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Die Zeit der Insellösungen ist vorbei

Automatisierung: PC und dezentrale Steuerungen wachsen zusammen
Die Zeit der Insellösungen ist vorbei

Steigerung der Effektivität, Wiederverwenden von Anlagenteilen und schnelle Reaktion auf sich ändernde Abläufe bei geringerem Inbetriebnahmeaufwand sind keine Illusionen. Glaubt man den Anbietern, dann wird durch konsequentes Modularisieren dezentrales Automatisieren zum Kinderspiel.

Roman Schneider ist Fachjournalist in Gummersbach, Werner Möller ist Mitglied der Redaktion Industrieanzeiger

„Be ahead with modularity“ ist in der Automatisierung zu einem Begriff geworden. „Ein Hersteller übergreifendes Engineering-Tool sichert dabei das anlagenweite, grafische Zusammenführen der verteilten Anwendungen“, sagt Helmut Gierse voraus. Der A&D-Vorstandsvorsitzende der Nürnberger Siemens AG sieht als besonderen Vorteil reduzierte Engineering-Kosten. Doch so neu sind modulare Ansätze nicht, denn sie sind bereits in vielen Bereichen des Maschinen- und Anlagenbaus seit Jahren etabliert, beispielsweise in der Fördertechnik. Hier werden Mechanik, Elektrik und dezentrale Peripheriegeräte sowie die Aktorik und Sensorik zu technologischen Einheiten zusammengefasst. Knackpunkt ist jedoch das Anwenderprogramm in der zentralen Steuerung. Dies kann erst starten, wenn alle mechanischen Teile einschließlich der Sensorik und Aktorik auf die Anlage geliefert wurden.
„Eine deutlich verbesserte Lösung für modulare Anlagenlösungen bietet der Einsatz von verteilter Intelligenz“, betont der Siemens-Manager. Das heißt: Feldgeräte, Antriebe oder Peripheriegeräte erhalten einen eigenen programmierbaren Steuerungskern. Das Steuerungsprogramm wird direkt in die Maschinen- oder Anlagenmodule integriert. Diese bilden so genannte autarke Maschinen- oder Anlagenmodule.
„Dabei scheinen PC-basierte Steuerungen und verteilte Steuerungskonzepte auf den ersten Blick konträr zueinander zu stehen“, so Christian Roels, Entwicklungsingenieur bei der Phoenix Contact GmbH in Blomberg. Doch es sei zu erwarten, dass beide Trends verstärkt kombiniert zum Einsatz kommen. Was nicht zuletzt durch die fortschreitende Verbreitung der Ethernet-Kommunikation gefördert werde.
Die naheliegende Prognose des Steuerungsexperten: „Es entstehen immer mehr kleine, dezentrale Steuerungen für mechatronische Einheiten, die überschaubar und gut zu warten sind.“ Als Einzelmaschine oder Anlagenteil könnten sie völlig autark programmiert und in Betrieb genommen werden. „Daraus aber ergibt sich die zwingende Forderung nach einem ganzheitlichen Engineering, das nach allen Seiten offen ist“, hebt Christoph Roels hervor. Auch nach Matthias Bengel besteht hier Handlungsbedarf. „Trotz zahlreicher Standards für Programmiersprachen und Kommunikationssysteme sind Programme, die Automatisierungsanlagen steuern, noch allzu oft Insellösungen“, so der Automatisierungsexperte am Stuttgarter Fraunhofer-Institut IPA.
Mit „Odema“ (Object-oriented method for the development of technical multiagent systems) als Methode zum Entwurf anlagenweiter Steuerungen wollen die IPA-Forscher hier Abhilfe schaffen. Sie basiert auf der Unified Modelling Language (UML) und ihren Werkzeugen. „Mit UML lassen sich plattformunabhängie Software-Modelle erstellen und auf spezifischen Plattformen oder Geräten installieren“, erläutert Matthias Bengel. Das ermögliche nicht nur eine übergreifende Planung der Software-Entwicklung, sondern sie lasse sich auch rechtzeitig mit allen Ebenen abstimmen. Besonderes Augenmerk richtete das Stuttgarter Forscherteam auf die Durchgängigkeit ihrer Methode und die dafür notwendigen Software-Werkzeuge: Ein alle Projektierungsphasen begleitendes Modell oder Einzelmodelle machen Änderungen und deren Auswirkungen jederzeit nachvollziehbar.
