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Darf’s etwas mehr sein? Oder besser gleich Komplettbearbeitung?

Dreh-, Fräs- und Mess-Zentrum Millturn: High-Tech drückt Zeiten und Umlaufvermögen
Darf’s etwas mehr sein? Oder besser gleich Komplettbearbeitung?

Es ist selten, dass ein zehn Jahre altes Maschinenkonzept noch immer Punkte macht im Markt. Aber es macht Sinn. Das Komplettbearbeitungs-Zentrum Millturn der WFL GesmbH hat zunehmend dort Erfolg, wo der Anwender ganze Arbeit verlangt.

Von Chefreporter Wolfgang Filì

Wenn Sie von der Komplettbearbeitung großer, rotationssymmetrischer Teile sprechen, kommen Sie an der Millturn einfach nicht vorbei“, behauptet Rudolf Siegwart. Dabei zuckt er mit keiner Wimper. Auf der linken Hand rotiert der Geschäftsführer der österreichischen WFL GesmbH eine Art Frisbee aus V4A, allerdings mit jeder Menge Schrägen, Rippen und Durchbrüchen dran und drin. Das Ding eiert. Siegwarts Statement ist interessenbestimmt: Das Linzer Unternehmen ist Hersteller besagter Maschinenreihe. Trotzdem hat er womöglich Recht: Kaum ein anderes Zentrum hat Fertigungsverfahren mit geometrisch definierter Schneide so exzessiv verknüpft und automatisiert, wie die Dreh-, Fräs- und Messsysteme der Bauart Millturn es seit Anfang der ´80er Jahre tun. „Was aber das letztlich Entscheidende ausmacht“, unterstreicht Siegwart und landet sein UFO vorsichtig auf der Schreibtischfläche, „ist die Präzision und Wirtschaftlichkeit, die Sie mit der Millturn erreichen: Wo der Wettbewerb längst ausgestiegen ist, fangen wir gerade erst an – fragen Sie doch einfach die Anwender der Maschinen…“
Teile bis 6,5 m Länge und 10 t Masse µ-genau komplettbearbeitet
WFL baut sie bereits seit 1982. Damals gehörte das Haus noch zur Gruppe Voest-Alpine Steinel und war Staatsbetrieb. Der Anstoß für die Millturn-Entwicklung war seinerzeit von Waldrich Siegen gekommen: Selbst Hersteller großformatiger Werkzeugmaschinen, suchten die Westdeutschen ein Drehsystem, mit dem sich auch kubische Operationen erledigen und kleine Lose ihrer äußerst komplizierten Maschinenteile fertigbearbeiten ließen. Die Linzer schnappten den Ball auf. Ohnehin machte man gerade entsprechende Versuche. Ging es bei den sechs- und siebenachsigen Maschinen WNC 500 und 700S zunächst darum, angetriebene Werkzeuge zu integrieren, bekam das Projekt schon nach wenigen Monaten eine völlig neue Richtung: Siegwart und seine Leute waren nur noch einen Stich weit entfernt von der Komplettbearbeitung – von der fix und einbaufertigen Teilezerspanung auf nur einer Maschine.
1984 stellte WFL die erste Millturn auf der Düsseldorfer Werkzeugmaschinenmesse Metav vor und vermerkte bei der Konkurrenz auch das eine oder andere respektvolle Nicken, ausgerechnet bei den potenziellen Kunden jedoch ein eher nachsichtiges Lächeln. Was den Linzern damals als seelische Grausamkeit vorgekommen sein mag – immerhin steckten 25 Mannjahre Mechanik- und Software-Entwicklung in dem Projekt – bewertet Siegwart heute vom Polster des Erfolgs herab: „Sicher – obwohl auch schon vor 16 Jahren objektiver Bedarf bestand an Systemen, die das arbeitsteilige Zerspanen auf unterschiedlichen Stationen und Maschinen am gleichen Ort zusammenfasste, wurde die Millturn eher als bunter Versuchsballon verstanden.“
Das Gegenteil war richtig. Noch im gleichen Jahr bestellte Waldrich Siegen das erste Exemplar der Serie, eine WNC 500 – de facto noch eine Drehmaschine mit B-Achse. Unternehmen aus der Hydraulikbranche zogen nach, und die schwedische Alfa Laval-Gruppe orderte gleich ein rundes Dutzend der Maschinen – der Markt registrierte die Linzer immerhin.
Den endgültigen Durchbruch, so berichtet der WFL-Chef, brachte 1986 der Auftrag eines Automobilzulieferers. Dieser hatte zunächst ein Flexibles Fertigungssystem aus fünf einzelnen Maschinen vorgesehen, die das Gros der spanenden Verfahren vorhielten und die über Roboter verknüpft waren. Sie sollten geometrisch komplexe Teile in zwanziger Losen fertigbearbeiten. „Hier kam der qualitative Sprung“, freut sich Siegwart noch heute. „Anstatt wie die fünf arbeitsteiligen Werkzeugmaschinen in 30 Minuten, machte eine einzige Millturn die Teile in weniger als 17 Minuten klar.“ Durch den Wegfall der Lagerzeiten zwischen den Einzelmaschinen sank das Netto-Umlaufvermögen des Kunden. Hinzu kam, dass die Investkosten rund 50 % unter denen des geplanten FMS lagen. Damit hatte WFL den schlagenden Beweis, dass Komplettbearbeitung auf Basis der Drehtechnik alles andere war als Vision, sondern vielmehr profitable Praxis.
