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Die Schweißtechnik-Branche ist auf dem Weg zu Industrie 4.0

Aufbruch beim Lichtbogen-Schweißen
Die Schweißtechnik ist auf dem Weg zu Industrie 4.0

Firmen im Artikel
Das Digitalisieren der Stromquellen hat das Schweißen gewaltig vorangebracht – und liefert zugleich die Grundlage für Industrie 4.0 in dieser Branche. Wie es weitergeht, ist allerdings offen. Schweißtechnik-Hersteller sehen sich bereit. Doch sehr viel hängt davon ab, welche Wünsche und Forderungen die Kunden künftig an sie herantragen.

Olaf Stauß

Die Schweißgeräte-Hersteller haben in den letzten Jahren eine Herkules-Aufgabe erledigt. Sie haben ihre Stromquellen Stück für Stück digitalisiert und neue Lichtbogen-Prozesse in die Inverter integriert, die für Leistungssprünge sorgen: Das Schweißen ist effizienter, zuverlässiger, präziser, schneller und nicht zuletzt einfacher geworden – dank digitaler Elektronik. Gepulste und digital gesteuerte Lichtbogen lassen sich fast beliebig gestalten. Sie zeigen sich der konventionellen Technik daher überlegen. „Das Kernstück der Stromquelle der Zukunft ist nicht mehr der Transformator, sondern ein High-End-Computer mit modernsten Mikroprozessoren und intelligenter Software“, erklärt Harald Scherleitner, Leiter der Business Unit Perfect Welding bei Fronius.

Fast nebenbei ergibt sich daraus ein Vorteil, auf den es anfangs nicht einmal so ankam: Digitale Geräte sind prinzipiell kommunikationsfähig. Sie erfüllen somit eine Grundbedingung für die Vision einer „smart production“, die auch vor Werks- und Standortgrenzen nicht halt macht und einer industriellen Revolution gleichkommt: Komponenten, Maschinen und Fertigungsanlagen sprechen sich ab und maximieren so die Effizienz der Produktion. Dazu müssen sie sich aber verstehen. Und also kommunikationsfähig werden. An diesem Punkt sind die Hersteller von Schweißgeräten heute angekommen. Da sie die Digitalisierung mit dem ambitionierten Ziel betrieben, die Schweißprozesse leistungsfähiger zu machen, liegt schon eine große Wegstrecke hinter ihnen. Als zweiten Schritt in Richtung Industrie 4.0 haben sie nun die Vernetzungsfähigkeit der Geräte ins Visier genommen. Und dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen, wie sich zeigt. Schlaglichter:

Digitalisierte Stromquellen brachten der Schweißtechnik einen Schub

Fronius führte schon 2013 die digitale Schweißgeräteplattform TPS/i ein, ließ sie aber neben den eingeführten Reihen weiterlaufen und baut sie seither aus. „Bei der Entwicklung von TPS/i haben wir die Möglichkeiten von Industrie 4.0 bereits als Vorgabe genommen“, sagt Scherleitner heute. „Dazu gehören die Echtzeit-Datenübertragung in der Stromquelle, interne Datenverarbeitung über Mikroprozessoren, externe Datenkommunikation und auch der Umgang mit Datensicherheit.“

Mittelständler Rehm hat die technologischen Fortschritte zum Anlass genommen, sein Geräteportfolio auf eine komplett neue Basis zu stellen, mechanisch und elektrisch, und nennt seine Stromquellen nun „pure digital“. Aus Sicht von Produktmanager Andreas Lehnertz verlangt Industrie 4.0 von den Invertern vor allem, dass sie Signale liefern können. Frägt zum Beispiel das ERP-System, wie ausgelastet das Schweißgerät sei, müsse es darauf antworten können. Und zwar gemäß den Ansätzen, die künftig höchstwahrscheinlich Softwarehäuser ersinnen. „Das ist für mich Industrie 4.0“, sagt Lehnertz. „Wir konzentrieren uns deswegen darauf, dass sich die Geräte in den Gesamt-Fertigungsprozess einbinden lassen.“

EWM hat im September auf der Schweissen&Schneiden 2017 den MIG/MAG-Multiprozessor-Inverter Titan XQ vorgestellt, der als neues „Flaggschiff“ umfassende Vernetzungsmöglichkeiten biete. Er liefert Daten an das Schweißmanagementsystem Xnet. Xnet zeichnet die Schweißdaten auf, visualisiert und dokumentiert sie im Firmennetz in Echtzeit. So erfüllt das schweißende Unternehmen ganz nebenbei die Dokumentationspflicht für den Qualitätsnachweis. Das System bietet auch aktuelle Zustandsanalysen an, die sich sogar über das Smartphone abrufen lassen. Ein optionales Modul verwaltet Schweißanweisungen und -zertifikate (WPS und WPQR).

