Startseite » Allgemein »

Die Baustelle Europa ist für clevere Chefs heute schon ein Top-Markt

EU-Erweiterung: Zehn Beitritts-Kandidaten machen wahrscheinlich das Rennen
Die Baustelle Europa ist für clevere Chefs heute schon ein Top-Markt

Die Chancen für die mittelständische Wirtschaft sind durch den EU-Beitritt weit größer als die Risiken, sagen Experten. Unternehmer lassen Ost und West heute schon zusammenwachsen.

Von unseren Redaktionsmitgliedern Iris Frick, Jens-Peter Knauer und Tilman Vögele-Ebering – tilman.voegele@konradin.de

Manfred Dollinger muss nicht lange nachdenken auf die Frage, was die Erweiterung der Europäischen Union Richtung Osten bringen wird: fast nur Gutes. „Das ist eine große Chance für uns alle, sowohl wirtschaftlich als auch politisch“, sagt der Geschäftsführer der ABM Antriebstechnik Greiffenberger GmbH entschieden.
Die Greiffenberger-Gruppe hat ihren Stammsitz im bayrischen Marktredwitz, etwa 20 Autominuten von der tschechischen Grenze entfernt. Für die Menschen dort ist das Zusammenleben mit den Nachbarn im Osten Alltag. Die EU und der Beitrittskandidat wachsen dort jeden Tag ein Stück zusammen. Die Unterschiede schwinden: Jenseits des Schlagbaums in Tschechien kostet das Benzin in der Grenzregion schon so viel wie in der Bundesrepublik.
Dollinger sieht dem großen Binnenmarkt hoffnungsfroh entgegen, der sich mit der EU-Erweiterung auftun wird: „Es wird noch selbstverständlicher als heute, gemeinsam Geschäfte abzuschließen“, sagt er. Von den neuen EU-Mitgliedern in Mittel- und Osteuropa erwartet er mehr Chancen auf Wachstum. Auch einen besseren Zugang zu den weiteren Märkten im Osten erhofft sich der Firmenchef. Dollinger: „Das kann die Wirtschaft dringend brauchen, bei unseren derzeitigen Struktur- und Konjunkturproblemen.“
Vielleicht ist es schon im Sommer 2004 soweit. Die Voraussetzungen für eine so genannte große EU-Erweiterung in drei Jahren mit zehn Teilnehmern haben sich verbessert: So lautet das Fazit des jüngsten Fortschrittsberichtes der EU-Kommission vom November. „Wir befinden uns auf der Zielgeraden“, kommentiert Jean-Christophe Filori, Sprecher des Erweiterungskommissars Günther Verheugen.
Ursprünglich haben 13 Länder an die Tür der Europäischen Gemeinschaft geklopft. Zehn Staaten „liegen nun außerordentlich dicht beisammen“, so Filori, wenn es darum geht, die Beitrittskriterien zu erfüllen. Gefragt sind unter anderem politische Stabilität, eine funktionierende Marktwirtschaft, eine stabile Verwaltung sowie Rechtsstaatlichkeit. Die EU-Kommission zählt vier Ländergruppen auf, die sich mittlerweile gebildet haben:
  • 1. Zypern und Malta sind praktisch beitrittsreif.
  • 2. Estland, Lettland, Litauen, Polen, die Slowakei, Slowenien, die Tschechische Republik und Ungarn sind wettbewerbsfähig, doch weitere Maßnahmen sind erforderlich.
  • 3. Bulgarien werde mittelfristig den Kräften des Binnenmarktes standhalten. Dagegen erfüllt Rumänien laut EU bislang keines der Kriterien.
  • 4. Die Türkei sei auf dem Weg zur Marktwirtschaft nicht vorangekommen; trotz der Verfassungreform würden weiterhin Menschenrechte missachtet, urteilt der Bericht. Sorgen bereite zudem die Kurdenpolitik und die Zypernfrage.
Auch von den Top-Zehn-Staaten fordert die Erweiterungskommission noch einiges. Die Korruption soll besser bekämpft werden, heißt es. Ein anderes Thema ist der Frauen- und Kinderhandel sowie die Lage der Roma. Außerdem hätten viele Länder Probleme, moderne Verwaltungssys-teme aufzubauen. Agrarpolitik, Kapitalverkehr und Strukturfonds sind ebenfalls Verhandlungskapitel, die den Zeitplan mit dem Ziel 2004 gefährden.
