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Der Kampf der Titanen um König Stromkunde ist noch nicht geschlagen

Der alte Energiemarkt gerät mit der Liberalisierung aus den Fugen
Der Kampf der Titanen um König Stromkunde ist noch nicht geschlagen

Auf dem deutschen Strommarkt tobt eine Schlacht um König Kunde. Der kann sich im Augenblick zurücklehnen und den Kampf der Energie-Titanen genüsslich beobachten. Denn noch gehört der Verbraucher zu den Gewinnern. Und noch purzeln die Preise. Doch wie lange wird das so weitergehen?

Uwe Bäse ist Journalist in Berlin

Welche Farbe hat Strom? Etwa gelb, wie uns die Yello Strom GmbH, eine Tochter des Energiekonzerns Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) in Karlsruhe mit ihren originellen Spots einreden will? Oder blau, wie ihn die RWE AG in Essen mit ihrer Marke Privatstrom verkaufen will? Vor einem Jahr wäre diese Frage auf pures Unverständnis gestoßen. Heute wissen mittlerweile die meisten Energieverbraucher, dass damit nicht wirklich die Farbe des Elektronenflusses gemeint ist. Der Werbung sei Dank, sie macht uns klar, dass Strom nicht gleich Strom ist: Ob gelb, blau, grün, sauber oder öko, ob klassisch, Sonderangebot oder zuverlässig. „Darf`s vielleicht etwas mehr sein, für einen kräftigen Rabatt?“
Fast das ganze letzte Jahrhundert hindurch entsprach die staatliche Genehmigung zur Stromherstellung einer Lizenz zum Gelddrucken. Ob private Unternehmen oder öffentliche Elektrizitätswerke, sie alle scheffelten ungeheure Mengen. Als sogenannte Verbundunternehmen oder Regionalversorger: Sie hielten ein sicheres Gebietsmonopol in ihren Händen, dem jeder Verbraucher, ob Großunternehmen, mittelständische Firma oder Kleinbetrieb, absolut ausgeliefert war.
Diese heile Welt für die Strommonopole oder -oligopole gibt es nun nicht mehr. Mit dem novellierten Energiewirtschaftsgesetz von April 1998, das endlich die Liberalisierung der Energiemärkte einleitete, startete zugleich eine neue Ära in der Energiewirtschaft, von der eigentlich heute niemand so recht sagen kann, wohin sie noch führen wird. Strom ist mittlerweile ein Handelsprodukt, wie jede andere Ware, deren Preis sich über Angebot und Nachfrage regelt. Ohne Nachfrage-Macht, gibt es auch keinen Preisnachlass. Deshalb ist es auch kein Zufall, dass die großen Stromverbraucher der Industrie wie BASF, VW oder Daimler als erste von der Liberalisierung profitierten und ihre Liefer-Monopolisten zu Preiszugeständnissen zwangen. Die Stromgiganten wie RWE, VEW (Dortmund), Preussen Elektra (Hannover), Bayernwerk (München), EnBW und selbst der vergleichsweise kleine Ostmonopolist Veag wehrten sich allerdings zunächst vehement. Schließlich setzten sich die Großabnehmer durch: gerichtlich und auch mit Drohungen, sonst billigen Atomstrom westlich vom Rhein über eigene Leitungen ins Land zu holen. Das wirkte. Die Industriekonzerne siegten. Die Strompreise für die Großabnehmer purzelten schon in der ersten Wettbewerbsrunde um bis zu 5 Pf/kWh, auf bis zu 11 bis 13 Pf. Für die kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) hingegen, hatte sich indessen nichts geändert. Die Stromkonzerne waren nach wie vor zu keinen Preisnachlässen bereit.
