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Cleveres Zusammenspiel schafft hilfreiche Technik

Mechatronik: Aus drei Disziplinen das Beste kombiniert
Cleveres Zusammenspiel schafft hilfreiche Technik

Mechatronik rückt Technik in eine neue Perspektive. Das Zusammenspiel von Mechanik, Elektronik und Informatik erschafft ausgeklügelte Produkte, die schneller und kostengünstiger auf den Markt gebracht werden können.

Klaus Herbst ist Wissenschaftsjournalist in Heiligkreuzsteinach bei Heidelberg

Der Turbomotor im Herzkatheter, das intelligente Bremsen von Automobilen und geplante Roboternetze auf fernen Planeten besitzen ein gemeinsames technisches Rückgrat: die Mechatronik. Diese höchst aktuelle Forschungsrichtung ist interdisziplinär ausgerichtet. Sie vereinigt Mechanik, Elektronik und Informatik.
Im Beruf wie im Privatleben sind alle Menschen von ihr umgeben. Sie arbeiten und spielen mit mechatronisch konstruierten Produkten, oft ohne es zu wissen. Ein Paradebeispiel aus der jüngeren Zeit sind hochminiaturisierte Minidisk-Geräte. Hierbei brennt ein Laserstrahl Daten auf eine kleine Scheibe. Psychoakustisch optimierte Software komprimiert diese Daten und liest sie wieder aus. Das Ergebnis: musikalische Hochgenüsse, für das normale menschliche Ohr kaum vom CD-Klang zu unterscheiden, inzwischen ein Massenprodukt zu einem niedrigen Preis. Gleichlaufprobleme gehören der Vergangenheit an. Auch daran wird erkennbar, dass „die Bedeutung von Software in mechatronischen Systemen immer größer wird“, erklärt Professor Georg Bretthauer, Leiter des Instituts für angewandte Informatik und Automatisierungstechnik an der Universität Karlsruhe.
Eng verwandt ist Mechatronik mit den Disziplinen Mikrosystemtechnik und Robotik. Vier Komponenten gehören zwingend zu ihr: der Körper der Mechatronikeinheit, mindestens ein Sensor, ein Aktor und eine Steuereinheit. Die Grenzlinie ziehen Mechatroniker bei Bauteilen, die größer als 1 mm sind. Was darunter liegt, fällt in den Bereich der Mikrosystemtechnik.
Noch ganz am Anfang stehen beispielsweise mikroelektromechanische Aktoren, die Forscher der TU Chemnitz entwickelt haben. Die Aktoren sorgen dafür, dass bewegte Bilder auf dem Umfang einer zylinder- oder halbkugelförmigen Projektionsfläche erzeugt werden. Lichtquelle ist ein Laser, der mit Mikrospiegeln abgelenkt wird. Das gegenwärtige Modell misst etwa 20 cm im Durchmesser. Gelingt der Sprung in größere Dimensionen, könnten Filmzuschauer „Kino total“ erleben. Sie bewegten sich beispielsweise in den Tiefen des Alls oder wären erstmals Teil der Handlung eines spannenden Krimis.
Mechatronische Systeme kontrollieren und regeln auch hochgezüchtete Dieselmotoren von Schiffen. „Oft bleiben diese bei extremem Wellengang plötzlich stehen”, schildert Wolfgang Burger vom Institut für Maschinen- und Konstruktionslehre und Kraftfahrzeugbau der Universität Karlsruhe. Dies könne im Extremfall zum Untergang des Schiffes führen. Burger kennt Entwicklungsansätze, um solche Katastrophen durch mechatronische Systeme zu verhindern. Intelligente Sensorik, wie Infrarotkameras, Geräusch- und Schwingungsdetektoren, gekoppelt mit schlauer Software können Kolbenfresser rechtzeitig melden. Lange vor dem drohenden Unglück würden sie den Dieselmotor in einen Sicherheitsmodus schalten.
Aber noch ist dies Zukunftsmusik. Trotzdem kann sich die deutsche Mechatronikgilde bei Forschung und Entwicklung nach Expertenmeinung international sehen lassen. Auf vielen Gebieten darf sich Deutschland sogar zu den führenden fünf Nationen rechnen. Die anderen vier Großen sind Japan, die Vereinigten Staaten, Großbritannien sowie ein Ländermix aus Österreich, der Schweiz und den Niederlanden. Deutschland ist jedenfalls mit an der Spitze.
Das gilt vor allem im Automobilbau. So genannte intelligente Reifen, die mit Sensoren bestückt sind, greifen ständig den Straßenzustand ab. Lange bevor der Autofahrer es bemerken würde, detektieren sie beispielsweise auf der Fahrbahnoberfläche Feuchtigkeitsunterschiede oder ungünstige Materialbeschaffenheiten des Straßenbelags, die Mensch und Maschine in sicherheitskritische Situationen bringen könnten. Sie warnen die Fahrer und schicken automatisch über Hochgeschwindigkeits-Datenbus-Systeme Informationen an die Bordrechner.