2018 will EWM ein drittes Modul hinzufügen. Es schließt die Bauteilverwaltung ein und soll Xnet erstmals für Fremdfabrikate öffnen. Außerdem wird es möglich, Schweißdaten auch werkstückbezogen zu erfassen. Laut EWM bietet dies schon die bereits erhältliche Vorversion an. Der Schweißer muss dazu die fertige Raupe am Brenner quittieren.

Größte Hürde: fehlende Standardisierungen

„Alle diese Prozesse sind erst der Beginn der vierten industriellen Revolution“, sagt Jasmin Lang, stellvertretende Vertriebsleiterin bei EWM. „Unsere Aufgabe als Hersteller ist es, die individuellen Anforderungen der Kunden zu berücksichtigen und sie im Kontext von Industrie 4.0 gut zu beraten.“ Die Systeme sind am Wachsen und Werden. Die Anbieter tasten sich an Bedarfe heran, die noch nicht griffig sind. Doch Barrieren gibt es auch dort, wo die Anforderungen bereits erkannt sind. Zum Beispiel, dass die Geräte verschiedener Hersteller eine gemeinsame Sprache sprechen müssen.

Q-Sys 2020 heißt zum Beispiel das System von Lorch, das „die Nahtqualität zu 100 % überwacht und qualitativ bewertet“, wie es in einer downloadbaren Kurzinfo heißt. Als Schnittstelle nutzt das Unternehmen den hauseigenen CAN-Bus LorchNet. Die noch fehlende Standardisierung in diesem Bereich sieht Dr. Josef Göppert, Prokurist und Entwicklungsleiter, als „ernsthafte Hürde“ für Industrie 4.0 – und geht darin konform mit Aussagen, wie sie auch von EWM und Cloos kommen. Doch Göppert geht noch einen Schritt weiter. „Die zentrale Herausforderung werden die Schnittstellen zur Materialwirtschaft, zu Fertigungssteuerungssystemen sowie Qualitäts- und Dokumentationssystemen sein. Es liegt im Interesse aller Agierenden, hier zu einer Vereinheitlichung und zu standardisierten Schnittstellen zu kommen.“

Cloos hat eine große Erfahrung bei maßgeschneiderten, automatisierten Anlagen im Markt, für die teilweise andere Bedingungen gelten als beim Handschweißen. Geschäftsführer Sieghard Thomas sieht daher jetzt schon große Erfolge bei Industrie 4.0. „In Cloos-Schweißanlagen auf der ganzen Welt kommunizieren heute schon Werkzeugträger, Roboter, Stromquellen und übergeordnete Steuerungen miteinander“, resümiert er. „Unabhängig von bewährten MES-Anbindungen ermöglicht unsere neue Roboter-Steuerung QC2 die bidirektionale Datenübertragung über PC-UA an übergeordnete Leitrechnersysteme.“

Thomas betont aber auch, dass die gestellten Anforderungen der Kunden je nach Anwendung sehr unterschiedlich seien. Deshalb sei es wichtig, die Systeme einfach, adaptierbar und flexibel zu gestalten.

Die Cloud als globaler Datenmanager

Ein weiterer Aspekt ist das Vernetzen und Verwalten der Daten über die Cloud. Esab präsentierte dazu auf der Schweissen&Schneiden sein System WeldCloud, das die Nachverfolgung bis zur einzelnen Naht und das Feinjustieren von Schweißparametern aus der Ferne ermöglicht – aber eben nur für einzelne, bestimmte Esab-Geräte.

So gibt es Lösungen für nahezu alle Industrie-4.0-Problemstellungen bei den unterschiedlichen Anbietern – wir können sie hier gar nicht alle aufführen. Sie ähneln sich oft, unterscheiden sich aber doch in Zuschnitt, Umfang und Connectivität und sind selten kompatibel. Die Vision entwickelt sich anarchisch, kreativ und chaotisch – so wie das Web in seinen Anfängen. Lösungen gibt es. Doch sie passen kaum zusammen. Sie müssen sich finden und verbünden. Die Hersteller sind darum vorsichtig. Sie wollen hören, was die Anwender brauchen. Am deutlichsten wurde das auf der Messe bei Fronius: „Wir sind nur ein Teil des Systems und sehen uns als Dienstleister“, sagte Scherleitner in Düsseldorf. „Beim Kunden ändert sich alles rapide durch die Digitalisierung. Wir wollen ihn bei seinen Herausforderungen und seinen Industrie-4.0-Konzepten unterstützen.“

Ein Vorreiter ist Kemppi. 2008 lancierten die Finnen ihr „Kemppi Arc System“, über das sie via Cloud schon früh WPS und Schweißdaten mit den Geräten austauschen und Schweißer-Berechtigungen zuweisen konnten. Mit der Übernahme des Software-Spezialisten Weldindustry im Jahre 2014 erhielt es einen weiteren Schub in der Funktionalität. Seither heißt es „Weldeye“ und kann Schweißdaten auch werkstückbezogen erfassen und ablegen – so dass sich letztlich für jede Naht die Schweißparameter eindeutig rekonstruieren lassen. Und: „Mit unserem WeldEye bieten wir die Möglichkeit, Schweißmaschinen unabhängig vom Hersteller einzubinden“, sagt Frederic Lanz, Vice President Global Business Development. Die Zahl der Nutzerlizenzen beziffert er auf vierstellig.

