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Forschungsprojekt soll Fertigung im Land halten

Produktionstechnik: Innovationsmotor der Industrie
Forschungsprojekt soll Fertigung im Land halten

Der Exzellenzcluster „Integrative Produktionstechnik für Hochlohnländer“ packt ein Kernproblem der deutschen Wirtschaft an. Er untersucht, wie sich nicht nur High-Tech-Nischen erfolgreich bedienen, sondern auch in der Massenfertigung nachhaltig Punkte machen lassen.

Auch wenn der Standort D sich quicklebendig wie lange nicht mehr zeige, sei die industrielle Produktion in Hochlohnländern nach wie vor gefährdet, gibt Prof. Christian Brecher vom Werkzeugmaschinenlabor (WZL) der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) in Aachen zu bedenken. „Die Auslandsinvestitionen deutscher Betriebe bewegen sich auf einem Allzeit-Hoch: 40 % der Firmen planen produktionsbezogene Verlagerungen. 27 % reduzieren zurzeit die Zahl ihrer Arbeitsplätze in Deutschland.“ Demgegenüber sei bei inländischen Investitionen ein nur geringes Wachstum zu verzeichnen. Und grundsätzlich kritischer noch: Auf die Produktion folgen in der Regel die Forschung, Entwicklung und Dienstleistung. „17 Prozent der deutschen Unternehmen planen hier eine Verlagerung innerhalb der nächsten drei Jahre“, berichtet Brecher. Die jahrelang gepflegte Mär vom Ingenieurbüro Deutschland, von den lediglich verlängerten Werkbänken im europäischen und fernen Osten sowie dauerhaft erfolgreichem Blaupausen-Export wäre damit widerlegt.

