Startseite » Allgemein »

Fachbegriffe aus fremden Branchen haben in Menüs nichts verloren

Materialprüfung: Jeder Anwender will sein individuelles Prüfprogramm
Fachbegriffe aus fremden Branchen haben in Menüs nichts verloren

Sonderwünsche der Kunden treiben die Entwicklung in der Materialprüfung voran. Während die Prüfmaschinen eher Veränderungen im Detail erfahren, wird die Software immer präziser auf die je-weilige Branche zugeschnitten.

Von unserem Redaktionsmitglied Uwe Böttger. uwe.boettger@konradin.de

Der Markt wächst kaum, aber er verändert sich laufend“, stellt Dr. Jan Stefan Roell, Vorstandsvorsitzender bei der Zwick Roell AG in Ulm-Einsingen fest. „Das ist ganz typisch für den Bereich der Materialprüfung, in dem wir tätig sind. Wir verkaufen Lösungen, die wir uns vor ein paar Jahren nicht vorstellen konnten – und der Kunde auch nicht.“ Als Beispiel nennt Roell eine Anwendung aus dem Automobil-Zulieferbereich. Die Ulmer haben vor kurzem eine Anlage ausgeliefert, mit der sich Sensoren kalibrieren lassen, die später unter dem Auto-Sitz montiert werden und herausfinden sollen, ob ein Airbag aufgehen darf oder nicht – je nach Grad der Belastung eines Sitzes.
Dr. Axel Groha, ebenfalls im Vorstand des Ulmer Prüfmaschinen-Herstellers, beschreibt eine knifflige Applikation, bei der so genannte Geotextilien unter die Lupe genommen wurden. Mit Geotextilien, die eine sehr hohe Reißfestigkeit besitzen, werden ganze Skihänge eingewickelt, damit sie im Winter unter den Ski-Fahrern nicht wegrutschen. Das Problem bei der Prüfung war, die Kraft gleichmäßig auf das 20 cm x 20 cm große Probennetz zu verteilen. Das schafften die Ulmer schließlich mit einem Spannkopf, der speziell für diese Anwendung entwickelt wurde. „Wir brauchten Monate, bis wir das Problem gelöst hatten“, versichert Groha.
Durch spezielle Wünsche und Anforderungen der Kunden entstehen Anwendungen, die neue Ansätze in der Hardware erforderlich machen. Diese revolutionieren zwar nicht die Prüfmaschine in ihrem klassischen Aufbau, der im Wesentlichen aus dem Lastrahmen und der Spindel besteht. Doch beispielsweise im Bereich der Probenaufnehmer sind immer wieder neue Lösungen gefragt.
Flexibilität war auch im deutschen Standort des internationalen Forschungsverbundes der Hydro Aluminium in Bonn gefragt. Das Unternehmen gehört zu den drei größten Aluminium-Herstellern weltweit und beschäftigt mehr als 30000 Mitarbeiter. In Bonn arbeiten 120 Spezialisten daran, die Verarbeitungseigenschaften von Aluminium-Legierungen zu optimieren. Die Werkstoffprüfung ist Teil des Servicezentrums „Werkstoffe und Prozesse“, zu dem auch die Metallographie zählt.
Im Labor für statische Werkstoffprüfung sind Universalprüfmaschinen von Zwick im Einsatz, auf denen die mechanischen Kennwerte bestimmt werden. Hauchdünne Reinaluminium-Folienstreifen, nicht einmal 7 µm dick, sind dabei ebenso zu prüfen wie dicke Bleche mit hoher Festigkeit. Mit Hilfe einer Temperierkammer lassen sich Prüfungen in einem Temperaturbereich zwischen -50 °C und 600 °C durchführen. Für die Dehnungsmessung an der Probe stehen diverse Extensometer mit unterschiedlicher Auflösung zu Verfügung.
Im Labor für Blechumformung stehen Prüfmaschinen mit einer Maximalkraft von 600 kN sowie eine Reihe von Spezialwerkzeugen zur Verfügung, mit denen die Umformeigenschaften von Blechen charakterisiert werden. Auch bei der Maschinensteuerung und der Messwerterfassung mussten kundenspezifische Anpassungen vorgenommen werden. Johannes Aegerter, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Werkstoffprüfung, schätzt den modularen Aufbau der Prüfanlagen: „Die Sensoren und Spannwerkzeuge lassen sich auf den verschiedenen Maschinen gleichermaßen nutzen.“ Wichtig für Aegerter ist auch die weiterentwickelte Prüfsoftware von Zwick, mit der sich die besonderen Ein-genschaften von Aluminium-Legierungen berücksichtigen lassen.
Während der Messung darf nichts schiefgehen
In der Qualitätssicherung wird bei der Friatec AG in Mannheim im Bereich Technische Kunststoffe seit Jahren die Produktqualität mit Materialprüfmaschinen der Instron Deutschland GmbH in Darmstadt überwacht. Zu den Produkten der Mannheimer zählen Heizwendelschweißmuffen und Formteile aus Polyethylen (PE100). Dabei handelt es sich um Verbindungselemente für die Gas- und Wasserversorgung und die Abwasserentsorgung. Die Produkte sind mit einer Heizwendel aus Metall versehen, die über ein Schweißgerät erhitzt wird. Durch Erwärmen der Innenflächen der Fittings und der Rohraußenfläche werden die zwei Bauteile homogen miteinander verschmolzen.
