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Einheitsquark in Goethes „nahrhaftem Städtchen“

Ixion-Maxion-Auerbach: Geduld wurde honoriert
Einheitsquark in Goethes „nahrhaftem Städtchen“

Zuerst kein Glück, dann auch noch Pech und erst durch Zufall zum Erfolg: Wie der VEB Pößnecker Spannwerkzeuge nach den Wirren der Wiedervereinigung als Maxion GmbH neu Fuß fassen konnte.

Von Chefreporter Wolfgang Filì – chefreporter@fili.net

Als der Sohn des letzten privaten Teilhabers in die Verhandlung platzte, musste Maximilian Klumpp erst einmal tief Luft holen. Diesen Dr. Schmidt konnte er überhaupt nicht gebrauchen – jedenfalls nicht in dieser Phase. Zu oft hatte der Hamburger Geschäftsmann verfolgt, wie ungeklärte Besitzverhältnisse ein ansonsten für alle Beteiligten sinnvolles Geschäft knapp vor dem Ziel vereitelten. Und Schmidt meldete tatsächlich Ansprüche an. Blieb Klumpp zu hoffen übrig, dass es diesmal anders ausging.
Man schrieb den März 1990, oder – in anderer Zeitrechnung – das Jahr eins nach der Wende. Maximilian Klumpp war nach Thüringen gereist, um den ehemaligen VEB Pößnecker Spannwerkzeuge zu übernehmen. PSW stand haarscharf vor dem Aus, und der Chef und Inhaber der Hamburger Werkzeugmaschinenfabrik Ixion Otto Häfner GmbH + Co. KG mochte nicht zusehen, wie ein bislang tadelloser Lieferant den Bach runter ging. 50 Jahren lang hatte er seine Schraubstöcke von dem Pößnecker Unternehmen bezogen, das zunächst unter Maschinenfabrik Cäsar Schulz firmiert hatte, ab 1960 Cäsar Schulz KG hieß mit einem gewissen Max Schmidt als Komplementär und das nach dessen Enteignung 1972 unter dem Kürzel PSW lief.
Indes war die Qualität gleich geblieben. Mit guten Gewinnen hatte der volkseigene Betrieb Spannwerkzeuge, Maschinenständer sowie Bohrmaschinen für Handwerk und Industrie produziert. 90 % davon waren exportiert worden. Der meist minderwertige Rest wurde im eigenen Land verkauft.
Als ihre Märkte im Osten einbrachen und die DDR sich nach Westen öffnete, gingen den Pößneckern die Aufträge aus. Sofort fragte Klumpp bei PSW an, ob man sich dort eine intensivere Zusammenarbeit vorstellen könne. Ihm ging es dabei vor allem um Kapazität sowie – eher strategisch – um einen Stützpunkt für den mittel- und süddeutschen Raum.
Dieser Ball wurde aufgefangen, und ab Januar 1990 suchten die Parteien nach passenden Wegen. Klumpps Vorschlag war zunächst, das Unternehmen zu bewerten und einen identischen Betrag für die dringendsten Investitionen bereitzustellen. Im Gegenzug wollte er einen Anteil von 51 %. Später, nach Erreichen der Gewinnzone, sollten die restlichen 49 % an die Belegschaft verkauft werden. Damit hätte man echtes Volkseigentum geschaffen.
Dieser Plan gefiel vor allem den PSW-Mitarbeitern, blieb der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) jedoch suspekt. Auch mehrfache Sachvorträge konnten dies nicht ändern. Ende März 1990 schließlich akzeptierte Klumpp, dass getretener Quark nur breit wird und nicht stark, und arbeitete an einem zweiten Angebot.
In dieser Phase trat Dr.-Ing. Günter Schmidt auf den Plan, der Sohn des früheren Mitinhabers. Auch Schmidt – so stellte sich sehr bald heraus – war militant interessiert, die PSW aus dem freien Fall zu bringen. Dies sei er seinem Vater und der Belegschaft schuldig. Damit erwies der mutmaßliche Störenfried sich unerwartet als Partner mit Potenzial, denn die BvS tat sich wesentlich leichter, das Unternehmen über den Rechtsnachfolger eines enteigneten Einheimischen zu privatisieren als mit einem Geschäftsmann aus dem fernen Hamburg.
Von nun an ging alles sehr schnell: Juni 1990 wurde die PSW von Schmidt reprivatisiert und bereits einen Monat später überführt in die neu gegründete Maxion Maschinen und Werkzeuge GmbH. Schmidt hält seitdem 25 % der Anteile, Maximilian Klumpp und die Ixion GmbH halten den Rest. Beide Herren sind bis heute Geschäftsführer.
Die Fabrik in dem „nahrhaften Städtchen in der Orlasenke“ – so hatte Goethe auf einer seiner Durchreisen Pößneck entzückt genannt – bekam dadurch zwar etwas Ruhe, jedoch noch keinen dauerhaften Auftrieb. Dieser stellte sich erst ein, nachdem die Fertigung, Verwaltung und Vertrieb modernisiert und die grundlegenden Schwächen der alten PSW analysiert waren.
Deren Management hatte zu sehr auf den Export geschielt und den Binnenmarkt nur für den Absatz minderwertiger Güter wahrgenommen. Verkäufer und Einkauf hatten seitenverkehrt gearbeitet: Die Einkäufer waren die Bittsteller, der Verkauf mit wenig Kostenbewusstsein gesegnet und unflexibel. Das kaufmännische Zahlenwerk war nicht einmal als Anhaltspunkt brauchbar. Damit verkörperte Maxion den Industriestandard Ost jener Zeit: einerseits technisch und qualitativ gute Produkte und gebildete, motivierte Mitarbeiter, andererseits die Narben eines jahrelang fest gezurrten ökonomischen Korsetts.
Heute schreibt Maxion tiefschwarze Zahlen. Zusammen mit Klumpps Ixion GmbH werden Tisch- und Säulenbormaschinen produziert, die technisch auf der Höhe und wirtschaftlich ein Renner sind. Ab 1990 zunächst unter getrennten Namen geführt, werden sie jetzt unter Ixion-Maxion vertrieben. Das stärkt den Marktauftritt. Daneben fertigen die Pößnecker in kleinen Auflagen solch pfiffige Lösungen wie Bohrwagen für Bahnschienen und Sonderlösungen für die Beschlägeindustrie.
Die Erfahrungen aus der PSW-Übernahme mag Klumpp nicht missen. Im Gegenteil. So hat er 1997 die knapp 90 km entfernte, renommierte Fräsmaschinenfabrik Auerbach in Ellefeld erworben. Deren Belegschaft hatte weniger Glück als die Pößnecker und zunächst einige west-östliche Sanierungspleiten ertragen müssen. Als der Hamburger feststellten, dass die Mannschaft ihr Unternehmen dennoch mit Händen und Füßen verteidigten, war ihm auch ein zweites Quarktreten mit den Behörden nicht zuviel. Die Hartnäckigkeit und Geduld hat sich für die Region wie für die heutige Gruppe Ixion-Maxion-Auerbach gelohnt. Das Unternehmen ist gesund.
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