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Brennstoffzelle: Zwischen Aufbruch und Abwinken

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Brennstoffzelle: Zwischen Aufbruch und Abwinken

Für manchen Zulieferer lohnt sich die Investition in Brennstoffzellentechnik schon. Experten empfehlen in jedem Fall, den Markt genau zu beobachten, damit die deutsche Industrie den Termin für den Einstieg nicht verpasst.

n Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de

„Die eine oder andere Milliarde Umsatz, die wir mit Motorkomponenten machen, müssten wir substituieren, wenn die Brennstoffzelle den Verbrennungsmotor im Fahrzeug verdrängt.“ Trotz dieser Einsicht ist Frank Tripmacher, Technologiebeobachter beim Stuttgarter Automobilzulieferer Mahle Group, keineswegs beunruhigt. Die Entwicklungen im Bereich neuer Antriebsstränge verfolgen die Hersteller von Kolbensystemen und anderen Motorkomponenten sehr aufmerksam. Den Prognosen über eine mögliche Markteinführung der Brennstoffzelle, die die Automobilhersteller bislang herausgeben, steht Tripmacher jedoch skeptisch gegenüber. „Die Aussagen sind mir zumeist viel zu optimistisch“, sagt der Stuttgarter. „Wenn ich zusammenfasse, was die bisher zugänglichen Szenarien an Informationen liefern, ist frühestens 2010 mit den ersten Brennstoffzellen-Autos zu rechnen.“ Und vermutlich würden diese zunächst als Leasing-Fahrzeuge über japanische Straßen rollen. Tripmachers gelassene Schlussfolgerung: „Vom Massenmarkt sind wir noch sehr weit entfernt.“ Bis der in Sicht komme, sei das Risiko zu hoch, um Geld für Entwicklung und Investitionen in die Hand zu nehmen.
Mit dieser Einschätzung und Strategie in Sachen Brennstoffzelle steht Mahle nicht allein. „Nachdem in den 90-er Jahren die Brennstoffzellenautos mehrmals angekündigt wurden und der Hype jedes Mal verpuffte, zweifeln einige Leute daran, dass diese Technik bald eine Rolle spielen wird“, sagt Dr. Martin Wietschel vom Karlsruher Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI). Als Partner in internationalen Forschungsprojekten untersuchen die Karlsruher zusammen mit der Industrie die Chancen und Risiken der Brennstoffzellentechnik. In den Szenarien der Forscher macht sich die Zurückhaltung bemerkbar: In vielen Forschungsfeldern ist Deutschland noch vorne, war gar in den 90-er Jahren führend bei der Zahl der angemeldeten Patente. In der Umsetzung aber sind wichtige Wettbewerber wie die USA und Japan zurzeit ambitionierter, während in Europa viele potenzielle Player das Risiko schreckt, weil unter anderem die Frage nach der Infrastruktur der Wasserstoff-Tankstellen ungeklärt ist und weil ein Brennstoffzellenauto bisher viel mehr kostet als ein Diesel.
Führende deutsche Automobilbauer und einige andere Unternehmen arbeiten dennoch „mit Hochdruck an der neuen Technik“, wie Wietschel es beschreibt. Konzeptfahrzeuge werden vorgestellt, müssen Praxistests in der Kälte von Reykjavik und der feuchtheißen Luft von Shanghai bestehen. „Wir wissen heute, wie wir alle gewünschten Eigenschaften eines Brennstoffzellenantriebs erreichen“, fasst Jochen Straub zusammen, Vertriebsleiter bei der deutschen Tochter des kanadischen Brennstoffzellenherstellers Ballard in Kirchheim/Teck. Die technologische Herausforderung liege allerdings darin, all diese Merkmale in einem einzigen System zu vereinen. Daran arbeitet Ballard mit DaimlerChrysler und Ford: Das in Kirchheim ansässige Joint Venture NuCellSys GmbH soll den Weg zur Serienreife bereiten.
Trotz solcher Anstrengungen sehen Experten Anzeichen dafür, dass sich ein möglicher Massenmarkt nicht gerade in Deutschland entwickelt. Schon jetzt fahren mehr Fahrzeuge in Kalifornien als in der Bundesrepublik, die Zentralen der Brennstoffzellenhersteller stehen in den USA, Kanada und Japan. Wenn sich das nicht ändert, könnte der Brennstoffzellen-Zug ohne die deutsche Industrie abfahren. Und ISI-Experte Wietschel gibt zu bedenken: „Es besteht die Gefahr, dass die komplette Fertigung von Fahrzeugen sich dorthin verlagern könnte, wo diese in Massen gekauft werden.“ Es gibt also mehr zu verlieren als den Antriebsstrang.
Dabei sieht Ballard-Mitarbeiter Straub die deutschen Betriebe gut aufgestellt: „Es liegt mir am Herzen zu sagen, dass die deutsche Zulieferindustrie ein enormes Potenzial im Bereich der Brennstoffzellensysteme hat.“ Schon jetzt seien viele Unternehmen in die Entwicklung eingebunden, lieferten Komponenten für Prototypenfahrzeuge. „Es ist wichtig zu sehen, dass die Brennstoffzelle ein System benötigt, das sie mit Gasen versorgt und den Prozess steuert“, sagt Straub. Die Wertschöpfung in diesem Bereich sei mindestens so hoch wie für die Zelle selbst. „Wir reden von Pumpen, Kompressoren, Sensoren, Kabeln, Wärmetauschern – das sind Komponenten, die heute Hersteller wie Bosch, Modine oder Pierburg liefern.“ Das werde auch in Zukunft so bleiben – weshalb Straub von „deutlich weniger Veränderungen in der Zulieferstruktur als allgemein erwartet“ ausgeht.
