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Das Erfinder-Land in Europa

Standort: Baden-Württemberg hat höchstes Potenzial für Innovationen
Das Erfinder-Land in Europa

Baden-Württemberg, das Land der Forscher und Erfinder: Nirgendwo sonst ist das Innovationspotenzial so groß, nirgendwo sonst der Maschinenbau so stark – und die Kosten sind so hoch. Der Mix aus Großkonzernen, mittelständischen Betrieben und Forschungseinrichtungen macht den Standort stark. Mit pfiffigen Konzepten halten die Firmen die Wertschöpfung im Ländle.

Die eigentlichen Stars des Abends sind nicht aus Fleisch und Blut: Pfiffige Einspritztechnik für einen Biogas-Motor, ein Schnellwechselsystem für Werkzeugaufnahmen sowie eine 3D-In-Line-Messtechnik. Hightech pur: Effizienter, schneller, besser. Darum ging es jüngst wieder bei der Verleihung des Innovationspreises des Landes Baden-Württemberg, dem Dr. Rudolf-Eberle-Preis. Prominenz aus Wirtschaft und Politik geben sich dort die Ehre. Sichtlich stolze Unternehmer nehmen die Auszeichnungen entgegen – ein Ritterschlag für Tüftler, von denen es im Ländle einfach mehr gibt als anderswo.

