ziel: anhand konkreter Entwicklungen Erfahrungen für den Maschinenbau zu sammeln. Als Koordinator wurde den Fraunhofer-Instituten IPA und IZM der VDMA zur Seite gestellt. Ein industrieller Lenkungskreis, der sich aus etwa 20 Unternehmen zusammensetzte, sollte die Ideen der Forscher auf ihre Praxistauglichkeit hin abklopfen. Doch mit dem ihnen geläufigen Wortschatz, gespickt mit Elektroniktermini und Begriffen aus der Halbleitertechnologie, eckten die Wissenschaftler an. „Die Bitte, unsere Gedanken doch verständlicher zu formulieren”, erinnert sich Gerd Bauer, inspirierte die Mikroforscher später dazu, das Baukastenthema zweigleisig in Richtung Anwender und Hersteller voranzutreiben.
Auch die Industrie mischte kräftig mit. Die Mitglieder des Lenkungskreises wie etwa Festo, Heidelberger Druck, KSB und Wilo „steuerten sofort dagegen, wenn unsere Ansätze zu elektroniklastig waren”, räumt der IPA-Forscher ein. Weil aber die elektrischen Übergänge die Basis schlechthin in der Mikrosystemtechnik sind, standen sie im Zentrum dieses Projektes. „Der Lenkungskreis hat uns zu den heute vorliegenden Ergebnissen geführt”, resümmiert Bauer – und die beinhalten neben elektrischen Schnittstellen auch fluidische, optische sowie mechanische. Und weil die Praktiker das Sagen hatten, wurde weniger um planare Bauweisen diskutiert, als vielmehr in Richtung dreidimensionaler Aufbau, Zerlegung in Funktionen und konsequente Modularisierung.
Das 1998 ausgelaufene Projekt stieß in der Industrie zwar auf großes Interesse. Es hinterließ aber auch ein Henne-oder-Ei-Problem: Die Anwender zeigten großes Interesse und meldeten Bedarf, ohne diesen jedoch genau quantifizieren zu können. Die Hersteller indes beteuerten, sie würden die Komponenten produzieren, sobald konkrete Stückzahlen dahinter stünden. Dass es an dieser Stelle kein Weiterkommen gab, erkannte auch das Forschungsministerium – und reagierte darauf. Das in diesem Jahr neu aufgelegte BMBF-Förderprogramm „Mikrosystemtechnik 2000+” (Laufzeit bis 2004) hat auch den Baukasten zum Schwerpunkt. Bis 2002, so lautet die Vorgabe, sollten die bisherigen Mitspieler das Projekt so vorantreiben, dass eine eigens gegründete Organisation das Vorhaben Match-X auf privatwirtschaftlicher Basis weiter betreiben soll; sprich Bausteine für die Aufnahme in das Baukastensystem testen und zertifizieren oder die Interessenten schulen.
Zugleich wurde der bestehende Lenkungskreis institutionalisiert und in Industrieplattform umbenannt. „Damit wollten wir zum Ausdruck bringen, dass es sich um kein Institutsprojekt handelt, sondern die Industrie mit ganz konkreten Interessen dahinter steht”, begründet Gerd Bauer den Schritt. Immer noch würde dem Vorhaben der Begriff Fraunhofer-Baukastensystem anhängen. Um so wichtiger ist es den Initiatoren, das Projekt „aus der Institutslandschaft herauszurücken”. Schließlich handelt es sich bei dem Baukasten um ein Produkt, das laut Bauer bereits am Markt verfügbar ist. Die Arbeitsgemeinschaft „Industrieplattform Modulare Mikrosysteme”, wie sich das Vorhaben heute etwas sperrig nennt, hat denn auch etliches vorzuweisen.
Erstmals in die Fachöffentlichkeit traten die Mitglieder Ende Juni in Nürnberg. Auf einem Gemeinschaftsstand im Rahmen der Fachmesse SMT/ES&S/Hybrid präsentierten acht Unternehmen Komponenten, die einerseits in das Baukastensystem integriert werden sollen und teilweise auch schon sind. Andererseits zeigten sie Produkte, die durch den Einsatz modularer Mikrosysteme erheblich an Funktionalität gewinnen. Parallel dazu wurde in den Produktionspausen auf einer Fertigungslinie ein Magnetfeldsensor aus Match-X-Bausteinen produziert, den die Besucher der Fachmesse testen und mitnehmen konnten. Diese Flexibilität bei der Produktion sollte eines sichtbar machen: die einfache Handhabbarkeit des Baukastensystems. „So lassen sich selbst kleine und mittlere Stückzahlen wirtschaftlich produzieren“, formuliert der IPA-Wissenschaftler die zentrale Botschaft an den Mittelstand.
