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Die Maschinenwelt von morgen verheißt Arbeit mit Lustfaktor

Bei zukünftigen Werkzeugmaschinen prägt der modulare Aufbau das Design
Die Maschinenwelt von morgen verheißt Arbeit mit Lustfaktor

Modulare Produktionsanlagen, maßgeschneidert, langlebig und flexibel – seit Jahrzehnten der Wunsch im Werkzeugmaschinenbau. Zusammen mit Herstellern setzen Industriedesigner die Vision „Maschine 2020“ in die Wirklichkeit um.

Stillstand in der Fertigung, eine Maschine schlägt Alarm. Zwei Mitarbeiter ziehen die defekte Komponente aus der Anlage, schieben ein neues Teil ein, Sekunden später läuft die Produktion weiter. Beim darauf folgenden Auftrag eines anderen Kunden sind die Werkstücke wuchtiger. Die Mitarbeiter tauschen den Bearbeitungsraum gegen eine größere Variante, dann startet die Maschine das neue Format. Im Jahr darauf droht die Konkurrenz den Hersteller bei der Produktivität zu überholen. Die Lösung: Er lässt einen neuartigen Motorentyp in seine Anlagen einbauen und hat die Nase wieder vorn.

So könnte der Produktionsalltag in Deutschlands Fabriken künftig aussehen. Mit Maschinen, in denen jede Funktion und jeder Versorgungsbereich aus einer einzelnen Komponente bestehen. Worauf es bei modularen Fertigungsanlagen ankommt, daran arbeitet das Designunternehmen Design Tech von Jürgen R. Schmid in Ammerbuch bei Tübingen. Dabei setzt der Industriedesigner auf eine besondere Herangehensweise: Konzepte für die Maschine von morgen treibt er gemeinsam mit Maschinenbau-Herstellern, ihren Kunden und Zulieferern in Innovations-Workshops voran.
Basis dafür ist Schmids mehrfach ausgezeichnete Innovationsstrategie „Design to success“, die er erfunden hat. Schon seit Jahren beschäftigt er sich mit der Frage nach den Maschinenkonzepten von morgen. In Zusammenarbeit mit dem Landesnetzwerk Mechatronik Baden-Württemberg brachte er in diesem Jahr mehr als ein Dutzend Experten aus führenden Unternehmen in der Region an einen Tisch. In der Branche gilt die Modularität zwar als ein Dauerbrenner-Thema – zumindest in der Theorie. Ganzheitlich realisiert hat der Maschinenbau das Prinzip bisher nicht.
Doch die Anlagenproduzenten stehen unter Handlungsdruck: Kunden wünschen maßgeschneiderte Produkte zu niedrigen Preisen, gleichzeitig schrumpfen die Innovations- und Lebenszyklen. Individuelle Lösungen trotz Serienfertigung heißt daher das ambitionierte Ziel der intelligenten Produktion von morgen, die so genannte Industrie 4.0. Ein umfassender Wandel, bei dem alle Fertigungsschritte in Zukunft per Internet verknüpft sein sollen.
Enorme Entwicklungssprünge bei der Datenverarbeitung und der IT verleihen dem Konzept der Modularität nun eine neue Dynamik und Qualität: Dank der modernen Software lassen sich unterschiedliche Systeme zu einer auf die spezifischen Bedürfnisse des Kunden zugeschnittenen Fertigungsanlage verbinden. „Die aktuellen Automatisierungskonzepte, basierend auf den Einsichten der Mechatronik und einer explodierten Rechnerleistung, haben die Möglichkeiten für Modularität im Maschinenbau um Lichtjahre nach vorn katapultiert“, sagt der Maschinenbaudesigner Schmid.
Zusammen mit den Unternehmensexperten hat er in zwei Workshops ein System entworfen, mit dem sich aus Serienbauteilen individuelle Produktionsanlagen zusammenstellen lassen. „Ein Prinzip wie bei der Einbauküche“, erklärt Schmid, „jede technische Funktion ist in einem eigenen Element realisiert.“ Mithilfe der Baukasten-Systematik kann der Hersteller die Maschinen passgenau für die Bedürfnisse des jeweiligen Kunden konfigurieren. So lässt sich eine Kernmaschine zu einer komplett automatisierten Hightech-Fertigungsanlage ausbauen – oder aber in einer weniger komplexen Variante liefern, wie sie etwa Kunden in Schwellenländern vielfach wünschen. Wichtiger Nebeneffekt des Modul-Prinzips: es schützt vor Overengineering.
Aber auch beim Zeitfaktor bietet das Baukasten-System den Maschinenherstellern einen Wettbewerbsvorteil: Modular aufgebaute Anlagen lassen sich schneller konfigurieren und in Betrieb nehmen. Darüber hinaus punkten Serienkomponenten mit günstigen Herstellungskosten. Einen weiteren Vorteil sieht der Industrial Designer Schmid beim Thema Qualität: „Wer Maschinenbauteile in großen Stückzahlen fertigt, kann viel mehr Zeit in die Entwicklung und in die Konstruktion der einzelnen Komponenten stecken, denn der höhere Aufwand rechnet sich trotzdem.“ Zudem würden ausgiebige Tests der Lebensdauer und Belastbarkeit seriell gefertigter Komponenten das Qualitätslevel einer modular aufgebauten Maschine steigern.