Stromerzeuger lernen nun, was Wettbewerb heißt
Doch die deutsche Stromwelt sollte bald völlig ins Wanken geraten: Spielverderber und Tabubrecher waren ausgerechnet freche kleine Stromhändler. Einer davon die Berliner Ares Energie AG. Ares sah ihren Markt vor allem bei den KMU und den bei den Privathaushalten. Die eigentliche Revolution brachte der Stromhändler im Juni 1999 mit seinem Billigstrom-Angebot ins Rollen. Der Preis lag um etwa 20 % unter dem üblichen Niveau. Jetzt liegt Ares zwischen 24 und 28 Pf/kWh zuzüglich einem Grundpreis von 5 DM für Haushaltskunden. Nach eigenen Angaben gewinnt der Berliner Stromhändler heute deutschlandweit pro Woche angeblich 1300 Kunden. Für die etablierte Branche glich der Ares-Vorstoß einer Provokation. Der Energieriese RWE gewann als erster wieder die Fassung und nahm die Zügel des Handels in die Hand. Bundesweit startete der Konzern im Juli 1999 eine Kampagne mit seinem „blauen Privatstrom“. Die Kilowattstunde kostete 25 Pf plus 11,57 DM Grundgebühr im Monat. Nun folgten dem Preiskampf weitere Wettbewerber. Die EnBW präsentierte ihren „gelben Strom“ mit nur 19 Pf/kWh und einem Grundpreis von 19 DM. Ausserdem versprach der Energiegigant, sich um alle Wechselmodalitäten vom alten zum neuen Versorger selbst zu kümmern. Damit brachte der Stromanbieter erstmals auch einen besseren Service zusammen mit einem günstigen Preis in das Wettbewerbsangebot. Jetzt holten auch die anderen Konzerne wie Bayernwerk, VEW und Preussen Elektra auf. Aber auch die kleinen Privaten wie die Berliner Bewag und die Regionalversorger wie die E.dis Energie Nord AG in Fürstenwalde (eine Fusion aus vier ostdeutschen Preußen-Elektra-Töchtern) und immer mehr Stadtwerke folgten Schlag auf Schlag mit Strommarken und Billigstrom-Angeboten. Überall im Lande hängen heute Plakate von Yello Strom von Mecklenburg-Vorpommern bis hin nach Baden-Württemberg.
Die Preislawine rollt und rollt bergab. Der Bundesverband der Energieabnehmer (VEA) in Hannover rechnet mit einem Preisverfall bis zu 50 %, nun auch für die KMU und Haushaltskunden. Es überrascht schon, dass der Spitzenreiter unter den Billigstrom-Anbietern für Privatkunden der Internet-Provider Vossnet Communications GmbH in Bremen ist. Vossnet verlangt 18 Pf/kWh und berechnet einen Grundpreis von 9,90 DM. Doch ganz geheuer ist das Angebot nicht, weil die cleveren Stromhändler verschweigen, dass sie eine Bearbeitungsgebühr von 60 DM verlangen. Ein Fall für die Kartellbehörde! Die Strombranche heulte bei den Niedrigpreis-Angeboten auf und sprach von Dumpingpreisen. Vossnet verschweige, woher der Strom komme. Das Beispiel Vossnet zeigt zugleich, dass das Stromgeschäft nicht mehr allein Sache der traditionellen Energieversorger ist. Fast täglich schießen neue Stromhandels-Unternehmen wie Pilze aus dem Boden. Sie kaufen Strom extrem billig auch aus dem Ausland (Atomstrom aus Frankreich oder Wasserkraftstrom aus Norwegen) und verkaufen ihn weiter an Stadtwerke, Regionalunternehmen, KMU oder direkt an Haushalte. Es gibt da die ausgefallensten Kombinationen. So verbünden sich Stromhändler nicht nur mit klassischen Handelseinrichtungen wie Metro, Kaufhof, Praktiker Baumarkt, Pro Markt oder Quelle, sondern auch mit Mobilfunk-Gesellschaften. Entweder wird dort das Kundenpotential genutzt oder die Händler bedienen sich der sogenannten Strompools. Das sind Interessengemeinschaften nicht nur privater Stromhaushalte, sondern zunehmend auch mittelständischer Unternehmen. Im Pool vereinigt, stellen sie eine Marktmacht dar, um günstige Preise auszuhandeln. In Berlin haben sich zum Beispiel mehrere hundert Wohneigentümer zu einem Strompool zusammengeschlossen. Mehr als 80 Firmen der Werkzeugmaschinen-Branche gründetet den „Stromeinkaufsring Bergisches Land“ um Remscheid, inzwischen zählt der vom VEA ins Leben gerufene Interessensverbund mehr als 4500 mittelständische Unternehmen in Deutschland. Der Jahresverbrauch beläuft sich auf etwa 30 Mr kWh. Lieferer ist Preussen Elektra. „Verglichen mit den Verträgen, die vor der Liberalisierung geschlossen wurden, können unsere Mitglieder bis zu 50 Prozent