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Das Web eröffnet Konstrukteuren neue Möglichkeiten des E-Collaboration

Produktentwickler profitieren von der Zusammenarbeit in der virtuellen Welt
Das Web eröffnet Konstrukteuren neue Möglichkeiten des E-Collaboration

Der Einsatz von CA-Techniken gehört in der Industrie zum Alltag. Jetzt lassen sich CAD-Arbeitsplätze mit Collaboration-Tools zu vernetzten Kommunikationszentren ausbauen, die über das Internet im Online-Kontakt mit anderen Arbeitsteams stehen. Der Ansatz steckt noch in den Kinderschuhen, die Vorteile aber sind verlockend.

Andreas Beuthner ist freier Journalist in Stockdorf

Bei Collaborative Engineering blicken Firmenlenker mitunter ratlos in die Runde. Die meisten wissen mit diesem Schlagwort wenig anzufangen, andere vermuten dahinter eine neue Marketingformel der Softwareindustrie. Doch es gibt etliche Ansätze, die das netzbasierte Koppeln von Geschäfts- und Produktionsprozessen zwischen Partnerfirmen zum Ziel haben. Rainer Glatz, Leiter der Abteilung Informatik beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) in Frankfurt/M. weiß, dass viele Verbandsmitglieder das Thema vorantreiben, ohne groß darüber zu sprechen: „Das ist kein Marketinggag“, unterstreicht Glatz.
An der Prozessoptimierung kommt kein Unternehmen vorbei. Der immer härter werdende Wettbewerb verlangt nach neuen Denk- und Arbeitsweisen. Das Internet und die damit verbundenen Informations- und Kommunikationstechniken eröffnen neue Möglichkeiten in der Produktentwicklung.
Die Automobilindustrie mit ihren großen Partnernetzen macht es vor. Daimler-Chrysler hat Ende letzten Jahres die E-Connect-Plattform „Fast Car“ ins Leben gerufen. Das Ziel der Stuttgarter: die Bereiche Design, Entwicklung, Produktion, Finanzen, Vertrieb, Einkauf und Logistik über eine Internet-Plattform miteinander zu verbinden.
Dieses Vorhaben geht zwar über die Grenzen des Collaborative Engineering hinaus. Im Kern soll bei Daimler-Chrysler vor allem aber die Produktentwicklung davon profitieren. Den IT-Planern des Automobilkonzerns schwebt vor, bestimmte Prozesse im Frühstadium der Entwicklung neuer Produkte in Echtzeit zu vernetzen. Dahinter steckt das Konzept des Collaborative Engineering. Allerdings ist „Fast Car“ zunächst auf die hauseigenen Entwicklerteams und Fachabteilungen begrenzt. Die aber sind weltweit verstreut. „Der Schritt, auch Zulieferer und externe Dienstleister anzukoppeln, ist nicht weit“, bestätigt ein Mitarbeiter des E-Connect Plattform-Teams.
Durch das Einbinden verschiedener Entwicklungsabteilungen in eine integrierte Systemumgebung, so haben Analysten von Accenture (vormals Anderson Consulting) im Auftrag von Daimler-Chrysler herausgefunden, lässt sich die Zeitspanne von der Auftragserteilung bis zur Auslieferung eines Fahrzeugs von 40 Tagen auf 15 Tagen verringern. Collaboration-Tools sollen den Weg ebnen.
Hersteller sind mit Tools bei der Hand
Mehr Tempo in der Auftragsabwicklung durch Internet-gestützte Kooperationen zwischen verschiedenen Arbeitsteams ist der gemeinsame Nenner unter den vielen Konzepten, die sich rund um E-Business-Portale und elektronische Marktplätze gebildet haben. „Collaborative-Erweiterungen durch Daten- und Projekt-Sharing sind seit längerem in der Portaltechnik integriert“, versichert Martin Stübs, Unternehmenssprecher des Marktplatzbetreibers Web2Cad aus Amberg.
