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Bei Ringen eine Nasenlänge voraus

Das Bayern München in der Flanschenfertigung
Bei Ringen eine Nasenlänge voraus

Metergroße Flansche auf einige Millimeter genau zu fertigen, ist eine Kunst, welche die Flanschenfabrik Hüttental beherrscht. Heute finden sich Qualitätsflansche aus Siegen in Tankwagen, Industriewaschmaschinen oder in der Wüste von Dubai wieder.

Von unserem Redaktionsmitglied Dr. Bettina Keck – bettina.keck@konradin.de

Drei schwitzende Mitarbeiter in karierten Flanellhemden stehen konzentriert vor einem heißen Ofen. Langsam spuckt das computergesteuerte Ungetüm die erste von bis zu 200 rotglühenden Stahlstangen aus. Jetzt muss es schnell gehen: Das eingespielte Team zieht die weiche, noch etwa 950 °C heiße Stange zur benachbarten Planscheiben-Biegemaschine. Auf einem Drehteller mit passendem Spannblock wird dort der Stahl mit dem gewünschten Flanschdurchmesser warm gebogen, aber noch nicht vollständig zum Ring geschlossen. Dies geschieht erst beim nachgeschalteten Abbrennstumpfschweißen. Die Maschine verbindet das Material bei 10000 V und 500 A im Lichtbogen. Die geschmolzenen Enden werden ohne Elektrode und Fremdstoffe mit einer Kraft von 5000 kN gegeneinander gepresst.
Kleine Ringe kommen auf einen kegelförmigen Richtdorn. Große Flansche werden wegen ihres Eigengewichts auf einer Richtplatte entgratet, rundgerichtet und so lange abgekühlt, bis sie aufgestellt werden können. Die Richtplatte bestimmt den Arbeitsrhythmus, denn sie ist die Engstelle im Betrieb. Inzwischen ruhen sich die Mitarbeiter aus – im Sommer bevorzugt im kühlen Schatten eines Kastanienbaums, den ihr Chef 1955 eigenhändig im Vorhof gepflanzt hat.
Gerhard Klos arbeitet seit 43 Jahren im Betrieb, seit 26 Jahren leitet er mit Unterstützung seiner Frau Doris die Flanschenfabrik Hüttental GmbH (FFH) in Siegen-Weidenau. Der energische Firmenchef ist auf jeden seiner insgesamt 28 engagierten Mitarbeiter stolz. „Bei Flanschen mit einem Durchmesser von bis zu 3000 mm stimmen die Maße auf 2 mm genau“, begründet Klos, warum das Unternehmen der Konkurrenz meist eine Nasenlänge voraus ist. In der Freizeit bastelte Mitarbeiter Uli aus Hilchenbach ein Hoftor aus Flanschen, die Reparatur von Kaffee- oder Karussel-Drehmaschinen ist für das Improvisationstalent Vladimir aus Kasachstan gleichermaßen ein Kinderspiel.
Die „Flanschenfamilie“ hält nun schon in der dritten Generation zusammen. Großvater und Schmiedemeister Jacob Klos gründete 1909 die FFH als erste Spezialfabrik zur Fertigung von Flanschen und Winkelringen Europas in einem Lokschuppen der ehemaligen Rolandshütte im Siegerländer Weidenau. Er war es auch, der 1920 die erste produktionsbereite Planscheiben-Biegemaschine entwickelte und dafür 1921 das Patent erhielt. 1936 folgte das Patent für die Kugeldrehverbindung nach dem System Klos. Sohn Herrman übernahm die Firma und verbesserte das Verfahren für Abbrennstumpfschweißen.
Alternativ könnten Flansche auch aus einem Block nahtlos gewalzt werden. Um die durch Reibung entstehende Hitze zu kompensieren, wäre Wasserkühlung nötig. Wasser macht das Material aber spröde und somit ungeeignet für kritische Anwendungen. Beim Abbrennstumpfschweißen hingegen tritt lediglich eine durch den Schweißstrom verursachte Spannung auf. Diese lässt sich jedoch durch das anschließende Glühen rückgängig machen.
