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Das Blechteil am Kragen gepackt

Metall-Kunststoff-Verbunde: Rationell verbunden durch Kragenfügen
Das Blechteil am Kragen gepackt

Das Kragenfügen hat sich als eine neue und einfache Fügemethode für Metall- und Kunststoffteile bewährt: Tests an Frontend-Prototypen hat der Automobilzulieferer Visteon mit Erfolg abgeschlossen. Das Verfahren lässt sich auch gut simulieren.

Martin Völker arbeitet in der Anwendungsentwicklung technische Kunststoffe der BASF AG, Ludwigshafen

Einfach, zuverlässig und preiswert – so haben Anwendungsentwickler der BASF AG, Ludwigshafen, das Kragenfügen beschrieben, das sie vor zwei Jahren als neue Fügemethode für Kunststoff- und Metallteile vorstellten. Seitdem wurden zwei wesentliche Fortschritte erzielt:
  • Die mit Finite-Elemente-Methoden berechneten Steifigkeiten und Festigkeiten entsprechen den experimentell ermittelten Ergebnissen. Das Verhalten eines komplexen kragengefügten Hybridbauteils lässt sich also rechnerisch vorhersagen.
  • Ein gemeinsam mit dem internationalen Automobilzulieferer Visteon entwickelter Frontend-Prototyp erfüllt alle Anforderungen, die an ihn gestellt werden. Visteon sieht sogar das Potenzial, Gewicht und Kosten dieser Hybridstrukturbauteile mit Hilfe des Kragenfügens weiter zu senken.
Beim Kragenfügen werden zunächst mit einem Stempel so genannte Kragen in ein Metallblech gedrückt und diese im zweiten Schritt in den Kunststoff eingepresst. Im Vergleich zum Fügen durch Umspritzen sind damit große Vorteile verbunden: Das zu den PMA-Verfahren (Post Moulding Assembly) gehörende Kragenfügen lässt dem Konstrukteur mehr Freiheit beim Gestalten der Kunststoffkomponente. Es können einfachere Werkzeuge benutzt und die Zykluszeiten verkürzt werden. Zum Beispiel muss das Metallteil nicht mehr in das Spritzgießwerkzeug eingelegt werden. Und das Hybridbauteil neigt weniger zum Verzug.
Die im Jahre 2000 bei der BASF geborene Idee zum Verbinden von Kunststoff- und Metallteilen wurde seitdem kontinuierlich weiterentwickelt. Zu Beginn standen die Gestaltung und Dimensionierung der Fügepunkte im Vordergrund. Dann wurde der Lu-Träger entwickelt (Lu wie Ludwigshafen). Dieses Referenzbauteil ermöglichte es, das Verhalten von nachträglich gefügten Hybridbauteilen zu untersuchen. Gleichzeitig ließen sich daran Berechnungs- ergebnisse überprüfen und die Vorhersagegenauigkeit der Simulation testen.
Grundlagenuntersuchungen belegen nun, dass sich kragengefügte Metall-Kunststoff-Verbunde unter Last bewähren – und zwar unter thermischer und dynamischer Beanspruchung ebenso wie im Crashfall. Teils verbessern sich die Festigkeitseigenschaften im Betrieb sogar noch.
So erhöht das Wärmelagern von Probekörpern bei 120 °C über 1000 h erstaunlicherweise die zum Trennen eines Fügepunkts erforderliche Kraft. Sie steigt um etwa 18 % gegenüber dem Ausgangszustand. Pro Verbindungspunkt werden dabei Auszugskräfte in Fügerichtung von fast 800 N erreicht. Die Nachkristallisation des Polyamids scheint also einen positiven Einfluss auf die Festigkeit zu haben.
Temperaturwechselzyklen zwischen -40 und +150 °C führen zu einem ähnlichen Festigkeitsanstieg: Nach 100 Zyklen zu je 4 h besitzen die Probekörper bei Raumtemperatur eine um 6 % höhere Auszugskraft als vor dem Test.
Dass sich die Fügepunkte selbst bei starker dynamischer Beanspruchung nicht lösen, wurde im Dauerschwingversuch bestätigt. Beispielsweise bei einer Zug-Wechsel-Belastung mit einer Maximalkraft von 200 N – weit jenseits der Beanspruchung realer Bauteile – halten die Probekörper rund einer Million Lastwechseln stand. Die Festigkeitsabnahme der Fügepunkte im Dauerschwingversuch entspricht etwa der des verwendeten Kunststoffs.
Bemerkenswert ist auch das Verhalten des Lu-Trägers im Crash-Stauchversuch. Durch Einlegen von Kunststoff in die Metallstruktur können das Beulverhalten gezielt verändert und ein kontrolliertes Versagen der Struktur bewirkt werden. Der Lu-Träger erreicht ein sehr hohes Kraftniveau. Aufgrund seiner beanspruchungsgerechten Konstruktion zeichnet er sich durch eine hohe Energieaufnahme unmittelbar nach dem Beulen aus (Nachbeulbereich). Seitlich ist er durch zusätzliche Diagonalrippen abgestützt, die zu einer deutlich erhöhten Festigkeit führen.
Inzwischen sind die BASF-Entwickler in der Lage, solche Hybridstrukturen rechnerisch auszulegen. Mit Finite-Elemente-Methoden, die auf die speziellen Bedürfnisse des Kragenfügens zugeschnitten sind, können sie die Belastungsfähigkeit von Hybridteilen beurteilen und das Versagen der Fügepunkte vorhersagen. Hier fließt zum einen das in Ludwigshafen erarbeitete Know-how bei der Definition der Kontaktflächen ein. Zum anderen wurden die Connector-Elemente, welche die Fügepunkte im Berechnungsmodell vereinfacht darstellen, anhand von Messungen exakt kalibriert. Rechnung und Experiment stimmen sowohl beim Stauch- als auch beim Torsionsversuch gut überein. Die Belastung, bei welcher der Lu-Träger ausbeult (Beullast), kann auf 15 % genau vorhergesagt werden. Auch die Energieaufnahme im Nachbeulbereich lässt sich rechnerisch sehr gut abschätzen. Für Torsionsbelastungen bis zum Bruch liefern Messung und Rechnung gleiche Steifigkeitswerte.
Gemeinsam mit dem intenationalen Automobilzulieferer Visteon führte die BASF ein Entwicklungsprojekt zur Anwendung des Kragenfügens durch. Visteon ist ein führender Hersteller von Hybrid-Frontends und prüfte die alternative Hybridbauweise des nachträglichen Fügens von Metall und Kunststoff an einem Prototypen. Hierfür modifizierten die Techniker das Werkzeug so, dass anstelle des umspritzten Blechs eines mit Kragen eingesetzt werden konnte. Durch Optimieren von Anzahl und Position der Fügepunkte entstand ein Frontend, das den Bauteilanforderungen voll gerecht wird: Es weist die geforderte Steifigkeit auf und erreicht die berechnete Festigkeit. „Das Kragenfügen hat das Potenzial, Kosten und Gewicht von Hybridstrukturbauteilen weiter zu reduzieren“, sagt Michael Wolf, Bereichsleiter Frontendmodul bei der Visteon Deutschland GmbH, Kerpen. „Das haben die Erfahrungen mit den Prototypen gezeigt.“
Auch andere Anwender entwickeln mittlerweile verschiedene Bauteile durch Kragenfügen. Die BASF erwartet in naher Zukunft konkrete Serienanwendungen mit Post Moulding Assembly.
Kragenfügen bewährt sich bei Frontends
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