Schweißen 4.0 unterstützt die Gesamtproduktion

Der Manager sieht daher sehr optimistisch auch die Vision Industrie 4.0: „In meinen Augen ist der wichtigste Schritt eine pro-aktive Umsetzung, anstatt das Thema zu zerreden und zu verkomplizieren. Alle Technologien sind hierfür bereits auf dem Markt verfügbar.“ Lanz ist zugleich CEO von Kemppi Deutschland. „Hemdsärmeliges Querdenkertum ist sicherlich der Schlüssel zur Umsetzung von Industrie 4.0 in unserer Branche“, fügt er noch hinzu.

Die am Markt verfügbaren Funktionalitäten, abstrahiert und unabhängig von Anbietern betrachtet, bieten Unternehmen bereits enorme Möglichkeiten. Sie können ihre Schweißprozesse über das Netz managen. Via Web können sie Schweißer-Berechtigungen zuweisen, WPS übermitteln und die Schweißparameter überwachen und archivieren, bei Bedarf über die Cloud. Auf Wunsch lassen sich Schweißjobs sogar ferngesteuert optimieren. Fernwartung wird möglich.

Das vertikale Einbinden in ERP-Systeme steigert die Möglichkeiten noch. Das schweißende Unternehmen erhält nicht nur eine Leitstelle. Es kann Daten auch nutzen, um Aufträge zu kalkulieren und die Produktion vorzubereiten oder zu optimieren. Wann benötigen wir wo welches Material? Welchen Schweißer brauchen wir wann an welcher Stelle? Wie hoch sind die Nebenzeiten, was wäre vor Ort zu verbessern? So lauten wichtige Fragen. Beim durchgängigen Vernetzen hingegen wird es noch richtig anstrengend. Es fehlt an Schnittstellen zwischen Geräten und Systemen. Noch beherrschen Insellösungen das Feld.

Beim DVS – Deutscher Verband für Schweißen und verwandte Verfahren e.V. – hat sich Till Grundmann des Themas angenommen. Er schlägt die Brücke von der Forschung bis hin zur Aus- und Weiterbildung. Für den DVS, der die Zukunftsvision für die Branche mitgestalten will, behält er die großen Linien im Blick. „Die Stromquellen können schon sehr viel“, meint er in der Schau „aus der Vogelperspektive“. „Aber das Vernetzen allein ist noch nicht Industrie 4.0“.

Zu schweißende Werkstücke finden ihren Weg durch die Produktion

„Die Idee ist ja, dass das zu fertigende Produkt selbst Informationsträger und damit intelligent wird. Es sammelt Daten und sucht sich seinen Weg durch die Produktion. Es entscheidet selbst, welches der beste Fügeprozess für seine Historie im Fertigungsprozess ist.“ Grundmann macht ein Beispiel.

Die Fertigungssensorik stellt fest, dass die Schweißnahtvorbereitung nicht optimal ist, vielleicht ein zu kleiner Öffnungswinkel. Nun muss die Anlage entscheiden: Kann sie den Job noch retten, indem sie die Parameter anpasst oder einen zusätzlichen Arbeitsgang vorsieht oder anfordert? „Um diese Art von Kommunikation geht es bei Industrie 4.0. Dazu braucht es die Einbindung der Schweißanlage in die vor- und nachgelagerten Prozesse der Kette.“ Grundmann erwartet, dass der Druck im Markt früher oder später selbst dafür sorgen wird, dass die benötigten Kommunikationsfähigkeiten sich entwickeln, inklusive nötiger Standardisierungen. Anwendern rät er zum heutigen Stand, für das eigene Unternehmen ein Nutzenkonzept zu entwickeln und dann zu schauen, wie es sich am Markt umsetzen lässt.

Der DVS selbst hat zu Industrie 4.0 eine eigene Studie beauftragt, die bereits in die Ausbildung einfließt. Eine Arbeitsgruppe im Ausschuss für Technik erarbeitet zurzeit Handlungsempfehlungen für Mittelständler, die in Form eines Merkblattes noch 2018 herauskommen sollen. Und dann gibt es noch die Website „Smarte Fügetechnik“ als Blog für den fachlichen Austausch. Sie ist eine Anregung für das, was es vor allem braucht, auch auf menschlicher Seite: Kommunikation.

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