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Dem Kabel den Kampf angesagt

Funktechniken: Drahtlose Verbindungen werden immer leistungsfähiger
Dem Kabel den Kampf angesagt

In der Automatisierung ergänzt die drahtlose Kommunikation immer mehr die verkabelte industrielle Kommunikation. Besonders gilt das für Industriebereiche, in denen Flexibilität, Mobilität und Kostenreduzierung gefordert werden. Stellt sich nur die Frage, welcher Funkstandard für welche Anwendung geeignet ist.

Volkswagen-Nutzfahrzeuge in Hannover hat sein zentrales, zwischen Lackiererei und Montage pufferndes Karossenlager für 520 Karossen automatisierungstechnisch auf den neuesten Stand gebracht. Die Kommunikation zwischen stationären und verfahrenden Anlagenteilen wurde dabei erstmals in Teilen als Funkstrecke mit Profinet realisiert. Herzstück der Anlage ist eine Simatic-SPS, die den Bestand mit einem Lagerverwaltungssystem steuert. Die Fahraufträge werden von vier mitfahrenden Regalbediengerätsteuerungen umgesetzt. Auf Basis von Ethernet erhalten sie die Signale über frei platzierbare Sende- und Empfangsstationen aus dem Scalance-W-Programm von Siemens. Durch den Aufbau der Lösung mit dem WLAN-Standard brauchten keine Schleppkabel gelegt zu werden, was Installation und Inbetriebnahme vereinfacht und verkürzt und Kosten senkt. „In der Industrie kann sich am Kabel-Wirrwarr niemand erfreuen“, sagt auch Jörg F. Wollert. Der Professor an der BO-University of Applied Sciences Softwareengineering and Communication Systems in Bochum sieht ein hohes Potenzial bei dynamischen Installationen oder temporären Teilnehmern, aber auch bei Applikationen, die via Kabel nur schwer und teuer zu erreichen sind.