Zu zeigen, dass die Produktion heute schon in kurzer, überschaubarer Zeit machbar ist – allein damit dürfte die Popularitätskurve der Mikrosysteme jedoch nicht schlagartig nach oben weisen. „Wir brauchen auch eine kritische Masse an Bausteinen, damit für den Anwender der Baukasten interessant wird”, drängt Bauer. „Wenn Basiselemente wie Ventile oder Pumpen für die Fluidtechnik vorhanden sind, dann kommt das Ganze in Gang.”
Neben den elektrischen Schnittstellen sind inzwischen die fluidischen am weitesten fortgeschritten, da die Unternehmen bei der Pneumatik Bedarf angemeldet haben. Die Anzahl der Schnittstellen wird dabei in Abstimmung mit den Unternehmen auf die erforderliche Anzahl begrenzt – auch dies ist ein Indiz dafür, dass hier kein Monsterbaukasten heranwächst. Deshalb hält es der Fraunhofer-Forscher für sinnvoll, „höchstens 80 Prozent aller Möglichkeiten abzudecken”. Für den Rest müssten Sonderlösungen gefunden werden.
Die Neugierde auf den Baukasten soll vorerst bei den Herstellern geweckt werden, die sich mit High-Tech-Komponenten völlig neue Märkte schaffen können. Ihr Input ist gefordert, um Anwendern das Angebot schmackhaft zu machen. „Acht bis zehn Bausteine sind schon verfügbar”, meint Gerd Bauer – und hebt hervor, dass es „schon bald mehr werden”.
Gerade die Deutschen haben auf dem Gebiet der Mikrosysteme gute Karten. Der Technologievorsprung könnte mit Hilfe des Mikrosystembaukastens ausgebaut werden. Sofern die Firmen ihn nutzen, werden sie auf den Märkten von morgen ganz vorn mitspielen.
Gerhard Bechtel, Höfer & Bechtel GmbH, Mainhausen: „Das Baukastenprinzip nützt jedem Unternehmen“
Als eine Chance für kleinere Unternehmen sieht Gerhard Bechtel den mikrotechnischen Baukasten Match-X. Dies ist mit ein Grund dafür, dass sich der Firmenchef in der neu gegründeten Arbeitsgemeinschaft „Industrieplattform Modulare Mikrosysteme“ engagiert.
? Was war Ihr Motiv, sich an der Arbeitsgemeinschaft Industrieplattform Modulare Mikrosysteme zu beteiligen?
! Wenn wir heute mechanische oder fluidtechnische Komponenten verwenden – in unserem Fall Mikropumpen – ergeben sich aufgrund der vergleichsweise geringen Stückzahlen zu hohe Bauteilkosten. Mit vorgefertigten Bausteinen hingegen könnten die einzelnen Module aufgrund ihrer universelleren Einsatzmöglichkeiten öfter in Anwendungen kommen und dadurch auch in größeren Stückzahlen hergestellt werden. Die Idee ist, dass der Anwender in einen solchen Baukasten hineingreift und sich seine eigene Problemlösung aus preiswerten Standardkomponenten zusammenstellt.
? Was erhoffen Sie sich als Anwender vom mikrotechnischen Baukasten Match-X?
! Einiges. Die Ansteuerung unserer Mikropumpen sollte künftig nicht größer sein als das Aggregat selbst. Unsere kleine Pumpe wird von einer relativ großen Pneumatik angesteuert. Durch Schnittstellen, wie sie im Rahmen des Baukastenkonzeptes ja definiert werden, könnte die Ansteuerung nicht nur auf die Größe der Pumpe schrumpfen, sie könnte sogar in ihr integriert sein. Auch dieses Ziel verfolgen wir mit unserer Teilnahme an der Arbeitsgemeinschaft.
? Öffnen Sie sich damit neue Märkte?
! Für unsere Mikropumpen etwa bedienen wir uns einerseits der im Baukasten verfügbaren Elemente, die wir auch mit Blick auf weitere Anwendungen adaptieren. Andererseits könnte die Mikropumpe, die selbst im Baukasten als Komponente abgelegt ist, durch andere Unternehmen in neue Anwendungen gebracht werden.
? Gelingt der Mikrosystemtechnik mit diesem Konzept der Durchbruch?
! Es wird darauf ankommen, wie umfangreich und clever der Baukasten gefüllt wird. Alles wird nicht möglich sein, weil sich nicht alle denkbaren Fälle adaptieren lassen. Es wird auch weiterhin mikrosystemtechnische Projekte geben, die sich nicht im Baukastensystem realisieren lassen, vor allem dann, wenn es in Stückzahlen geht, wie sie die Automobilindustrie benötigt. Dann sind spezielle Lösungen kostengünstiger und unter Umständen auch technisch sinnvoller. dk
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