Ein wichtiger Nutzen dieser offenen Konzepte liegt auch für Dr. Erhard Tellbüscher klar auf der Hand. „Mit L-Force haben wir ein durchgängiges Programm aus Komponenten, Lösungen, Systemen und Dienstleistungen“, erläutert der Vorstandsvorsitzende der Lenze AG aus Aerzen. Interessant ist auch, dass sich der Antriebstechnikspezialist neben der Drive-based- zukünftig auch der PC-based-Automation zuwendet. Die hardwareunabhängige Runtime-Software beinhaltet Motion-Control-Funktionen für die Bewegungssteuerung sowie die Logic-Control für die Ablaufsteuerung.
„Solche Lösungen bieten den Vorteil, dass die für den jeweiligen Zweck beste Komponente eingesetzt werden kann“, sagt Gerd Schneider. Und natürlich bringe auch die prinzipielle Erweiterbarkeit derartiger Engineeringkonzepte um Steuerungskomponenten der verschiedensten Hersteller Leistungs- wie auch Kostenvorteile, so der Produktmanager bei der Softing GmbH in Haar bei München. Quasi als Rückgrat verteilter Automatisierungsysteme beginne sich hier das Ethernet-TCP/IP fest zu etablieren. Dass offene und verteilte Automatisierungslösungen das Problem des uneinheitlichen Engineerings aufwerfen, ist auch Gerd Schneider klar. „Im Umfeld des modernen Maschinen- und Anlagenbaus stellen mehrere Programmier- und Inbetriebnahmesysteme und die damit verbundenen Kosten eine ernsthafte Schwierigkeit dar“, warnt der Steuerungsexperte. Er ist sicher: Für Abhilfe kann hier, in Analogie zum offenen Kommunikationsstandard Ethernet-TCP/IP, nur ein offenes Engineeringkonzept sorgen. Hier werde ein Programmierwerkzeug benötigt, das alle eingesetzten Steuerungskomponenten von der PC-basierten Steuerung bis zum intelligenten Antrieb unterstützt – und zwar während des gesamten Engineeringprozesses, hebt man in Haar hervor.
Angewandt auf verteilte Steuerungssysteme mit Ethernet-Basis bedeute dies, dass die verteilte Steuerungsapplikation von einem zentralen Engineering-PC auf alle per Ethernet-TCP/IP vernetzten Steuerungskomponenten heruntergeladen und dort auch in Betrieb genommen werden kann. Als profitabler Zusatznutzen erschließen sich hier die Möglichkeiten von Ferndiagnose per Intra- und Internet.
Die Idealvorstellung bei Softing ist hoch gesteckt: Wenn es gelingt, neben Standardkomponenten der Automatisierung wie PC-basierte Steuerungen und intelligente Feldbusknoten auch Spezialsysteme wie CNC-Steuerungen zu integrieren, kommen die Stärken verteilter Automatisierungslösungen voll zum Tragen. Mit „4Control Engineering“ versuchen die Entwickler in Haar, sich diesem Ziel zu nähern. „Es ist ein offenes Software-Werkzeug zur Programmierung und Inbetriebnahme von verteilten Applikationen unter Verwendung unterschiedlicher Steuerungskomponenten“, erläutert Gerd Schneider.
„Auch unsere Basis für diesen Paradigmenwechsel ist die einheitliche Kommunikation“, berichtet Karsten Schneider. Der Marketingmanager für Component based Automation (CbA) im Siemens-Bereich A&D umreißt die daraus abgeleitete Siemens-Version vom „Plug&Work“ künftiger Produktionslinien: Diese bestehen aus vollständig vorgetesteten Einzelmaschinen, die sich automatisch im Netzwerk konfigurieren und über standardisierte Interfaces kommunizieren.
Das Engineering-Tool Simatic iMap ermöglicht dieses grafische Zusammenführen verteilter Anwendungen und ist Bestandteil der Simatic-Software-Landschaft. Rückgrat der Industrial-Ethernet-Kommunikation in CbA-Applikationen ist der von der Profibus-Nutzerorganisation (PNO) definierte Ethernet-Standard für die Automatisierung: Profinet.
Dass sich die Theorie vielfach in der Praxis bestätigt, zeigen beispielsweise Anwendungen in der Verpackungsindustrie. Ein britischer Hersteller von Körperpflegeprodukten mit Sitz in Leeds betreibt eine mit CbA und Simatic iMap veredelte Produktionslinie für Deo-Roller. Mit einzelnen Maschinen wie Sorter, Monoblock, Labeller, Tray Loader, Wrapper und Case Packer von unterschiedlichen Lieferanten aus ganz Europa war die Anlage prädestiniert für den modularen Ansatz von CbA. Entscheidend war es, neue Perspektiven für die vereinfachte Kommunikation vor allem über Ethernet zu erhalten.
Component based Automation verkürzt den Produktionsstart

