Startseite » Allgemein »

Ein bisher nicht erschlossenes Potenzial

Modellversuch: Wege zur Förderung leistungsstarker Azubis
Ein bisher nicht erschlossenes Potenzial

Leistungsstarke Lehrlinge nach der Ausbildung zu halten, lohnt sich allemal. Warum nicht versuchen, aus diesem Potenzial die künftige Führungskraft heranzuziehen? Doch woran erkennt man an einem Azubi, dass er oder sie besonders leistungsstark ist? Und wie vermittelt man das Know-how als Führungskraft? Ein Modellversuch hat diesen Weg erprobt.

Peter Becker ist Journalist in Berlin

Von wegen Freizeitgesellschaft. Als in Bonner Berufsschulen den Auszubildenden angeboten wurde, zwei Jahre lang zusätzlich auch noch jeden Samstag den Unterricht zu besuchen, war das Interesse mehr als groß: Weit mehr als 120 Interessierte meldeten sich. 32 wurden ausgewählt, und inzwischen haben diese „besonders Leistungsfähigen“ neben ihrer gewerblich-technischen Ausbildung auch noch fachliche Zusatzqualifikationen erworben.
Der Fall zeigt: „Es gibt hierzulande ein erhebliches Potenzial, das für den Wirtschaftssstandort noch nicht erschlossen“ wurde. Das Zitat stammt aus einem Leitfaden über den Modellversuch Leistungsstarke Auszubildende nachhaltig fördern (Lanf). Er ist unter mehreren Gesichtspunkten als zukunftsweisend zu bewerten: Nicht nur, dass endlich auch einmal derjenige Teil der Jugendlichen gefördert wurde, deren Leistungen in der Schule unterhalb des Abitur-Niveaus lagen. Innovativ war auch, dass die Betriebe darüber bestimmen konnten, welche Zusatzqualifikationen ihren Azubis vermittelt werden sollten.
Entwickelt und erprobt wurde das Lanf-Konzept in den Jahren 2000 bis 2003 in Bonn und Würzburg. Die Auswahl der Standorte ergab sich daraus, dass in der ehemaligen Bundeshauptstadt die Dr. Reinhold-Hagen-Stiftung ihren Sitz hat, der die Federführung des Modellversuchs oblag, und dass in der fränkischen Stadt die Kolping-Akademie als zweiter Projektinitiator ansässig ist. Wissenschaftlich begleitet wurde das Vorhaben vom Lehrstuhl für Sozialpädagogik der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Förderung kam vom Bundesinstitut für Berufsbildung (Bibb), vom Bundesbildungsministerium und von den Stiftungen Hertie und eben Dr. Reinold Hagen.
Die ursprüngliche Idee stammte aus Franken. Denn dort wie anderswo haben kleine Betriebe das große Problem, beim Ausscheiden des Chefs einen Nachfolger zu finden. Warum also nicht versuchen, aus dem Potenzial der Lehrlinge im Unternehmen die künftige Führungskraft heranzuziehen? Nur: Woran erkennt man an einem Jugendlichen, dass er oder sie besonders leistungsstark ist (siehe Kasten)? Und: Wie vermittelt man ihm oder ihr – wenigstens ansatzweise – das Know-how als Führungskraft?
Trickreich setzten die Bonner das Vorhaben um. Sie wendeten sich nämlich nicht direkt an die Betriebe, „weil wir den Aufwand in Grenzen halten wollten“, wie Adrian Maksan von der Hagen-Stiftung sagt. Sie nahmen Kontakt mit drei Berufsschulen auf, überzeugten zunächst Direktion und Lehrerschaft und präsentierten dann das Projekt den Azubis, wobei sie auf das eingangs geschilderte große Interesse stießen. Die Lehrer beurteilten anschließend die einzelnen Bewerber, ob man ihnen eine Mehrbelastung zutrauen könnte, und schließlich gab es die Anfrage an die Ausbildungsbetriebe.