Vor allem aber liegt die Attraktivität des Prinzips in seiner Flexibilität und Wandlungsfähigkeit. Egal ob Wartung, Reparatur oder Retrofit – die Module lassen sich wechseln, ersetzen, modernisieren. „Man kann Werkzeuge und Magazine austauschen, Achsen neu konfigurieren, erweiterte Software integrieren“, sagt Workshop-Teilnehmer Dr. Jan Kotschenreuther, Vice President Software & Controls beim Werkzeugmaschinenhersteller MAG IAS.
Dank der in Einzelteile verpackten Prozessschritte ist die Maschine im Servicefall schnell wieder produktionsbereit, auch Störungen legen sie nicht lange lahm. Zudem lassen sich Aufträge unterschiedlicher Kunden mit modular aufgebauten Maschinen effektiver abarbeiten. „Die portionierte Technik macht alles einfacher und schneller“, sagt Schmid. Kürzere Ausfall- und Umrüstzeiten wiederum sparen Kosten, zugleich erhöhen sie die Verfügbarkeit und damit die Produktivität der Maschine.
Außerdem besitzen modulare aufgebaute Anlagen eine höhere Lebensdauer: Ändert sich das Produktionsumfeld, so tauscht das Unternehmen lediglich einzelne Bauteile gegen leistungsfähigere Modelle aus oder rüstet die Komponenten entsprechend auf. „Die Module sind veränderbar“, ergänzt der Design Tech-Chef. „Technologische Entwicklungen und Wachstum sind in ihrem Design bereits eingeplant.“ Für MAG-Mann Kotschenreuther ein entscheidender Aspekt. „Wer sich heute eine Werkzeugmaschine kauft“, sagt er, „der will sicher gehen, dass sie zukünftige Fertigungsaufgaben ebenso effizient und qualitätssicher erfüllen kann.“
Das Modularitäts-Prinzip verbessert auch die Arbeitsbedingungen für die Menschen in der Produktion. Denn die Maschine der Zukunft werde einfach und intuitiv zu bedienen sein, prophezeit Jürgen R. Schmid, und dafür auf die Rolle des jeweiligen Mitarbeiters abgestimmt. „Er wird nicht mit Informationen überfrachtet, sondern erhält passgenaue Daten“, sagt Michael Bernas, beim Esslinger Automatisierungsspezialisten Festo Leiter der Abteilung Zukunftsprojekte. Was bedeute, dass Bediener, Servicetechniker und Einrichter auf dem Bedienfeld oder über ein Display exakt die Zahlen und Fakten abrufen können, die sie für ihre aktuelle Aufgabe benötigen.
„Gutes Design verbessert die Ergonomie von Maschinen – aufgrund der demografischen Entwicklung ein nicht zu unterschätzender Mehrwert“, ergänzt Walter Börsch, Geschäftsleiter bei der Schweizer Starrag Group. Denn vor allem der jüngeren Generation sei ein ansprechendes Umfeld am Arbeitsplatz wichtig – das gelte besonders für den Produktionsbereich. „Junge Mitarbeiter wollen mit einer Maschine über durchdacht designte Nutzeroberflächen kommunizieren“, sagt Börsch, „wie sie es auch aus dem privaten Bereich kennen.“
Nicht zuletzt nutzt ein konsequent umgesetztes Modul-Konzept der Umwelt. Weil die Fertigungsanlage exakt und zielgenau für ihren jeweiligen Einsatz konfiguriert ist, erklärt Schmid, werde ihre Leistungsfähigkeit stets voll abgerufen. Und wenn die Auslastung stimmt, verpufft keine Energie. „Durch die maßgeschneiderte Dimension einer Maschine und durch intelligente Produktionsabläufe lassen sich Kühlwasser- und Wärmeverbrauch sowie Lärm und Schmutz um 50 Prozent reduzieren“, prognostiziert der Ammerbucher Industrial Designer Schmid. Auch bei den Materialien der einzelnen Bauteile sieht der Designer Potenzial für mehr Nachhaltigkeit. Recycelbare Leichtbaustoffe wie etwa Carbon könnten künftig auch im Maschinenbau an Bedeutung gewinnen.
Noch sind die Ergebnisse der Workshops von Design Tech nur an ausgefeilten Computer-Modellen zu sehen. „Um das modulare System zu realisieren, muss eine ganz neue Generation von Maschinen entstehen“, so Schmid. „Das bedeutet einen Riesenaufwand und stellt natürlich eine hohe Hürde für die Hersteller dar.“ Doch er plant bereits weitere Workshops mit Firmen, bei denen er die Entwürfe in konkrete Anwendungsfälle übertragen will: „Wir werden das Modul-Konzept in eine digital vernetzte Produktionslandschaft im Sinne der Industrie 4.0 integrieren.“
Unternehmensberater Friedrich Kilian, ein ehemaliger Geschäftsführer des Maschinenbauers Trumpf, hält Schmids Engagement für beispielhaft: „Initiativen wie der Workshop von Design Tech beweisen, wie gut sich die Interessen unterschiedlicher Unternehmen bündeln und gemeinsam Lösungen finden lassen.“ Automatisierung, Internationalisierung und Digitalisierung seien schließlich vorwettbewerbliche Themen. „Kooperation“, sagt Kilian, „ist dabei entscheidend.“
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