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Carbon nimmt 2 t aus dem Lkw-Hänger

Materialica 2004: Adaptroniker nutzten Messe für Technologieschau
Carbon nimmt 2 t aus dem Lkw-Hänger

Zwei Trends wurden auf der Materialica deutlich: CfK- Werkstoffe stoßen auf immer stärkeres Interesse, weil sie ein enormes Gewichtseinsparungspotenzial besitzen. Und die Adaptronik beginnt, die gesamte Technik zu durchdringen.

Von unserem Redaktionsmitglied Olaf Stauß olaf.stauss@konradin.de

Die Materialica 2004 hat Kurs gehalten unter neuem Management: Die Besucherzahl ist nach Angaben der privaten Veranstalterin Munichexpo GmbH auf etwas über 6300 leicht angestiegen. Was aber noch viel wichtiger ist: Die Münchener Fachmesse konnte ihrem Anspruch gerecht werden, Trendsetter zu sein und Impulse für die Entwicklung zu geben. „CfK wird momentan zum Trend-Werkstoff“, konstatierte beispielsweise Dr. Peter Paul Schepp vom gleichzeitig veranstalteten Wissenschaftskongress Werkstoffwoche. Diese Entwicklung spiegelte auf der Materialica der stark vergrößerte Ausstellerbereich Plastics & Composites wider. So informierte die im fränkischen Hengersberg angesiedelte Die Wethje GmbH über den „leichtesten Sattelaufleger der Welt“, den sie zeitgleich auf der Messe IAA Nutzfahrzeuge in Hannover ausstellte. Der Anhänger ist in einer Projektstudie entstanden und wiegt 2 t weniger als herkömmliche Hänger, weil Mulde und Fahrwerk aus Carbonfaserverstärktem Kunststoff (CfK) bestehen. Da damit die mögliche Nutzlast um 2 t steigt, könnte sich der teure Werkstoff bezahlt machen.
CfK hat derzeit Rückenwind. „Überall in der Autoindustrie wird untersucht, wo CfK den Flottenverbrauch senken könnte“, erklärte Jens Eickelmann, Die-Wethje-Betriebsleiter. In München nutzten etliche Branchenunternehmen die Chance, CfK-Teile zu präsentieren und den Boden für Serienanwendungen zu bereiten. Die Wethje hat sogar eine Engineering-Tochter gegründet, die sich um Prototypen und Neuentwicklungen kümmern soll.
Die Eigenschaften von CfK hängen von einer Vielzahl von Parametern ab. Kennzeichnend sind jedoch die extrem großen Zugfestigkeiten der Kohlenstoff-Verstärkungsfasern. Sie reichen bis zur doppelten Zugfestigkeit von hochwertigen Stählen – und zwar bei einer niedrigeren Dichte als Aluminium. Das macht CfK zu einem sehr leichten High-Tech-Material, das auch für schnell bewegte Maschinenteile von Vorteil sein könnte, zum Beispiel in Verpackungsmaschinen. Als weitere positive Merkmale kommen Temperaturbeständigkeit hinzu, hoher E-Modul, ansprechendes Aussehen und die Möglichkeit, Steifigkeit im Bauteil maßzuschneidern – etwa durch geeignete Wahl von Faserfüllung und -richtung.
Was alles machbar ist, verdeutlichten die Exponate auf den Ständen. Die Wethje präsentierte einen BMW-GTR-Rennwagen für die America Le Mans Series (ALMS), bei dem ein Großteil der Karosserie- und Anbauteile aus CfK bestanden: Motorklappe, Seitenwände vorne, Stoßfänger, Türen, Dach, Heckklappe, Radverbreiterung … Dem setzte die Crosslink Faserverbundtechnik GmbH & Co. KG aus Cadolzheim – einer der Wettbewerber – einen Audi Sport DTM 2004 entgegen, bei dem das komplette Heckmodul (Vorder- und Hinterwand inklusive Radkästen) aus CfK in einem Schuss gefertigt ist.
Doch auch andere Faserverbunde helfen, Gewicht einzusparen, und waren Thema in München. Die Jacob Composite GmbH aus Wilhelmsdorf beispielsweise zeigte die in drei Segmenten teilbare Rücksitzlehne des Renners BMW M3 CSL, die 46 % (7,7 kg) leichter ist als die Serienvariante. Verstärkungsmaterial sind hier Glasfasern. Bei dieser so genannten Durchlade handelt es sich um ein Sandwichbauteil aus vier Schichten, die gemeinsam temperiert und gepresst werden: Twintex (PP + Endlos-Glasfaser), PES-Schaum, Twintex und PE-Teppichvlies. Im Crash-Fall soll es zu keinen plastischen Verformungen kommen.
Interessant ist an diesem Bauteil noch ein anderer Aspekt: Die Durchlade gehörte zu den 23 Exponaten, die mit dem Materialica Design Award ausgezeichnet wurden. Sie war deswegen nicht auf dem Jakob-Stand zu finden, sondern in der benachbarten Mittelallee der Designer-Stücke. Von ihr gingen wertvolle Impulse für die Entwickler aus: Der Munichexpo ist es gelungen, die Design-Schau thematisch näher an die Technik heranzuholen als im Vorjahr. Damit ermöglichte sie einen fruchtbaren Informationsaustausch zwischen funktionsorientierter Technik hier und Ästhetik dort. „Beides muss immer zusammen kommen, wenn man ein gutes Produkt machen will“, meinte Norbert Nattefort, Chef der Formagic Design GmbH in Köln, der ebenfalls eine Auszeichnung erhielt. Der diplomierte Designer und Ingenieur präsentierte das auf CfK basierende Fahrrad-Tretkurbelsystem Clavicula. Hier inspirierte das Design sogar den Leichtbau: Um hervorzuheben, dass die Carbon-Kurbel in die Carbon-Achse übergeht, gestaltete Nattefort die Aufnahmezone mit einem Loch (Bild). Das brachte seinen Auftraggeber, die THM Faserverbund-Technologie GmbH in Alt Duvenstedt, auf die Idee, die gesamte Aufnahme als Schale auszuformen und damit noch mehr Material einzusparen. Ergebnis: Mit 390 g ist Clavicula halb so schwer wie gewöhnliche Tretkurbelsysteme.