Für Mechatronik und Mikrosystemtechnik gibt es allerdings auch Grenzen. Niemals werde eine künstliche Nase das menschliche Riechorgan ersetzen, wenn es darum geht, feinste Duft- oder Geschmackszusatzstoffe zu kreieren, betonte kürzlich Jean Guichard, Spitzen-Parfümeur des Schweizer Herstellers Givaudan, auf einem Symposium in Genf. Trotzdem gibt es bereits funktionstüchtige Mikronasen für weniger subtile Überwachungs- und Regelaufgaben.
Im Strategieprojekt Elektronische Mikronasen (Elmina) der Helmholtz-Gesellschaft werden am Forschungszentrum Karlsruhe Nasenmodule auf Basis von Metalloxid- oder Surface-Acoustic-Wave(SAW)-Sensoren entwikkelt. Sie sollen bei der Erdgasförderung als Wachhunde schnüffelnd zum Einsatz kommen.
SAW-Sensoren sind mit Polymeren (Polysiloxanen, Polyethern oder Polyisobutylen) beschichtet. Gasexpositionen lösen an den Sensorelementen Frequenzverschiebungen aus. Gase mit mittlerer und höherer Molmasse lassen sich bereits in ppm-Mengen und mit hoher Selektivität detektieren. „Daraus ist Sagas entstanden, das SAW-Aroma- und Gas-Analyse-System, das organische Gase oder Gaskollektive zuverlässig quantifiziert”, berichten Experten vom Institut für Instrumentelle Analytik am Forschungszentrum Karlsruhe.
„Die Tendenz geht ganz klar in Richtung Miniaturisierung, sowohl bei der Mechanik als auch bei der Elektronik”, schildert Charles Brom vom Institut für Mechatronische Systeme an der Zürcher Hochschule Winterthur. Dabei verweist er auf Mikromotoren, wie sie in Herzkathetern eingesetzt werden. Der weltweit kleinste Antrieb, ein Aggregat mit 1,9 mm Durchmesser, stammt den Angaben zu Folge von der Dr. Fritz Faulhaber GmbH & Co. KG aus Schönaich.
Wie geht es in Deutschland auf dem Feld der intelligent zusammenspielenden Techniken weiter? Fachleute bewerten die Zukunft optimistisch. 600 Mio. DM für das Programm „Forschung für die Produktion von morgen” hat Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn kürzlich auf einem Kongress in Karlsruhe versprochen. Und das nagelneue Förderkonzept „Mikrosystemtechnik 2000+ für High-Tech-Produkte Made in Germany” hat die Mikrosystemtechnik als Schlüsseltechnologie erkannt. Vor dem Hintergrund der Internationalisierung der Märkte sollen vor allem Kommunikations-, Automobil, Chemie/Labor-, Medizin- und Umwelttechnik gezielt gefördert werden. Aber auch Lebensmittel- und Agrartechnik und nicht zuletzt Tools für die modulare Mikrosystemtechnik sowie für die industrielle Fertigung von Mikrosystemen kommen zum Zug.
Nicht mehr weit entfernt sind Forscher und Entwickler auch davon, Lahme wieder gehen zu lassen. Sogar Gefühle könnten digitalisiert über das Internet wandern. Entsprechende Schnittstellen, sogenannte Sensorchips, gibt es bereits. Karlsruher Forscher arbeiten intensiv an besserer Software für beispielsweise Arm- oder Beinprothetik. Entsprechende Prothesen, künstliche Organe, Beine und Arme sind längst vorhanden. Aber mit intelligenter Software kombiniert, gewinnen sie überproportional an Funktionalität. Es kommt sozusagen Intelligenz in die Glieder.
Gerade darin sehen Experten die Zukunft. Der mechatronische Grundgedanke, der ganzheitliche Entwurfsprozess, werde mit Sicherheit in den kommenden Jahren zunehmen. Vielfach verbesserte Software soll aufregende Perspektiven eröffnen, auch im Maschinenbau. Gerade mittelständische Unternehmen werden davon profitieren. In Deutschland gefertigte Anlagen, die weit entfernt arbeiten, etwa in China oder in den USA, werden vom heimischen Desktop aus repariert. „Selbstdiagnose, Fernwartung und Ferninstandhaltung stehen vor der Tür”, sagt Georg Bretthauer voraus. „Auch auf dem Gebiet der Lehre befindet sich die Mechatronik in Deutschland im Aufschwung”, weiß der Karlsruher Forscher, der selbst vor sechs Jahren an der TU Bergakademie Freiberg die erste universitäre Studienrichtung Mechatronik mitbegründet hat.
Seitdem gebe es nahezu an jeder Hochschule solche Studiengänge. Viele Studierende hätten erkannt, dass die einzigartige Kombination von Maschinenbau, Elektronik, Automatisierungstechnik und Informatik besonders gute Berufschancen eröffnet.
Industrieanzeiger
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