Jedes Jahr verpuffen in Europa rund 11 TWh elektrischer Energie unnötigerweise in der Drucklufterzeugung. Warum auch deutsche Firmen dieses Potenzial kaum nutzen, hat jetzt das Fraunhofer-ISI herausgefunden: Rein organisatorische Faktoren verhindern es.
Von unserem Redaktionsmitglied Olaf Stauß
Endlich gibt es fundiertes Zahlenmaterial, das die oft behaupteten Einsparmöglichkeiten in der Drucklufterzeugung objektiviert und belegt: Von den 800 TWh elektrischer Energie, die in der EU jährlich für den Antrieb von Motoren verbraucht werden, gehen 80 TWh auf das Konto der Drucklufterzeugung. Über 33 % davon ließen sich durch geeignete Maßnahmen einsparen. Die dafür notwendigen Ausgaben amortisierten sich im Schnitt innerhalb von elf Monaten, spätestens aber nach weniger als drei Jahren. Zu diesen Ergebnissen kommt die Studie „Compressed Air Systems in the European Union“, die von der EU-Kommission in Auftrag gegeben wurde. Maßgeblich beteiligt war das Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe.
Die Forscher besuchten durchschnittlich fünf Betreiberfirmen pro EU-Land, sprachen mit Druckluftherstellern, Fachexperten, Verbänden und sammelten alles greifbare Zahlenmaterial. Über 310 000 Druckluftkompressoren mit Leistungen zwischen 10 und 300 kW sind demnach insgesamt im Einsatz, 28 % davon im oberen Bereich zwischen 110 und 300 kW. „Mosaikartig setzten wir am Ende ein Gesamtbild zusammen“, erklärt ISI-Projektleiter Dr. Peter Radgen.
Ungenauigkeiten von ±10% bei den einzelnen Zahlen hält er durchaus für möglich, nicht aber beim ermittelten Einsparpotenzial von 33 %: „Wir halten den Wert für deutlich höher. Bei der Auswertung einigten wir uns mit den beteiligten Experten und Interessenvertretern auf diesen Wert, der nun von Fachleuten mit unterschiedlichster Interessenlage als richtig akzeptiert und vertreten wird. Es handelt sich also bei dem genannten Einsparpotenzial von 33 % um eine robuste Angabe. Außerdem kenne ich keine Untersuchung, die detaillierter vorgegangen wäre.“
Laut der Analyse arbeiten viele Anlagen unökonomisch: Fallstudien der Forscher zeigen, dass Einsparungen zwischen 5 % und 50 % möglich sind. Dabei hängt die Gesamteffizienz nicht allein vom Kompressor ab. Ebenso wichtig sind die einzelnen Komponenten und der Betrieb. Als schlimmsten Stromfresser hat die Studie viele unbeachtete Leckagen in den Verteilnetzen entlarvt. In 80 % der Fälle könnte hier eine Modernisierung die Effizienz der Anlage um durchschnittlich 20 % steigern. Weitere wichtige Ansatzpunkte sind etwa die sonstigen Druckverluste im Netz, die Gesamtauslegung sowie der Kompressor und sein Antrieb (siehe Tabelle).
Am wirkungsvollsten lassen sich Energieeinsparungen mit einer neuen Druckluftanlage erzielen. Doch auch durch Austauschen einzelner Hauptkomponenten kann der Betreiber viel erreichen, betonen die Verfasser der Studie. In jedem Fall muss er investieren, um von reduzierten Energiekosten zu profitieren. Eine Alternative besteht darin, die Investition einem Contractor zu überlassen, der später die Anlage betreibt und die Druckluft zu einem vereinbarten Preis abgibt. Bei diesem Modell teilt sich das Unternehmen die gewonnene Energiekosten-Einsparung mit dem Contractor auf.
Obwohl die vorgeschlagenen Maßnahmen profitabler sind, als viele andere Investitionen, werden sie in der Industrie selten umgesetzt. Auf die Frage nach dem ‚Warum?‘ haben die ISI-Forscher eine überraschende Antwort gefunden: In den meisten Unternehmen fallen die Energieverluste gar nicht auf. Dafür sind zwei Gründe maßgeblich:
- 1. In der Regel wird der Stromverbrauch als Bestandteil der Gemeinkosten verbucht und bleibt unsichtbar für die Betriebsleitung. Kein Manager ist dafür verantwortlich, diese Kosten zu senken. Vielmehr sind die Zuständigkeiten auf mehrere Bereiche wie Produktion, Instandhaltung, Beschaffung und Buchhaltung verteilt.
- 2. Bei der Beschaffung orientieren sich die Entscheidungsträger meist nur an den Investitionskosten. Über 75 % der Lebenszykluskosten einer Druckluftstation entfallen aber in der Regel auf den Energieverbrauch, während die Beschaffungskosten nur einen geringen Anteil ausmachen.
Da offensichtlich hauptsächlich organisatorische Faktoren eine effizientere Drucklufterzeugung hemmen, hat das ISI einen Maßnahmenkatalog vorgeschlagen, um die Industrie wachzurütteln. Dazu gehören Werbekampagnen, zielgerichtete Informationen, Ausbildung, Messkampagnen oder auch neue Vorschriften. „Bis 2015 könnten wir es schaffen, den Stromverbrauch für die Druckluftversorgung in der EU um 11 TWh pro Jahr zu senken“, nennt Projektleiter Radgen das Ziel. Dies entspräche einer Reduktion um mehr als 13 %. Mit dem VDMA führt er bereits Gespräche über eine mögliche Umsetzung. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein.
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