Welche technischen Funknetz-Standards gibt es heute? „Das Anwendungsspektrum reicht von einem Wide Area Network(WAN) via kostengünstiger GSM/GPRS-Technik, das manchmal tausende von Kilometern überbrückt. Diese Weitverkehrsnetze sind bei Fernwartungsaufgaben gefragt.
„Für kürzere Distanzen eignen sich Wireless Lokal Area Networks (WLAN) mit Ausdehnungen von bis zu mehreren hundert Metern. Der Datentransport im Nahbereich erfolgt in Personal Area Networks (PAN) durch Standards wie Bluetooth“, führt Dr. Heiner Röhrl aus. Der Leiter des Geschäftszweigs Industrielle Kommunikation bei Siemens A&D in Nürnberg rät bei der Auswahl der Systeme die vielfältigen Anforderungen zu beachten, die von den Einsatzgebieten abhängen. „Die Datenübertragung nach dem WLAN-Protokoll bietet sich bei großflächigen Netzwerken mit vielen Teilnehmern an, beispielsweise für fahrerlose Transportsysteme oder um in ausgedehnten Anlagen mobile Dienste zur Verfügung zu stellen“, sagt auch Jürgen Weczerek. Voraussetzung dafür sind leistungsfähige Sende- und Empfangsstationen. Der Diplomingenieur der Business Unit Automation Systems der Phoenix Contact GmbH & Co. KG, Blomberg rät dagegen bei lokalen Steuerungsnetzwerken, die beispielsweise zeitkritische I/O-Signale innerhalb einer Maschine übertragen, zu dem Bluetooth-Standard als beste Lösung. Dieser in den 90er Jahren von Ericsson entwickelte Industriestandard soll Geräte über kurze Distanz verbinden. Auch Jörg F. Wollert sieht in Bluetooth eine der erfolgreichsten Funktechnologien überhaupt: „Über 800 Millionen Knoten in Produkten der Consumerelektronik, vom Laptop über das Handy bis hin zum Headset, sprechen für sich. Nutzt man die technologischen Möglichkeiten für die Automation, so spricht für die kleinen Bluetooth-Chips die extrem hohe Störfestigkeit und die geringe mögliche Zyklus- und Latenzzeit. Das führt zu kleinen und leistungsfähigen Produkten, wie sie beispielsweise Phoenix Contact in der Größe einer Kabelklemme anbietet.“
Zigbee ist ein weiterer offener Funknetz-Standard, der Sensoren auf Kurzstrecken von 10 bis 100 m verbindet. Auf dieser Basis findet man eine Vielzahl unterschiedlichster technischer Implementierung vornehmlich für die Prozessindustrie. Dust-Networks beispielsweise bietet die Funkgrundlage für die Komponenten von Emerson Processmanagement für vermaschte, redundante Netzwerke. Hierdurch sind ausgedehnte Industrieanlagen hochverfügbar mit Sensoren und Aktoren ausrüstbar. Nach Jürgen Weczerek etabliert sich Zigbee aber auch in der Gebäudeautomation, um zum Beispiel Lichtschalter via Funk anzukoppeln. Aber an wen wendet sich der Interessent? „Jeder Anbieter von Klemmentechnologie hat heute schon Wireless im Programm“, verrät Professor Wollert. Produkte und Lösungen zu WLAN, Bluetooth oder Zigbee sind auch Schwerpunkt auf der Fachmesse SPS/IPC/DRIVES im November in Nürnberg.
Bei der Leistungsfähigkeit der Funktechniken galt früher die Formel: „Je größer die Entfernung, desto geringer die Datenrate“. Heute spielt die Entfernung nicht mehr diese entscheidende Rolle. Über den Mobilfunkstandard UMTS können Entfernungen von tausenden Kilometern mit Datenraten von über 10 Mbit/s überbrückt werden, während Zigbee im Nahbereich von bis zu 100 m nur 250 kbit/s bietet, was je nach Anwendung ausreicht. „WLAN ermöglicht sogar den zyklischen Datenaustausch von Produktionsdaten im Raster von wenigen Millisekunden und die zuverlässige Übertragung sicherheitsgerichteter Signale“, unterstreicht Heiner Röhrl die Fortentwicklung.
Auch Bluetooth ist leistungsfähig. In der Version 2.1 EDR wird eine Brutto Datenrate von bis 3 Mbit/s ermöglicht. „Durch das Master-Slave-Kommunikationsprinzip sind Antwortzeiten im einstelligen Millisekundenbereich möglich und bei wenigen Teilnehmern ist eine realistische Zykluszeit von 10 ms machbar“, sagt Professor Wollert. Die WISA Technologie von ABB nutzt dies und passt die oberen Protokollschichten auf die Anforderungen der Fertigungsautomation an. Die Preise für Wireless-Komponenten schwanken dagegen erheblicher. So darf beispielsweise in der Gebäudeautomation ein Sensor nicht mehr als 50 Euro kosten, während in der Prozessindustrie ein 5000-Euro-Sensor noch als „Schnäppchen“ gilt. „Insgesamt gesehen ist aber die Funktechnologie heute nicht viel teurer als eine kabelgebundene Lösung“, wagt Professor Wollert die Prognose. Auch für Siemens-Experte Röhrl rechnen sich die Investitionen häufig nach 1–2 Jahren, zum Teil sogar schon im ersten Jahr. „Im Vergleich zu Datenübertragungssystemen für Schleifleiter oder aufwändigen Kabelinstallationen ist die Kommunikation per Funk meist erheblich preiswerter“, sagt auch Jürgen Weczerek. Das größere Einsparpotenzial liegt aber in den geringeren Installationskosten, der höheren Maschinenverfügbarkeit sowie den deutlich reduzierten Wartungskosten über den gesamten Lebenszyklus. Weiterer Vorteil: Ein drahtloses Netz bringt Flexibilität in viele Betriebsabläufe. Wenn ein Servicetechniker die Maschine von dem Punkt aus warten kann, von dem er den besten Einblick zum Prozess hat, dann führt dies zu wesentlichen Verbesserungen und Kosteneinsparungen.
Bei der Volkswagen-Fabrik in Hannover fiel die Wahl auf Komponenten der Siemens AG. „Bis heute hat sich die Anlage durch störungsfreien Lauf und gute Transparenz bewährt“, hebt Christian Meyer hervor. Verflogen ist für den VW-Mitarbeiter der Elektroplanung die Sorge vor Schleppleitungsbrüchen, die immer wieder zu plötzlich auftretenden und längerfristigen Produktionsausfällen geführt haben. „Die auf Profinet basierende WLAN-Lösung hat uns damit sehr viel Montage- und Installationsaufwand erspart“, sagt Meyer. Das Hochregallager war seit der Inbetriebnahme auch kein einziges Mal nennenswert gestört. Was die Verantwortlichen dazu ermutigt hat, auch in der Endmontage Industrial WLAN-Technik einzusetzen.
Industrielle Funktechniken kommen groß raus

„So zuverlässig wie ein Kabel“

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Nachgefragt

Was leisten die Systeme?
Früher galt „Je größer die Entfernung, desto geringer die Datenrate“. Heute spielt die Entfernung nicht mehr diese entscheidende Rolle.
Ist Wireless in der Automatisierung noch eine Nische?
Nein. Viele Skeptiker haben die Scheu verloren und nutzen die Vorteile wie Ortsungebundenheit beim Service oder verschleißfreie Datenübertragung.
Stärken die Funktechniken die Wettbewerbsfähigkeit?
Ein drahtloses Netz bringt Flexibilität in viele Betriebsabläufe und kann Stillstände verringern. Damit stärken wir die Wettbewerbsfähigkeit der Kunden.
Haben die Lösungen Einfluss auf die Geschäftsabläufe?
Ja, wenn Warenflüsse durch RFID ins Logistiksystem übernommen werden, wenn Stapler über drahtlos angebundene Terminals Fahraufträge bekommen und wenn Wireless-LAN-Stationen nahtlos im Büro und Lager funktionieren.

Marktchancen
Die Funktechnik hat sich als Automatisierungsbereich etabliert und es gibt Anwendungsgebiete, die ohne Wireless überhaupt nicht möglich wären. Gerade aufgrund der durchgängigen Kommunikation sind Prozesse schlanker und schneller zu gestalten. Es können mehr Prozess- und Maintenance-Daten übermittelt werden. Hierdurch ergeben sich positive Einflüsse auf die Wertschöpfungskette. Damit stärkt die Wirelesstechnologie die Wettbewerbsfähigkeit.
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