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Einfache Universalfräsen gibt es nur gebraucht

Maschinen aus zweiter Hand für diffizile Anwendungen
Einfache Universalfräsen gibt es nur gebraucht

Eine Team ehemaliger Deckel-Mitarbeiter hat das ganze technische Know-how der alten Deckel AG in ein Handels- und Service Unternehmen eingebracht. Die Firma Dieter Siebert Werkzeugmaschinen gehört zu den ersten Adressen für gebrauchte Deckel-Maschinen.

Sven Hardt ist Journalist in Neuenhagen bei Berlin

Der Mann liebt Deckel-Werkzeugmaschinen. Wir stehen vor einer FP 1, Baujahr 1963. Das Gerät sieht aus wie neu und läuft auch so. „Für die Generalüberholung einer FP 1 brauchen wir rund 2 Wochen“, sagt Dieter Siebert, Geschäftsführer der Dieter Siebert GmbH in Wolfratshausen bei München. Die FP1 ist ein Stück Maschinengeschichte. Sie vermag, was nur wenige Industriemaschinen können. Sie erzeugt Emotionen. Wie ein VW Käfer oder ein Porsche 911. Besonders bei Dieter Siebert. „Es ist ein wunderschönes Gefühl, wenn wir mit der Überholung fertig sind“, schwärmt Siebert, der sein Unternehmen 1993 während des Zusammenbruchs der alten Deckel AG gründete.
Der Industrieelektroniker war bei Deckel in München zuletzt für den gesamten After-Sales-Service zuständig. Er kam Anfang der achtziger Jahre zum Unternehmen, um Steuerungen mit zu entwickeln und zu integrieren. „Die NC-Technologie war eine Revolution, die viele Unternehmen unvorbereitet getroffen hat“, erinnert sich der heute 50-Jährige. „Die Kunden haben die neuen Steuerungen gefordert. Mein Team war damals die Feuerwehr bei Deckel. Wir haben Tag und Nacht gearbeitet, um den Anschluss nicht zu verlieren. Das war nicht wirklich schön, aber sehr lehrreich.“ Von diesem Know-how profitiert das Team noch heute. Alle Techniker der Firma Siebert sind ehemalige Deckel-Leute, die von der kleinen Fräsmaschine bis zum komplexen Bearbeitungszentrum alles in Schuss bringen.
Ortstermin beim Kunden: Das Medizintechnikunternehmen 3 M Unitek GmbH, Puchheim, hat bei Siebert zwei Deckel-Universalfräsmaschinen mit Bahnsteuerung gekauft. Eine FP 2 NC, Baujahr 1984 und eine FP 3 NC, Baujahr 1988. Die Preise für die komplett überholten Maschinen: 90 000 DM und 100 000 DM. Siebert-Techniker haben die Maschinen komplett demontiert sowie die Führungen neu geschliffen und eingeschabt. Dank dieser Geometrieüberholung arbeiten die Veteranen so genau wie Neumaschinen. Sie bearbeiten bei 3M kleine Stahlbrackets aus 1.4305-Edelstahl für Zahnspangen zur Regulierung von Fehlstellungen. Ein solches Bracket wird vom Kieferorthopäden direkt auf den Zahn geklebt. Die Deckel-Maschinen fräsen einen Kanal auf jedem Bracket, durch den der Draht der Zahnspange geführt wird. Dieser Kanal ist mit Plus-Toleranzen zwischen 1/100 mm und 3/100 mm zu bearbeiten. Daneben wird die Gesamtkontur der Miniaturteile gefräst – eine filigrane und genaue Bearbeitung.
Als Teil der 3M-Gruppe gehört 3M Unitek zu einem globalen Mischkonzern mit einem weltweiten Umsatz von 16,724 Mrd. $ im Jahr 2000. Warum kauft ein solches Unternehmen gebrauchte Maschinen für eine Schlüsselfunktion in der Produktion? Produktionsleiter Herbert Dust nennt die Gründe: „Solche einfachen und doch hochwertigen Universalfräsmaschinen wie die von Deckel gibt es heute am Markt nicht mehr. Wir sind auf die Umstellung von Horizontal- auf Vertikalfräsen angewiesen.“ Nach der Maschinenbaukrise 1993/94 wurden kaum noch Universalfräsmaschinen hergestellt. Die Maschinenbauer machten mit den neuen Vertikalfräsmaschinen deutlich preiswertere Angebote, aber die Universalität einer FP 2 NC gab es nicht mehr. Auch die gute Zugänglichkeit und einfache Handhabung dieser Maschinen suchte man fortan bei den neu entwickelten Fräsen vergeblich.