Dort ging die Sache schnell voran, denn die Nominierten hatten schon viel Wind in eigener Sache gemacht und waren wild entschlossen mitzumachen. Das bestätigt Werner Klose, Leiter der gewerblich-technischen Ausbildung bei den Bonner Stadtwerken, der vier Azubis in dem Modellversuch hatte: „Wir haben die Leute nicht zu Lanf geschickt – sie sind aus freien Stücken hingegangen.“
Schon vor Projektbeginn waren die teilnehmenden Firmen befragt worden, welchen Lernstoff sie für ihre Leistungsstarken wünschten, genauso durften auch die Azubis ihre Liste der bevorzugten Themen erstellen. In Bonn bekamen Qualitätsmanagement, Betriebswirtschaftslehre und Elektrotechnik den Zuschlag. Neben diesen Lernmodulen aus dem fachlichen Bereich ging es auch um Soft-Skills, also soziale Kompetenz und Medienkompetenz. Die Teilnehmer mussten mindestens ein Modul aus jedem Bereich belegen.
Es ging jedoch nicht nur darum, Kompetenzen zu ermitteln. „Ziel war auch, die persönliche Entwicklung der Teilnehmer zu fördern“, betont Adrian Maksan. Also gab es in dem Modellversuch auch Projekte: Für die Bonner begann das mit einem Billardabend zum Kennenlernen – natürlich selbst organisiert –, ging weiter über eine Nachtwanderung durchs Siebengebirge und mündete in einer Abschlussfahrt zu den Wissenschaftlern nach Eichstätt. Eine der Erfahrungen dabei war das Erlebnis von Gemeinschaft und Solidarität.
Beachtlich ist, was die jungen Leute leisteten. Nicht nur, dass der Samstagsunterricht von 9 bis 16 Uhr sich auf ein zusätzliches Jahr Berufsschulunterricht summierte. Sie legten auch die Prüfung zum Qualitätsassistenten der Deutschen Gesellschaft für Qualität ab. Andere absolvierten die Prüfung zur Elektrofachkraft für die Inbetriebnahme elektropneumatischer Steuerungen. Manche der Azubis haben daneben sogar noch ihre reguläre Ausbildung verkürzt. Wohlgemerkt: Die Teilnehmer hatten Realschulabschluss, und keiner von ihnen war durch die Schulnote aufgefallen.
Im Gegenteil: Eine Abbrecherin aus einer rein schulischen Ausbildung absolvierte bei Lanf gleich vier zusätzliche Module. Wie es im Abschlussbericht heißt, bot sie im Modul „mediale Kompetenz“ dem Dozenten an, ihr Vorwissen einzubringen und die Mitschüler anzuleiten. Einfach weil es ihr Spaß mache und weil Lanf als „eines ihrer wichtigsten Hobbys anzusehen sei“.
Kann aber ein mittelständischer Bertrieb die Leistungsstarken auch nach der Ausbildung halten? Bei den Bonner Stadtwerken sind zwei der Lanf-Azubis inzwischen an einer Hochschule, einer bereitet sich auf ein Jahr in den USA vor und einer ist nach einem Umweg über den öffentlichen Dienst wieder zurückgekommen. Ausbildungsleiter Klose sieht das Weggehen gelassen: „Wir setzen darauf, dass wir möglichst früh die künftigen Ingenieure an uns binden.“ Dabei redet er ganz gezielt von „anbinden“ und nicht von „fesseln“. Das geschieht eben durch Förderung oder bei den Studenten etwa durch Semesterjobs und Diplomarbeitsthemen.
Etwas anders war der Modellversuch in Würzburg organisiert. Hier gab es neben dem Lernmodul BWL auch CAD und neben sozialer Kompetenz auch internationale Kompetenz, also Vermittlung einer fremden Spache und Kultur, nämlich Spanisch. Höhepunkt war deshalb auch die Fahrt nach Barcelona, wo die Teilnehmer den dortigen Standort der Firma Braun besuchten. „Die jungen Leute haben die Organisation der Reise bravourös gemeistert“, sagt Eugen Schäfer von der Kolping-Akademie.
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
6.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de