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Chinesische Unternehmen werfen Billigsteuerungen auf den Markt

Automatisierung: Hersteller müssen den Spagat zwischen Low Cost und High Tech üben
Chinesische Unternehmen werfen Billigsteuerungen auf den Markt

In der Automatisierung ist neues Denken angesagt. Die Kunden verlangen zunehmend einfachere, vor allem aber billigere Lösungen, so eine neue Studie. Das bringt in absehbarer Zeit auch die Wettbewerber aus dem asiatischen Raum auf den Plan.

Von unserem Redaktionsmitglied Werner Möller ia-redaktion@t-online.de

Das Thema Low-Cost-Automation, ursprünglich als fernöstliche Antwort auf westliches Produktionsstreben gedacht, hat inzwischen jeden Anbieter erreicht. „Es hat eine zunehmende Bedeutung in der Automatisierungsbranche“, schreibt Wolfgang Weger, Industrieexperte bei Mercer Management Consulting in München, in seiner Studie Automatisierung 2010. „Mit steigendem Automatisierungs-Level sind viele Unternehmen heute jedoch in einem Grenznutzen-Bereich angekommen“, kommentiert Weger. Nur eine preiswertere Automatisierung lohnt sich noch, um neue Anwender hinzuzugewinnen.
„Die Steuerungen geraten gleich von drei Seiten unter Druck“, analysiert der Industrie-Experte. „Auf der oberen Ebene drücken komplexe Produktionsplanungssysteme unter Begriffen wie MES in den Steuerungsmarkt, unten werden die Sensoren und Aktoren immer intelligenter mit dem Ziel, sich weitgehend selbst zu steuern. Gleichzeitig beginnen vor allem chinesische Unternehmen, Billigsteuerungen auf den Markt zu werfen. „Sie besitzen zwar nur reduzierte Fähigkeiten, bieten aber deutlich niedrigere Preise“, so Weger.
Hier stellt sich die Frage, wie zugeschnittene und bedarfsgerechte Produkte und Lösungen die Kosten senken können. „Für uns gilt es, den Spagat zwischen Standard-Produkten und individuellen Lösungen zu meistern“, erklärt Dr. Horst J. Kayser seine Aufgabe zum Senken der Kosten. Für den Leiter Industrial Automation Systems bei der Nürnberger Siemens AG, Bereich A&D, haben Standard-Produkte den Reiz, über den gesamten Lebenszyklus günstiger zu sein. „Wir bieten zum Beispiel mit unseren 20 Micro-Automation-Sets spezielle, vorgefertigte Paketlösungen mit aufeinander abgestimmten Standard-Produkten an Hard- und Software für viele Aufgaben der Automatisierungstechnik“, unterstreicht Kayser seinen Ansatz. Die Vorteile liegen in der abgestimmten Vorkonfektionierung: Der Kunde hat eine bestimmte Aufgabe zu lösen, und er erhält einschaltfertig sein geschnürtes Paket. Etwa mit Steuerung, Antrieb, Peripheriekomponenten, Kabeln und Software. Damit nimmt er schnell und einfach seine Anlage in Betrieb.
Für die Experten der Bosch Rexroth AG aus Lohr treten Nachteile nur auf, falls eine Paketlösung nicht für funktionelle Anforderungen erweiterbar ist. So gesehen wäre es fatal, Automatisierungsprojekte rein unter Kostenaspekte zu stellen. Dennoch erwarten die Kunden, dass die Lösungen insgesamt preisgünstiger angeboten werden. „Wenn Paketlösung aber bedeutet, dass lediglich Komponenten eines einzigen Herstellers eingesetzt werden, dann ist dies sicherlich nicht unbedingt vorteilhaft“, hält Martin Müller dagegen. Für den Leiter des Marketings in der Business Unit Automatisierung der Blomberger Phoenix Contact GmbH & Co KG schafft erst ein Standard-Kommunikationssystem Abhilfe, in das die besten Geräte der unterschiedlichen Hersteller vernetzt eingebunden werden können.
