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Einmal pressen statt endlos drehen und fräsen

Fließpreßtechnik: Präzise Teile mit hoher Festigkeit
Einmal pressen statt endlos drehen und fräsen

Das Fließpressen gewährt dem Konstrukteur weitergehende Gestaltungsfreiheiten als etwa das Tiefziehen oder das Strangpressen. Die Teile kommen endformnah und mit hoher Präzision aus der Presse.

Von unserem Redaktionsmitglied Olaf Stauß

Vor Willy Kretz liegen unterschiedlichste Aluminiumteile vom Sensorgehäuse bis zum Wärmetauscher-Element, die nur eines gemeinsam haben: Aus wirtschaftlichen Gründen sind sie durch Fließpressen entstanden. Häufig sind sie Nachfolger von Werkstückkonstruktionen, die mit anderen Verfahren wesentlich aufwendiger hergestellt werden mußten. Zum Beispiel ersetzt ein einzelnes Fließpreßteil zwei Drehteile, die bisher zu verlöten waren; ein weiteres substituiert ein Schmiedeteil ,und wieder ein anderes löst eine tiefgezogene Komponente ab. „Das Verfahren hat ein sehr hohes Formgebungspotential“, nennt der technische Geschäftsführer der Alutec Metallwaren GmbH & Co., Sternenfels, den wichtigsten Grund für die Substitutionen. „Der Vorteil liegt darin, daß die Teile sehr endformnah gefertigt werden können.“ In der Regel rechnet er bei einem Preßling, der nachbearbeitet werden muß, mit einem Materialüberschuß von nur 5 bis 10 %.
Selbst komplexe Funktionsteile lassen sich oft mit solch geringen Aufmaßen realisieren. Das Paradebeispiel dafür ist das Antriebsrad eines Kreissägenblattes, das ebenfalls von dem Unternehmen in Sternenfels produziert wird. Neben der Verzahnung enthält es zwei Paßfedernuten, zwei Indexiernuten sowie Außen- und Innendurchmesser mit Schlüsselflächen, die jeweils eng tolerierte Maße aufweisen. Das Teil verläßt die Fließpresse nahezu endfertig. Die Verzahnung besitzt zum Beispiel eine Rundlaufgenauigkeit von 0,08 mm. Nach dem Pressen wird die Festigkeit durch Warmaushärten auf 310 N/mm² angehoben, und anschließend muß lediglich noch die Außenkontur fertiggedreht werden. Früher wurde das Antriebsrad aus zwei Stahlteilen gefertigt, was zahlreiche Arbeitsgänge wie Drehen, Fräsen, Räumen sowie eine Korrosionsschutzbehandlung und Montagearbeiten erforderlich machte. In der Summe kostete die Herstellung damals doppelt so viel wie das heutige Fließpreßteil.
In vielen Anwendungsfällen reicht die ohne Warmaushärten erzielte Festigkeit aus, berichtet Willy Kretz. Den Teilen kommt zugute, daß beim Fließpressen eine Kaltverfestigung auftritt.
Festigkeit beträgt bis zu 310 N/mm2
Sie steigert die Festigkeit um bis zu 50 %. Naturharte Alu-Knetlegierungen wie EN AW-Al99,5 verlassen die Presse mit 120 bis 140 N/mm², warmaushärtbare Alu-Legierungen wie EN AW-AlSi1MgMn mit 200 bis 220 N/mm². Muß die Festigkeit bei 310 N/mm² liegen, bietet sich der Einsatz von höherfesten Legierungen an, die allerdings ein niedrigeres Umformvermögen aufweisen und damit die Vorteile des einstufigen Fließpressens schmälern, auf das sich Alutec spezialisiert hat.
Obwohl das Fließpressen von Aluminium dem Konstrukteur viele gestalterischen Möglichkeiten gibt, ist es längst nicht so verbreitet wie etwa das Tiefziehen. Warum? „Früher wurde eben nicht in Aluminium gedacht, sondern automatisch mit Stahl konstruiert“, meint Aluminium-Verarbeiter Kretz – und dies, obwohl die Anfänge des Fließpressens bis in das frühe 19. Jahrhundert zurückreichen. Ursprünglich zum Fertigen von Blei-Tuben und von Munitionshülsen eingesetzt, wird es heute vor allem in der Verpackungsindustrie angewandt. Die 1988 in Pforzheim gegründete Alutec GmbH kümmerte sich jedoch von Anfang an um technische Präzisionsteile und verzeichnet damit seit Jahren zweistellige Wachstumsraten. „Besonders in der Formgebung haben wir uns weit vorgewagt“, sagt Kretz. Neue Gestaltungsmöglichkeiten auszuprobieren und Ideen zu verfolgen, hält er für einen wichtigen Pfeiler des bisherigen Erfolgs.