„Wir sind das Bayern München der Flanschenfabriken“, beschreibt der mittlerweile 65-jährige Enkel Gerhard Klos die Bedeutung des Betriebs. Das Firmenareal umfasst heute ein Lager, eine mechanische Werkstatt, sowie drei Schmiedestraßen, in denen unterschiedlich große Ringe bis zu einem Durchmesser von rund 4500 mm gefertigt werden können. Automatische und halbautomatische Karussel-Drehmaschinen geben dem Rohling den letzten Schliff. Meist sind Standardmaschinen für die erforderlichen Ringgrößen ungeeignet. Ein Schnäppchen in der Werkstatt ist das für 500000 DM erstandene neuwertige Drehbearbeitungszentrum aus Beständen der ehemaligen DDR. Der pfiffige Unternehmer ließ die Maschine so ändern und mit einer Grips-Steuerung ausrüsten, dass sie jetzt in täglich 80 Ringen Nuten fräst. Bei Bedarf schließt sich das Bohren von Löchern an.
Metergroße Ringe fertigen Mitarbeiter auf 2 mm genau
Das nach DIN und Tüv zertifizierte Unternehmen setzt hohe Ansprüche an die Qualität und erfüllt strenge Vorschriften. So liefert die FFH auch Flansche für hochwertige Anwendungen – beispielsweise für den ICE und moderne Nahverkehrszüge, Gehäusefunktionen von Lkw sowie für Tanks, in denen Flüssiggas transportiert oder gelagert wird. Auch der Bau von Windkraftanlagen sei ohne FFH-Ringe kaum denkbar. Klos weiß: „Jeder vierte Lkw auf der Autobahn fährt mit Flanschen von FFH!“
Der Qualitätsnachweis beginnt im Lager, wo jede fertige Stange eine Schmelznummer mit Angaben zu Eigenschaften und Herkunft erhält. Einst war das Siegerland Schwerpunkt der Eisenindustrie, heute wird der Stahl meist von Walzwerken aus Schweden oder dem Saarland geliefert.
Im rechnergesteuerten Ofen gewährleisten Thermostate, dass die Schmiedetemperaturen von über 1000 °C auf ± 5 % konstant bleiben. Nach dem Schweißen werden die Ringe bei 850 °C geglüht, um entstandene Gefügeänderungen rückgängig zu machen. Edelstahl muss zusätzlich im kalten Wasser abgeschreckt werden. Danach befindet sich das Material wieder im Urzustand, eine Schweißnaht ist nicht mehr zu erkennen. Bei Serienfertigung werden in einer abschließenden Qualitätsprüfung 25 % aller Ringe mittels Ultraschall oder Röntgenstrahl auf mögliche Risse hin untersucht und fehlerhafte Produkte entsorgt.
Heute verlassen täglich rund 400 Flansche das Firmengelände in alle Welt, die Auftragsbücher sind für die nächsten vier bis fünf Monate gefüllt. Der Umsatz betrug 2000 fast 7,5 Mio. DM, rund 50 % entfallen auf den Export: „Wir liefern bis nach China, und selbst ein Scheich von Dubai verwendet 1500 Flansche von uns in einer 6000 km langen Wasserleitung“, merkt Klos an. Die Lieferzeiten möglichst kurz zu halten, betrachtet er als einen seiner wichtigsten Wettbewerbsvorteile. Auch bei Sonderanfertigungen. Vom Rohmaterial bis zur Auslieferung der Ringe vergeht bei Standardprodukten meist weniger als eine Woche.
Flansche werden selbst in der Wüste gebraucht
Für den nutzbringenden Einsatz von Flanschen reicht der FFH jedoch der Kundenkreis für Rohrleitungen und Behälter allein nicht aus. Der Blick des Firmenchefs richtet sich auf immer neue Anwendungen. „Ich halte die Augen stets offen und gehe aktiv mit Vorschlägen auf potenzielle Abnehmer zu“, verrät Klos schmunzelnd, „denn oft wissen diese gar nicht, dass sie einen Flansch von uns brauchen“. Auf diese Art und Weise erschloss das Unternehmen beispielsweise den Markt für Industrie-Waschmaschinen, bei denen Edelstahlringe nun die Trommel versteifen. Auch in einer Flaschenabfüllanlage kommen Flansche von der FFH zum Einsatz. Anhand seines Eherings erklärt Klos anschaulich, dass ein Flansch nichts anderes ist als ein Ring, synonym auch als Schale, Bund oder Kurve bezeichnet. In einem ist sich der energische Firmenchef sicher: „Ringe wird man immer brauchen.“ Und in Kürze wird – so hofft Klos – ein Großauftrag über 12,5 Mio. Flansche hereinflattern.
Industrieanzeiger
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