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Flächentarif sorgt für Kopfschmerzen

Mittelständische Betriebe fordern Lockerung
Flächentarif sorgt für Kopfschmerzen

Der hohe Tarifabschluss der Metall- und Elektroindustrie trifft den Mittelstand hart. Laut einer VDMA-Studie fordern Unternehmer mehr Flexibilität im starren Gerüst des Flächentarifvertrags.

Von unserem Redaktionsmitglied Tilman Vögele-Ebering – tilman.voegele@konradin.de

Als ob die schwache Branchenkonjunktur nicht genug Grund zur Sorge wäre, sagt der Blick des Unternehmenschefs auf der Fachmesse Metav. „Der Tarifabschluss trifft uns wirklich sehr“, meint Josef Rieger, Geschäftsführer der Vollmer Werke GmbH aus Biberach, „wir haben eben eine hohe Fertigungstiefe und einen hohen Personalkostenanteil – wie die meisten Mittelständler.“
Während auf der Fachmesse Metav in Düsseldorf eigentlich das Startsignal zum Aufschwung gegeben werden sollte, war für die meist mittelständischen Firmenchefs ein neues Ärgernis dazugekommen: Der Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie garantiert den Arbeitnehmern einen satten Lohnzuwachs von 4 %. „Völlig überzogen“, so die vorherrschende Meinung von Unternehmern und Branchen-Verbänden. Geschäftsführer Rieger befürchtet: „Dieser Abschluss wird sicher zu einem weiteren Personalabbau im Maschinenbau führen.“
Kritikpunkt ist nicht nur die Höhe des Tarifabschlusses, sondern zunehmend der Flächentarif an sich. Riegers Forderung: „Tarifverträge müssen sein, aber wir sollten darüber nachdenken, ob der Flächentarifvertrag so noch sinnvoll ist.“ Man könne nicht den gleichen Tarifvertrag auf einen Mittelständler anwenden wie auf einen Automobilhersteller, der am Fließband produziert.
Die Betriebsstrukturen lassen sich nicht vergleichen: Hat der Automobilproduzent einen Personalkostenanteil von unter 20 %, kommt ein mittelständischer Maschinenbauer leicht auf über das Doppelte. Die Fertigung ins Ausland verlagern können kleinere Firmen meist nicht. Der Geschäftsführer des Werkzeug-Spezialisten Vollmer begründet: „Die Nähe zu Forschung und Entwicklung und das Know-how der Mitarbeiter sind erforderlich.“
Eine jetzt veröffentlichte Studie, die der VDMA Baden-Württemberg bundesweit organisiert hat, bestätigt diese Meinung. Eine große Zahl der befragten Unternehmer erteilt dem Flächentarif eine Absage. „Dieser überhöhte Tarifabschluss in Verbindung mit dem Flächentarif überfordert die Unternehmen“, betont Dr. Dieter Brucklacher, VDMA-Vizepräsident und baden-württembergischer VDMA-Landeschef. Brucklacher, im Hauptberuf Vorsitzender der Geschäftsführung der Leitz GmbH & Co. in Oberkochen, sieht in dem Abschluss einen Anlass, grundsätzlich die starren Tarif- und Arbeitsmarktregeln in Frage zu stellen.
Als Ergebnis der Studie stellt der Verband eine Hauptforderung auf: Die so genannten betrieblichen Bündnisse für Arbeit müssten legalisiert und gesichert werden. Ein Deal, der besagt „Lohnverzicht in Krisenzeiten gegen Arbeitsplatzsicherung“, ist zum Beispiel bislang nicht zulässig, selbst wenn Arbeitgeber und Belegschaft dies wollen. Zwei Gesetze, die der VDMA gerne ergänzt sehen möchte, stehen dem entgegen:
– Der § 4 Abs 3 des Tarifvertragsgesetzes: Er verankert das so genannte Günstigkeitsprinzip. Demnach sind beispielsweise Betriebsvereinbarungen nur zulässig, wenn sie eine Änderung zu Gunsten des Arbeitnehmers enthalten.
– Der § 77 Abs 3 des Betriebsverfassungsgesetzes: Dieser Paragraf verankert den Vorrang der Tarifautonomie. Entgelte oder Bedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind, dürfen nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein, es sei denn, der Tarifvertrag lässt dies zu. Dies gilt auch für nichttarifgebundene Unternehmen.
Brucklacher beobachtet eine Abkehr vom Arbeitgeberverband. Mittlerweile seien mehr als die Hälfte der Unternehmen seines baden-württembergischen Landesverbandes nicht mehr tarifgebunden.
