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Blühende Landschaften auf der grünen Wiese

Osteuropa wird zur Boom-Region der Automobil-Zulieferindustrie
Blühende Landschaften auf der grünen Wiese

Durch die EU-Erweiterung boomt die Automobilzuliefer- Industrie in den Beitrittsländern. Wenn es um die Kosten geht, ist ein Standbein in Osteuropa fast schon Pflicht.

Von unserem Redaktionsmitglied Tilman Vögele-Ebering tilman.voegele@konradin.de

„Das Gesamtpaket hier war am besten“, sagt Claus-Peter Starey, Geschäftsführer der brandneuen Fabrik. Gerade hat der französische Zulieferkonzern Faurecia das Werk im polnischen Gorzów Wielkopolski feierlich eröffnet. Den zahlreichen Gästen präsentiert der deutsche Manager sichtlich zufrieden die 13 000 m² große, weiß-graue Werkhalle: Nagelneue Kunststoffmaschinen in Reih‘ und Glied verrichten störungsfrei ihre Arbeit, dazwischen bewegen sich ohne Hast weiß gekleidete, behandschuhte, zumeist junge Werker.
Wenig Bürokratie, Grundstück, Fördermittel, Fachkräfte, „das Paket eben“ habe den Ausschlag für die Standortentscheidung gegeben, zählt Manager Starey auf. Seit einem Jahr ist die Fabrik – auf der sprichwörtlichen grünen Wiese – in Betrieb. 400 Mitarbeiter produzieren Instrumententafeln und Türverkleidungen, hauptsächlich für den VW Golf V.
Das Investment ist das erste in einer neuen Sonderwirtschaftszone mit dem Namen Kostrzyn-Slubice im Westen Polens. Der Zulieferer aus Nanterre hat dort 25 Mio. Euro investiert. Die Förderquote durch EU, Land und Region liegt bei stattlichen 30 % der Investitionssumme. Die Arbeitskosten sind günstig: Ein junger polnischer Werker steigt in der Probezeit mit einem Monatssalär von 300 Euro ein, mit Spielraum nach oben je nach Zusatzqualifikation und Betriebszugehörigkeit. Der monatliche Durchschnittslohn in der polnischen Industrie liegt nach IHK-Zahlen bei knapp 580 Euro monatlich.
Da können Weststandorte schwer mithalten. „Dieser Auftrag wäre von den Kosten her in Deutschland nicht darstellbar gewesen“, gibt bei der Einweihung ein Volkswagen-Manager offen zu. Erst der Großauftrag der Wolfsburger war der Anlass, das neue Werk zu errichten. Für den französischen Zulieferkonzern, der weltweit 60 000 Mitarbeiter beschäftigt, ist Gorzów schon das siebte Werk in Polen.
In der Slowakei, Slowenien, Ungarn, der Tschechischen Republik und eben in Polen ist seit dem Fall des Eisernen Vorhangs eine komplett neue Automobilindustrie entstanden: VW, Fiat, Opel, Daewoo, Suzuki, Hyundai, PSA, Renault, Skoda, Toyota, Audi: Alle produzieren Pkw oder wesentliche Komponenten in einem dieser Länder. Die Zulieferindustrie engagiert sich ebenfalls verstärkt. Laut einer Umfrage, die der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) zur Jahreswende organisiert hat, wollen deutsche Zulieferer bis 2006 drei Viertel ihrer Auslandsinvestitionen in den EU-Beitrittsländern tätigen.
Eine in diesen Tagen veröffentlichte Studie des VDA stellt fest, dass sich beispielsweise in Polen die Zulieferindustrie in den vergangenen Jahren zum dynamischsten Bereich der Automobilindustrie entwickelt hat. Das durchschnittliche jährliche Wachstumstempo liegt nach polnischen offiziellen Zahlen in der Periode 2000 bis 2003 über 30 %.
Hauptmotiv für die Wanderung der Betriebe nach Osten sind die Kosten der Produktionsfaktoren, dicht gefolgt von dem Motiv der Markterschließung. Drittwichtigster Grund ist schließlich die Nähe zu den Großkunden, sprich OEMs, wie das Fraunhofer-Instut für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) herausgefunden hat. (Weiter nächste Seite.)
