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„Es gibt keine pauschal gültige Schutzmaßnahme“

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„Es gibt keine pauschal gültige Schutzmaßnahme“

„Es gibt keine pauschal gültige Schutzmaßnahme“
„Bei der Projektierung eines Gebäudes von Beginn an den Blitzschutz berücksichtigen.“
Blitze und Überspannungen können in elektrischen Anlagen große Schäden anrichten. Wir fragten Herbert Schmolke, beim VdS Fachleiter für die Prüfung von Elektrofachleuten, wie man sich vorbeugend schützen kann.

Herr Schmolke, was ist ein Blitz und wie entsteht er?

Wir kennen das aus unserem Alltag: Wir laufen über einen Teppich und spüren beim Griff nach der Türklinke an unseren Fingerkuppen eine schmerzhafte Entladung. Sie ist entstanden, weil wir durch die Reibung unserer Schuhsohlen auf dem Teppich Ladungsträger aufnehmen. Ähnliches geschieht bei einem Gewitter. In unterschiedlichen Wolkenschichten wird durch gegenläufige Bewegungen eine ähnliche, aber unendlich höhere Ladungskonzentration hervorgerufen. Dabei wäre, um im Beispiel zu bleiben, die Erdoberfläche vergleichbar mit der Türklinke. An irgendeiner Stelle kommt es zu einem Durchschlag, über den sich die Ladungskonzentration in Form eines Blitzes abbauen kann.
Da sich diese gewaltige Ladungsträgerkonzentration im Bruchteil einer Sekunde entlädt, entsteht im Entladungskanal glühend heißes Plasma, wodurch der Blitz für uns sichtbar wird. Und weil sich die umgebende Luft dadurch explosionsartig ausdehnt, wird dieses Naturereignis als Donner hörbar.
Ist denn die bekannte Regel richtig, dass der höchste Punkt immer am stärksten gefährdet ist?
Genau genommen hängt die Wahrscheinlichkeit des Einschlags nicht vom höchsten Punkt ab, sondern von der höchsten elektrischen Feldstärke sowie von den zur Verfügung stehenden Ladungsträgern des potenziellen Einschlagpunktes. Neben der Höhe des potenziellen Einschlagpunktes spielt deshalb auch die Form dieses Einschlagpunktes eine Rolle sowie die Art des Materials. Spitzen sind eher betroffen als ebene oder leicht abgerundete Flächen, und Metalle können deutlich mehr Ladungsträger freisetzen als mineralische Stoffe.
Was folgt daraus?
Der höchste Punkt eines Gebäudes weist den geringsten Abstand zur Ladungsträgerkonzentration in den Wolken auf. Hier wäre die Feldstärke somit besonders hoch. Allerdings spielt auch die Form des Einschlagpunktes eine Rolle: An Gebäudeecken ist die Feldstärke höher als an ebenen Flächen und bei metallischen Stoffen sind besonders hohe Ladungsträgerkonzentrationen möglich. Welcher Einflussfaktor im konkreten Fall überwiegt, ist schwer zu sagen. In der Praxis arbeitet man mit geometrischen Modellen, um Blitzeinschlag-Stelle am Gebäude zu berechnen. Und das ist nicht immer der höchste Punkt.
Wenn der Blitz dann einschlägt – was sind die häufigsten Zerstörungen? Was gefährdet auch die Belegschaft am stärksten?
Der Blitz ist ein elektrischer Strom mit einer gigantischen Stromstärke. Dadurch entstehen entlang des Blitzstrom-Weges gewaltige elektrische Spannungen. Diese Spannungen verursachen weitere Überschläge, auch in technischen Geräten im Gebäude. Funktionsstörungen und Zerstörungen sind die Folge, und zudem kommt jeder Überschlag als Brandursache in Frage. Darüber hinaus fließt der Blitzstrom über jeden zufällig vorhandenen Weg. Dies kann auch der Körper eines Menschen oder eines Tieres sein. Dann besteht natürlich Lebensgefahr.
Was können Verantwortliche in der Industrie tun, um gravierende Schäden zu verhindern?
Bei einem schlichten Wohngebäude reicht es häufig, wenn durch Fangleitungen auf dem Dach der Blitz gefahrlos aufgefangen und über Ableitungen entlang der Außenwände in die Erdungsanlage des Gebäudes abgeleitet wird. Darüber hinaus kann es unter Umständen ausreichen, wenn ein entsprechender Blitzstromableiter in der Zählerverteilung oder in der Nähe davon installiert wird, um bei einem Blitzeinschlag nicht nur das Gebäude selbst, sondern auch die technische Inneneinrichtung, wie die Elektroinstallation oder die angeschlossenen Geräte, vor gefährlichen Überschlägen zu schützen.
