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Die kleine Aktiengesellschaft ist nichts für große Patriarchen

Kleine AG: Neue Rechtsform dreht Geldhähne für Mittelständler und Startups auf
Die kleine Aktiengesellschaft ist nichts für große Patriarchen

Die neue Rechtsform „kleine AG“ bietet für Mittelständler unschlagbare Möglichkeiten, Kapital zu beschaffen und Mitarbeiter zu beteiligen. Außerdem ermöglicht sie bei langfristig geplanten Nachfolgeregelungen eine optimale Trennung von Management und Kapital.

Von unserem Redaktionsmitglied Tilman Vögele-Ebering

Für die so genannten .com-Unternehmen gehört es in Deutschland mittlerweile zum guten Ton: Schon vom Start weg wählen sie die Rechtsform der Aktiengesellschaft. Wer schnelles Wachstum finanzieren will, muss es den Kapitalgebern so einfach wie möglich machen – vor allem wenn das Nahziel Börse heißt. Seit der Lockerung des Gesetzes über die Aktiengesellschaft erlebt diese Rechtsform eine Renaissance. Der magische Begriff heißt „kleine AG”, also eine private, nicht börsennotierte Gesellschaft. Diese Form eignet sich nicht nur für die Startups. Die Zahl der mittelständischen GmbH und GmbH & Co. KG, die sich in die neue Rechtsform umwandeln, steigt ebenfalls.
Eine davon ist seit letztem Sommer die Kratzer Automation AG aus Unterschleißheim. Sie ist typisch für etablierte Betriebe, die sich von der GmbH in eine AG umwandeln. „Es war einfach Zeit, Rechtsform und Satzung an die Weiterentwicklung des Unternehmens anzupassen”, erzählt Vorstand Gerhard Kratzer. Innerhalb von 20 Jahren war aus einem Ingenieurbüro ein Unternehmen mit 25 Mio. DM Umsatz und 120 Mitarbeitern geworden. Kratzer: „Die GmbH mit ihrem Gesellschaftervertrag hatte immer noch einen Charakter, der auf das Gründer-Team von drei Mann ausgerichtet war. Das war einfach nicht mehr zeitgemäß.”
Der Firmenchef verfolgte durch die Umwandlung im vergangenen Sommer die klassischen Ziele: Mitarbeiter beteiligen, Managementnachfolge regeln und Eigenkapitalbasis am Kapitalmarkt stärken. Wichtig ist dem Vorstand die zukünftige Trennung von Kapital und Management. Er macht kein Hehl daraus, dass er sich mittelfristig auf einen Aufsichtsratsposten zurückziehen will. Um gutes Fremdmanagement in die Firma zu holen, sei die AG einfach attraktiver, sagt der Mittelständler. Zum einen ist die unkomplizierte Mitarbeiterbeteiligung ein Anreiz, um die Führungskräfte zu binden. Zum anderen ist der Inhaber eines Vorstandspostens unabhängiger. Kratzer: „Ein GmbH-Geschäftsführer hängt viel mehr an der Gesellschafterkette als ein AG-Vorstand.” Grund sind die unterschiedlichen Rechte und Pflichten der Manager: Während der AG-Vorstand das Unternehmen in eigener Verantwortung führt, ist der angestellte GmbH-Chef an die Weisungen der Gesellschafter gebunden. Sind sich die nicht einig, treten Geschäftsführer und Betrieb auf der Stelle.
Die Idee, die Rechtsform zu wechseln, sei ihm schon Anfang der 90er Jahre gekommen, als sich das Unternehmen strategisch neu ausrichtete. Die Softwareschmiede konzentrierte sich damals auf die Kernkompetenz Automation, und die Struktur sollte unabhängig von den Gründern werden.
Heute ist der Betrieb in vier Bereiche gegliedert: Automationslösungen für die Fertigungsindustrie (Automobil und Elektronik), für die verfahrenstechnische Industrie, Logistik-Dienstleistung und den Bereich Service. Vier Geschäftsbereichsleiter führen diese Segmente als Profit-Loss-Verantwortliche. „Die sollen weitere Perspektiven im Unternehmen haben”, so Kratzer.