Dust hat bereits vor dem Kauf der Gebrauchten mit Deckel-Maschinen gearbeitet. Rund 650 verschiedene Brackets mit 650 verschiedenen Vermaßungen haben die Zahntechniker im Programm – das bedeutet: 650 NC-Programme. „Wir haben mit den Dialog-Steuerungen gute Erfahrungen gemacht und müssen unsere Bearbeiter nicht neu schulen“, erklärt Dust. Siebert ergänzt mit dem Stolz des Entwicklers: „Die alten Dialog-Steuerungen von Deckel sind einfach, aber nach wie vor aktuell. Viele tausend Deckel-Kunden sind sehr zufrieden damit.“
Die Kernkompetenz des Wahl-Bayern und seiner Mitarbeiter liegt in der NC-Technik. Das Know-how aus der Deckel-Zeit reicht bis zum kleinsten Schaltkreis. Die Techniker rücken den defekten Platinen zu Leibe und bringen sie wieder auf Vordermann. Diese Erfahrung kam auch bei 3M zum Tragen: Die Steuerung hat die Übergabesignale der 4. Achse falsch interpretiert – ein Software-Fehler, den 16 Jahre lang niemand bemerkt hatte. Das Siebert-Team hat die Fehlfunktion nach zwei Tagen behoben. „Wir konnten das Problem in der technischen Dokumentation nachvollziehen und mit der Installation einer neuen Software lösen“, erinnert sich der Elektronik-Fachmann.
„Natürlich spielt auch der Service eine Rolle“, sagt Dust mit Blick auf fernöstliche Alternativen. „Deckel Maho und Siebert sind immer in der Nähe.“ Beim Stichwort Service kommt der Dienstleister Siebert in Fahrt: „Die meisten Anbieter in Deutschland wissen nicht, was Service bedeutet.“ Die Wolfratshausener wissen es: Umsatz mit Teilen, Dienstleistungen und Kunden, die wiederkommen. Ersatzteile versenden sie in alle Welt. Da Gildemeister die Marke Deckel Maho im eigenen Konzern weiterführt, ist die Ersatzteilversorgung auch für 40 Jahre alte Maschinen gesichert – durchaus nicht üblich in der Welt der Werkzeugmaschinen.
Meistens liegen die Experten von Siebert schon mit der Telefondiagnose richtig. Wenn nicht, reist ein Techniker zum Ort des Problems. „Wir machen immer in der Nähe unserer Firma Urlaub, damit wir schnell helfen können, wenn eine Maschine den Dienst versagt“, freut sich Siebert über seine Mitarbeiter. Die Bayern eilen auch bei defekten Maschinen zur Hilfe, die nicht bei Siebert gekauft wurden. Es kommt vor, dass Kunden eine sofortige Reparatur an Maschinen wünschen, die nicht bei den Wolfratshausenern gekauft wurden, weil sie zu teuer waren. „Unsere Überholungen haben ihren Preis“, sagt der Chef. „Manchmal kaufen Kunden bei einem billigeren Anbieter. Und wenn die Maschine kaputt ist, sollen wir helfen. Das machen wir natürlich. Jeder Kunde kriegt, was er will.“
Eine Maschine wird erst überholt, nachdem sie einen Käufer gefunden hat. Mit dem Kunden wird dann das Überholungskonzept besprochen und an den Erfordernissen der Anwendung ausgerichtet. Hochgenaue Bearbeitungen sind nicht immer gefragt.
Die Servicetechniker werden im Fall 3M wohl eher wenig zu tun haben, denn die großen Maschinen sind mit den winzigen Werkstücken kaum ausgelastet. Auch dieser Aspekt spricht laut Dust für die Gebrauchten: „Bei dieser Zerspanungsleistung laufen die großen Maschinen quasi im Leerlauf. Verschleiß haben wir nur an den Werkzeugen. Wenn dagegen bei einem kleinen Gerät ein Fräserbruch passiert, kann die Maschine blockieren. Antriebe, Mechanik und Elektronik können beschädigt werden.“ Und das kann sich der Zahntechniklieferant nicht leisten. Mit fünf Millionen Brackets pro Jahr gehören die Puchheimer mit nur 20 Arbeitern zu den weltweit größten Produzenten.
In Sieberts Besprechungszimmer stehen zwei uralte Deckel Maschinen. Eine FP 1 von 1918 und ein Schraubendrehautomat von 1914. Sie dienten bei der Deckel AG als Ausstellungsstücke. Während der Deckel-Maho-Konkursversteigerung 1994 erfüllten sie den gleichen Zweck, unter den Hammer kamen sie trotzdem. Dieter Siebert konnte es nicht glauben. Für ihn sind die beiden Veteranen so etwas wie die Seele des Unternehmens. „Für mich war klar: Die beiden kriegt kein anderer – koste es, was es wolle.“ Der Mann liebt Deckel-Werkzeugmaschinen.
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