Auch die Mercer-Studie zeigt, dass sich die Automatisierungstechnik immer mehr in Richtung verteilte Systeme entwickelt, in denen kostengünstige Subsysteme über geeignete Netzwerke miteinander gekoppelt sind. „Dies führt im Gesamtsystem dazu, dass die klassische hierarchische Abbildung mit einer zentralen SPS und vielen angeschlossenen Sensoren und Aktoren aufgebrochen und in verschiedene Subsysteme für unterschiedliche Funktionen aufgeteilt wird“, sagt Martin Müller. Allerdings werden innerhalb der Subsysteme auch zukünftig Automatisierungslösungen auf der Basis eines Masters-Slaves-Prinzips aufgebaut, weil sie einfach zu strukturieren und zu handhaben sind. „Beide Aspekte schließen sich nicht aus“, unterstreicht auch Siemens-Mann Kayser. Flexible Netzwerke benötigen eine übergeordnete Koordination und vereinen damit zentrale und dezentrale Aspekte. „Mit Totally Integrated Automation verfolgen wir genau dieses Ziel, über leistungsfähige Bussysteme dezentrale Strukturen mit eigenständiger Intelligenz zu realisieren“, so Kayser.
Aus der Kostenfalle herausführen können auch Systembaukästen mit stückzahlreichen Standardcontroller-Boards. Sie bieten nach Aussagen der Bosch-Rexroth-Experten mit integrierten Funktionen gute Möglichkeiten, kostengünstig Visualisierungs-, Steuerungs- und Kommunikationsaufgaben zu erledigen. Entscheidend ist, dass die Portierbarkeit der Steuerungs- und Regelungsfunktionalität erhalten bleibt, um den Kunden skalierbare Plattform-Lösungen anzubieten.
Selbst Kayser kann die Vorteile solcher Angebote nicht leugnen: „Unser durchgängiges Leistungsspektrum, vom Micro Controller und Micro Drive bis zu den Einheiten mit großer Leistung, setzt auf langjährige Kontinuität und umfasst immer hochqualitative Automatisierungsprodukte auf dem neuesten Stand der Technik. Der Werkzeugkasten der Simatic Software enthält Tools für unterschiedliche Arbeitsweisen und Anwendungen.
Auch die Automationworx-Lösung von Phoenix Contact basiert auf offenen Systembaukästen und standardisierten Schnittstellen. So wird Windows CE bereits in vielen Komponenten als Betriebssystem eingesetzt, wodurch Systemkomponenten anderer Hersteller einfach verwendet werden können. Bosch Rexroth bietet zum Beispiel mit der SPS-Systemfamilie Indra-Logic ein Kommunikationskonzept mit Offenheit nach IEC 61131–3 und standardisierten Kommunikationsschnittstellen, Motion und Logik auf einer Hardware und vor allem die Wiederverwendbarkeit von Programmen zwischen allen Skalierungsstufen.
Das Credo der Experten lautet also nicht Low-Cost-Automation um des reinen Sparens Willen, sondern nach Möglichkeit angepasste Lösungen aus Standardkomponenten zusammenzustellen. Dennoch fehlt dem Großteil der Automatisierer, so die Mercer-Studie, eine klare strategische Ausrichtung. „Die meisten Unternehmen wissen nicht so recht, welche Kernprodukte sie welchen Zielkunden verkaufen wollen, welche Märkte sie anstreben und was ihre Stärke in zehn Jahren sein soll“, sagt Weger. Vier Geschäftsmodelle werden sich seiner Meinung nach durchsetzen: Lösungsanbieter wie beispielsweise die Mannheimer ABB AG optimieren und integrieren die Automatisierung beim Kunden und verkaufen vor allem Dienstleistungen. Komplettanbieter wie Siemens offerieren ein möglichst geschlossenes System aufeinander abgestimmter Automatisierungsprodukte, von der Steuerung bis zum Sensor. Automatisierungs-Spezialisten wie Phoenix Contact bieten meist PC-basierte Systemlösungen für einzelne Branchen. Mit dem Einsatz von Ethernet in der Fabrikebene hält auch die funkbasierte Kommunikation auf Basis von Wireless Lan und Bluetooth Einzug in die Automatisierungstechnik. Funkbasierte Lösungen senken die Kosten insbesondere bei mobilen Systemen, wie fahrerlosen Transportsystemen oder mobilen Bedienstationen.
Komponentenanbieter schließlich konzentrieren sich auf Feldgeräte mit standardisierten Schnittstellen. Gute Aussichten, aber auch hohe Risiken, sieht die Mercer-Studie für diese Klientel. Plakatives Beispiel ist das Bonner Unternehmen Moeller: Lange hat der Elektrokonzern am defizitären Projektgeschäft des Anlagenbaus und am Produkt-Portfolio für die Automatisierungstechnik festgehalten. Heute, nach dem Verkauf an Advent International, konzentriert sich das Unternehmen wieder auf seine Kernkompetenzen. „Mit dem Ergebnis, dass die Eigenkapitalbasis stärker geworden ist und der Cash Flow kräftig steigt“, kommentiert Moeller-Manager Joachim Göddertz.