Führungskräfte sollen Perspektiven in der Firma haben
Für alle Mitarbeiter hat der Automationsspezialist ein Belegschaftsaktien-Programm aufgelegt. Das Echo der Angestellten darauf sei durchweg positiv gewesen, nachdem sie das Ganze zuerst kritisch hinterfragt hätten. Nach einem guten halben Jahr sind 60 % der Mitarbeiter Aktionäre des Unternehmens. Gut 5 % beträgt mittlerweile der Kapitalanteil, den die Beschäftigen halten. Eine Staffelung nach Dauer der Betriebszugehörigkeit sowie ein erhöhtes Kontingent für die vier Leiter der Unternehmensbereiche regelt, wieviele Anteile der einzelne Mitarbeiter jeweils maximal halten darf.
Mittelfristig will Kratzer die Eigenkapitalausstattung durch einen Börsengang verbessern. Alternativ dazu schließt er eine strategische Beteiligung durch einen Partner nicht aus. Schon bei der Umwandlung habe man das Eigenkapital vervierfacht, was dem Betrieb bei Produktentwicklung und Expansion den Rücken freihält.
Vor dem Jahr 1994 war die Rechtsform Aktiengesellschaft vom Gesetz her auf Großunternehmen, auf börsennotierte Publikumsgesellschaften, ausgerichtet. Seit der letzten großen Aktienrechtsreform 1965 ist die Anzahl der AG in Deutschland stetig zurückgegangen. Damals wurden die Rechte der Hauptversammlung und der Aktionäre gestärkt sowie die Publizität verbessert. Die Folge: Aktiengesellschaften wurden in Deutschland zu einer Rarität. Gab es im Jahr 1960 noch knapp 38 000 Unternehmen mit dieser Firmierung, waren es 1992 nur noch 2682. Seit der Deregulierung 1994 und der kleinen AG geht es wieder kontinuierlich aufwärts. Laut der Statistik der Deutschen Bundesbank waren im Dezember 1999 genau 7375 Aktiengesellschaften in den Handelsregistern eingetragen, Tendenz weiter steigend.
Wenngleich die Gesetzesväter in erster Linie die Kapitalaufnahme und die Mitarbeiterbeteiligung für Mittelständler erleichtern wollten, entwickelt sich diese Rechtsform in der Praxis zu einem Allzweckinstrument. „Gerade für die Nachfolgeregelung bietet die kleine AG interessante Möglichkeiten”, erklärt Andreas Sattler, Vorstand der Unternehmensberatung Sattler & Partner AG in Schorndorf. Der Consulter berät Unternehmer, die ihre Firmierung GmbH oder GmbH & Co. KG durch den Begriff Aktiengesellschaft ersetzen wollen. Der Schritt will wohl überlegt sein. „Es lohnt sich nur, wenn der Unternehmer wirklich die Vorteile dieser Rechtsform nutzen kann”, meint Sattler. Der AG-Chef in spe müsse sich zuerst fragen: „Will ich wirklich so die Nachfolge regeln? Will ich wirklich so Kapital aufnehmen? Kann ich mir einen Aufsichtsrat leisten?” Die AG hat nicht nur Vorteile; der Verwaltungsaufwand ist trotz der gelockerten Vorschriften größer als bei der GmbH.
Was die AG für wachstumsorientierte Firmen so attraktiv macht, sind die guten Möglichkeiten, Eigenkapital zu beschaffen, wie Unternehmensberater Andreas Sattler betont. Doch hat die Erfahrung gezeigt, dass dies nicht jedermanns Sache ist. Psychologisch ist es für einen Patriarchen alten Schlages nicht einfach, andere Miteigentümer neben sich zu haben. „Wer damit nicht klar kommt, dass ihm nach Mitarbeiterbeteiligungs-Programm und Emission nur noch 60 oder 70 % der Firma gehören, für den ist die AG der falsche Weg.” Für den Unternehmensberater selbst heißt die Devise, lieber die Möglichkeiten des Kapitalmarktes nutzen und Eigenkapital beschaffen. An seinem eigenen Unternehmen ist ein strategischer Partner mit 25 % beteiligt. „Ich gebe lieber Anteile ab und habe Geld, als ständig zur Bank zu gehen und Fremdkapitalzinsen zu bedienen.” Nicht zuletzt sichert die ausreichende Kapitalisierung die wirtschaftliche Selbstständigkeit: Denn in konjunkturell frostigen Zeiten zittert mancher Unternehmer unter einer zu dünnen Eigenkapitaldecke und wird zum Verkauf der Firma gezwungen.