Der Binnenmarkt funktioniert außerdem nur, wenn in allen Ländern die gleichen Wettbewerbsregeln gelten, wenn Normen und Auflagen übereinstimmen. Dr. Wolfgang Quaisser vom Osteuropa-Institut in München befürchtet: „Die tatsächliche Umsetzung wird Schwierigkeiten bereiten und ist nicht einfach zu überprüfen.“
Der Münchner Wirtschaftswissenschaftler warnt vor übertriebenen Erwartungen an den Beitritt. War vor einigen Jahren noch von einem wirtschaftlichen „Big Bang“ die Rede, erwarten Fachleute heute einen eher sanften Prozess. „Es wird keinen Urknall geben“, ist sich Quaisser sicher. Denn die Liberalisierung sei schon sehr weit fortgeschritten, beispielsweise im Güterverkehr, im Handel und im Kapitalverkehr. Beitrittshilfen sowie Übergangsfristen werden die kurzfristigen Effekte abschwächen. Die positiven Folgen entstünden langfristig dadurch, dass nicht-tarifäre Handelshemmnisse beseitigt werden, dass Grenzkontrollen wegfallen, Arbeitnehmer Freizügigkeit genießen und die Länder politisch eingebunden werden.
Die Wirtschaft wächst bereits seit der Ostöffnung zusammen. Viele Mittelständler nutzen die Nachbarländer selbstverständlich als verlängerte Werkbank. Ganz vorne ist die Automobilindustrie: Auf den Straßen fahren Skodas aus dem tschechischen Mlada Boleslaw und Audis aus Györ in Ungarn. Die MOE-Länder wickeln einen Großteil ihres Außenhandels mit der EU ab. Die fünf wichtigsten Partnern der Bundesrepublik im Osten haben fast ausgeglichene Handelsbilanzen: Polen, Tschechische Republik, Ungarn, Slowenien und die Slowakei.
Michael Pfeiffer, Leiter des Fachbereichs Außenwirtschaft beim Deutschen Indus-trie- und Handelskammertag (DIHK) in Berlin, betont die Vorteile für Mittelständler. Für sie soll es einfacher und risikoärmer werden, in den Beitrittsländern fertigen oder sich zuliefern zu lassen. Mit den gleichen Rechtsgrundlagen und der gemeinsamen Währung werde eine Markttransparenz entstehen, die eine ganz neue Dynamik mit sich bringt, betont der DIHK-Mann. Schon heute sollten sich Unternehmer auf das wahrscheinlichste Szenario einstellen – die große Erweiterung mit zehn neuen Mitgliedern.
Der Außenwirtschaftsexperte fordert: „Wichtig ist, dass die EU schleunigst ihre Strukturreformen verwirklicht.“ Denn eine Gemeinschaft mit zehn neuen Mitglieder wird nicht mehr regierbar sein, sind sich Insider sicher. Das Prinzip, Beschlüsse nur einstimmig fassen zu können, muss kippen, fordert nicht nur der DIHK. Bislang ist es so: Schert ein Land aus, ist kein Beschluss möglich. „Es geht auch nicht mehr, dass jedes Land einen eigenen Kommissar, sprich Minister, in der europäischen Regierung hat“, warnt Pfeiffer. Dass die Wirtschaft des Hochlohnlandes Deutschland unter der Konkurrenz aus dem Osten leiden könnte, befürchtet der DIHK-Experten nicht. „Wir sind eines der exportstärksten Länder und eines der wettbewerbsfähigsten weltweit. Wir brauchen keine Angst zu haben.“
Diese Ansicht vertritt auch der Chef von ABM Greiffenberger Dollinger. Der Geschäftsführer kennt die Ängste seiner Mitarbeiter um ihre Arbeitsplätze gut. Lohndumping bräuchten sie aber nicht zu befürchten, versichert er. Das Unternehmen sei an seinem deutschen Standort wettbewerbsfähig. Periphere Bearbeitungsvorgänge würden schon lange ausgelagert, wenn es der Qualität nicht schadet. Dollinger: „Spätestens seit der Ära Lopez bei VW vor zehn Jahren leben wir in einer internationalisierten Beschaffungswelt. Da ändert der EU-Beitritt nicht mehr so viel.“
Die neue EU wird ohne Reformen unregierbar
Unsere Whitepaper-Empfehlung
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 7
Ausgabe
7.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de