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„Der Begriff Elite birgt mehr Verpflichtung als Anspruch in sich“

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„Der Begriff Elite birgt mehr Verpflichtung als Anspruch in sich“

„Der Begriff Elite birgt mehr Verpflichtung als Anspruch in sich“
Prof. Dr.-Ing. Günther Schuh ist Direktor des WZL und Inhaber des Lehrstuhls für Produktionssystematik
Die kreativen Vorreiter Prof. Günther Schuh, WZL, und Prof. Raimund Klinkner, Gildemeister, über Entwicklungspartnerschaften, Exzellenzinitiativen und Ideen, um noch mehr junge Leute für die Ingenieurausbildung zu begeistern.

Das Gespräch führte unser Redaktionsmitglied Dietmar Kieser

Deutsche Maschinen sind weltweit gefragte Spitzenprodukte, oft entstanden in enger Entwicklungspartnerschaft zwischen Industrie und Hochschule. Also keine Probleme in der Forschungskooperation?
Klinkner: Probleme nicht, aber sicher noch zahlreiche Potenziale zur Verbesserung. Die Industrie verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele bei der Zusammenarbeit mit Hochschulen und hochschulnahen Einrichtungen: Neben der Rekrutierung von qualifiziertem Nachwuchs wird im Bereich der Forschung eine marktorientierte Kooperation angestrebt. Das klappt, nicht zuletzt dank der Fülle von anwendungsorientierten Instituten und Einrichtungen als Schnittstelle zur Industrie. Heute ist es selbstverständlich, dass Hochschulen Drittmittel einwerben, um sich zu profilieren.
Schuh: Der Forschungsmarkt, das heißt der Wettstreit um Forschungsideen, -projekte und Forschungsmittel hat in Deutschland schon ernsthafte wettbewerbliche Züge. Forschungsmittel des Bundes, der EU, den Ländern, von Stiftungen und anderen werden weitgehend in einem fairen Wettbewerb vergeben und erfüllen das meines Erachtens zumindest für die Ingenieurwissenschaften wichtigste Kriterium immer mehr: die Relevanz. Ingenieurforschung muss relevant für die Industrie sein. Sie muss mittel- bis langfristig einen unmittelbaren Nutzen für die Industrie generieren, was vermehrt durch Verbund- und Gemeinschaftsforschung erreicht wird. Dem WZL kommt diese Entwicklung entgegen. Professor Opitz hat als erster das bis heute wohl erfolgreichste Geschäftsmodell für ein anwendungsorientiertes Ingenieurforschungsinstitut entwickelt, indem er das WZL so aufgestellt hat, dass er für eine breite Schar von kleinen und mittleren Werkzeugmaschinenherstellern und deren Zulieferern eine Art Vorentwicklungsinstitution aufbauen konnte.
Klinkner: Das zweite Ziel der Zusammenarbeit besteht aus Sicht der Industrie in der Rekrutierung von qualifiziertem Nachwuchs. Hier müssen Wissenschaft und Industrie künftig noch enger mit Schulen und anderen Bildungseinrichtungen zusammenarbeiten, damit junge Leute eine für sie richtige Entscheidung treffen. Dies ist vor dem Hintergrund eines seit vielen Jahren bestehenden Ingenieurmangels noch nicht ausreichend gelungen. Heute klafft eine jährliche Lücke von mehr als 10 000 jungen Ingenieurabsolventen zwischen Bedarf und Angebot.
Schuh: Immer noch weit auseinander geht auch die Schere zwischen den Unternehmen, die eng und intensiv mit Forschungsinstituten zusammenarbeiten, und denen, die gar keinen Nutzen daraus ziehen. Es gibt immer noch zu viele Unternehmen in Deutschland, auch unter den größeren Mittelständlern, die Berührungsängste haben oder schlicht keinen Zugang zu unseren Instituten finden. Das WZL und viele andere Institute verstärken deshalb ihre Anstrengungen, noch mehr Kontaktfläche zur Industrie durch Seminare und Tagungen, durch Veröffentlichungen und Presseberichte, durch Leistungsbeschreibungen, Dienstleistungsprodukte und Webauftritt zu verbessern. Wir sind aber da auf die Initiative der führenden Köpfe in der Industrie angewiesen.
Mit Hilfe der Exzellenzinitiative erhalten deutsche Universitäten die Chance, sich stärker an Qualität auszurichten und sich im Wettlauf um die besten Köpfe zu wappnen. Welchen Einfluss nimmt diese Elite-Förderung auf die Kooperation mit der Wirtschaft?
Schuh: Die Exzellenzinitiative hat die deutschen Universitäten modulisiert! Offensichtlich kommt es nicht nur darauf an, was man ist und was man hat, sondern ob man Zukunft konzertiert gestalten will und kann. Insofern hat die Exzellenzinitiative schon in ihrer Vorphase erstaunlich viel bewegt. Wir, das WZL, sind stolz, dass wir unter der Leitung von Prof. Christian Brecher zusammen mit einem sensationellen Team von 18 weiteren Professorenkollegen der RWTH Aachen und einer ganzen Schar von Mitarbeitern als einzige in Deutschland ein unmittelbar produktionstechnisches Exzellenzcluster erfolgreich in die zweite Runde bringen konnten. Unser Exzellenzcluster heißt „Integrative Produktionstechnik für Hochlohnländer“ und hat in der Vorbereitung eine tolle Teamleistung noch deutlich über die schon gute Zusammenarbeit zwischen den vielen großen Aachener Forschungsinstituten hinweg gebracht. Die Wirtschaft wird schon jetzt von der Technologie-Roadmap und den Forschungszielen entlang des geplanten Exzellenzclusters profitieren. Viele führende Unternehmen engagieren sich aktiv in den Exzellenzclustern, wofür wir sehr dankbar sind.