Ob sich ein Standort in MOE-Ländern rechnet, hängt laut dem Center of Automotive Research (CAR), Gelsenkirchen, von vielen Faktoren ab: Entscheidend sind unter anderem die Lohnstückkosten, die Entwicklung der Produktivität, die Qualifikation der Fachkräfte und auch die zukünftige Entwicklung des Lohniveaus.
Beim VDA sieht man den Trend mit gemischten Gefühlen. „Die deutsche Automobilindustrie wird die Chancen der EU-Osterweiterung offensiv nutzen“, so lautet die Devise, die VDA-Präsident Dr. Bernd Gottschalk ausgibt. Der Verband hat eine Bestandsaufnahme mit dem Titel „Die deutsche Automobilindustrie in der erweiterten EU“ herausgegeben, die „einen „Beitrag zur Versachlichung der Diskussion“ leisten soll. Wichtigste Ergebnisse: Die Automobil- und ihre Zulieferindustrie sind der Motor der EU-Integration. Außerdem: Wer sich in den Beitrittsländern engagiert, wird wettbewerbsfähiger.
Manchem traditionsreichen Zulieferstandort in Deutschland laufen die Betriebe davon – die blühenden Landschaften entstehen weit weg im Osten. „Wenn für ein Unternehmen nur der Kostengesichtspunkt zählt, dann müssen wir es ziehen lassen“, kommentiert Martin Lietz, Projektleiter bei der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderungs-Gesellschaft Wuppertal.
Das bergische Städtedreieck – Remscheid, Solingen, Wuppertal – hat unter Federführung namhafter Zulieferer und der Wirtschaftsförderung eine neue Initiative gestartet. Unter dem Label „Kompetenz³“ wollen Macher das Feld Automotive ausbauen. „Wir haben bei Forschung & Entwicklung einen entscheidenden Vorteil“, sagt Lietz. Ziel der Initiative ist es, die Kompetenzen der Zulieferer zu verknüpfen, beispielsweise durch Gemeinschaftsstände auf Messen, Workshops und Kooperationen mit anderen regionalen Initiativen. Ostdeutsche Standorte gehen ähnliche Wege. In Sachsen hat sich die Automobilzuliefer-Initiative AMZ 2005 zusammengefunden. „Sachsen ist nicht nur Automobil-, sondern auch High-Tech-Land“, erläutert Markus Lötzsch, Chef der Wirtschaftsförderung Sachsen. Durch die Nähe zu IT, Maschinenbau und Hochschulen, soll der Automobilbau innovativer sein als anderswo.
Wenn nur die Kosten zählen, ist häufig auch Deutschlands Osten zu teuer. Faurecia nimmt im polnischen Gorzów für den Kostenvorteil sogar den logistischen Nachteil in Kauf. Rund 45 recht holprige Kilometer auf einer Landstraße trennen die Stadt Gorzów vom Grenzübergang Kostrzyn. Dort geht es auf der Bundesstraße weiter. „Das ist klar ein Nachteil“, erläutert Manager Starey, der aber zu verkraften sei, zumal der Grenzübertritt seit dem 1. Mai viel schneller verläuft.
Das Investment in Gorzów hat Signalcharakter für eine ganze Region, in der über 25 % Arbeitslosigkeit herrschen. Starey konnte mit Hilfe einer Personalberatung bei der Mitarbeitersuche aus dem Vollen schöpfen. „Ganz hervorragende Mitarbeiter haben wir hier“, sagt er jetzt. Viele seien höher qualifiziert, als sie es für die Tätigkeit eigentlich sein müssten. Alle Beschäftigten wurden vier bis fünf Monate in Trainings in einem Schwesterwerk in Tschechien ausgebildet. Leistungsträger aus dem jetzigen Mitarbeiterstamm sollen für Leitungsfunktionen qualifiziert werden – denn das Werk soll bald erweitert werden.
Zulieferindustrie ist der dynamischste Bereich im Osten
Wer Arbeitskräfte sucht, schöpft aus dem Vollen
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