Den Trend zu Collaborative E-Manufacturing haben sich verschiedene Hersteller aus der Softwarebranche auf die Fahnen geschrieben. Die Tecnomatix GmbH aus Neu-Isenburg beispielsweise integriert Collaboration-Tools in ihren E-Manufacturing Server. Toyota und BMW setzen diese Komponente für Abstimmungsprozesse innerhalb ihrer Konstruktionsabteilungen ein. Der italienische Bremsenhersteller Brembo aus Bergamo arbeitet mit Catia-Software von IBM und Dassault Systèmes. Im letzten Jahr haben die Italiener das Enovia-Portal integriert und damit das Projektmanagement bei der Neuentwicklung von Bremssystemen für Rennwagen der Formel Eins verbessert. Die Designer arbeiten online Hand in Hand mit den Produktentwicklern.
Was genau hinter E-Collaboration steckt, lässt sich nur schwer dingfest machen. Für das Walldorfer Softwarehaus SAP fällt alles unter diesen Begriff, was zur Lösung von Aufgaben mittels digitaler Techniken durch unternehmensübergreifende Aktivitäten beiträgt. Für die Consulter von Plenum aus Wiesbaden hingegen ist es nichts anderes als die traditionelle Zusammenarbeit mehrerer Unternehmen. Andere Protagonisten sehen in E-Collaboration eine Fortentwicklung von Supply Chain Management.
Im Bereich der Produktentwicklung und des zunehmenden CAD-Einsatzes geht es weniger um die Geschäftsabwicklung. Vielmehr steht der schnelle Informationsaustausch von Workgroups auf Basis eines klar definierten Arbeitsprozesses im Vordergrund. CA-Technologien erzeugen große Datenmengen. Volumenmodelle in 2D- oder 3D-Darstellung oder komplexe Digital Mockups aus dem CAD-Rechner sind nicht mit Textdateien aus Office-Programmen zu vergleichen. Während sich mit Messaging-Systemen Daten schnell und einfach über das Internet verschicken lassen, treten bei CAD-Daten schnell Probleme auf: „Eine synchrone Kommunikation ist mit den normalen Internet-Verbindungen nicht zu realisieren“, warnt Oliver Wagner, Berater für Corporate Intranets bei Plenum.
Die Softwareindustrie weiß sich indes zu helfen. Wer mit Bandbreitenproblemen kämpft, muss in seine Netztechnik investieren. Beispielsweise lassen sich durch so genannte Peer-to-Peer-Verbindungen – bei denen Serverrechner direkt miteinander gekoppelt sind – erheblich höhere Übertragungsraten erzielen. Neueste Switches oder die ADSL-Technik (Asymmetric Digital Subscriber Line) machen ebenfalls dem Datentransfer Beine. Integrationstechniken sorgen mit so genannten Middleware-Modulen für einen verzögerungsfreien Datenaustausch zwischen unterschiedlichen Systemen: „Die Komponenten und Funktionalitäten, um mit 3D-Modellen auf Basis von Internet zu interagieren, sind vorhanden“, versichert Matthias Feßenbecker, Integrationsspezialist bei der Brettener Seeburger AG.
Aus Sicht der Softwerker spielt beim Collaborative Business Networking die Integration externer Geschäftspartner die entscheidende Rolle. Die Voraussetzung für Kooperationen ist ein funktionsfähiges Netzwerk, das Informationen zwischen den Partnern in Echtzeit transportiert. Der Schlüssel, um System- und Medienbrüche innerhalb der Systeminfrastruktur zu vermeiden, heißt Enterprise Application Integration (EAI). Hinter diesem Begriff versammeln sich wiederum eine Vielzahl von Verfahren und Methoden. Der einfachste Weg ist der manuelle Im- und Export von Daten über ein Dateisystem mittels E-Mail. Im Bereich der technischen Datenverarbeitung haben sich hier bereits standardisierte Formate und Protokolle wie das Electronic Data Interface (EDI) etabliert, das über bilaterale Punkt-zu-Punkt-Verbindungen den Austausch strukturierter Daten durchführt.
