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Erfolg aus Abenteuerlust und Goldgräberstimmung

MBN liefert für Gläserne Manufaktur von Volkswagen
Erfolg aus Abenteuerlust und Goldgräberstimmung

Vom kränkelnden Textilmaschinen-Hersteller zum Lieferanten für die Automobilbranche: Mit dieser Geschäftsidee schreibt die Maschinenfabrik Neugersdorf Erfolgsgeschichte. Jetzt sind die Sachsen beim neuen VW-Werk in Dresden dabei.

Stefan Schroeter ist Journalist in Leipzig

Mit der Gläsernen Manufaktur in Dresden für sein neues Oberklasse-Auto will der Volkswagen-Konzern Maßstäbe im Automobilbau setzen. Das hat auch Folgen für die Lieferanten der Montage-Einrichtungen. „Wir arbeiten zum ersten Mal mit einem Designer zusammen“, berichtet Ernst Lieb, Geschäftsführer der Maschinenbaubetriebe Neugersdorf (MBN) GmbH. Das sächsische Unternehmen arbeitet seit mehreren Jahren für VW und hat jetzt den prestigeträchtigen Auftrag für die Dresdner Montage-Strecke an Land gezogen. Einzelheiten will Lieb natürlich noch nicht verraten. „Für die Manufaktur wird viel mehr an der Optik gefeilt“, läßt er dann doch durchblicken. So sollen dort beispielsweise Preßluft-Schläuche und Schrauber nicht mehr sichtbar sein, sondern aus dem Boden gefahren werden.
In der Neugersdorfer Werkhalle steht schon ein transparenter Auflagetisch für die Glasscheiben des künftigen VW-Flaggschiffs. Er wird zunächst nach Wolfsburg geliefert, wo der Automobilkonzern die Montage-Strecke als Pilotanlage errichtet. MBN-Chef Lieb ist sich vollkommen im klaren darüber, daß sein Unternehmen vor einer großen Herausforderung steht: „Wir sind ein Nutznießer der Gläsernen Fabrik. Jetzt kommt es darauf an, daß wir die hohen technischen Anforderungen erfüllen können.“
Vor acht Jahren war in Neugersdorf nicht daran zu denken, daß hier einmal die Ausrüstungen für einen Automobilkonzern gefertigt würden. Damals gehörte der heutige Vorzeige-Zulieferer noch zum Textima-Kombinat, und die Maschinenbauer schraubten Textilmaschinen zusammen. Ernst Lieb leitete ein kirchlich getragenes Unternehmen in Wolfsburg, wo Nichtseßhafte und schwererziehbare Jugendliche Zulieferteile für VW herstellten. Der Manager gibt heute freimütig zu, daß ihn „Abenteuerlust und Goldgräberstimmung“ getrieben hatten, sich den von der Treuhandanstalt zum Verkauf ausgeschriebenen Maschinenbau-Betrieb in Neugersdorf anzusehen. Zunächst ließ er dort einige Teile fertigen. „Sie haben den Auftrag technisch gut und termingerecht ausgeführt“, erinnert sich Lieb. So entschloß er sich schließlich, den Betrieb gemeinsam mit einem Partner zu übernehmen. Das Unternehmen startete mit 37 Mitarbeitern und einem laut Lieb „etwas veralteten CNC-Maschinenpark“.
Die Investoren modernisierten den Betrieb mit 20 Millionen Mark, unterstützt von Sparkasse und Förderprogrammen. Zunächst bauten die Sachsen weiter Textilmaschinen, aber auch spezielle Anlagen und Maschinen auf Bestellung. Da Textilmaschinen immer schwerer zu verkaufen waren, versuchte der Wolfsburger, mit dem Neugersdorfer Unternehmen wieder bei VW Fuß zu fassen. „Es war zunächst ein Problem, die Manager davon zu überzeugen, daß ein Ostbetrieb einwandfreie Qualität produzieren kann“, berichtet der Geschäftsführer. „Als Neueinsteiger muß man erst einmal sagen, warum man besser ist als die Lieferanten, die schon jahrelang für den Kunden arbeiten.“ Lieb macht kein Hehl daraus, daß die Fördermittel und die an der Grenze zu Tschechien relativ niedrigen Lohnkosten preisgünstige Angebote ermöglichen.
Der Durchbruch gelang schließlich 1994 mit einem Zehn-Millionen-Mark-Auftrag von Autolatina, damals noch ein Gemeinschaftsunternehmen von VW und Ford in Argentinien. Dann ging es Schlag auf Schlag: Es folgten Montageanlagen für VW in Deutschland, Belgien und der Slowakei sowie für die Konzerntöchter Skoda und Seat in Tschechien und Spanien. Im VW-Werk Shanghai steht mittlerweile ebenfalls eine MBN-Montageanlage für den Einbau von Cockpit und Türen beim Passat. Den 2,5-Millionen-Auftrag hatte Lieb an Land gezogen, als Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf mit einer Wirtschaftsdelegation in China unterwegs war. Der Geschäftsführer Lieb hatte Biedenkopf gebeten, mit ihm nach Shanghai zu fahren und ihn bei den Gesprächen zu unterstützen. „Das hat uns sehr geholfen“, freut sich Lieb immer noch. Derzeit verhandelt Lieb über einen Nachfolge-Auftrag für Shanghai.