„Auch wenn ich nur telefonieren will, muss ich diese Gimmicks mit bezahlen“

Nachgefragt

Mit zugeschnittenen und bedarfsgerechten Lösungen kann bei einfachen Anwendungen gespart werden, sagt Uwe Grundmann, General Manager Europa beim Marktanalysten ARC in Düsseldorf. Grundsätzlich gilt dies aber nicht.
Herr Grundmann, wie lassen sich in der Automatisierungstechnik die Kosten senken?
Es dominieren heute noch Systeme, die für jeden Anwendungsfall vorbereitet sind, auch wenn die Funktionen nicht genutzt werden. Ich vergleiche das gerne mit Handys, die heute Kamera, Radio und TV in einem sind. Auch wenn ich nur telefonieren will, muss ich diese teuren Gimmicks mit bezahlen. Klar ist, dass durch zugeschnittene und bedarfsgerechte Lösungen bei einfachen Anwendungen gespart werden kann.
Gilt das auch für anspruchsvolle Aufgaben?
Bei komplexen SPS-, CNC-, HMI- oder Motion-Anforderungen kann die Integration mehrerer Funktionen auf einer Hardwareplattform nützlich sein. Wer also alle Features seines Handys nutzt, fährt günstiger als mit unterschiedlichen Einzelsystemen. Kosten spart aber nur der, der seine Anwendung gründlich analysiert und das richtige System auswählt.
Heißt das Abkehr von “viel hilft viel” hin zu Standardprodukten?
Nein, denn es wird in der Automatisierung immer Anforderungen geben, die von den hochstückzahligen Standardprodukten nicht abgedeckt werden können. Es muss immer wieder abgewägt werden, ob ein Standardprodukt den Anforderungen und Vorschriften, beispielsweise der Sicherheitstechnik genügt.
Was sagen Sie zu Systembaukästen mit vorinstallierten Funktionen?
Wenn es passt, ist nichts dagegen einzuwenden und der Kostenvorteil sollte genutzt werden. In einfachen Anwendungen wie in Getränkeautomaten oder in der Gebäudeautomatisierung werden sehr oft ganz individuelle Lösungen erfolgreich eingesetzt.
Wie sehen Sie in Zukunft die Kommunikations- und Vernetzungsansätze?
Eine einheitliche Netzwerkstruktur basierend auf der Ethernettechnologie wird sich durchsetzen. Im Bereich der Protokolle werden uns weiterhin unterschiedliche aber reduzierte Ansätze begleiten.
Wo lässt sich noch sparen?
Bei der Instandhaltung und durch Online- oder Selbstdiagnose können Stillstandszeiten gesenkt werden.
Und wie sehen die weiteren Meilensteine aus?
Es wird sicherlich ein System entstehen, das die heutigen Automatisierungs-Architekturen ablösen wird. Beispielsweise der Weg zu flexiblen Fertigungsab- läufen mit autonomen Systemen, die sich untereinander austauschen. Die nahe Zukunft wird weiterhin dem Master-Slave-Prinzip gehören. wm
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