Cross-Enterprise-Lösungen verlangen Weitsicht
In der Automobilindustrie spielt das europäische Odette-Filetransferprotokoll (OFTP) eine wichtige Rolle. Der Datenaustausch erfolgt über ISDN-Leitungen und transportiert Konstruktionsmodelle, NC-Daten oder beschreibende Informationen. Der Vorteil: eine ungestörte Weiterverarbeitung auf beliebigen CAD-Systemen. Ein weiterer Schritt in Richtung Standards für Collaborative Networking ist ENGDAT (Engineering Data Message), das vom Verband der Automobilindustrie (VDA) empfohlen wird.
Die aktuellen Trends in der Standardisierung bewegen sich inzwischen in Richtung Internet und dem zugrundeliegenden TCP/IP-Protokoll. Sowohl das amerikanische Netzwerk der Automobilhersteller Automotive Network Exchange (ANX) wie das europäische Pendant European Network Exchange (ENX) setzen auf das Zusammenschalten kooperierender TCP/IP-Netze.
Trotz weltweiter Standisierungsbemühungen gehören die Vielfalt der CAD/CAM-Formate und Übertragungsprotokolle sowie Sicherheitsrisiken zu den größten Stolpersteinen im Aufbau einer Collaborative-Plattform. Bei Seeburger verfolgen die Softwareentwickler einen so genannten Message-orientierten Ansatz, der den Datenaustausch über einen speziellen Business Integration Server leitet. Die darin enthaltenen Konvertierungstools wandeln jede EDI-Nachricht oder alle anderen bekannten Formate in ein vom eingesetzten IT-System lesbares File um.
Auf der Hardwareseite zeichnen sich ebenfalls Lösungen mit einem günstigen Preis-/Leistungsverhältnis ab. So genannte PC-Cluster unter dem Betriebssystem Linux erzielen inzwischen Rechenleistungen, die in den Bereich von teuren Grafikrechnern reichen. Virtual Reality-Anwendungen wie sie am Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation (IAO) erprobt werden, liefern mit dieser kostengünstigen Hardware-Alternative realistische Konstruktionsbilder. Die IAO-Tüftler zeigen auch in einem Demo-Raum, wie mit VR-Technik verschiedene Teams gleichzeitig an der Modellverbesserung arbeiten.
In dieselbe Richtung geht eine auf die Visualisierung von Strömungs- und Strukturmechanik spezialisierte VR-Umgebung der Vircinity GmbH. Das Stuttgarter Softwarehaus unterstützt mit einem eigenen Integrationswerkzeug die Online-Kooperation zwischen Partnern anhand computeranimierter Konstruktionsmodelle. Geschäftsführer Andreas Wierse bestätigt die große Resonanz bei mittelständischen Anwendern: „Statt in die USA zu fliegen, bauen unsere Kunden das rollbare VR-Gerät in ihrem Büro auf“, freut sich Wierse.
Der CAD-Hersteller Cocreate GmbH aus Sindelfingen bietet mit dem virtuellen Konferenzraum Onespace eine ergänzende Kommunikationsumgebung zu seinem 3D-Volumenmodellierer Solid Designer und anderen Applikationen wie einem Zeichen- und Dokumentationssystem sowie einem Produktdaten- und Prozessmanagement-System. Laut Firmensprecher Jens Voelmicke nutzen weltweit rund 10000 Kunden die Vorteile teamorientierter Produktentwicklung über ein Netzwerk.
Auf die richtig organisierte Supply Chain kommt es an
Um mit externen Partnern zu kooperieren, benötigen Anwenderfirmen neben dem Onespace Collaboration Server einen Web-Access-Server, der die Verbindung über das Internet herstellt. „Es gehört nicht viel mehr als die normale Web-Infrastruktur mit HTTP-Protokoll und Internet-Proxy dazu“, sagt Voelmicke. Das bedeutet aber den Einsatz einer Firewall für die Sicherheit sowie die Einrichtung eines Virtual Private Network, um die Bandbreiten im Netz zu garantieren.
Collaborative Business ist aber nicht nur ein technisches Thema. Tilo Schultz, Vorstand des Münchener Beratunghauses Wassermann, sieht vor allem in einer richtig organisierten Supply Chain den entscheidenden Dreh- und Angelpunkt (siehe Interview): „Firmen müssen den gesamten Leistungsprozess von der Rohstoffbeschaffung bis zur Auslieferung eines Produktes ins Auge fassen“, betont Schultz.
