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Die Zeitmaschine läuft auf vollen Touren

Landesmuseum für Technik und Arbeit Mannheim
Die Zeitmaschine läuft auf vollen Touren

Die hochgelobte Dauerausstellung fasziniert tagtäglich die Besucher. Zugkräftige Sonderschauen sorgen für Schlagzeilen und ein volles Haus: Mit diesem Konzept hat sich das Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim einen Namen gemacht. Das große Thema nächstes Jahr heißt, passend zum Jahr 2000,„Mythos Jahrhundertwende“.

Von unserem Redaktionsmitglied Tilman Vögele-Ebering

Der Lokomotivkessel ist noch im Rohbau, daneben stehen, säuberlich aufgereiht, klobige Werkzeugmaschinen mit Transmissionsriemen. Staunend lehnen drei Fünftklässler am Geländer im Stockwerk darüber und betrachten aus etwa sechs Metern Höhe die Geburtsstunde des industriellen Maschinenbaus in Württemberg: die Maschinenfabrik Esslingen in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Auf hölzernen Podesten mit Schreibpult residierten in der Werkhalle die Etagenmeister und überwachten die für die damalige Zeit unerhört große Zahl von 500 Arbeitern.
Schräg gegenüber von den drei Schülern steht ein stilisierter Karl Marx aus Pappmaché. Er lehnt ebenso am Geländer, betrachtet die Szenerie und sinniert über die soziale Frage im deutschen Südwesten. Für dieses Problem haben die Jungs nach einem Blick auf die Uhr plötzlich keine Zeit mehr: Sie müssen schnell runter ins 20. Jahrhundert, zwei Stockwerke tiefer. „In die Ecke mit den Autos“, wie der Wortführer sagt. Dort steht eine Vorführung auf dem Zeitplan, und der Lehrer ist auch schon da. Sie laufen mit viel Getrampel vorbei an einem Mannheimer Hinterhaus, das die Lebensbedingungen der Menschen zu Beginn dieses Jahrhunderts zeigt, und an der originalgetreuen Nachbildung einer Arbeiterkneipe, in der die Werktätigen nach der Schicht debattierten und die kleinen Freuden des Lebens genossen.
Die Dauerausstellung des Landesmuseums für Technik und Arbeit (LTA) in Mannheim hat im zehnten Jahr ihres Bestehens nichts an Faszination eingebüßt. Sie ist nicht mehr der große Publikumsmagnet wie zu Beginn. Der Besucher erlebt aber immer noch drei Jahrhunderte Technik- und Sozialgeschichte. Stets bleibt er irgendwo hängen, um zu lesen, einen Videofilm anzuschauen oder eine der Demonstrationen mit den historischen Maschinen zu verfolgen. Der Lehrer ist’s offenbar gewohnt. Er wartet gegen Ende des Vormittags geduldig ganz unten in der Cafeteria, bis er seinen Haufen wieder beisammen hat. Einige seiner Zöglinge sind immer noch fünf Stockwerke höher, im Bad’nerland zur Zeit Napoleons. Dort rattern monoton die mit Wasserkraft betriebenen Textilmaschinen.
„Das Museum soll nicht nur Lehrstätte sein, sondern auch Ausflugsziel“, erklärt Museumsdirektor Prof. Dr. Lothar Suhling selbstbewußt. Es gibt eine Kinderwerkstatt mit einem Programm für die Kleinen. Eine historische Eisenbahn fährt ein Stück übers Gelände, und der Raddampfer auf dem Neckar soll mit seiner Schiffsausstellung daran erinnern, wie wichtig die Binnenschiffahrt einst für die Industrialisierung war. An den Vormittagen unter der Woche ist das Landesmuseum meist Schulklassen und Besuchern von auswärts vorbehalten. An den Wochenenden kommen Familien.
Für die Schlagzeilen sorgen Sonderausstellungen, die Außergewöhnliches zum Thema Technik, Mensch und Arbeit präsentieren. „Die brauchen wir wirklich”, sagt der Direktor. Denn sie sorgen für die Publicity, die ein Museum benötigt. Außerdem bringen sie Geld in die öffentlichen und deshalb meist leeren Kassen. Der Hit waren zweifellos die „Körperwelten” des Heidelberger Pathologen Prof. Dr. med. Gunther von Hagens. Es war die erfolgreichste Ausstellung in einem deutschen Museum seit dem Zweiten Weltkrieg. Rund 800 000 Besucher in vier Monaten kamen vergangenes Jahr deswegen in die Mannheimer Hallen. „Das war eine einmalige Geschichte”, sagt der Direktor rückblickend, „so etwas kommt nie wieder.“
Die Idee zu einer ständigen Ausstellung, die Technikgeschichte mit Sozialgeschichte im deutschen Südwesten verbindet, stammt bereits aus den 60er Jahren. „Die Traditionsunternehmen wollten damals ihre historischen Maschinen nicht auf den Schrott werfen sondern erhalten“, berichtet Dr. Suhling. Sowohl Ingenieurverbände als auch sozialgeschichtlich Interessierte drängten auf eine Stätte, die die industrielle und gesellschaftliche Entwicklung festhalten sollte. Den Startschuß gab 1978 der damalige Ministerpräsident Lothar Späth durch ein öffentliches Ja zum Museum. Zwei Jahre später folgte der Landtagsbeschluß. Zehn Jahre später wurde der Neubau in Mannheim eröffnet.
Von Anfang an gab es für die Dauerausstellung großen Beifall von allen Seiten. Dr. Suhling erläutert das Prinzip: Der Besucher durchwandert eine Raum-Zeit-Spirale. Beginnend in der Ebene A, ganz oben in dem modernen Museumsbau, startet er im Barock, erlebt den Beginn der Industrialisierung in Mannheim. Im nächsten Ort Heilbronn findet er sich in einer anderen Zeit wieder und erlebt die Mechanisierung der Papierherstellung. Das Konzept setzt konsequent auf die Idee der Zeitreise mit wechselnden Schauplätzen.
Zu schaffen machen den Museumsmachern die knappen öffentlichen Mitteln. Mit einem Etat von nicht einmal 14 Millionen Mark pro Jahr, ein Drittel von der Stadt Mannheim, zwei Drittel vom Land, beschäftigt das Museum 118 Mitarbeiter. Insgesamt entsprechen die öffentlichen Gelder etwa 80 Prozent von dem, was dem LTA im ersten Betriebsjahr zur Verfügung stand. So sind die Museumsmacher auf Drittmittel angewiesen, sprich Geld von Sponsoren und vom Museumsverein.
Für die nächste große Sonderausstellung soll planmäßig etwa die Hälfte der Mittel aus den Kassen von Sponsoren aus der Wirtschaft kommen. Dafür rühren die Museumsmacher kräftig die Werbetrommel: Die Veranstaltung trägt den Namen Landesausstellung 2000. Sie beschäftigt sich mit dem „Mythos” Jahrhundertwende und wird im nächsten Jahr von März bis Januar 2001 zu sehen sein. Es geht um die Erwartungen, die Ängste und Visionen der Zeitgenossen, immer wenn ein neues Jahrhundert anbrach. Einen kleinen Vorgeschmack auf den Vergleich zwischen damals und heute gibt es vom 10. November an. Auf der Sonderausstellungsfläche zeigt das LTA im kleinen Rahmen „Jules Verne, Technik und Fiktion”. Die Schau zeigt Nachbauten aus den Romanen des Schriftstellers. Der Clou: Die Modelle werden Stück für Stück mit dem heutigen Stand der Technik verglichen.
Sonderausstellungen
Im nächsten Jahr steht die Schau zum „Mythos Jahrhundertwende” im Mittelpunkt. Danach soll im Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim wieder der Themenkomplex Life Sciences aufgegiffen werden. Die Reihe startete 1996 mit der „Bionik“, es folgten die „Körperwelten“ und die „Genwelten“.
März 2000 bis Januar 01: Landesausstellung 2000, „Mythos Jahrhundertwende“, Mensch, Natur Maschine in Zukunftsbildern 1800, 1900, 2000.
Ab 2001: „Kosmos im Gehirn”, in Zusammenarbeit mit dem deutschen Hygienemuseum in Dresden.
Voraussichtlich 2002: „Die Werkzeuge des Hippokrates”, die Geschichte der Heilkunst und ihrer Technik.
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