„Wiederverwendbares Applikationswissen macht flexibel“

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Nachgefragt

Mit welcher neuen Produktstrategie und an welche Zielgruppen sich Lenze heute richtet, erläutert der Vorstandsvorsitzende Dr. Erhard Tellbüscher.
Herr Dr. Tellbüscher, warum engagieren Sie sich als klassischer Antriebshersteller verstärkt in der Automatisierungstechnik?
Das ist kein neues Thema für uns. Bereits 1996 haben wir mit „Drive meets Automation“ und dem ersten intelligenten Antrieb, dem Servoumrichter 9300 mit integrierter SPS, einen neuen Weg beschritten. Heute sind wir mit dem L-Force-System bei „Drive and Automation“ angelangt.
Was verbirgt sich hinter L-Force, wie unterscheidet es sich von anderen Ansätzen?
L-Force ist ein offenes und skalierbares System, in dem alles zusammenpasst. Es besteht aus Hardwarekomponenten wie Antriebsreglern, Getriebemotoren und Steuerungen in zentraler und dezentraler Technik, auf denen Runtime-Software-Produkte wie Motion-Control und Logic-Control angewendet werden. Beides wird durch ein durchgängiges Engineering Konzept verbunden.
Sind Ihre Produkte einfache Geräte für den breiten Markt oder seltene High-End-Lösungen?
Beides. Im Fokus von L-Force steht, dem Kunden genau das zu bieten, was er braucht. Wir bieten die L-Force-Systeme nach Performance-Klassen an. Für die Antriebsregler bedeutet dies: State-Line steht für den klassischen Antriebsregler, High-Line für den intelligenten Regler für Lösungen mit dezentraler Intelligenz und Top-Line beinhaltet eine Steuerung.
Mit welchen Funktionalitäten platziert sich L-Force in der Automatisierungspyramide?
In dem Bereich Feld- und Steuerungsebene, wobei wir für PC-based-Automation mit unserer aus der Antriebstechnik erprobten Runtime-Software die ideale Voraussetzung für Motion- und Logic-Control mitbringen.
Entwickeln Sie die Software selbst?
Software, welche die Funktionalität der Anwendungen in der Maschine bestimmt, benötigt das Wissen und den Prozess, und das ist unsere Domäne. Die Basis-Software wird mit Partnern entwickelt.
Wie können die Anwender Kosten sparen durch wiederverwendbare Elemente?
Wiederverwendbares Applikationswissen macht flexibel, führt zu einer einfacheren und schnelleren Realisierung und spart damit Kosten. Unser Software-Tool, der L-Force-Engineer, unterstützt die Maschine im gesamten Lebenszyklus, von der Planung über die Inbetriebnahme bis zur Diagnose im laufenden Betrieb.
Wie weit geht Ihr Plug&Drive-Ansatz?
Weit, und ich nenne ein Beispiel. Die Backplane-Installationstechnik der neuen 9400 Servoregler erlaubt es sogar, Antriebe innerhalb von 30 Sekunden zu wechseln, mit einem Klick und ohne Werkzeug. wm
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