In Mannheim werden hauptsächlich Zugprüfungen an verschweißten Rohrverbindungen sowie an Übergangs- und Teilstücken durchgeführt. Hierfür hat Friatec eine Universal-Prüfmaschine von Instron mit 100 kN Maximallast im Einsatz. Die Prüfungen werden in zwei Schritten durchgeführt. Zunächst wird eine Zuglast – beispielsweise 60 kN – über eine Stunde konstant geregelt und dabei der Dehnungsverlauf der Probe aufgezeichnet. Danach wird der Prüfling mit einer konstanten Prüfgeschwindigkeit bis zum Bruch gezogen.
Bei diesen Prüfungen ermitteln die Mannheimer ein Kraft-Weg-Zeit-Diagramm. Dabei wird die Dehnung, die je nach Bauteil zwischen 300 und 800 % liegt, über die Traversenbewegung der Prüfmaschine gemessen.
Um die Qualität der Schweißungen zu bewerten, führt Friatec Abschälversuche an 20 bis 25 mm breiten Probekörpern durch. Dabei kommt eine spezielle Abschälvorrichtung zum Einsatz. Auch in diesem Fall wird das komplette Kraft-Weg-Diagramm bis zum Abriss aufgezeichnet. Für Werner Goerke, stellvertretender Leiter des Qualitätsmanagements bei Friatec, ist es wichtig, dass die Prüfmaschinen zuverlässig arbeiten: „Die Probenvorbereitung ist sehr zeitaufwendig und kostenintensiv. Wenn während der Messung etwas schief geht, haben wir eine Menge Geld in den Sand gesetzt.“
Die Prüfungen werden von Facharbeitern durchgeführt. Der zuständige Meister ist für die Grundbetreuung der Prüfmaschinen verantwortlich und sorgt auch für die Erstellung der Prüfprogramme und Prüfmethoden. „Hier kommt uns die Prüfsoftware entgegen“, berichtet Goerke. „Durch sie geben wir unseren Mitarbeitern den kompletten Prüfablauf vor. Das Prüfprogramm stellt sicher, dass der Ablauf nur abgearbeitet, aber nicht verändert werden kann. Dadurch lassen sich Messfehler vermeiden.“
Michael Küssner, Geschäftsführer von Intron Deutschland, sieht denn auch im Bereich der Prüfprogramme das größte Entwicklungspotenzial: „In Zukunft wird es darauf ankommen, hohe Flexibilität und einfache Bedienung zu kombinieren.“
Dr. Axel Groha hat die wachsende Bedeutung der Software bereits vor Jahren erkannt und bei Zwick die Weichen gestellt. Seine Devise lautet: Wir verkaufen keine Prüfmaschine mit integrierter Software, sondern Software mit ein bisschen Hardware dazu. „Der Anwender sieht heute nicht mehr die Maschine, sondern das, was ihm durch die Software präsentiert wird. Wie schwer oder wie leicht die Anlage zu bedienen ist, hängt allein von den Prüfprogrammen ab“, so Groha.
Manche wollen das letzte Atom in ihren Versuchen verstehen
So investieren die Ulmer mehr denn je in die Entwicklung der Benutzeroberfläche. Flexibilität ist gefragt: Für den einfachen Werker muss die Schnittstelle zur Maschine intuitiv und sicher zu bedienen sein. Aber es zählen auch Materialprofis zu den Kunden. „Die wollen das letzte Atom in ihren Versuchen verstehen“, versichert der Zwick-Manager. Auch die müssen vom Programmsystem sicher durch ihre Abläufe geführt werden.
Die Software muss auf den Anwender zugeschnitten sein. Der Mann an der Prüfmaschine, der im Metallbereich tätig ist, will auf seinem Bildschirm keine Fachbegriffe aus dem Kunststoffsektor lesen. Groha: „Das muss alles ausgeblendet sein. Wir müssen dem Anwender das Gefühl vermitteln, die Software sei allein für ihn geschrieben worden.“
Laserlicht ersetzt klebrige Messmarken
Die Entwicklung der Prüfmaschinen ist weitestgehend ausgereizt. Kleine aber feine Änderungen zeigen sich im Detail, beispielsweise in der Sensorik. So entwickelte Zwick mit dem Produkt Optixtens den ersten normgerechten Längenänderungsaufnehmer, mit dem sich eine Verformungsmessung durchführen lässt, ohne dass der Prüfkörper hierfür markiert werden muss. Diese Entwicklung haben die Anwender dankbar angenommen, denn Messmarken sind umständlich und stellen zudem eine beträchtliche Fehlerquelle dar. Sie beeinträchtigen die Genauigkeit der Anfangslänge und der Kleber lässt die Marken schwimmen.
Das Zwick-Produkt nutzt die so genannte Speckle-Interferometrie, die aus zwei optischen Messköpfen mit einer Auswerteeinheit besteht. Jeder Messkopf beleuchtet die Probenoberfläche strichförmig mit kohärentem Laserlicht. Durch das Mikroprofil der Probe wird ein unverwechselbares Signal erzeugt. Jede Auswerteeinheit wählt einen Punkt auf der Probe aus und verfolgt diesen während der Verformung in Echtzeit. Auf diese Weise lässt sich die Längenänderung zwischen beiden Messpunkten normgerecht ermitteln.
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
6.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de