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Erhöhte Festigkeit verbessert Crash-Verhalten

Umformen: Karosseriebau treibt Entwicklung neuer Verfahren voran
Erhöhte Festigkeit verbessert Crash-Verhalten

Leichter, sparsamer und sicherer sollen die Autos der Zukunft sein. Im Karosseriebau müssen daher je nach Fahrzeugklasse und geplanter Gesamt-Stückzahl optimierte Umformverfahren und Werkstoffe entwickelt und eingesetzt werden.

Prof. Dr.-Ing. Dr. h. c. Klaus Siegert ist Direktor des Instituts für Umformtechnik der Universität Stuttgart

Der Karosseriebau ist nach wie vor die treibende Kraft bei der Entwicklung neuer Umformverfahren, Produktionstechniken und Werkstoffe. Im Interesse eines verringerten Treibstoff-Verbrauchs ist auch weiterhin die Reduktion der Karosserie-Masse bei gleichzeitiger Verbesserung der Steifigkeit und des Crash-Verhaltens ein wesentliches Ziel. Bei dessen Verfolgung ergeben sich jedoch je nach Pkw-Klasse unterschiedliche Konzepte.
So sind beispielsweise für Fahrzeuge mit Gesamtstückzahlen unter 5000 die produktspezifischen Betriebsmittel-Investitionen aus Kostengründen so gering wie möglich zu halten. Bei Fahrzeugen mit Gesamt-Stückzahlen über 1000 000 sind diese Investitionen hingegen von wesentlich geringerem Einfluss auf die Herstellkosten. Hier sind Produktivität und Materialkosten von größerer Bedeutung. Es ist daher wichtig, dass je nach Fahrzeugklasse und geplanter Gesamt-Stückzahl optimierte Umformverfahren, Produktionstechniken und Werkstoffe entwickelt und eingesetzt werden.
Mit der Zielsetzung Leichtbau wurden die weichen, relativ gut umformbaren Stahlblech-Werkstoffe St14 und St12 im Karosseriebau durch mikrolegierte perlitarme Stahlbleche ersetzt. Zudem wurden Bake-Hardening-Stähle eingeführt, die durch eine geeignete Wärmebehandlung eine Anhebung der Streckgrenzen um mindestens 40 N/mm²ermöglichen.
Für den Einsatz dieser Stähle gelten zwei Zielrichtungen: Stähle mit niedriger Streckgrenze und damit hoher Bruchdehnung können für Außenhautteile wie Dach, Motorhaube und Heckdeckel eingesetzt werden. Nach dem Umformen lässt sich die Streckgrenze durch eine Wärmebehandlung erhöhen und damit auch der Widerstand gegen Hagelschlag steigern. Eine andere Zielsetzung ist der Einsatz von Bake- Hardening-Blechen für hoch beanspruchte Innenteile wie Längs- und Querträger. Hier können aufgrund der erhöhten Festigkeit bei gleichem Steifigkeits- und Crashverhalten die Wanddicke reduziert und Gewicht eingespart werden.
In Anbetracht der Absenkung der Lackiertemperaturen beim Übergang zur Wasserbasis-Lackierung erscheint es sinnvoll, zukünftig im Rohbau Teile aus Bake-Hardening-Stählen einer gesonderten Wärmebehandlung zu unterziehen. Hierdurch könnten die Streckgrenzen um über 100 N/mm² gesteigert werden, was dem Leichtbau sehr zugute käme. Die gleiche Zielsetzung – Einsatz höherfester Stähle im Interesse reduzierter Blechdicken – wird mit Dual-Phase- und Trip-Stählen verfolgt. Neue Entwicklungen betreffen Mehrphasen-Stähle, die hohe Bauteilfestigkeiten bei guter Urformbarkeit versprechen.
Derzeit wird auch das Warmumformen Bor-legierter Stähle bei etwa 950 °C mit nachfolgender Abschreckung praktiziert. Dies ermöglicht extrem feste Teile, wie sie etwa für Stoßfängerabstützungen oder Seitenaufprallträger wünschenswert sind.