Neben Belegschaftsaktien und Börsengang weist Berater Sattler auf eine weitere Möglichkeit hin, um Aktien unters Volk zu bringen: die sogenannte außerbörsliche Emission. Dabei werden von einem Wertpapierhandelshaus die Anteile an den Anleger gebracht – ohne auf einem der staatlich kontrollierten Börsenplätze ständig gehandelt zu werden. „Diese Möglichkeit ist noch viel zu wenig bekannt”, meint der Consulter. Der Umfang solcher Emissonen liegt meist bei 500 000 DM bis 10 Mio. DM an Zuflüssen, und das ohne den Aufwand eines richtigen Börsengangs.
Aufsichtsräte bringenzusätzlichen Nutzen fürs Unternehmen
Ein weiterer Vorteil der Aktiengesellschaft ist, dass die Mitspracherechte der Miteigentümer gesetzlich klar geregelt sind. Dies zahlt sich laut Sattler bei Belegschaftsaktienprogrammen aus. Denn wer bei der GmbH beispielsweise seine Führungskräfte dadurch binden will, dass er sie als GmbH-Gesellschafter an der Firma beteiligt, kann ein böses Erwachen erleben. „Wenn sich das Verhältnis trübt, kann der Mitgesellschafter das ganze Unternehmen lähmen”, warnt der Berater. Nach den GmbH-Spielregeln wie der uneingeschränkten Auskunftspflicht gegenüber den Mitgesellschaftern ist ein Geschäftsführender Gesellschafter nie davor sicher, dass sich der Hauptgesellschafter ins Tagesgeschäft einmischt.
Die Umwandlung einer GmbH oder einer GmbH & Co. KG in eine AG verläuft in der Regel ohne große Probleme, wie Sattler aus seiner Praxis berichtet. Es gibt nur wenige Ausschlusskriterien. Das Unternehmen muss wirtschaftlich gesund sein, außerdem sollte der letzte Bilanzstichtag nicht zu weit zurückliegen. Sonst heißt es abwarten, bis das neue Geschäftsjahr begonnen hat. Der Wechsel der Rechtsform durch Umwandlung verursacht keine steuerlichen Probleme, es werden keine stillen Reserven aufgedeckt, und auch eine Zwischenbilanz ist nicht nötig. Nach der GmbH-Bilanz des Vorjahres ist der nächste Abschluss einfach die erste Bilanz als AG. Die Kosten für die Umwandlung liegen laut Sattler bei Standardfällen mit durchschnittlich 45 000 bis 100 000 DM durchaus im Rahmen.
Auf eine wichtige Änderung muss sich der frischgebackene AG-Vorstand allerdings einstellen: den Aufsichtsrat, der zwingend vorgeschrieben und nach wie vor mit mindestens drei Mitgliedern zu besetzen ist. Sattler betrachtet dieses Instrument nicht als lästige Formalität, sondern durchweg positiv: „Für den Vorstand besteht so eine Vorschrift, sich zweimal jährlich mit kompetenten Leuten abzustimmen.” Wichtig ist allerdings, dass die Aufsichtsräte wirklich für ihren Job qualifiziert sind. „Die kosten ja auch richtig Geld und sollen einen zusätzlichen Nutzen bringen”, erklärt Sattler. Zwischen 22 000 und 40 000 DM sind jährlich für ein entsprechend zusammengesetztes Gremium fällig.