Welchen Stellenwert die Neugersdorfer inzwischen bei VW erlangt haben, zeigt nicht zuletzt der Pokal im Sitzungszimmer, den das Unternehmen 1997 als „Lieferant des Jahres“ von dem Weltkonzern erhalten hat. Das spricht sich in der Branche herum: Einige Anlagen stehen schon in den Werken von Daimler-Chrysler und BMW. Derzeit bahnt sich ein Geschäft mit einem großen west-europäischen Automobilkonzern an. „Es wird sich aber nichts daran ändern, daß wir am liebsten mit VW zusammen arbeiten“, stellt Lieb klar. „Sie sind auch in schwierigen Zeiten ein guter Partner gewesen, als sich andere zurückgehalten haben.“
Eigentlich kann jeder Autonarr nur davon träumen, bei einem Unternehmen wie MBN zu arbeiten. Denn dort sind die Karosserien der aktuellen Modelle wie der New Beetle oder der neue Golf, für die Montageanlagen gebaut oder umgerüstet werden müssen, schon lange vor dem offiziellen Produktionsstart zu sehen. Schließlich können die Spezialisten nur am Auto in Originalgröße ausprobieren, ob die Technik reibungslos funktioniert. Wenn die Neugersdorfer allerdings beginnen, die Anlagen zu konstruieren, weiß der Auftraggeber oft selbst noch nicht genau, wie das Auto einmal aussehen wird.
Damit möglichst wenig Zeit zwischen dem Bau des Prototyps und dem Produktionsstart vergeht, muß der Anlagen-Lieferant frühzeitig mit der Konstruktion beginnen. „Der Hersteller übergibt uns das Lastenheft“, erklärt Ernst Lieb die Vorgehensweise, „darin steht, wie die Teile des Autos aussehen sollen, der Liefer-termin und die Taktzeit für die Montage.“ Daraufhin entwerfen die Konstrukteure die Anlagen. Sind die Ingenieure des Automobilkonzerns mit den Entwürfen einverstanden, werden in Neugersdorf die Einzelteile konstruiert. Sie werden dort schon zu den fertigen Anlagen zusammengesetzt. Nach erfolgreichem Probelauf liefert MBN die Montagestrecken schließlich in die Fabrik. Damit die Inbetriebnahme reibungslos läuft, sind dafür auch im Ausland ausschließlich eigene Mitarbeiter zuständig: „Das ist für sie nicht immer einfach, aber für den Kunden wichtig. Denn unsere Leute wissen am meisten über die Anlage.“
Mittlerweile ist das Unternehmen auf 230 Mitarbeiter gewachsen. 60 von ihnen arbeiten in der Konstruktion, die mittlerweile drei Patente hervorgebracht hat. 50 Jugendliche werden in dem Betrieb zu Zerspanungs-Mechanikern, Industriemechanikern, Technischen Zeichnern und Industriekaufleuten ausgebildet. „Seit es uns etwas besser geht, haben wir Forschung, Entwicklung und Ausbildung kontinuierlich ausgebaut“, erklärt der Geschäftsführer. „Darin liegt unser Wohlstand von morgen.“
In Neugersdorf haben inzwischen viele Industrie-Unternehmen den Sprung in die Marktwirtschaft gemeistert. 1600 Industrie-Arbeitsplätze in der 6000-Einwohner-Stadt sind eine Quote, von der die Bürgermeister in so mancher einstigen Industrie-Hochburg nicht mehr zu träumen wagen. Dadurch lassen sich arbeitsteilige Netzwerke knüpfen: MBN arbeitet eng mit einem ortsansässigen Stahlbaubetrieb und einem Elektro-Anlagenbauer zusammen. Auch bei Engpässen in der mechanischen Fertigung kann ein benachbarter Betrieb einspringen. Zwar haben sie alle mit der ungünstigen Verkehrsanbindung nach Deutschland und Westeuropa zu kämpfen. Aber durch Straßen-Neubauten hat sich die Situation bereits verbessert. Die Nähe zu den mittel- und osteuropäischen Industriestandorten dagegen zahlt sich aus. Bis zum Skoda-Standort Mlada Boleslav, wo MBN die Montageanlagen für den Felicia-Nachfolger Fabia liefert, fahren die Monteure lediglich 70 Kilometer. Auch zu den VW-Werken in Bratislava und Poznan halten sich die Entfernungen in Grenzen.
Standort Neugersdorf bietet funktionierendes Industrie-Netzwerk
„Unser großer Vorteil ist, daß sich der Osten geöffnet hat“, meint Lieb. „Darauf hatten wir immer gehofft. Aber daß es so schnell ging, war nicht zu erwarten.“ Wenn der Firmenchef auf die Zukunft seiner Wahlheimat zu sprechen kommt, verweist er gern auf die Zeit gegen Ende der Zwanziger Jahre. Damals war Neugersdorf nach Hamburg die zweitreichste Stadt in Deutschland, wovon heute noch viele prächtige, inzwischen aber baufällige Villen in der Stadt künden. „Ich möchte ein bißchen am Zeiger drehen, daß es hier wieder so wird.“
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