Was Collaborative Business bringt
Es gibt inzwischen verschiedene Spielarten der Zusammenarbeit. Schon das Abrufen von Modellzeichnungen aus dem elektronischen Produktkatalog eines externen Dienstleisters umgeht die zeitraubende Selbstentwicklung. Eine Definition hat sich herauskristallisiert, die den Kern neuer Formen der Kooperation am besten trifft: Gemeinsames Arbeiten unterschiedlicher Partner an einem Projekt mit Hilfe digitaler Informations- und Kommunikationstechnik.
Es gibt viele Gründe für virtuelle Teamarbeit zwischen mehreren Firmen:
– Regionale und globale Potenziale durch Added Value Networks nutzen
– Entwicklungszeiten und -kosten im Einkauf, Design und Prototyping reduzieren
– Lösungsstrategien sowie Know-how sichern und wiederverwenden
– Arbeitsprozesse automatisieren und Doppelarbeiten vermeiden
– Zeitnahe und konsistente Synchronisation von Datenbeständen und Modelländerungen
– Realisierung von offenen, zwischenbetrieblichen Workflow-Szenarien
Nachgefragt:“Eine Schnittstellenproblematik sehe ich nicht“
Das Beratunghaus Wassermann hat sich auf das Implementieren von Supply Chains spezialisiert und beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Collaborative Networking, wie Vorstand Tilo Schultz darlegt.
Was ist mit Collaborative Business oder E-Collaboration gemeint?
Collaborative Business ist die enge Zusammenarbeit mehrerer eigenständiger Unternehmen, um Kundenwünsche gemeinsam zu erfüllen. Durch die Instrumente und Plattformen moderner Datenübertragung sind Geschäftspartner heute unabhängig von räumlicher Distanz. Collaborative Business bringt in Planung, Konstruktion, Produktion und Distribution enorme zeitliche Einsparungen und erhöht die Flexibilität von Anbietern. In einem umfassenderen Sinn verstehen wir darunter das Supply Chain Management. Viele verstehen beide Begriffe meist synonym.
Welcher technische Aufwand steckt dahinter?
Die technischen Voraussetzungen für Collaborative Business sind relativ schnell erfüllt. Jedoch bewerkstelligen es nur wenige Anbieter, heterogene Softwarestrukturen so zu realisieren, dass der Anwender zufrieden ist. Gerade die Hersteller etablierter Unternehmenssoftware müssen erst umdenken und ihre Systeme für den Dialog „mit der Außenwelt“ öffnen.
Lassen sich vorhandene IT-Strukturen nutzen oder muss man neu investieren?
IT-Strukturen, die sich bewährt haben, lassen sich durch überschaubare Investitionen ausbauen. Nur wenn der Status quo einer notwendigen Neuorganisation entgegensteht, lohnt eine komplette Ablösung des Alten. Eine Schnittstellenproblematik sehe ich nicht.
Lohnt sich für Entwickler und Konstrukteure der Einstieg ins E-Collaboration?
In jedem Fall! E-Collaboration bedeutet zeitliche und örtliche Unabhängigkeit sowie unmittelbaren Zugriff auf Informationen für alle Beteiligten – das zahlt sich in jedem Bereich aus. Erheblich wirkungsvoller ist es, den Konstruktions- und Entwicklungsbereich in die Steuerung der gesamten Wertschöpfungskette einzubeziehen. Durch die Integration lassen sich Kapazitäten besser planen und Terminengpässe vermeiden.
Gibt es schon praktische Beispiele für erfolgreiche E-Collaboration?
Für unternehmensübergreifendes Supply Chain Management gibt es bei unseren Kunden viele Beispiele – von der Einbindung verlängerter Werkbänke oder externer Konstruktionsgruppen in die Planung über Internet oder auch die Verknüpfung mehrerer Produktionsstandorte per Intranetzugriff bis hin zum engen Austausch von Zulieferern und OEM mittels einer ASP-Lösung.
Andreas Beuthner
Industrieanzeiger
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