Insoweit könnte der Exzellenzcluster „Integrative Produktionstechnik für Hochlohnländer“ das rechte Mittel zum dringenden Zweck sein: Über die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) vom Bund mit 39 Mio. Euro gefördert und auf zunächst fünf Jahre angelegt – weitere fünf Jahre sind Option –, verfolgt er das Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produktionstechnik langfristig zu steigern. Christian Brecher ist Sprecher und Koordinator des Clusters.
Insgesamt 18 Professoren der RWTH aus der Werkstoff- und Produktionstechnik sowie mehrere angeschlossene Institute wie die Fraunhofer Gesellschaft sind beteiligt. Gemeinsames Anliegen ist es, aus der Produktionstechnik heraus Beiträge zu liefern, um die arbeitsmarktrelevante Produktion in Hochlohnländern zu halten. Aus volkswirtschaftlicher Sicht von Belang sind dabei Produkte, die nicht nur Nischen- sondern Volumenmärkte adressieren.
Allein auf High Tech zu setzen, ist laut Brecher der falsche Weg. Disziplinen wie die Nanotechnik haben das Problem, dass mit wachsender Entwicklung der Kundenkreis schrumpft. Die Sicherung der Produktion in Hochlohnländern erfordere vielmehr ein grundlegend neues Verständnis der produkt- und produktionstechnischen Zusammenhänge. Christian Brecher: „Der Exzellenzcluster zielt daher aufs Erarbeiten einer zukunftsfähigen, produktionswissenschaftlichen Strategie und Theorie sowie der dafür notwendigen Technologieansätze.“ Die Aachener Produktionstechnik habe bereits mit der umfassenden Entwicklung einer Technologie-Roadmap – also einer Strecken- und Abschnittsplanung – für die Zukunft der Produktionstechnik begonnen. Diese Roadmap nenne aussichtsreiche Entwicklungslinien zur Individualisierung und Virtualisierung sowie zur Hybridisierung und Selbstoptimierung der Produktion. Organisatorische und technologische Innovation werden hier parallel vorangetrieben.
Der Exzellenzcluster verfolgt das langfristige Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produktionstechnik zu steigern. Als übergeordneter Ansatz soll dabei erreicht werden, was Prof. Brecher als „nächst höhere Stufe der Integrativität in der Produktionstechnik“ bezeichnet. So hätten die Industrien der Hochlohnländer sich in reifen Märkten über die Individualisierung von Produkten profiliert. Dies allerdings habe zum Verlust an Skaleneffekten – also der Wirtschaftlichkeit auf Basis hoher Stückzahlen – geführt. Durch Modularität und Konfigurationslogiken für Produkte und Systeme sowie geeignete Technologien könnte die Verspannung zwischen Volumeneffekten (Scale) und Kundenorientierung (Scope) jedoch aufgelöst werden. So sei für manche Prozesse das hybride Produktionssystem der geschmeidigste Weg aus der Klemme, insoweit verschiedene Verfahren und -prozesse sowie Werkstoffe kombiniert werden. Weitere Möglichkeiten böten selbst optimierende Systeme, die gerade von dem qualifizierten Personal der Hochlohnländer international wettbewerbsfähig betrieben werden können. Zur Erforschung solcher Entwicklungslinien ist eine direkte Beteiligung der produzierenden Industrie in Deutschland notwendig. Hierzu haben sich bereits zwölf international renommierte Unternehmen bereit erklärt, so genannte Business- und Industry-Cases zur Verfügung zu stellen. Diese organisierten Rahmen für Fallstudien haben das Ziel, die Ergebnisse praktisch anzuwenden. Sie umfassen ein breites Spektrum aus der industriellen Produktionstechnik – etwa ein Kühlschrankdisplay als integriertes Produkt, eine Fahrzeugachse, eine design-to-cost modularisierte Druckmaschine wie auch ein integrierter Mikrolaser.
Mit dem Exzellenzcluster gründet die Aachener Produktionstechnik das „Aachen House of Integrative Production Technology“, das die produktionstechnischen Kompetenzen an der RWTH Aachen strategisch bündelt und insbesondere die Kooperation und Einbindung von Unternehmen in die Arbeit des Clusters ermöglicht. Die RWTH wird mit dem Cluster ihre Kernkompetenzen weiter ausbauen und lädt führende Wissenschaftler aus der Produktionstechnik ebenso wie hoch qualifizierte Nachwuchswissenschaftler ein, in Aachen an der Produktionstechnik der Zukunft mitzuarbeiten. Der Cluster ermöglicht aber auch deutschen und europäischen Unternehmen, ob groß oder klein, zu erkennen, was sich lohnt, was selbst gemacht werden muss, wo Kompetenz aufgebaut werden muss, um an einem Hochlohnstandort Erfolg zu haben. Das Aachener Forschungsvorhaben werde Unternehmen – darunter gerade auch Mittelständlern – helfen, wesentlich effektiver agieren und Ressourcen einsparen zu können, stellt Cluster-Koordinator Brecher noch einmal heraus. Die Produktionstechnik könne so wieder zum Innovationsmotor der deutschen Industrie werden.
Wolfgang Filì Journalist in Köln

Aachener Vision einer integrativen Produktionstechnik

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Niedrig- und Hochlohnländer konkurrieren typischerweise in zwei Dimensionen: Produktionswirtschaftlich geht es in den Niedriglohnländern vor allem um das Erschließen der Economies of Scale – also um Volumeneffekte. Die Hochlohnländer dagegen positionieren sich zwischen Scale und Scope – letzteres bedeutet, die Produktwünsche der Kunden zu befriedigen, allerdings bei gleichzeitiger Sicherung von Mindeststückzahlen.
Planungswirtschaftlich verfeinern die Hochlohnländer ihre Prozesse anhand kapitalintensiver Methoden und Instrumente sowie technisch überlegener Produktionssysteme. Dem gegenüber arbeiten Niedriglohnländer mit einfachen Prozessketten, die robust und Wertstrom-orientiert sind.
Um die Hochlohn-Produktionsstandorte zu sichern, reicht allein eine bessere Positionierung innerhalb der Teilung zwischen Scale und Scope sowie Planungs- und Wertorientierung nicht aus. Es geht vielmehr darum, die Produktvariabilität zu steigern und dennoch zu Massenfertigungskosten produzieren zu können. Dazu braucht es ökonomisch geplante Wert- und Produkt-optimierte Abläufe.

Globalisierung
High Tech allein sichert weder den Markterfolg noch Produktionsstandorte. Der Aachener Exzellenzcluster „Integrative Produktionstechnik für Hochlohnländer“ hilft Maschinen- und Anlagenbauern, ihre Wettbewerbsfähigkeit im globalen Vergleich zu steigern sowie ihre Produkte und deren Entstehungsprozesse zu optimieren.
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