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Entwürfe für den großen Wurf

Innovationsmanagement: Wege zu höherer produktivität
Entwürfe für den großen Wurf

Mit ihren Produkten sind Maschinenbauer Lieferanten von Produktivität. Doch ihre Denkabteilungen müssen künftig das Wechselspiel zwischen Systematik und Freiraum besser beherrschen, um F+E effektiver und effizienter zu gestalten.

Wie kaum ein anderer Name steht Kärcher für Hochdruckreinigung. Dass die Produktentwickler des schwäbischen Reinigungsgeräteherstellers unter Dampf stehen, zeigt die Statistik: 85 % der insgesamt 1600 Produkte sind jünger als vier Jahre. Gewiss: Kärcher-Entwickler nutzen Virtual Reality als Design-Tool. Frühzeitig wird die geplante Entwicklung in der virtuellen Umgebung einer Cave virtualisiert. Auch die Wiederverwendbarkeit, etwa bei Designelementen wie Griffen, Rädern oder Schaltern im Rahmen ganzer Produktfamilien, spart Zeit und drückt die Entwicklungskosten.

In den vergangenen zwei Jahren haben die Schwaben den Produktentwicklungsprozess stark geschrumpft: „Beim Hochdruckreiniger für Endverbraucher haben wir uns um 20 Prozent verbessert“, betont Dr.-Ing. Hagen Gehringer, der bei Kärcher den Bereich Corporate Development leitet. Diese Schlagzahl ist ihm aber nicht genug. Zwei Monate will er innerhalb von zwei Jahren noch kappen. „Damit diese Strategie aufgeht“, wie Gehringer sagt, hat er Schulungen verordnet, die auch die Kreativität seiner Mitarbeiter fördern sollen. Um ihre Ressourcen im Entwicklungsprozess ausschöpfen zu können, erhalten die Kärcher-Ingenieure sogar an einer Stelle mehr Zeit: Die frühe Kreativitätsphase wurde um zwei bis vier Wochen verlängert. Das Mehr an Zeit für die Ideengenerierung soll spätere Phasen, mithin also den gesamten Prozess bis zur Serienreife, entscheidend verkürzen.
Dem kann Alexander Grots nur zustimmen. Für den Deutschland-Geschäftsführer von Ideo, der weltweit agierenden kalifornischen Design- und Innovationsschmiede, ist „der Mensch selbst das größte Potenzial für Innovation“. Kreativität, befindet der Münchener Berater kategorisch, „wird entscheidend dafür sein, wie sich ein Unternehmen in Zukunft von anderen unterscheidet“. Um dem kreativen Impetus auf die Sprünge zu helfen, nähert sich Grots ihm auf dem Weg des Designs. Ideos Ansatz, Design Thinking genannt, lotet zuerst die Bedürfnisse und Wünsche der Kunden aus. Erst im zweiten Schritt werden die Ideen auf Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit abgeklopft. Auch wenn seine Firma mit Entwicklungen wie die Apple-Computermaus oder den Palm-Rechner den Nerv der Zeit getroffen hat – wichtiger ist dem Trainer der Blick in die Zukunft, sprich zu erläutern, wie man ein gutes Klima für kreative Ideen schafft. „Auch darin steckt Potenzial“, ist Grots überzeugt, „um produktiver und schneller zu entwickeln.“
Wie Unternehmen kundennahe Innovationsfähigkeit erlangen können, wird Alexander Grots demnächst auf dem zweitägigen Fachkongress „Innovation Leadership Summit“ in Aachen (s. Kasten S. 31) erläutern. Die Initiatoren aus dem Werkzeugmaschinenlabor (WZL) der RWTH Aachen sorgen sich darum, dass das Gros industrieller Produzenten in gesättigten Märkten konkurriert und sich gleichzeitig kaum mehr durch signifikante Einzelinnovationen und Technologiesprünge abhebt. „In den meisten Fällen haben wir nur nette Nachfolgeprodukte“, kritisiert Prof. Dr. Günther Schuh Neuerungen, die allenfalls im erwarteten Rahmen liegen.
Der Direktor des WZL und des Fraunhofer IPT predigt zwar nicht die ungezügelte Forscherlust. Was er aber einklagt ist ein Schub, der dazu führen soll, dass Unternehmen über ihre Innovationen wahrgenommen werden. Besonders erfolgreiche Innovatoren, die auch auf dem Kongress ihren Erfahrungsschatz ausbreiten werden, zeichnen sich laut Schuh durch „die Kunst der Balance“ aus. Sie hätten „eine ausgewogene Mischung gefunden zwischen standardisierten Prozessen und damit einer durchgängigen Systematik sowie ausreichend kreativem Freiraum, in dem man innehält und alle Optionen überprüft und hinterfragt“. Das Nichterwartete, bestenfalls sogar Kontra-intuitive könne ein wirklicher Knaller sein, animiert Günther Schuh zum Querdenken.