Dennoch: Auf der Messe Metav machten Manager kein Hehl daraus, dass durch die Lohnerhöhung verursachte Kostensteigerungen an Zulieferer weitergeben werden könnten. „Obwohl wir nicht im Arbeitgeberverband sind, betrifft uns der Tarifabschluss“, betont Uwe Kauder, Leiter Vertrieb Inland und Prokurist des weltweit tätigen Messtechnikherstellers Mahr GmbH, Esslingen und Göttingen. „Das hat Auswirkungen auf die ganze Branche“, ist sich der Manager sicher.
Der VDMA sieht grundsätzlichen Reformbedarf. „Belegschaft und Unternehmensleitung müssen selbst demokratisch vor Ort über ihr Schicksal entscheiden können“, fordert VDMA-Funktionär Brucklacher, „eine Vereinbarung zwischen Unternehmensleitung und einer qualifizierten Mehrheit der Belegschaft muss doch rechtswirksam sein.“
Unternehmen wollen selbst vor Ort verhandeln
Ohne rechtliche Sicherheit wagen sich die Firmen nicht an ein betriebliches Bündnis für Arbeit heran. Außerdem gehe die Gewerkschaft zunehmend auf Blockadekurs, heißt es aus VDMA-Kreisen.
Dass die Unternehmen selbst Arbeitszeit oder Entgelt flexibel regeln wollen, belegt die Studie: So haben 80 % der an der Umfrage teilnehmenden Firmen in den letzten Jahren entsprechende Initiativen ergriffen. Meist handelt es sich um so genannte weiche Vereinbarungen: flexible Arbeitszeitregelungen und Arbeitszeitkonten. An die harten Themen Arbeitszeitvolumen und Entgelt – Gegenstand von betrieblichen Bündnissen für Arbeit – wagen sich nur wenige.
Dass Regelungen auf betrieblicher Ebene ein Unternehmen wettbewerbsfähig machen und sogar retten können, zeigt das Beispiel der Union Chemnitz. Selbstbewusst präsentierten sich die Sachsen auf der Metav, unbeeindruckt von Tarifverhandlungen und Streiks. „Damit haben wir glücklicherweise nichts zu tun“, sagt Kurt Hermans, Geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens, das sich mehrheitlich im Eigentum der eigenen Mitarbeiter befindet.
Die Chemnitzer haben nach dem Union-Konkurs 1996 vom Neustart weg einen Haustarifvertrag ausgehandelt, „der rund 20 % unter Flächentarif liegt“. Der Lohnzuwachs orientiert sich seither an der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens. Auf Grund der einzigartigen Ausgangssituation nehme Union eine Sonderrolle ein, das Modell sei deshalb für andere nicht kopierbar, schränkt der Geschäftsführer ein.
Das Erfolgsgeheimnis heißt laut Hermans Flexibilität, und das in allen Bereichen: „Wir haben in unserem Beirat einen sehr modernen IG-Metall-Vertreter und einen innovativen Banker.“
VDMA-Studie: Arbeitsrecht entrümpeln!
Die Ergebnisse der Unternehmer-Befragung des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA), Frankfurt/M., sind deutlich: 91 % der teilnehmenden Unternehmen halten es für notwendig, dass in Zukunft Regelungen über Arbeitzeit und Entlohnung häufiger auf betrieblicher Ebene getroffen werden. An der Studie beteiligten sich 484 Unternehmen bundesweit; die Fragen wurden offen gestellt, es gab keine Vorauswahl durch ein Multiple-Choice-Verfahren. Die Betriebe fordern eine Deregulierung auf breiter Front: Abkehr von starren Arbeitszeiten, bessere Flexibilitäts-Regeln, Abschaffung des Flächentarifs, Öffnungsklauseln für betriebliche Bündnisse für Arbeit. Außerdem sollen laut der Umfrage die größten Hemmnisse für Neueinstellungen beseitigt werden. Allen voran das Kündigungsschutzgesetz, das von 60 % der Befragten an erster Stelle genannt wurde. Neueinstellungen werden nur vorgenommen, wenn sich die Firmen des langfristigen Bedarfs absolut sicher sind, verdeutlicht Ulrich P. Hermani, Geschäftsführer des VDMA-Landesverbandes Baden-Württemberg, der die Umfrage organisiert hat. Die Abfindungszahlungen bei Personalanpassungen könnten die Existenz des Betriebes gefährden, so eine häufige Befürchtung. Starke Kritik wurde zudem an der Praxis der Sozialauswahl geäußert. tv
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