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Damit sich Schmutz aus dem Staub macht

In der Oberfläche steckt das Geheimnis für saubere Bauteile
Damit sich Schmutz aus dem Staub macht

Zwei Mechanismen treten an, um technischen Oberflächen eine Schmutz abweisende Wirkung zu geben: Einerseits der Lotus-Effekt und andererseits Beschichtungen, die auf der chemischen Nanotechnologie basieren. Beide münden bereits in Produktanwendungen.

Von unserem Redaktionsmitglied Olaf Stauß

Noch warten Hausfrauen und -männer auf die Fensterglasscheibe, die auch ohne Frühjahrsputz immer freien Durchblick gewährt. Viel wird davon geredet, doch wann ist es endlich so weit? „Jetzt“, antworten Wissenschaftler und Produktmanager. Die Zeit ist gekommen, dass Schmutz abweisende Oberflächen in den Markt treten. Zwei prinzipiell unterschiedliche Lösungen stecken hinter dieser Eigenschaft: die beschichtete, glatte Fläche der Chemiker und die nach dem Vorbild der Lotus-Blume mikrostrukturierte Oberfläche (Seite 170).
Solche Schmutz abweisenden Oberflächen sind nicht nur praktisch, sondern haben auch wirtschaftliche Bedeutung: Sie erleichtern schon jetzt das Entformen von Werkstücken aller Art. In Brauereien und der Lebensmittelindustrie werden sie die Reinigungskosten senken. Autos, Eisenbahnzüge, Verkehrszeichen verschmutzen viel langsamer, ebenso Waschbecken, Keramikfliesen, Hausfassaden und -dächer. Sonnenkollektoren und Gewächshäuser können über lange Zeit ungeputzt die volle Sonneneinstrahlung nutzen. Etliche dieser Anwendungen sind bereits jetzt in Produkte umgesetzt oder befinden sich im Entwicklungsstadium.
In diesen Tagen startet bei der BGT Bischoff Glastechnik GmbH & Co. KG in Bretten die Produktion der „BI-Antisoil“-Scheibe, die speziell „easy-to-clean“ beschichtet ist. Die Scheibe nutzt den chemischen Lösungsweg. Konzipiert für Fenster, Glasdächer und Fassaden, trübt sie deutlich weniger durch Schmutz ein als herkömmliche Scheiben. Das haben Tests gezeigt. Entwicklungsleiter Klaus Schneider äußert sich noch vorsichtig: „Ganz können Sie auf das Reinigen nicht verzichten, aber die Intervalle werden länger.“ Bei großen Gebäuden wie etwa dem verglasten Kölner Hauptbahnhof könnte dies spürbar die Betriebskosten senken.
Um zu verstehen, wie die Easy-to-clean-Schichten auf den Glasscheiben wirken, lohnt sich ein Blick in die Entwicklungsgeschichte. Bischoff Glastechnik hat eng mit dem Institut für Neue Materialien (INM) GmbH in Saarbrücken zusammengearbeitet. Deren Geschäftsführender Direktor, Professor Helmut Schmidt, arbeitete bis 1990 als Leiter des Fraunhofer-Institutes für Silicatforschung (ISC) in Würzburg und beteiligte sich dort maßgeblich an der Entwicklung von „Ormoceren“. Diese Materialien eignen sich sehr gut als hauchdünne, transparente Schichten auf Glas und anderen Werkstoffen. Die Eschenbach Optik GmbH, Nürnberg, beispielsweise nutzt seit November 1997 eine solche Ormocer-Schicht, um Lupen und Linsen aus Plexiglas kratzfest zu machen. Die Härte der zusammen mit dem ISC entwickelten Schicht soll an die von Glas heranreichen.
Bei den Ormoceren handelt es sich um Polymere, die neben organischen Strukturelementen auch anorganische enthalten. Das Besondere daran: Durch geschickte Wahl dieser Strukturelemente lassen sich die Eigenschaften der gesamten Verbindung gestalten. Schmidt und seine Kollegen setzten nun perfluorierte Silane als zusätzliche Komponenten ein, die ähnlich wie Teflon Schmutz abweisend wirken. Beim Beschichten stellten sie fest, dass sich die Komponenten separieren: Die fluorierten Elemente wandern an die Oberfläche (wo sie Schmutz abweisend wirken), die haftenden Komponenten hingegen zum Untergrund (wo sie eine dauerhafte Beschichtung sicherstellen). Mit dieser Entdeckung hatte die Geburtsstunde der Easy-to-clean-Schichten geschlagen.