Andreas Sattler hat für die Zusammensetzung des Gremiums eine Faustformel: Ein Mitglied sollte die Funktion eines Multiplikators ausfüllen können. Das zweite soll sich mit den AG-Gepflogenheiten auskennen, zum Beispiel als Unternehmensberater oder Jurist. Der dritte Aufsichtsrat sollte – vor allem wichtig für Jungunternehmer – ein erfahrener Firmenchef sein, der Coaching-Funktionen übernehmen kann. Sattler: „Wer ein 50-Mann-Unternehmen führt, benötigt einen aus einem 500-Mann-Unternehmen.” Auch bei der Kratzer Automation AG in Unterschleißheim ist die Besetzung des Aufsichtsrats ein wichtiges Thema. Zwei Posten sind derzeit noch mit Mitgliedern der Familie besetzt, der dritte mit einem Management-Experten. Vorstand Gerhard Kratzer hat aber vor, sich zwei weitere Fachleute in das Gremium zu holen. Jemanden, „der sich in der Kapitalszene auskennt”, wie er sagt, hat er im Blick. Außerdem denkt er an ein Mitglied, das von der Kundenseite kommt, „mit Kontakten am Markt, am besten im Ausland”.
Umwandlung: So wird die GmbH zur Aktiengesellschaft
Formwechsel
Der Formwechsel von GmbH oder GmbH & Co. KG in AG geschieht auf Grundlage des Umwandlungsgesetzes von 1994 und umfasst drei Schritte:
  • 1. Umwandlungsbeschluss herbeiführen
  • 2.ersten Aufsichtsrat bestellen
  • 3.Vorstand bestellen.
Kosten
(bei einem Stammkapital von 50000 Euro)
– Rechtsberatung einschließlich sämtlicher Verträge und Beschlüsse schreiben (etwa 15 bis 20 Dokumente) 20 bis 50 TDM
– Gründungsprüfung durch Wirtschaftsprüfer 5 bis 20 TDM
– Notar- und Gerichtskosten 10 bis 15 TDM
– Projektmanagement der AG-Umwandlung durch Unternehmensberatung einschließlich Kick-Off-Meeting 10 bis 15 TDM
Gesamt: 45 bis 100 TDM
45 bis 100 TDM
Aktienrechtsreform: Das hat sich geändert
Die größten Hemmnisse für Mittelständler sind vom Tisch. Das „Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts” vom 2.8.1994 hat zahlreiche Barrieren beiseite geschafft.
– Die Aktiengesellschaft kann von einer Person gegründet werden. Früher waren dazu fünf nötig. Kurios: Häufig mussten Strohmänner ran, um die gesetzliche Anforderung zu erfüllen.
– Der Anspruch auf Einzelverbriefung ist passé. Das heißt: Der Aktionär kann nicht mehr für jeden Anteil ein effektives Stück, also eine Aktie als Urkunde, verlangen. Die Folgen sind weniger Aufwand und Kosten für das Unternehmen.
– Die Hauptversammmlung kann per Einschreiben einberufen werden, wenn alle Aktionäre namentlich bekannt sind. Die Regelungen zu Tagesordnung, Vollversammlung, Beschlüssen und Niederschrift wurden ebenfalls gelockert.
– AG mit weniger als 500 Mitarbeitern sind generell von der Drittel-Mitbestimmung über den Aufsichtsrat freigestellt. Bislang galt das nur für Familiengesellschaften.
– Der Mindestnennbetrag wurde von 50 DM auf 5 DM abgesenkt, später dann auf 1 Euro. Ziel: Der geringe Nennbetrag soll es Kleinanlegern erleichtern, an der Börse mitzumischen.
Der Begriff „kleine AG” taucht nur in der Überschrift des Gesetzestextes auf. Angewandt werden soll er für private, nicht börsennotierte Gesellschaften.
Wichtig: Der Begriff deckt sich nicht mit den Vorschriften aus dem Handelsgesetzbuch (HGB) über die Größenklassen von Kapitalgesellschaften in Bezug auf Prüfungspflicht oder Publizität. Eine Aktiengesellschaft, die nach Bilanzsumme, Umsatz oder Mitarbeiterzahl nach HGB nicht mehr als kleine, sondern als mittelgroße oder sogar große Gesellschaft eingestuft wird, kann dennoch als kleine AG gelten und die Erleichterungen der Reform in Anspruch nehmen. Voraussetzung ist, dass die AG nicht börsennotiert ist.
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