Klinkner: Wie schon gesagt, die Hochschulen stehen am Scheideweg und müssen sich neu positionieren. Der Begriff Elite ist mehrdimensional. Eine Universität, die Nobelpreise sammelt, ist nicht unbedingt praxisnah. Eine fachlich solide Hochschule kann dagegen ein attraktiver Partner für die Industrie sein und exzellente Arbeit leisten. Natürlich ist auch der goldene Mittelweg möglich. Diese Entwicklung ist gut und wird neben Kreativität und Teamgeist vor allem Hochschulen hervorbringen, die sehr genau wissen, was ihr Markt und welches ihr Produkt ist – die Diskussion ist bereits in vollem Gange.
Mit dem Begriff Elite haben die Deutschen so ihre Schwierigkeiten …
Klinkner: … weil das Wort historisch bedingt immer noch negativ besetzt ist; dagegen hilft nur Transparenz: Wenn jeder die gleichen Chancen hat und genau weiß, wie viel Leistung nötig ist, um dazuzugehören, dann wird Elite zum Berufsbild mit genau vorgeschriebener Stellenbeschreibung. Dies verlangt Offenheit: So sollte zum Beispiel die Deutsche Forschungsgemeinschaft ihre Gutachten offenlegen. Nur wenn jeder die Messlatte kennt, nach der Fördermittel vergeben werden, kann auf Dauer Qualität in der Forschung sichergestellt werden.
Schuh: Deshalb nähern wir uns dem Begriff mit solchen Aussagen wie ‚Stärken stärken’ oder Exzellenzclustern oder Leuchttürmen. Dabei ist Elite ein treffender Begriff, der, richtig verstanden, mehr Verpflichtung als Anspruch in sich birgt. So wie wir ganz selbstverständlich Sport- oder Kultureliten anerkennen und zum Vorbild nehmen, wären auch Forschungseliten für unser gesellschaftliches Wertesystem förderlich. Elite ist wegen ihrer Vorbildfunktion wichtig, sie demonstriert Erstrebenswertes, den möglichen Lohn für Ehrgeiz und Anstrengungen und dass man die eigenen Grenzen verschieben kann. Wir sollten Erfinder, erfolgreiche Forscher und Chefentwickler stärker auf ein Schild heben, sie ein bisschen wie Popstars behandeln, und nicht nur, wenn sie Chefentwickler beim erfolgreichsten Formel-1-Rennstall sind. Vielleicht sollte man auch endlich einen Nobelpreis für Ingenieurwissenschaften einführen. Alles das könnte dazu beitragen, noch mehr junge Menschen für Technik und Innovation, für die Ingenieurausbildung zu begeistern. Hier sind wir alle gefordert!
Was können die hiesigen Unternehmen und der deutsche Forschungsbetrieb vom Ausland lernen, um zu siegen?
Schuh: Mainstream statt Seitenarabeske! Wir müssen in unserer Forschung und Entwicklung stärker auf die Hauptbestrebungen der Entwicklung achten und uns nicht zu sehr verzetteln. Das gilt sowohl für das einzelne Unternehmen als auch für die Fördermittelgeber und Projektträger. Das Ausland macht uns teilweise vor, wie man große Forschungsprogramme, etwa in den USA das selbstfahrende Auto, auflegt und übrigens auch angemessen vermarktet. Das hat etwas von der forschungsstrategischen Weitsicht von J. F. Kennedy’s Apollo-Mission Man on Moon. Wir brauchen zusätzlich zu der gerade in Deutschland besonders erfolgreichen Bottom-up-Einzelthemenforschung eine Verstärkung großer strategischer Programme. Die EU-Förderprogramme reichen dazu nicht aus. Die Exzellenzinitiative ist schon mal ein großer Schritt in die richtige Richtung. Hier müssen wir aber bedeutend mehr tun. Japan, die USA oder China zeichnen sich meines Erachtens durch wesentlich stringentere Wirtschafts- und forschungspolitische Strategien und entsprechende Programme aus.
Klinkner: Wir reden hier über wechselnde Rahmenbedingungen, denen wir uns anpassen müssen. Das Ausland, die Globalisierung und der technische Wandel sind kein Feind, den es zu besiegen gilt. Da hilft vor allem kein Jammern und kein Zähneklappern, sondern Rückbesinnung auf die eigenen Stärken. Leistungsdenken und Erfolgswillen sind Tugenden, die im Ausland viel selbstverständlicher thematisiert werden als bei uns. Der Blick über den eigenen Gartenzaun ist sicher nicht verkehrt, doch auch bei uns gibt es schöne Blumen. Wir müssen mehr miteinander reden und voneinander lernen. Solche Initiativen gibt es bereits, ich persönlich unterstütze eine davon: Der MX-Award wurde aus Großbritannien importiert, weil er erfolgreich Unternehmen hinsichtlich ihrer Manufacturing Excellence bewertet und prämiert. Dieser im Vorjahr erstmals in Deutschland verliehene Preis hilft den Firmen durch ein umfangreiches Bewertungssystem, ihre Stärken zu erkennen und Maßstäbe zu setzen.
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