Als alternative Blechwerkstoffe für den Karosseriebau haben sich AlMgSi-Legierungen für Pkw-Außenhautteile mit Streckgrenzen um 200 N/mm² durchgesetzt. Wie bei den Bake-Hardening-Stählen lassen sich die Streckgrenzenwerte durch eine spezielle Wärmebehandlung nach dem Umformen deutlich steigern. Für Innenteile werden aufgrund besserer Umformbarkeit in der Regel Aluminium-Legierungen des Typs AlMgMn eingesetzt. Im Interesse des Recyclings empfiehlt es sich jedoch, im Karosseriebau ausschließlich AlMgSi-Legierungen zu verwenden.
Diskutiert werden derzeit auch Karosserieteile aus Magnesium. Dieser Werkstoff lässt sich jedoch bei Raumtemperatur kaum umformen. Bei Temperaturen zwischen 200 und 350 °C kann aber zum Beispiel die Magnesium-Legierung AZ 31 sehr gut umgeformt werden. Somit sind heizbare Werkzeuge, geeignete Schmierstoffe sowie, im Falle der hydromechanischen Blechumformung, geeignete hochdruckbeständige Hydrostatik-Medien erforderlich.
Die Auswahl des günstigsten Blechumform-Verfahrens wird durch die geplante zu produzierende Gesamt-Stückzahl, die Produkt-Geometrie, den Werkstoff, die Blechdicke sowie die geforderte Maßhaltigkeit beeinflusst. Für Großserien bietet sich die Fertigung mittels Transferpressen an.
Für die Fertigung geringer Gesamt-Stückzahlen erscheinen Blechumformverfahren mit hydraulischen Wirkmedien wie das hydromechanische Tiefziehen interessant. Damit lassen sich komplexe Geometrien formen. Im Gegensatz zum konventionellen Tiefziehen benötigt das hydromechanische Tiefziehen keine Matrize, wodurch sich Vorteile hinsichtlich der Werkzeuganfertigungszeit und -kosten ergeben. Denkbar ist auch, dass das hydromechanische Tiefziehen mit dem konventionellen Tiefziehen kombiniert wird.
Bei Kleinst- und Kleinserienfertigung ist die superplastische Blechumformung zu erwägen, wenn die Produktgeometrie konventionell nicht formbar ist. Als Blechwerkstoff wird hierbei ausschließlich Aluminium eingesetzt. Denkbar ist auch die Kombination superplastische Blechumformung und hydromechanisches Tiefziehen.
Pressen zum Ziehen von Karosserie-Blechformteilen werden künftig wohl nicht zweifach-, sondern einfachwirkend mit einer Vielpunkt-Zieheinrichtung ausgestattet. Dabei können die einzelnen Pinolen, die die Niederhalterkräfte in den Niederhalter des Ziehwerkzeugs einleiten, jeweils einzeln über dem Ziehweg kraftgesteuert werden. Es ist zu erwarten, dass künftig die Niederhalterkräfte geregelt auf Veränderungen tribologisch relevanter Eingangsparameter automatisch reagieren. Dies würde sich positiv auf die Produktivität auswirken.
Da bei Kleinst- und Kleinserienfertigung die Kosten für die Umformwerkzeuge möglichst gering sein sollten, bietet sich an, die Zieheinrichtung in der Presse anzuordnen. Für die Großserienfertigung kann die hydraulische Vielpunkt-Zieheinrichtung in das Ziehwerkzeug integriert werden.
Für die hydromechanische Umformung empfiehlt es sich, eine einfachwirkende Presse in kostenminimierter Bauweise auszuführen. Die Zieheinrichtung sollte in das Ziehwerkzeug integriert sein, das mit segmentelastischem Niederhalter und prismatisch verrippter Matrize auszuführen ist.
Hydromechanisches Tiefziehen erfordert keine Matrize
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