Welche Anforderungen die Brennstoffzelle an solche Komponenten stellt, haben Forscher des Instituts für Fahrzeugkonzepte in Stuttgart, einem Institut des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR e. V.), mit Industriepartnern untersucht. Das sichtbare Resultat ihrer Arbeit ist das Hylite-Fahrzeug, das mit Brennstoffzellenantrieb fährt und das Projektleiter Dr. Peter Treffinger als „rollenden Prüfstand“ bezeichnet – im Unterschied zu Konzeptfahrzeugen der Automobilhersteller. „Uns ging es mehr um die Erfahrung bei der Entwicklung als um das Darstellen eines Fahrzeugs mit spezifischen Eigenschaften.“
Um zu verstehen, welche Faktoren beim Entwickeln eine Rolle spielen, erläutert Treffinger die Verhältnisse in der Brennstoffzelle – und fängt mit einer kurzen Denkpause an, um zu einer überschaubaren Zusammenfassung zu kommen. Beispiel Kühlsystem: Eine Brennstoffzelle arbeite bei 90 °C, nicht bei den für einen Verbrennungsmotor üblichen Temperaturen, müsse aber im Verhältnis mehr Wärme über das Kühlwasser abführen – daher müsse das Kühlsystem anders konzipiert werden. Noch komplexer sei der Feuchtehaushalt: Das Herzstück, Stapel oder Stack genannt, produziert Wasser, wenn es elektrische Energie erzeugt. Damit die Polymermembran im Stack ihre Aufgabe erfüllen kann, muss sie feucht sein. „Sie darf aber weder geflutet werden noch vertrocknen, und der Feuchtehaushalt hängt von der Belastung, dem Druck, der Temperatur und der Zufuhr von Wasserstoff und Sauerstoff ab – ohne leistungsfähige Elektronik und Know-how kriegt man das nicht in den Griff.“
Mit diesen Zusammenhängen müssten sich Zulieferer beschäftigen. Das Projekt Hylite habe dafür wichtige Erfahrungen gebracht und vor allem einen Eindruck vermittelt, ob die eigenen Fertigungsverfahren und Entwicklungskapazitäten mit den Anforderungen übereinstimmen. „Oft war die Basis vorhanden“, sagt Treffinger. Die Eigenschaften von etlichen Komponenten, wie beispielsweise die Masse und das Bauvolumen von Ventilen, müssten aber angepasst werden, um sie in Brennstoffzellensystemen zu nutzen.
Die Bereitschaft der Industrie, solchen Entwicklungsaufwand zu betreiben, steige natürlich, wenn sich ein Return of Investment abzeichne – wobei kleine Unternehmen das Risiko mindern könnten, indem sie neben dem Massenmarkt Automobil auch andere Segmente betrachten. „Zwei unserer Partner haben sich für den Einstieg in die Entwicklung entschlossen“, sagt Treffinger.
Die AKG-Firmengruppe, ein Hersteller von Kühlern in Hofgeismar, hat sich seit Jahren mit der Entwicklung von Komponenten für Brennstoffzellensysteme befasst und mehrere Märkte definiert. Neben dem Automobil sind Stapler, stationäre Aggregate und sogar Laptops interessant. „Jedes Brennstoffzellenprojekt braucht einen Kühler“, sagt Dr. Andreas Strehlow, Leiter Forschung und Entwicklung, „und unser langjähriges Engagement zahlt sich jetzt aus“. Auf eine clevere Strategie komme es an, bestätigt Treffinger, „und bei höheren Stückzahlen sieht die Lage schon viel freundlicher aus.“ Für den Massenmarkt Autmobilindustrie haben seiner Ansicht nach aber nur Unternehmen eine Chance, die schon als Zulieferer tätig sind. „Was diese auszeichnet, ist das Wissen, wie man Fertigungs-Know-how und akzeptable Kosten vereint.“ Und die beste Strategie sei, sich gut zu informieren, Kontakte zu Kompetenznetzen zu nutzen und bei Kleinserien oder Projekten mitzumachen.
Das hat auch Systemanbieter Mahle getan und eine Luftmanagement-Lösung für das Hylite-Fahrzeug entwickelt. Die abwartende Haltung zur Brennstoffzelle wird regelmäßig überprüft. „Die derzeitige Strategie sieht vor, uns als Zulieferer im Brennstoffzellen-Antriebsbereich zu positionieren“, sagt Mahle-Technologiebeobachter Tripmacher. Bei weiteren Entscheidungen würden vorhandenes Wissen, die Ausstattung in der Fertigung und die Investitionen eine Rolle spielen. Die Überlegungen reichen bis hin zu Wasserstofftanks als neues Produktfeld. „Für Kunden werden Brennstoffzellen-Systeme aber erst interessant, wenn sie Kosten von 50 Euro pro Kilowatt erreichen“, stellt Tripmacher fest. Laut Dr. Wietschel vom Fraunhofer-ISI liegt dieser Wert derzeit aber noch bei 5000 € pro kW. „Das ist ein enormer Sprung“, räumt Wietschel ein, hält eine technische und fertigungstaugliche Lösung aber für realistisch. Zwar leugnen die Experten das Risiko von Investitionen nicht. Aber egal, wie schnell oder langsam der Anteil an Brennstoffzellen-Fahrzeugen wächst: Am schlimmsten wäre es, wenn Deutschland die Entwicklung verpasst.
Joint Venture arbeitet auf die Serienfertigung hin
Lastenheft für Zulieferer verändert sich völlig
Auf eine clevere Strategie kommt es an