Doch Schmidt ging noch einen Schritt weiter. Um die Eigenschaften gezielt einstellen zu können, nutzte er zusätzlich das Instrument der Nanotechnologie: „Als ich vom ISC zum INM wechselt, hatte ich schon die Konzepte im Kopf, wie sich die Ormocere um Nanopartikel erweitern lassen.“ Bei diesen Nanopartikeln handelt es sich um 10 bis 20 nm kleine Festkörperteilchen. Gezielt eingebaut in die Polymer-Matrix, haben sie vielfältigen Einfluss auf das Eigenschaftsprofil. Im Falle der Schmutz abweisenden Oberflächen machen sie die Schichten besonders abriebfest.
Nanopartikel erweitern also die Freiheitsgrade zum Maßschneidern von Werkstoffen beträchtlich. Allein schon durch die Wahl des Typs hat der Entwickler großen Einfluss. Als Instrument für die Werkstoffentwicklung reicht die Bedeutung der Nanotechnologie weit über Easy-to-clean-Schichten hinaus. Dr. Gerhard Jonschker, lange Jahre ein Mitarbeiter von Schmidt im Saarbrücker INM, erklärt die Wirkung so: „Nanopartikel können die Matrix in ihrer Ausrichtung beeinflussen und in eine Ordnung zwingen. Sie bilden Keime für das Wachstum der Nanostrukturen. Und sie können katalytisch wirken. Alle diese Effekte nutzen wir gezielt aus, um Oberflächeneigenschaften zu programmieren.“
Jonschker gründete vor zwei Jahren mit Schmidt und einem Kollegen die Nanogate GmbH. Das junge Saarbrücker Unternehmen hat umfangreiche Lizenzen des INM erworben, mit dem Ziel, die Nanotechnologie industriell zu verwerten – nicht nur für Easy-to-clean-Anwendungen. Es bietet einen Komplettservice von Entwicklung und Produktion der Werkstoffe bis hin zu Marketingkonzepten für das neue Produkt. Die Schweizer GmbH in Forchheim gehört zu den ersten Kunden. „Schweizer Optik“ hat bereits im Juni 1997 Lupen aus Plexiglas mit einer Antikratz-Beschichtung in den Markt eingeführt, die bei Nanogate aufgebracht wird. Jonschker: „In diesem Fall lagern wir Aluminiumoxid-Partikel in eine hart-elastische Matrix ein. Die Härte ist so groß, dass Sie mit einer Messingdrahtbürste über die Linse gehen können, ohne dass ein Kratzer entsteht.“
In einem anderen Projekt hat Nanogate mit der Duravit AG, Hornberg, in nur drei Monaten ein Beschichtungssystem entwickelt, das Sanitärkeramiken Schmutz abweisend macht. Das Ergebnis sind besonders lange glatt und sauber bleibende Badkeramiken.
Lotus-Effekt: Schmutz abweisen wie die Natur
Es geschieht immer wieder in der Technik, dass parallele Entwicklungen zu demselben Ziel führen. Doch die Konzepte von Schmidt (Seite 168) und dem Botaniker Barthlott unterscheiden sich grundlegend. 20 Jahre hat der Bonner Professor Wilhelm Barthlott an der Entschlüsselung und Verwertung des „Lotus-Effektes“ gearbeitet. Erst im letzten Jahr machten ihn der Philip-Morris-Preis und der Deutsche Umweltpreis plötzlich bekannt. Lange Zeit wollte dem Lehrstuhlinhaber des Bonner Institutes für Botanik keiner glauben, dass eine mikrorauhe Struktur leichter zu putzen oder gar selbstreinigend sein kann. Oder misstrauten die Techniker den Beobachtungen am Lotus-Blatt? Erst ein Vorführexperiment ließ die Skeptiker umdenken: Barthlott tauchte einen Kunststofflöffel in Honig. Als er ihn wieder herauszog, perlte der Honig vollständig ab.
Im Nachhinein leuchtet die Erklärung des Lotus-Effektes ein: Blätter von Pflanzen besitzen durch ihre natürlichen Wachse eine hydrophobe Oberfläche, die die Haftung des Wassertropfens reduziert. Die mikrorauhe Noppenstruktur, die Barthlott auf dem Lotus-Blatt entdeckt hat, verkleinert die Auflagefläche noch viel stärker. Ein Tropfen sitzt daher auf der hydrophoben Fläche auf wie ein Fakir auf dem Nagelbrett. Neigt sich das Blatt etwas, rollt der kugelförmige Tropfen sofort ab. Schmutzpartikel schiebt er nicht einfach zur Seite wie bei einer glatten Oberfläche. Vielmehr sammelt er sie beim Abrollen ein, ähnlich einem Schneeball, der den Hang hinabrollt. Dieser selbstreinigende Vorgang wiederholt sich, so oft es regnet. Kurz darauf ist das Blatt trocken und sauber.