Die Vorteile des Verfahrens ergeben sich oftmals erst durch intelligentes Kombinieren der Grundformen. Das „Napf-Rückwärts-Fließpressen“ ist eine von ihnen und bringt becherförmige Bauteile hervor. Ein massiver Rohling, in Sternenfels auch „Butzen“ genannt, wird in ein geschlossenes Gesenk gelegt. Ein Stempel drückt darauf und preßt das Material rückwärts heraus. Es fließt zunächst formschlüssig zwischen Stempel und Matrize und nach dem Passieren der Oberkante frei aus dem Gesenk heraus. Anders als beim Tiefziehen, erfährt der Aluminium-Werkstoff dabei nur Druckspannungen. Die Dicke des Bodens muß mindestens das 1,5fache der Wandstärke betragen, ist aber nach oben unbegrenzt.
Dies verschafft den Fließpreßteilen im Vergleich zu Tiefziehteilen zwei entscheidende Vorteile: Zum einen genügt in der Regel ein einstufiges Umformen, zum andern kann der Konstrukteur in dem dickeren Boden Gewinde, Rippen oder andere Funktionselemente vorsehen und muß keinen Deckel oder Aufsatz konstruieren. In der Sammlung von Kretz befindet sich eine Reihe von Elektronik- und Sensorgehäusen, die entsprechende Formen aufweisen. Nachträglich müssen lediglich die Gewinde eingearbeitet und die Wände auf Länge abgedreht werden. Planflächen sowie Innen- und Außendurchmesser lassen sich teilweise auf 0,05 mm genau fließpressen.
Preßteile sind auf Hundertstel genau
Bei der zweiten Grundform, dem „Voll-Vorwärts-Fließpressen“ wird der in das Gesenk eingelegte Butzen wie der Teig in einer „Spätzlesmaschine“ nach vorne ausgepreßt. Dabei können so exotische Werkstücke wie ein einteiliger Stiftkühlkörper entstehen, bei dem eine Vielzahl von Stiften aus einer Grundplatte herausragen. Die Leistungsfähigkeit dieses Luftkühlers liegt um 20 % bis 30 % höher als bei einer auf Profilen beruhenden Ausführung. Nachträglich müssen nur die Stiftlängen durch Abscheren auf die gewünschte Länge gebracht werden.
Die vorwärts fließgepreßten Teile unterscheiden sich von Strangpreßprofilen vor allem dadurch, daß Querstrukturen im Kopf- oder Bodenbereich möglich sind. Außerdem wird beim Fließpressen keine Wärme von außen aufgebracht. Das Material erwärmt sich durch die beim Kaltumformen freiwerdende Energie auf maximal 200 °C, während beim Strangpressen wesentlich höhere Temperaturen herrschen. Die Fließpreßformen verschleißen dadurch weniger und bleiben maßhaltiger. Die deutlich geringere Schwindung läßt sich laut Kretz „durch gezieltes Vorsteuern“ beim Bau der Form kompensieren. Auch beim Vorwärts-Fließpressen sind, abhängig von der Werkstückgeometrie, Genauigkeiten im Hundertstel-Bereich möglich.
Zu den genannten Grundformen gesellt sich das Hohl-Fließpressen, um Röhrenelemente zu fertigen, und das Quer-Fließpressen, das den Einsatz eines geteilten Werkzeugs erforderlich macht. Richtig kombiniert gewähren die Verfahren dem Konstrukteur große Gestaltungsfreiheit und führen zu hohen Einsparungen in der Fertigung.
Durch ein kombiniertes Vorwärts-/Rückwärts-Fließpressen entstehen zum Beispiel 18 mm lange Zylinder für die Elektronikindustrie, bei denen auf der Deckelseite ein Gewindestutzen aufgebracht ist. Die Nacharbeit beschränkt sich auf das Eindrehen des Gewindes und eine im Inneren liegende Paßfläche. Früher bestand die Komponente aus einem Rohr und einem Drehteil, die vakuumdicht miteinander verlötet werden mußten. Das Fließpressen erspart also umfangreiche Dreh- und Lötarbeiten ein und schaltet nebenbei Fehlerquellen aus.
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
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