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Fourth Party Logistics Provider bleiben eine Fußnote der Geschichte

Steuerung der gesamten Prozesskette erweist sich für Dienstleister als zu schwierig
Fourth Party Logistics Provider bleiben eine Fußnote der Geschichte

Um die Jahrtausendwende gab es einen Hype um Internet-AG, E-Commerce und Chancen für den Logistikmarkt: Viert-Partei-Dienstleister (4 PL) wollten alle Beteiligten der Supply Chain vernetzen. Einen richtigen Bedarf scheint es aber nicht zu geben. Stattdessen teilen die bisherigen Player den Markt unter sich auf.

Thomas Preuß ist Journalist in Stuttgart

„Die Annahme, irgend jemand könnte eine komplexe Supply Chain von außen steuern, ist völlig irreal“, sagt Antje Zientek, Pressesprecherin der Swisslog Management AG in München. Ein Branchenkenner, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte, nennt sie gar „Beraterhirngespinste“: die Fourth Party Logistics Provider (4 PL). Die Bezeichnung wurde vor einigen Jahren geprägt, als Themen wie E-Commerce, die Chancen der Logistik durch das Internet und das Supply Chain Management ihren ersten Hype erlebten. Inzwischen redet kaum noch jemand von ihnen. Denn: „Wie sollte ein 4 PL die Kosten gerecht zwischen allen Beteiligten der Lieferkette aufteilen?“, fragt Zientek. „Heute ist es doch so: Ein Automobilhersteller stellt Forderungen an die Qualität und den Zeitpunkt der Lieferung, und die Zulieferer müssen sich beugen. Da wird ein Dritter oder Vierter nicht gebraucht.“
Aufschlussreich ist auch ein Blick in die Marktübersicht „Top 100 der Logistik“, unter anderem herausgegeben von der Bundesvereinigung Logistik e. V. (BVL): kein 4 PL weit und breit. Trotzdem werden ihnen hohe Wachstumsraten vorausgesagt. Nach einer Studie der Unternehmensberatung Frost & Sullivan, Frankfurt/M. und New York, soll das Marktvolumen von 4,7 Mrd. Euro im Jahr 2002 bis 2010 auf 13 Mrd. Euro steigen. In Westeuropa seien die größten Zuwächse in den Bereichen Chemie, Elektronik und Automobilherstellung zu erwarten. Dr. Thomas Wimmer, Vorsitzender der BVL-Geschäftsführung, wundert sich über diese Milliarden-Beträge: „Wo sollen die herkommen? Mir ist in 20 Jahren kein einziger 4 PL begegnet – ausgenommen gezielte Ausgründungen aus Unternehmen, wie die Metro MGL, Optimus Logistics oder die Lufthansa Technik Logistik.“
Gegensätzlicher könnten die Standpunkte nicht sein. Dabei hat die Idee durchaus Charme: Industrie und Handel übertragen nicht nur den physischen Teil der Logistik an einen Dienstleister, sondern auch die Planung und Steuerung der operativen Prozesse. Doch genau an dieser Stelle versteht Wimmer die Welt nicht mehr: „Welches Unternehmen will denn seine sensibelsten Informationen aus der Hand geben? Die Prozess-Steuerung gehört doch zur Kernkompetenz!“
Die 4 PL stünden, hätten sie diese Kompetenz, an der Spitze der logistischen Evolution: Bis Ende der 70er Jahre wickelten die „1 PL“ unternehmensinterne Logistikprozesse ab. Die meisten Unternehmen besaßen einen eigenen Fuhrpark und Lagerhäuser, ein Spediteur übernahm Funktionen bei Verschiffung, Bahnausrollung und örtlichen Transporten. In der Epoche der Second Party Logistics Provider, der 2 PL, wurden Basisleistungen wie Lagerung und Spedition an Logistikanbieter vergeben. Der 3 PL schließlich ist ein Outsourcing-Partner, der Dienstleistungen in der Logistik- und Lieferkette übernimmt, beispielsweise Lagerung, Umschlag und Transport. Dazu können Mehrwertdienste kommen, so genannte Value added Services – etwa die Montage oder Konfektion von Bauteilen, wie es in der Automobilindustrie gängig ist. Zu den 3 PL zählen beispielsweise die Deutsche Post AG, Bonn, die Schenker Deutschland AG in Kelsterbach oder die BLG Logistics Group in Bremen.
Die Grundlage für die 4 PL liefert in der Theorie eine strategische Allianz aus Top-Anbietern der Bereiche 3 PL sowie Management- und IT-Beratung, wobei das 4-PL-Unternehmen als Hauptberater im Zentrum steht. 4 PL positionierten sich damit zwischen den – heute als 3 PL bezeichneten – Logistikdienstleistern, die selbst noch ein Lager und/oder Transportkapazitäten haben, und dem Kunden. Nach der Definition vieler Experten verfügen 4 PL nicht über eigene Anlagen und Geräte, was sie zu Neutralität zwingt und für die Beteiligten bessere Preise bedeuten könnte. Nur dass diese Integrationsleistung ihrerseits bezahlt werden muss. BVL-Geschäftsführer Thomas Wimmer: „Einsparpotenzial sehe ich nicht, abgesehen davon, dass sich Einmaleffekte ergeben könnten.“ Das sei aber bei jedem Unternehmensberater so, der ja beauftragt werde, „mit seinem unabhängigen Blick Tendenzen der Entropie aufzudecken“.
Skeptisch ist auch Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bretzke, Beratungspartner der Bearingpoint GmbH in Düsseldorf und Mitglied des BVL-Vorstandes: Wie jedes Organisationskonzept habe auch ein funktionsübergreifend integriertes Supply Chain Management seinen Preis: Alte Schnittstellen würden geschleift, doch müssten neue geschaffen werden. Das Management dieser neuen Schnittstellen – etwa zwischen Logistik und Vertrieb oder Einkauf – sei schon innerhalb eines Unternehmens eine der anspruchsvollsten Führungsaufgaben. „Es ist ziemlich optimistisch, anzunehmen, diese Aufgabe ließe sich leichter lösen, wenn ein Unternehmen das gesamte Supply Chain Management fremdvergibt“, betont Bretzke. Dies erst recht, wo Endkunden nach einer Untersuchung von Wagener und Herbst an der TU Dresden in der Logistik eine einfach funktionierende physische und informationelle Schnittstelle erwarten.
Die Forscher von Frost & Sullivan gehen, wie andere, davon aus, dass im Zuge der Globalisierung in der produzierenden Industrie der Bedarf nach echten paneuropäischen oder internationalen Logistik-Anbietern wächst, die in der Lage sind, Prozesse und Informationen über geografische Grenzen hinweg zu integrieren. Das immerhin ist nicht aus der Luft gegriffen, denn ein weiteres Ergebnis der Wagener-Herbst-Veröffentlichung lautet, dass sich Industriekunden tendenziell auf einen Logistikanbieter oder auf strategische Allianzen konzentrieren möchten. Diese Entwicklung, glaubt Frost & Sullivan, treibe die Nachfrage nach 4PL-Dienstleistungen in die Höhe.
Ein Beispiel für eine weltweite Zusammenarbeit führt von Deutschland nach China: Die Birkart Globistics GmbH & Co. Logistik und Service KG, Aschaffenburg, hat mit dem chinesischen Automobil-Logistik-Spezialisten Shanghai Yanlong International Trade Co. Ltd. eine Kooperation vereinbart. Yanlong wickelt die gesamte Importlogistik exklusiv über das Birkart-Netzwerk ab. