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Diplom zum Aufspüren von Einsparpotenzialen

Zehn Firmen können ihre Druckluftkosten nahezu halbieren
Diplom zum Aufspüren von Einsparpotenzialen

Diplomandin Anja Seitz nahm zehn Druckluftanlagen von unterschiedlichen Branchen unter die Lupe und stellte im Schnitt ein Energieeinsparpotenzial von 47 % fest. Die Daten dazu lieferten ausführliche Druckluft-Audits.

Von unserem Redaktionsmitglied Olaf Stauß olaf.stauss@konradin.de

„Wer nur an den Kompressor denkt, hat schon verloren.“ Überraschende Töne von Seiten eines Kompressorenherstellers, der sich in Deutschland bei ölgekühlten Schraubenverdichtern als Marktführer sieht. Jedenfalls überschreibt Erwin Ruppelt, leitender Projektingenieur bei der Kaeser Kompressoren GmbH in Coburg, so manchen seiner Vorträge vor Industriepublikum. Er macht darin auf die hohen Energieeinsparpotenziale in der Druckluftversorgung aufmerksam. Insbesondere aber stellt er klar, dass sich große Kostensenkungen nur bei ganzheitlichem Betrachten der Anlagen erzielen lassen. „Der Kompressor ist eine Komponente von vielen. Sie müssen sich um das Gesamtsystem kümmern, wenn Sie Kosten senken wollen“, beschwört er seine Zuhörer. Und: „Der Kardinalfehler bei der Diskussion über Druckluftsysteme ist und bleibt das zusammenhanglose Betrachten der Einzelkomponenten.“
Ruppelt hat Beweise in der Tasche: Vor kurzem endete die dreijährige Kampagne „Druckluft effizient“ von VDMA, Fraunhofer-ISI und Deutscher Energieagentur, die sich die Ergebnisse einer EU-Studie zu eigen machte, wonach jeder Betrieb seine Druckluftkosten im Schnitt um mehr als 30 % senken könnte. Um die Ergebnisse umzusetzen, wandte sich Druckluft effizient direkt an die Industrie und bot kostenlose „Audits“ von Anlagen an. Kaeser Kompressoren übernahm rund die Hälfte dieser Analysen. Zusätzlich initiierten die Coburger eine Diplomarbeit an der ortsansässigen Fachhochschule, um die Messergebnisse auszuwerten. Anja Seitz, die Diplomandin, wählte zehn von 33 Komplettaudits so aus, „dass unterschiedliche Anlagengrößen und Branchen vertreten waren“, und zwar unabhängig vom Erfolg der später ergriffenen Maßnahmen. Das Erstaunliche: Bei den zehn untersuchten Firmen lagen die Energieeinsparquoten zwischen 17 und 71 %, im Mittel bei 47 %. Sie übertrafen damit noch die in der EU-Studie vorausgesagten 30 %. Solche Maßnahmen kommen auch der Umwelt zugute: Zurzeit führt die deutsche Druckluftversorgung zu CO2-Emissionen in Höhe von 8 Mio. t im Jahr. Würden alle Anlagen 47 % weniger Energie verbrauchen, ließe sich diese Belastung im Sinne des Kyoto-Protokolles auf 3, 8 Mio. t. reduzieren.
Einsparpotenziale von 47 % erscheinen sensationell, wenn man bedenkt, dass die Energiekosten rund 70 % der Lebenszykluskosten einer Druckluftanlage ausmachen, während die Investitions- und Installationskosten bei maximal 27 % liegen. Und sie unterstreichen Ruppelts Appell, das gesamte System unter die Lupe zu nehmen. Denn auf der Suche nach mehr Effizienz sind die Experten an den unterschiedlichsten Stellen fündig geworden sind. Spart die eine Firma mit einer Wärmerückgewinnungsanlage am meisten ein, so muss die andere dringend Leckagen reduzieren. Für eine dritte wird es Zeit, die Kompressoren mit einer übergeordneten Steuerung zu koordinieren. Es gibt also kein Patentrezept. An einer Bestandsaufnahme der Anlage, die den Ist-Zustand und den Druckluftbedarf analysiert, geht kein Weg vorbei. Ruppelt: „Mit einem einfachen Audit lassen sich garantiert 80 bis 90 Prozent der Probleme erkennen.“
Anja Seitz hat die Audits von Anfang an begleitet. Im Rahmen ihrer Diplomarbeit nahm sie an den Vorgesprächen in den Firmen teil, war bei den Messungen dabei und wertete sie aus. Heute arbeitet sie bei Kaeser Kompressoren als Projektingenieurin. Ihr stärkster Eindruck aus den Vorgesprächen: „Die Betreiber waren hochinteressiert an mehr Effizienz. Sie wussten jedoch nicht Bescheid über ihre tatsächlichen Druckluftkosten und die Einsparmöglichkeiten.“ Hauptsache sei für sie bisher gewesen, dass die Kompressoren arbeiten und die Druckluft ständig verfügbar ist. Seitz‘ Beobachtung deckt sich mit den Erfahrungen von Erwin Ruppelt. Dass viele Betreiber nicht über Einsparmaßnahmen nachdenken, führt er darauf zurück, dass es in den Betrieben keine eigene Kostenstelle für Druckluft gibt. Wer weiß schon, was der Kubikmeter Druckluft kostet, wie er produziert und verteilt wird? Ruppelt: „Wären die Überland-Stromleitungen im gleichen Zustand wie die Druckluft-Leitungssysteme vieler Betriebe, dann würden die Drähte rotglühend runterhängen.“
In der Tat bescheinigt die Seitz’sche Diplomarbeit, dass bei fünf von zehn Firmen zu hohe Druckverluste in den Rohrsystemen auftraten. Die Stationen sind in der Regel immer weiter vergrößert worden, um den steigenden Druckluftbedarf zu decken. Die Leitungen dagegen sind die alten geblieben. Eine größere Dimensionierung kann die Energiekosten um 3 % senken, heißt es in der Arbeit.
Das Sanieren der Rohrleitungen ist natürlich nur eine von vielen Maßnahmen, die im Anschluss an die Audits vorgeschlagen wurden. Anja Seitz hat ein Ranking erstellt. So wurde sieben von zehn Firmen empfohlen, die Kompressorenabwärme zu nutzen. Die betroffenen Betreiber können damit ihren Energieverbrauch um durchschnittlich 16 % senken, stellt die Analyse fest.
Von hohen Leckagen waren sogar neun von zehn Firmen betroffen. Eine Reduktion um die Hälfte bringt im Mittel eine Energieeinsparung von 10 %, sagt die Studie.
Platz 3 im Ranking belegt der Einsatz einer übergeordneten Steuerung. Die Experten legten diese Maßnahme allen zehn Firmen nahe. Nach der Auswertung von Anja Seitz können sie damit im Schnitt 6 % ihres Energiebedarfs einsparen. Wird nur die Druckluftstation betrachtet, ohne die Peripherie, bietet diese Maßnahme sogar das höchste Einsparpotenzial. Der Grund: Eine moderne, übergeordnete Steuerung kann Grund-, Mittel- und Spitzenlastkompressoren abhängig vom aktuellen Druckluftbedarf optimal koordinieren. Vor allem aber ist sie in der Lage, den Netzdruck abzusenken gegenüber Anlagen mit Grundlastwechselschaltungen oder Kaskadenregelungen, die als veraltete Technik angesehen werden müssen. Erwin Ruppelt: „Steuerungen, die älter sind als fünf Jahre, sollte man hinterfragen.“
Veraltete Kompressoren hingegen müssen nicht unbedingt ersetzt werden, da ja hohe Investitionskosten ins Gewicht fallen. Anja Seitz rät in ihrer Arbeit zu einem Splitting-Konzept, bei dem die Maschinen nach und nach ausgetauscht werden, beginnend mit den Spitzenlastanlagen, die sich in der Regel relativ schnell amortisieren. Bei den vier Firmen, für die das in Frage kam, ermittelte sie ein durchschnittliches Einsparpotenzial von 17 %.
Die Audits mündeten in individuell zugeschnittene Maßnahmenkataloge. Einer Firma wurden nur zwei Vorschläge gemacht, einer anderen neun. Bis jetzt liegt noch keine Übersicht vor, mit welchem Erfolg die Audits umgesetzt wurden. Kaeser Kompressoren verweist aber auf erfolgreiche Projekte, bei denen die Coburger nach demselben ganzheitlichen System vorgegangen sind. So modernisierte die Hilti AG die Druckluftversorgung ihres Werkes in Kaufering sukzessive über mehrere Jahre. Neue Kompressoren mit einem modernen Steuerungskonzept gehörten ebenso zu den Maßnahmen wie das Installieren einer Wärmerückgewinnungsanlage. Insgesamt sind die Kosten um 38 % gesunken.
Sportwagenhersteller Porsche senkte den Netzdruck konsequent auf 6 bar ab. Überall dort, wo Verbraucher höhere Drücke (bis 13 bar) benötigen, sind jetzt Nachverdichter im Einsatz. Die Rohrleitungen wurden saniert und luft- statt wassergekühlte Kompressoren mit übergeordneter Steuerung installiert. Die jährliche Einsparung beläuft sich auf 483 000 kWh oder 20 000 Euro. Für das nicht mehr benötigte Kühlwasser werden zusätzlich 55 000 Euro/Jahr frei.
Noch höher fallen die Kostensenkungen beim global agierenden Automobilzulieferer Innomotive Systems Europe (ISE) in Bergneustadt aus. ISE spart jährlich 150 000 Euro ein. Dazu verhalf eine bis ins Detail geplante systematische Runderneuerung über mehrere Jahre hinweg, angefangen bei den Rohrleitungen über die Druckluftstation bis hin zum Einbau eines Druckmessers an jeder einzelnen Entnahmestelle.
Nicht jeder Betrieb muss stark investieren, um Einspareffekte zu erzielen. Interessant ist hier eine „Übersicht der Auffälligkeiten“, die Anja Seitz beim Auswerten der Audits aufgestellt hat (Diagramm). Manche Mängel erkennt der Eingeweihte auf den ersten Blick: So verfügten 90 % der Anlagen noch über einen Kältetrockner mit Heißgas-Bypass (der nicht in Teillast fahren kann und damit Energie verschwendet). Ebenfalls 90 % hatten kein Druckhaltesystem hinter den Kompressoren (was unter anderem zu Filterschäden führen kann). In 50 % der Fälle war die Station verschmutzt oder als Abstellraum zweckentfremdet – woraus der Fachmann schließt, dass sie nie gewartet wird und gar nicht wirtschaftlich laufen kann. Das Mindeste, was daher jeder Betreiber seinem Geldbeutel gönnen sollte, ist eine Art „Mini-Audit“, ein Kurzrundgang zusammen mit dem Druckluft-Experten.
Industrieanzeiger
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