„Die Innovationskraft unserer Unternehmen und deren Mitarbeiter sowie eine hervorragende Vernetzung von Firmen, Universitäten und Forschungseinrichtungen gehören zu den zentralen Erfolgsfaktoren unserer Wirtschaft“, erklärt Wirtschaftsminister Ernst Pfister. Die Zahl der Bewerbungen für den Preis liegt auf hohem Niveau. Dies sei ein „positives Zeichen für die Innovationskraft der kleinen und mittleren Unternehmen“. Der Preis ist für Mittelständler reserviert: Die großen Aushängeschilder der Industrie des Landes wie Bosch oder DaimlerChrysler dürfen gar nicht erst teilnehmen.
Die Dichte des Erfindungspotenzials in Baden-Württemberg ist europaweit einzigartig. Laut des kürzlich vom Statistischen Landesamt in Stuttgart veröffentlichten Innovationsindex ist das Ländle EU-weit die Region mit der höchsten Innovationskraft. Die Statistiker haben dazu 68 EU-Gebiete untersucht.
Nach Zahlen der Landesregierung wendet die Wirtschaft im Südwesten 12,3 Mrd. Euro pro Jahr für Forschung und Entwicklung auf. Das sind 3,9 % des Bruttoinlandsprodukts, ein Spitzenwert. Von 10 000 Erwerbstätigen arbeiten 154 in F+E, so viele wie in keinem anderen deutschen Bundesland.
Dabei hat das Klischee vom schwäbischen oder badischen Tüftler weitgehend ausgedient. „Vielleicht steckt immer noch etwas von dem Tüftlergeist in uns drin“, räumt Dr. Thomas Lindner im Interview mit dem Industrieanzeiger ein (Seite 16). Der Landesvorsitzende des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) betont: „In der Realität haben wir es heute mit der Umsetzung neuester Technologien in Produkte und Dienstleistungen zu tun, mit denen wir international wettbewerbsfähig sind.“ Dies erfordere eine hohe technische und wirtschaftliche Kompetenz der Entscheidungsträger, ergänzt der VDMA-Chef, „und natürlich auch eine solide Ausbildung.“
Im Hauptberuf ist Lindner Sprecher der Geschäftsführung bei der Groz-Beckert KG in Albstadt-Ebingen. Groz-Beckert ist in gewisser Weise typisch für die Innovationskraft und Wandlungsfähigkeit der Unternehmen in Baden-Württemberg: Aus einem Textilmaschinen-Hersteller hat sich das Familienunternehmen mit einer 150-jährigen Geschichte zum weltweit bedeutendsten Hersteller von Präzisionsteilen für die Textilindustrie entwickelt – weitgehend unbemerkt von Branchenfremden. Das Unternehmen von der schwäbischen Alb beschäftigt bei einem Exportanteil von 80 % rund 7000 Mitarbeitern in aller Welt.
Die Großkonzerne rund um Stuttgart geben in der Öffentlichkeit den Ton an und bestreiten einen Löwenanteil der Forschung und Entwicklung. Dennoch ist der Mittelstand die treibende Kraft: Werkzeugmaschinen vom Heuberg, Messtechnik aus dem Südschwarzwald, Präzisionswerkzeuge von der Ostalb. Zwei Drittel der Beschäftigten in der Maschinenbaubranche arbeiten in Betrieben mit weniger als 500 Mitarbeitern.
Fachleute sind sich einig, was die Industrie dort so erfolgreich macht: Es ist der Mix aus großen und kleinen Firmen, das Netzwerk aus Herstellern, Zulieferern, Kunden und Forschungseinrichtungen. Die Hochschullandschaft hat sich dieser Struktur angepasst: Manche Studiengänge, häufig an den zahlreichen Fachhochschulen, sind auf bestimmte Unternehmen am Standort zugeschnitten; die großen Universitäten betreiben Spitzenforschung.
Der beschäftigungsintensivste Industriezweig im Südwesten ist der Maschinen- und Anlagenbau, gefolgt vom Fahrzeugbau und der Elektrotechnik. Knapp eine Viertel Million Menschen arbeitet in über 1700 Maschinenbaubetrieben; jede dritte deutsche Maschine kommt aus Baden-Württemberg.
Der Industriezweig boomt derzeit mit zweistelligen Zuwachsraten und verzeichnet das vierte Wachstumsjahr in Folge. 2005 erwirtschaftete die Branche nach Zahlen des VDMA-Landesverbandes rund 48 Mrd. Euro Umsatz. Die weltweite Nachfrage nach Industriegütern und Maschinen sorgt für volle Auftragsbücher. Die Betriebe im Ländle stocken sogar ihre Stammbelegschaft auf, was sie angesichts der konjunkturellen Dellen über die vergangenen Jahr stets vermieden haben.
Wenn es noch Personal gibt: „Sorge bereitet weiterhin der Mangel an qualifizierten Facharbeitern und Ingenieuren“, klagte jüngst VDMA-Landeschef Dr. Lindner am Rande der VDMA-Mitgliederversammlung. 2000 Ingenieure benötige allein der Maschinen- und Anlagenbau in Baden-Württemberg jedes Jahr. 2500 Ingenieur-Stellen seien unbesetzt, zwei von drei Firmen auf der Suche. Für Lindner ist keine Besserung in Sicht: „Der Ingenieurbedarf ist kein vorübergehendes Phänomen, sondern ein langfristiger Trend aufgrund von Verschiebungen bei den Tätigkeitsstrukturen im Maschinenbau.“ Sprich: Es arbeiten prozentual immer mehr Ingenieure in den Betrieben, da die Aufgaben immer anspruchsvoller werden.
Der Standort Baden-Württemberg hat noch weitere Nachteile: Ulrich P. Hermani, Geschäftsführer des VDMA Baden-Württemberg, nennt die hohen Lohnkosten und kurzen Arbeitszeiten als Hemmnisse. In einer breit angelegten Kampagne will der VDMA-Landesverband dafür sorgen, dass mehr „rentable Wertschöpfung“ am Standort möglich ist. Hermani: „Ziel ist es, die Standortvorteile besser zu nutzen und die Auswirkungen der Negativ-Faktoren abzumildern.“ In einem Forum auf der Mitgliederversammlung präsentierten Vorreiter aus den Reihen des Verbandes Beispiele, wie sie mit pfiffigen Lösungen am teuren Standort wettbewerbsfähig bleiben:
  • Der Getriebebauer Wittenstein nutzt beispielsweise die Standortvorteile durch sein besonders effizientes Wertschöpfungsnetzwerk. Ergebnis: Erst bei einem Kostenvorteil von 20 % bis 60 % gegenüber der regionalen Beschaffung lohnen sich Qualifizierung und aufwendige Betreuung von Auslandsstandorten
  • Der Werkzeugmaschinen-Spezialist Trumpf reduzierte mit seiner richtungweisenden Fließmontage in Ditzingen die Durchlaufzeit um 55 % gegenüber der Standplatzmontage und die Arbeit um die Hälfte.
  • Festool, Elektrowerkzeughersteller in Neidlingen, optimierte seine Prozesse und setzt besonders günstigere Betriebsmittel ein. Ergebnis: Rüstzeit um 90 % gesenkt, Bestände um 60 %. Die Personalproduktivität stieg um 90 %. Festool tüftelte ein radikal geändertes Produktionssystem aus, um so die Produktion im Ländle zu halten.
Übrigens: Wie lange die Tüftler-Tradition in der Region besteht, zeigte sich bei einem weiteren Erfinder-Preis, der wie der Eberle-Preis dieser Tage verliehen wurde. Ein Team der Uni Stuttgart erhielt den mit 12000 Euro dotierten Berblinger-Preis der Stadt Ulm für den Entwurf eines Brennstoffzellen-Flugzeugs. Der Namensstifter Albrecht Ludwig Berblinger ist besser bekannt als der „Schneider von Ulm“ – der ging allerdings vor knapp 200 Jahren mit seinem selbst entworfenen Flugapparat unfreiwillig in der Donau baden.
Tilman Vögele-Ebering tilman.voegele@konradin.de
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Globalisierung
Entscheidend für die Top-Position Baden-Württembergs im EU-weiten Innovationsindex ist vor allem die starke technologische Basis. Das Land verfügt über den höchsten Anteil an Erwerbstätigen in industriellen Hochtechnologiebranchen, zu denen Maschinenbau, Elektro- und Nachrichtentechnik sowie Fahrzeugbau zählen.
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