ihrer Stromkosten sparen“, sagte Volker Stuke, Geschäftsführer des VEA. Stuke rechnet mit einem Marktvolumen von etwa 3 Mrd. DM bei einem aus-gehandelten durchschnittlichen Preis unter zehn Pf/kWh. Kunden mit sehr guter Benutzerstruktur – darunter versteht der VEA vergleichsweise große Energieverbraucher – dürften sogar mit einem Preis „deutlich unter 6 Pf/kWh“ rechnen. Allerdings handelten die Mitglieder mit der Veba-Tochter den Preis individuell aus. Der Vertragsabschluß mit VEA habe nur empfehlenden Charakter, erklärt Stuke. Inzwischen können auch KMU beim RWE-Konzern um ein Drittel billiger Strom beziehen. „Das ist der Wettbewerb“, meint Stuke. Ein weiterer Berliner Stromhändler die Ampere AG bündelt das Einkaufsvolumen von einigen zehntausend Handwerksbetrieben in Baden Württemberg. Ampere gibt an, dass im Durchschnitt jeder Poolteilnehmer etwa 40 % an Stromkosten spart. Neuester Coup von Ampere ist der sogenannte Getränkering. Der Energie-Broker gewann bisher etwa 2300 Getränkebetriebe. Die bisherigen Ausgaben dieser Firmen für den Strombezug belaufen sich zusammen auf etwa 24 Mio. DM. Einsparziel hier seien ebenfalls 40 %, sagt Getränke-Ring-Vorstand Rainer Cordes. Der nächste Ampere-Coup ist schon geplant, etwa im Herbst diesen Jahres will Ampere, nach Auskunft von Sprecherin Christel Meusel, einen „Super-Pool“ in Deutschland gründen. Er soll alle Regional-Pools vereinigen. Ziel des Stromhändlers ist die „Marktmacht“. Schon heute zähle Ampere zu den 100 stärksten Stromhändlern der Republik, sagt Meusel.
Um 43 Millionen Verbraucher kämpfen 1000 Stromerzeuger
Der Kampf um König Kunde geht nun in die nächste Runde. Doch es ist ein knallharter Verdrängungswettbewerb. Immerhin kämpfen um die Gunst der 43 Millionen Kleinverbraucher in Deutschland mehr als 1000 Stromerzeuger und -händler.
Außen vor wollen im heißen Wettbewerb um die einst angestammten Gewerbekunden auch die Stadtwerke nicht bleiben. Deshalb bieten auch sie weitaus billigeren Strom als vor der Marktliberalisierung an und entwickeln neue Expansion-Strategien, nach dem Motto: „In fremden Revieren wildern.“ Mittlerweile sind die Stadtwerke schon so mutig, dass selbst den früher mächtigen Regionalversorgern Kunden abspenstig gemacht werden. Das führt teilweise zu regional begrenzten Kleinkriegen: Die heimischen oder angestammten Stromversorger wehren sich mit eigenen Lockangeboten oder verschicken Briefe an wechselwillige Kunden. Dies verärgert wiederum die neuen Marktteilnehmer. Ein Beispiel für diesen Konflikt liefert die Auseinandersetzung zwischen der e.dis Energie AG in Fürstenwalde südlich von Berlin (ein aus vier ostdeutschen Preussen-Elektra-Töchtern fusioniertes Unternehmen) und den Stadtwerken Angermünde (Land Brandenburg). Angermünde hat gemeinsam mit dem finnnischen Energiekonzern Fortum – als Vorlieferant für Strom – der E.dis bereits 20 % der Stadt-Kunden seit Aufnahme des Stromhandels im August 1999 abgejagt. Die E.dis AG kontert mit Hilfe ihres Vorlieferanten und Netzbetreibers Veag Vereinigte Energiewerke AG in Berlin. Der Ostkonzern sperrt nun sein Stromnetz für die Stromdurchleitungen von Fortum. Das darf der Ostkonzern (noch) nach dem Energiegesetz, wenn „Fremdstrom“ die Wirtschaftlichkeit der ostdeutschen Braunkohleverstromung beeinträchtigen könnte. Das befürchtet die Veag nicht nur bei Fortum, sondern gleich bei weiteren hunderten Durchleitungsanträgen. Die Folge davon ist, dass ostdeutsche KMU im Durchschnitt etwa 3 Pf/kWh mehr bezahlen als westdeutsche. Das verärgert vor allem die Ost-Industrie, die darin einen Standortnachteil und eine Wettbewerbsbeeinträchtigung sieht. Doch damit werde der Strom-Wettbewerb in Ostdeutschland nur verzögert, nicht aber verhindert, meint der VEA. Denn Fortum klagt beim Bundekartellamt gegen das Veag-Durchleitungs-Verbot. Die derzeit Gelackmeierten sind vor allem die KMU, denn die Großbetriebe haben E.dis oder Veag ohnehin schon tüchtige Senkungen abgerungen. Energieexperten sind sich einig, dass spätestens bis zum Sommer das Veag-Privileg fallen wird, weil bis dahin der Ostkonzern nicht mehr eigenständig sein wird.
