Startseite » Allgemein »

Die jungen Wilden werden zahm

Chancen und Risiken in den Ost-Märkten
Die jungen Wilden werden zahm

Die mittel- und osteuropäischen Staaten wollen in die EU. Der Weg dorthin ist beschwerlich, doch Reformfortschritte sind bei allen Kandidaten zu beobachten.

Susanne Schwab ist Journalistin in Reutlingen

Die Länder Mittel- und Osteuropas (MOE) entwickeln sich zunehmend zu einer Wachstumsregion, die international orientierte Unternehmen anzieht. Im Wettlauf um die zukunftsträchtigen neuen Absatz- und Liefermärkte werden nach Ansicht von Experten diejenigen gewinnen, die rechtzeitig vor Ort sind und zusätzlich Zugriff auf lokales Markt-Know-how haben. Seit 1992 haben ausländische Unternehmen mehr als 70 Mrd. US-$ in den mittel- und osteuropäischen Staaten investiert und zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Den Angaben zufolge lag Polen mit rund 30 Mrd. US-$ seit Reformbeginn an der Spitze der Direktinvestitionsempfänger, da das Land mit über 40 Millionen Einwohnern den lukrativsten Absatzmarkt in MOE bietet. Nach Ungarn flossen etwa 20 Mrd. US-$. Anschließend folgen die Tschechischen Republik mit knapp über 8 Mrd. US-$ und Rumänien mit rund 3,7 Mrd. US-$.
Vor allem Deutschland konnte seine Position als wichtigster Handelspartner der mittel- und osteuropäischen Unternehmen bis heute ausbauen und festigen. Auf den Märkten von morgen präsent zu sein, ist das Ziel der der Investitionswilligen. An der Umsetzung arbeiten die Reformstaaten.
Alles eitel Sonnenschein? Nicht ganz. Nach wie vor stoßen die Investoren auf
– komplizierte, uneinheitliche Steuersysteme,
– bürokratische Einfuhrvorschriften,
– langwierige Produktzulassungsverfahren und
– Beschränkungen beim Land-Erwerb.
Doch auch hier kommen die MOE-Staaten in Zukunft nicht um umfangreiche Reformen herum. Denn: Rund ein Jahrzehnt nach dem politischen Umbruch in Mittel- und Osteuropa stehen jetzt zehn der Staaten zwischen Ostsee und Adria vor der Tür der Europäischen Union. Um eingelassen zu werden, müssen die jungen Marktwirtschaften ausreichend wettbewerbsfähig sein und die Rechtsvorschriften der Europäischen Union übernehmen.
Zehn Jahre Reformen haben zwar entscheidende Fortschritte in den MOE-Ländern mit sich gebracht, zwei Ergebnisse jedoch überschatten die Bilanz der Transformation:
– Die russische Finanzkrise, und
– der Kosovo-Krieg
Sechs aussichtsreiche EU-Beitrittskanditaten sind die Länder Polen, Tschechien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und die Slowakei.
Polen
Die polnische Wirtschaft hat die Russlandkrise überwunden. Die Privatisierung schreitet dynamisch voran, der Weg zum EU-Beitritt ist gekennzeichnet durch kontinuierliche, wenn auch mühsame Fortschritte.
Trotz Asien- und Russlandkrise ist das Vertrauen der ausländischen Investoren in die polnische Wirtschaftsentwicklung ungebrochen.
Ein Grund dafür ist die Möglichkeit, zügig und problemlos Unternehmen zu gründen. In der Regel ist keine Genehmigung/Konzession erforderlich. Die Einkommensteuer liegt zwischen 19 % und 40 %. Unternehmen erhalten Steuer-ermäßigungen durch abzugsfähige Investitionen; im Regelfall bis zu 20 % des zu versteuernden Einkommens.
Der Erwerb von Grund und Boden ist nur mit Genehmigung möglich. Üblich sind Erbnießbrauchsverträge.
Der Außenhandel ist weitgehend liberalisiert. Für Industriegüter aus der EU werden keine Importzölle verlangt. Exportzölle werden grundsätzlich nicht verhängt. Für Waren, die Gegenstand internationaler Abkommen sind muss eine Importgenehmigung vorliegen. Durch seine Nähe zu Europa und die Mitgliedschaft in der Nato gilt Polen als relativ krisensicherer und wirtschaftsstarker Markt.
Tschechien
Politische Turbulenzen haben die Industrie der Tschechischen Republik im Herbst letzten Jahres geschwächt und die wirtschaftliche Aufholjagd des EU-Kandidaten jäh gebremst. Vor allem die Strukturreformen im Bankenbereich, die Privatisierung der Großunternehmen und der Abbau des Leistungsbilanzdefizits stehen jetzt auf der Agenda.
Die Kritik der EU richtet sich unter anderem an die verbesserungsbedürftigen Gesetze bezüglich Korruption, Copyright, Datenschutz und Umweltschutz. Auch die reformbedürftige öffentliche Verwaltung, die Verflechtung der Banken mit den Firmen und das Mehrwertsteuersystem werden bemängelt.
Generell sind Investitionen in allen Bereichen möglich. Ausländer können jedoch kein Grundeigentum erwerben. Die Importzölle im Außenhandel liegen zwischen 0 % und 20 %, der Durchschnittszoll bei 3,2 %. 70 % der Importe aus der EU sind zollfrei. Exportzölle müssen derzeit noch nicht bezahlt werden.
Zollfrei ist der Import von Investitionsgütern und persönlichem Vermögen für Auslandsunternehmen und Joint Ventures für zwei Jahre. Zusätzlich wurde ein Investitionsförderpaket für kleinere Projekte geschnürt.