Gleichwohl blieb die erste Generation der Millturn ein Kompromiss, denn bei der Komplettbearbeitung treten vielschichtigere Belastungen auf als bei purem Drehen. So wurde die Maschine 1990 in einem zweiten Entwicklungsschritt von Grund auf überarbeitet: Alle über die Fräseinheit auftretenden Kräfte wurden in der Dimensionierung berücksichtigt, Getriebe und Spindelkasten thermisch getrennt und der Werkzeugträger temperaturstabilisiert, so dass die Bedingungen am Werkstück konstant blieben. Außerdem schafften neue, modulare Werkzeugsysteme ein Grundproblem der Komplettbearbeitung aus der Welt: Sie machten die Trennung nach VDI-Zylinderschaft fürs Drehen und Steilkegel fürs Fräsen überfällig. Auf der Messe IMTS 1990 in Chicago stellte Siegwart die M30 Millturn mit Einzelwerkzeugträger als weltweit erste Maschine mit Sandviks Capto-System vor.
1993 – inmitten der Krise der Werkzeugmaschinenbranche – entschied die Republik Österreich, die Voest-Alpine-Töchter Steinel und Weiler und damit auch den für die Millturn verantwortlichen Geschäftsbereich zu privatisieren. Bis dahin hatten die Linzer rund 150 Einheiten der Maschine gebaut. Nach der Übernahme durch die deutsche Rothenberger-Gruppe nebst Umfirmierung stieg die Auftragskurve ungebrochen weiter. Lag der WFL-Umsatz 1994 noch bei 20,9 Mio. DM, betrug er zwei Jahre später 42,9 sowie 59,7 Mio. DM im vergangenen Jahr. Für 2000 rechnet Siegwart mit einem Sprung der Faktura auf 80 Mio. DM. Und die Nachfrage hält weiter an.
Weltweit tun mittlerweile über 500 Millturns Dienst. Die Linzer entwickeln die Reihe systematisch weiter. Nach der 1990 vorgestellten M60 als erster Maschine der neuen Generation folgten 1996 die M100, 1998 die M60, M65 und M120, 1999 die M60-G mit Gegenspindel sowie dieses Jahr die M120 mit neuer 55 kW Fräseinheit.
Zur Kontrolle der bis zu 12 Achsen werden Steuerungen von Siemens eingesetzt. Mit diesem Fabrikat ist man gewachsen. Noch bis 1992 hatte WFL die 880T programmiert. Allerdings, unterstreicht Siegwart, sei mit den neuen Sinumerik-Typen 840C und 840D vieles einfacher geworden. Welche der beiden CNC der Kunde haben möchte, sei prinzipiell egal. Für die jüngsten Maschinen setzt WFL allerdings meist die 840D ein. Rudolf Siegwart: „Die beherrscht die Interpolation in fünf Achsen einfach besser.“ Auch mit der Aufgabe als 3D-Messmaschine – nach dem Drehen, Bohren und Fräsen die vierte Funktionalität der Millturn – komme sie besser klar.
Für künftige Millturns kann Siegwart sich zudem das Härten vorstellen. Vielleicht sogar schon im kommenden Jahr. Entscheidend sei, wie der Aufwand und Bauraum der Komponenten im Verhältnis zum Nutzen ständen. „Eine 250-kV-Einheit für ein mal Härten pro Tag vorzusehen, macht keinen Sinn.“ Komplettbearbeit müsse sich rechnen. Eben…
Komplettfertigungs-Zentrum M 120 Millturn
Arbeitsbereich
Spitzenweite 2/3/5/6,5 m
Umlauf-Ø Schlitten oben 1150 mm
Umlauf-Ø über Bett 1130 mm
Drehlänge bei Standardfutter rd. 6700 mm
Antriebe
Leistung Hauptantrieb 90 kW
Drehzahl Hauptantrieb 1000 min-1
Moment Hauptantrieb 10248 Nm
Leistung Dreh-, Bohr- und Fräs-Einheit 55 kW
Drehzahl D/B/F-Einheit 3200 min-1
Moment an der Spindel der D/B/F-Einheit 730 Nm
Achsleistungen
Vorschubkraft Z 3000 daN
Planweg X 920 mm
Vorschubkraft X 3150 daN
Y-Achse -300/+350 mm
Vorschubkraft Y-Achse 2500 daN
Drehzahl C-Achse 20 min-1
Moment an der Spindel 3000 Nm
Haltemoment Spindel 6000 Nm
Schwenk B-Achse 110/+90 °
Maße und Massen
Länge/Breite/Höhe 16,5/4,3/4 m
Höhe der Drehspindel über Flur 1345 mm
Maschinenmasse bis 48000 kg
Bearbeitungsbeispiel Haspelwelle
Arbeitsteilige Fertigung auf Einzelmaschinen
2 Spannungen auf Drehmaschine
– Vordrehen
2 Spannungen Bearbeitungszentrum
– Fräsen
2 Spannungen Drehmaschine
– Fertigdrehen
1 Spannung Bearbeitungszentrum
– Stirnseite Fräsen
1 Spannung Tiefbohrmaschine
– Tiefbohren
  • 120 h Gesamt-Bearbeitungszeit
  • 180 h Handling, Rüsten, Spannen
Komplettbearbeitung auf Dreh-/Fräs-Zentrum
2 Spannungen auf M120 Millturn
– Drehen
– Fräsen
– Tiefbohren
– In-Process-Messen in technisch sinnvollster Reihenfolge
  • 50 h Bearbeitungszeit
  • 1 h Rüstzeit
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