Dass Barthlott seine Beobachtungen nicht ungenutzt gelassen hat, zeigen die technischen Anwendungen, die bereits heute den Effekt imitieren. Dabei waren zwei Aufgaben zu lösen: Die Oberfläche muss eine dauerhaft hydrophobe Wirkung haben und zusätzlich die Lotusstrukturierung aufweisen. Als erstes stellte im März 1999 die Ispo GmbH, Kriftel, die Fassadenfarbe Lotusan vor. Dr. Christoph Neinhuis, ein Mitarbeiter Barthlotts, rechnet die bereits auf bis zu 4 bis 5 Mio m2 verstrichene Farbe auf die Fassadenfläche von rund 30000 Einfamilienhäusern hoch. Der bisherige Erfolg des Lotus-Effektes sei „gigantisch“. Das Botanische Institut kooperiert bereits mit neun Industriepartnern.
Noch in diesem Jahr möchte die Erlus Baustoffwerke AG, Neufahrn, einen Dachziegel mit Lotus-Effekt auf den Markt bringen. „Auf dem Dach bleibt nur ein Bruchteil des üblichen Schmutzes liegen. Und der wird beim nächsten Regen runtergewaschen“, sagt Max Semmelmann, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit. Die Tests zum Selbstreinigungseffekt sind längst abgeschlossen. Zur Zeit prüfen die Neufahrner in Winterfreilandtests das Verhalten von Schneelasten. Erste Befürchtungen, dass Schnee leichter abrutschen könnte, haben sich nicht bestätigt. Im Gegenteil: „Die Flocken liegen breit auf dem Ziegel und werden in die Kontur gedrückt. Der Schnee hält jetzt noch besser.“
An selbstreinigenden Kunststoff-Oberflächen nach dem Vorbild der Natur arbeitet die Creavis GmbH in Marl zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg. Ihre Folien sollen sich später als Schutzschicht auf Straßenschilder, Solarmodule und Gartenmöbel auflaminieren lassen.
Botaniker Neinhuis verspricht schon jetzt, dass die Entwicklung nicht so schnell zu Ende kommen wird. Große Hoffnungen setzt er auf Pulverlacke und Holzlasuren. Beispielsweise haben Barthlott und er auf dem Lotus-Blatt zweierlei Mikrostrukturen gefunden, eine etwas gröbere und eine feinere. Der imposante Honiglöffel war mit beiden präpariert. Dr. Neinhuis: „Wir wissen noch nicht, warum. Aber wir sind überzeugt davon, dass die Doppelstruktur ihre Bedeutung hat.“ os
Der Knackpunkt: Wie funktioniert Schmutzabweisung?
Wie stark ein schmutziger Tropfen anhaftet, hängt von der Oberflächenenergie des Autolacks oder der Fensterscheibe ab. Je niedriger sie ist, desto stärker zieht sich der Tropfen durch seine eigene Oberflächenenergie zusammen. Das hat zur Folge, dass er sich stärker abkapselt, eine kleinere Kontaktfläche bildet und leichter abgewischt werden kann. Bei easy-to-clean beschichteten Scheiben kommt es also darauf an, die Oberflächenenergie des Glases zu verringern. Beispielsweise Teflon (PTFE) hat durch seine Fluor-Bausteine eine sehr geringe Oberflächenenergie und ist daher hydro- und oleophob (wasser- und fettabweisend). Als Beschichtung kommt PTFE aber nicht in Frage, weil das Material auf dem Untergrund schlecht haftet und weder hart noch transparent ist.
Schmutzabweisende Oberflächen auf der Hannover Messe
Botanisches Institut der Uni Bonn (Prof. Barthlott, Dr. Neinhuis): Halle 18/OG, Stand P05
Fraunhofer-Gemeinschaftstand „Oberflächentechnik“: Halle 6, Stand F04
INM: Halle 18, Stand D20
Nanogate: Halle 6, Stand B06
Nanoworld 2000: Halle 18, K09. Auf dem Gemeinschaftsstand zur Nanotechnik sind unter anderen die sechs vom BMBF geförderten Kompetenzzentren vertreten.
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