Slowakei
In der Slowakei hat die Regierung ein radikales Stabilisierungsprogramm eingeleitet, das Budgetdefizit verringert und das Leistungsbilanzdefizit 1999 um die Hälfte reduziert. Die klare Orientierung gen Westen hat die Chancen der Slowakei auf EU-Mitgliedschaft rapide verbessert.
Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, hat die Regierung Investitionsförderungsmaßnahmen eingeleitet, um Anreize für ausländische Direktinvestoren zu bieten. Angestrebt wird der Ausbau des Kapitalmarktes, ein effizienter Umgang mit Konkursen und das Privatisieren der Banken.
Kernpunkte der Investitionsanreize sind unter anderem eine fünfjährige Steuerbefreiung, der Wegfall der Einfuhrabgaben auf Maschinen sowie der Verzicht auf Mehrwertsteuer bei importierten Maschinen. Weitere Fördermöglichkeiten bestehen durch Lohnkostenbeihilfen in strukturschwachen Regionen und mögliche Kredite für Infrastrukturmaßnahmen.
Ausländische Unternehmen können in alle Bereiche investieren, Genehmigungen sind so gut wie nicht erforderlich.
Auch in der Slowakei können Ausländer nur Gebäudeeigentum erwerben. Die durchschnittlichen Importzölle liegen bei 5 %.
Ungarn
Ungarn ist einer der fortschrittlichsten EU-Beitrittskandidaten. Wichtige Aufgaben wie die Reform des Gesundheitssystems, der Kommunalverwaltungen oder der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur stehen noch an.
Das Wachstum der ungarischen Wirtschaft bleibt nach Expertenangaben jedoch weiter dynamisch: 1999 stieg das Bruttoinlandsprodukt um 4,5%. Wichtigster Handelspartner sowohl im Import als auch im Export ist Deutschland.
Ungarns Stärke sind konsequente Strukturreformen auf Unternehmensebene. Seit 1998 sind fast alle Großunternehmen privatisiert. Die Investoren können bis zu 100 % der Anteile an ungarischen Unternehmen erwerben. Steuervergünstigungen bis maximal 100 % für höchstens zehn Jahre erhalten Investoren in wirtschaftlich unterentwickelten Regionen.
Grund und Boden können grundsätzlich auch ausländische Gesellschaften erwerben, Unternehmen ungarischen Rechts sogar ohne Genehmigungspflicht.
Der Außenhandel ist zu 90 % liberalisiert. Der Durchschnittszoll liegt bei 15 %. Bei Import- und Exportgeschäften ist eine Anmeldung erforderlich. Ungarn verlangt außerdem Zollabfertigungsspesen von 2 %.
Rumänien
Rumänien gehört zu den Sorgenkindern in Mittel- und Osteuropa: Die Wirtschaft kommt nicht so recht in Schwung, das Bruttoinlandsprodukt schrumpft und die instabile politische Lage des Landes erschwert die Umsetzung der notwendigen wirtschaftlichen Reformen.
Unternehmen beklagen in der Zusammenarbeit mit Rumänien überdurchschnittlich viele Rechtsstreitigkeiten und bürokratische Hemmnisse. Als sehr ungünstig wurde auch die Aufhebung der Visaerteilung an rumänischen Flughäfen seit Januar dieses Jahres beurteilt.
Trotz der schlechten wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen legt Rumänien Wert darauf, Deutschland als wirtschaftlichen Partner zu erhalten.
Beteiligungen ausländischer Investoren an rumänischen Gesellschaften sind zu 100 % möglich. In der Regel sind keine Genehmigungen erforderlich, außer für sensible Bereiche wie Banken, Versicherungen, Telekommunikation und Energie.
Die Importzölle liegen meist zwischen 10 % und 30 %. Die Importe sind mehrwertsteuerpflichtig. Von Vorteil ist der zollfreie Import von Maschinen und Ausrüstungen zur Produktion in ausländischen Gesellschaften.
Bulgarien
Die wirtschaftliche Entwicklung Bulgariens zeigt trotz der vorhandenen Einflüsse der Russlandkrise klar nach oben. Die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen haben sich im Vergleich zu früheren Jahren deutlich verbessert.
Dennoch gibt es für ausländische Unternehmen, die in Bulgarien investieren wollen, einige Kritikpunkte: Die Sozialabgaben für bulgarische Mitarbeiter sind zu hoch und Schwarzmarktaktivitäten behindern die Tätigkeit vor allem im Handel. Auch im Bankenbereich gestaltet sich die Kreditvergabe wegen der äußerst zurückhaltenden Praxis der bulgarischen Banken als schwierig.
Ebenfalls kritisiert wurden die fehlende Zahlungsmoral und eine nicht unbeachtliche Wirtschaftskriminalität im Land, die das Investitionsvorhaben zahlreicher ausländischer Unternehmen blockiert.
Wer Bulgarien als Investitionsstandort wählt, erhält Steuervergünstigungen für Joint Ventures mit einem Auslandsanteil über 50 % und einem Eigenkapital von mindestens 5 Mio. US-$. Dagegen wird eine Zollgebühr für vorübergehend eingeführte Investitionsgüter erhoben, was die Realisierung von Großprojekten in hohem Maße erschwert.
Unsere Webinar-Empfehlung
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 7
Ausgabe
7.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de