Natürlich gab es in München nicht nur Kunststoffe zu sehen. Alle Messebereiche boten das inzwischen vertraute Bild: Kein Gedränge, dafür führen die Besucher intensive Gespräche. Jörg Perwitzschky, Projektleiter bei Bayern Innovativ, brachte es auf den Punkt: „Die Materialica ist eine kleine, aber feine Fachmesse. Im Vergleich zu anderen Messen sind die Kontakte vielleicht etwas geringer, aber von der Qualität her umso besser.“ Für Helmut Meyer, Leiter Sonderwerkstoffe bei der Edelstahl Witten-Krefeld GmbH, ist die Materialica die wichtigste Fachmesse überhaupt: „Hier bekommen wir Kontakte zu Kunden, die Materialprobleme haben und gezielt neue Werkstoffe suchen.“
Ein Novum in München war der „Zukunftsmarkt Adaptronik“. Offensichtlich haben die Adaptroniker die Messe für sich entdeckt, um ihre Technologie bekannt zu machen – allen voran das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrttechnik (DLR) in Braunschweig und das Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit (LBF) in Darmstadt, die zu den Zugpferden der Adaptronik gehören. „Wir wollen Flagge zeigen im High-Tech-Umfeld der Materialica“, sagte Stefan Keye vom DLR.
Das DLR arbeitet unter anderem an Hubschrauberrotoren, die ihre Form blitzschnell variieren können, um den Fluglärm zu mindern. Hierin liegt die Stärke von adaptronischen Strukturen: Sie können mehr als nur Kräfte übertragen. Zusätzlich übernehmen sie sensorische, aktorische und regelungstechnische Funktionen und sind damit in der Lage, sich an die Umgebungsbedingungen anzupassen – beispielsweise indem sie „aktiv“ gegen Schwingungen vorgehen.
Der Zeitpunkt für den Messeauftritt war gut gewählt. „Die Chancen für aktive Systeme steigen, weil die Preise für Piezoaktoren fallen“, erklärte Michael Matthias vom LBF. Piezos sind Herzstücke vieler Adaptronik-Anwendungen und werden neuerdings massenhaft für den Einsatz in modernen Einspritzsystemen produziert.
Im Dezember haben die Fraunhofer-Forscher den Themenverbund Adaptronik (FVA) aus zehn Instituten gegründet. Das LBF entwickelt und prüft derzeit aktive Interfaces, die das Automobil-Fahrwerk von Vibrationen entkoppeln sollen. Solche Anwendungen im Automobilbau sind noch Zukunftsmusik. Anderswo sind sie schon umgesetzt, ansatzweise im und für den Maschinenbau: Zum Dosieren kleiner Fluidmengen hat das DLR ein Kugelventil entwickelt, das über Piezoaktoren betätigt wird und extrem kurze Schaltzeiten bietet. Serienhersteller gibt es allerdings noch keinen. Weiter ist daher das magnetisch betätigte Kugelventil RRV, das die GSR Ventiltechnik GmbH & Co. KG, lotho, mit Lizenz des DLR herstellt. Auch wenn es sich „nur“ um ein mechatronisches Produt handelt, ist das RRV doch außergewöhnlich schnell: Bei Sitzdurchmessern von 1 bis 2 mm sollen die Schaltzeiten rund 2 ms betragen.
Am fortschrittlichsten präsentierte sich in München ein Sportartikelhersteller: Peter Gorski, Entwicklungsingenieur bei der Head Sport AG in Kennelbach, brachte adaptronische Skier, Snowboards und Tennisschläger aus Österreich mit. Im Head-Racket Protector MP/OS wandeln piezoelektrische Fasern die Aufprallenergie des Tennisballs in elektrische Energie um, wie Gorski erklärte. Gesteuert durch einen Mikroprozessor, erzeugt das System eine Gegenschwingung, die den Aufprallschock um mehr als 50 % reduziert. Durch eine Feldstudie ließ Head den Effekt untersuchen. „91 Prozent der Spieler mit akutem Tennisarm berichteten über eine beträchtliche Besserung oder Erholung mit dem Schläger“ zitierte Gorski die Ergebnisse. „Akut“ bedeutet dabei, dass die Probanden mehr als sechs Wochen, aber weniger als drei Monate lang Schmerzen hatten, vor allem beim Tennisspielen.
In Skiern haben die Österreicher ein ähnliches System eingebaut, um die Torsionssteifigkeit zu verbessern. Gorski: „Messungen haben den Effekt nachgewiesen. Und unsere Testfahrer bestätigen, dass die Skier viel ruhiger auf der Piste liegen.“ Ob ein solches System ohne externe Stromquelle funktionieren kann? Zum Beweis hatten die Head-Leute einen Demo-Versuch vorbereitet. „Das ist aber nichts für schwache Herzen“, warnten sie, bevor sie dem Besucher die zwei aus dem Ski kommenden Drähte zwischen die Finger drückten. Ein leichter Schlag auf den Ski ließ die Piezos aktiv werden – und den elektrisierten Besucher unzweifelhaft spüren, dass genug Energie vorhanden ist.
Mit Piezo und Chip brilliert der Skifahrer auf der Buckelpiste
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