Gilt das auch für größere Gebäude?
Bei komplexeren Gebäuden – und wenn empfindliche Einrichtungen, wie informationstechnische Anlagen einschließlich möglicher Gefahrenmeldeanlagen, betrieben werden – reicht dies natürlich nicht aus. In solchen Fällen müssen zum Teil umfangreiche Maßnahmen ergriffen werden, um Überspannungsimpulse, die bei direkten oder nahen Blitzeinschlägen unweigerlich entstehen, abzubauen oder Überschläge in Geräte und Anlagen zu verhindern.
In diesen Fällen müssen zusätzlich zu den vorgenannten äußeren Maßnahmen, wie Fangleitungen, Ableitungen, Erdungsanlagen und Blitzstromableitern, solche Maßnahmen ergriffen werden, die unter dem Stichwort „Blitzschutz-Potenzialausgleich“ zusammengefasst werden können. Aufbauten auf dem Dach, beispielsweise Antennen und Klimageräte, müssen durch Fangstangen vor einem direkten Blitzschlag geschützt werden und bei den Fang- und Ableitungen der Blitzschutzanlage sind entsprechende Sicherheitsabstände zu allen anderen leitfähigen Teilen und technischen Einrichtungen zu beachten. Hier ist es in der Regel wichtig, dass solche Maßnahmen mit viel Sachverstand bereits bei der Projektierung des Gebäudes mit eingeplant werden, um eine nachträgliche und meistens kostspieligere Ertüchtigung zu vermeiden. Zwischen diesen Extremen gibt es unzählige Variationen, die nur ein hierfür speziell ausgebildeter Fachmann beurteilen und festlegen sollte.
Ist Blitzschutz nur was für Fachleute?
Aus dem bisher Gesagten dürfte klar geworden sein, dass es beim Thema Blitzschutz um sehr komplexe Vorgänge geht. Und wenn man berücksichtigt, dass es keine für alle möglichen Gebäude pauschal gültige Schutzmaßnahme geben kann, dann wird zusätzlich deutlich, dass ein entsprechendes Schutzkonzept nur mit sehr viel Sachverstand und Erfahrung erstellt werden kann. Andernfalls wird sehr leicht Geld für Maßnahmen ausgegeben, die letztlich keinen wirklichen Schutz bieten, weil sie falsch sind oder nicht ausreichen.
Gibt es denn keine Standards bei Schutzmaßnahmen?
Wie gesagt, es gibt keine pauschal gültige Schutzmaßnahme. Hier muss mit sehr viel Sachverstand und Erfahrung ein passendes Schutzkonzept erstellt werden, sonst besteht die Gefahr, dass Geld für Maßnahmen ausgegeben wird, die keinen Schutz bieten, oder die überzogen sind. Wir von der VdS Schadenverhütung haben in Zusammenarbeit mit zahlreichen Versicherern ein Anerkennungsverfahren ins Leben gerufen. Grundlage ist neben der beruflichen Erfahrung eine umfangreiche Ausbildung mit abschließenden Prüfungen. Die Experten dürfen sich „VdS-anerkannten Sachkundige für Blitz- und Überspannungsschutz sowie EMV-gerechte elektrische Anlagen“ nennen oder in Kurzform „EMV-Sachkundige“. Die Anerkennung setzt dabei eine kontinuierliche Fortbildung voraus, um die Anerkennung nicht zu verlieren.
Welche typischen Fehler werden bei der Planung und Montage immer wieder gemacht?
Hier könnte vieles genannt werden. Angefangen von zu geringen Sicherheitsabständen zwischen Leitungen des äußeren Blitzschutzes zu anderen technischen Einrichtungen bis hin zu einer falsch ausgeführten Montage von Überspannungsschutzgeräten. Darüber hinaus werden oft unsinnige oder völlig überzogene Maßnahmen gefordert – frei nach dem Motto: Viel hilft viel. Hier ist Sachverstand und Kompetenz besonders wichtig, um ökonomisch sinnvolle Lösungen anbieten zu können.
Wollen Sie zum Thema Blitzschutz noch etwas Bestimmtes empfehlen?
Zu empfehlen ist, bei der Projektierung eines Gebäudes von Beginn an den Blitzschutz zu berücksichtigen. Das ist erheblich günstiger als teure Nachrüstungen, die oft dann gefordert werden, wenn Schäden eingetreten sind. Im Blickpunkt sollte zumindest der Überspannungsschutz stehen. Denn Überspannungsschäden können auch durch Blitzeinschläge in der Umgebung des Gebäudes vorkommen.
Details zum Anerkennungsverfahren für Elektrofachkräfte und Sachverständige zum Prüfen elektrischer Anlagen finden sich unter www.vds.de/emv
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