Vor allem im Innovationsprozess liegt für den Wissenschaftler der Schlüssel dafür, ob ein Produkt sich abhebt und als innovativ wahrgenommen wird. Doch der Prozess als Vernetzung von Funktionen betrachtet, findet im F+E-Bereich kaum statt. „Es wird irgendwie gearbeitet, im besten Fall heißt das dann Projekt- oder Multiprojektmanagement orientiert“, schildert er den Praxisalltag. Schuh: „Erst wenn wesentliche Elemente zwischen einzelnen Entwicklern standardisiert ablaufen und untereinander synchronisiert sind, lassen sich Ressourcen ausschöpfen.“ Dies ist keine heimliche Parole. Viele Überraschungen intern, gleichzeitig zu wenig Überraschendes auf dem Markt – die Entwicklungsleiter wissen um die zahlreichen Ineffizienzen in ihrem Beritt. Bald öffnet sich ihnen eine weitere Baustelle: Deutsche Maschinenbauer können rund 40 % ihrer Entwicklungsprojekte, die in den nächsten zehn Jahren anstehen, mangels qualifizierter Entwickler nicht durchführen. Zu dieser Einschätzung kommt die jüngste Studie des WZL, die im Auftrag des VDMA entstanden ist. Genau dieser künftige Arbeitskräftemangel gebietet es, im F+E-Bereich über effektivere und effizientere Arbeitsweisen nachzudenken.
Da zudem die Gelder nicht üppig fließen – der Maschinen- und Anlagenbau investiert gerade einmal 3,5 % seines Umsatzes in die Entwicklungsarbeit –, muss die Produktivität auch im kreativen Entwicklungsprozess steigen. Den Aufwand, der dort durch Suchen, Finden, Koordinieren und immer wieder neue Abstimmungsläufe getrieben wird, hält Günther Schuh für zu hoch. Das Potenzial taxiert der Betriebswissenschaftler auf 30 bis 50 %, je nach Branche und betrieblicher Situation. Nur allzu oft gab sich die „Fundgrube Innovationsprozess“ unantastbar. „Bereits den Begriff Lean Innovation empfinden viele Entwickler aus ihrem Selbstverständnis heraus als Provokation“, weiß der WZL-Professor.
Genau damit aber glänzen die Japaner, allen voran Toyota. Erst wenige deutsche Konzernunternehmen und hoch innovative Mittelständler ziehen ihren Entwicklungsprozess nach der Lean-Management-Idee zügig durch. Einer dieser Ansätze, Set-based Design genannt, sieht vor, sich in den frühen Phasen des Entwicklungsprozesses deutlich mehr Alternativen zu leisten als üblich. Sollte die favorisierte Lösung kurz vor der Zielgeraden doch noch scheitern, steht eine weitere parat. Zusammen mit standardisierten und synchron gestalteten Prozessen würde die Entwicklungszeit substanziell verkürzt, weiß Schuh.
Dass hier Bedarf besteht, wissen die Aachener nicht nur über ihre industrienahen Forschungsprojekte. Auch die Belegung von Seminaren des eigenen Anbieters WZLforum spricht Bände. Besonders Themen zur Entwicklungsproduktivität sind gefragt wie nie, bestätigt Kirstin Marso. Da der Innovationsprozess aber von der Bedarfsweckung bis zur termin- und kostengerechten Markteinführung reicht, will Initiator Günther Schuh auch Produktmanager auf den Innovations-Kongress Ende Juni nach Aachen locken. „Sie definieren letztendlich den Innovationsgrad, indem sie ihn fordern – oder eben nicht“, nimmt der WZL-Forscher die Produktmanager in die Pflicht.
Ihm selbst geht manche Forderung nicht weit genug. „Wer annimmt, nicht allzu viel mehr zu finden, der irrt“, wirbt Günther Schuh für die Offensive. Ein Denken allein aus Richtung des Marktbedürfnisses versäumt es womöglich, den Kundennutzen zu erhöhen. Folglich plädiert er für eine ausgewogenere Mischung aus Market Pull und Technology Push. Letzterer Ansatz sei darauf aus, allenfalls latent vorhandene Bedürfnisse zu wecken. „Das sind dann die tollen Überraschungen“, ist der Wissenschaftler überzeugt, „auf die der Kunde abfährt.“
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