> Zukunftsmärkte
Brennstoffzellen können als lokale Energieerzeuger, als Batterie für das Handy oder als Antrieb für Fahrzeuge eine Rolle spielen. Noch dominiert die Forschung. Gerade Hersteller von Pumpen, Kompressoren, Kühlern oder Elektronik können sich das zukünftige Einsatzfeld für ihre Produkte erschließen. Am aussichtsreichsten scheint die Situation für Komponenten, die sowohl in stationären wie auch mobilen Anwendungen gebraucht werden.

Brennstoffzellen-Auto: Es geht nur im System

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Brennstoffzellen-Varianten, die durch die Reaktion von Wasserstoff und Sauerstoff elektrische Energie erzeugen, gibt es viele: Für Anwendungen im Auto zeichnet sich derzeit die Polymer-Elektrolyt-Membran-Version (PEM) als Lösung ab, die direkt mit Wasserstoff betrieben wird. Im Projekt Hylite haben Zulieferer ihre Komponenten so weiterentwickelt, dass sie das Gesamtsystem Brennstoffzelle ergänzen. Denn abgesehen von den Membranstapeln in der Zelle selbst, werden Zuführsysteme und Regelungselemente gebraucht.
Hybridfahrzeuge, die heute schon auf den Markt kommen, könnten den „echten“ Brennstoffzellenautos den Weg bereiten. Sie haben zwar nur den Verbrennungsmotor, der die Energie erzeugt. Aber das System aus ergänzendem Elektromotor und einer Batterie, die sich bei jeder Bremsung auflädt, wird später Bestandteil von Brennstoffzellenfahrzeugen sein. Heute dient es schon als Unterrichtsmaterial für die Ingenieure der Brennstoffzellen-Zukunft, die in der Praxis die Macken solcher Bauteile erkennen und sie verbessern können.

Globalisierung hat größeren Einfluss

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„Sobald sich die Brennstoffzelle im Zusammenhang mit Fahrzeugantrieben durchsetzt, bedingt das eine völlig andere Fertigungstechnik“, sagt Ralf Beutner, Leiter Engineering und Teilefertigung Motoren bei der DaimlerChrysler AG in Stuttgart. Statt den Zerspanern seien dann vermehrt Umformer, Verfahrenstechniker und Hersteller von Elektromotoren gefragt.
Allerdings werde sich die Brennstoffzelle erst dann gravierend auf die Fertigungstechnik auswirken, wenn sie eine signifikante Marktdurchdringung erreicht habe. „Bis das der Fall ist, werden aber noch viele Jahre vergehen.“ Maschinenhersteller und Anwender hätten daher noch etwas Zeit, um Alternativkonzepte zu erarbeiten oder neue Märkte zu erschließen.
Erheblich größer schätzt der Diplomingenieur den Einfluss der konjunkturellen Entwicklung und des wachsenden globalen Wettbewerbs in der Fertigungstechnik ein. „Beides wird massive Einschnitte nach sich ziehen, ehe sich die Brennstoffzelle auswirkt.“ hw
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