Keine Frage: Noch befinden sich die Energieverbraucher auf der Gewinnerstraße. Energieexperten mutmaßen, dass die Strompreise bis etwa auf die Hälfte des früheren Niveaus gedrückt werden könnten. Diesen Preissturz werden nicht alle Stromproduzenten und Stromhändler überstehen. Die Gewinnmargen dürften immer kleiner werden, das zeigt das schwedische Beispiel. Das nordeuropäische Land ist Deutschland um einige Etappen bei der Energieliberalisierung voraus. Die ersten Energie-Pleiten hierzulande werden schon für Ende dieses Jahres vorausgesagt. Überleben werden nur die Unternehmen, die auch große Strommengen verkaufen. Insofern wird sich der Markt wie in jeder anderen Branche selbst bereinigen.
Die deutschen Stromkonzerne haben den Wettbewerb angenommen und sich auf die nächsten großen Wettbewerbs-Schlachten eingestellt. Ihre Strategie heißt derzeit Groß-Fusion. So wollen Veba (Preussen Elektra) und Viag (Bayernwerk) sowie RWE und VEW zusammengehen. So werden vermutlich noch in diesem Jahr drei Mega-Konzerne entstehen, die versuchen werden, den Energie-Markt unter sich auszuboxen.
Diese Elefantenhochzeiten sind zugleich Antwort und Ergebnis der rapide verlaufenden Liberalisierung der Energiemärkte. Der Drang, die einstige Vormachtstellung zurückzugewinnen ist ungebremst. Die jetzt zwischen den Energie- und Industrieverbänden ausgehandelte sogenannte Verbändeverordnung, sie soll die Durchleitung durch „fremde“ – Netze regeln -, kommt dem Anliegen der Großen sehr entgegen. Nach der Vereinbarung wird Deutschland in zwei Handelszonen (Nord- und Südzone) für Strom aufgeteilt. Wer Strom aus einer anderen Zone „importiert“, muss eine Gebühr bezahlen. Die fusionierten Konzerne sind da gut raus. Sie selbst sind in beiden Zonen außerordentlich präsent und erheischen sich dank ihrer Vormachtstellung eine Art Hausprivileg. Eine interessante Konstellation, um die Marktbeherrschung durch die Hintertür auf Dauer zu sichern oder wieder zu erlangen, meint auch VEA-Chef Stuke.
Mehr zur Verbändevereinbarung finden Sie im Internet unter
Hilfe zur Selbsthilfe: VEA: Bundesverband der Energie-Abnehmer e.V.
Der VEA versteht sich als eine von allen Energieanbietern unabhängige Selbstorganisation der deutschen Wirtschaft. Sein Ziel ist eine sachkundige und preiswerte Energieberatung und Interessenvertretung. Im Mittelpunkt der Beratungen steht die Senkung der Energiekosten z.B. durch betrieblich-technische Energieeinsparungen oder tarifliche bzw. vertragliche Vorzugsregelungen. Mitglied des VEA sind derzeit mehrere tausend Industrie- und Handelsunternehmen, aber auch öffentliche Einrichtungen mit mehr als 15 000 Werken und Abnahmestellen im gesamten Bundesgebiet. Der Verband unterhält Geschäftsstellen in Hannover, Cottbus (Brandenburg) und Wiesbaden. Der VEA beschäftigt technische, kaufmännische und volljuristische Mitarbeiter. Die Mitglieder dürfen folgende Leistungen in Anspruch
nehmen:
– Beratung bei Abschluss von Energie- und Wasserlieferungsverträgen
– Laufende Prüfung der Energie- und Wasserbezugsrechnungen
– Verhandlungen mit Energie- und Wasserlieferanten
– Betriebsberatungen zur bestmöglichen Nutzung der vertraglichen Möglichkeiten
– Beratungen zum rationellen Energieeinsatz
– Erfahrungsaustausch in Arbeits- und Seminaren
– Wahrnehmung der gemeinsamen energiewirtschaftlichen Interessen
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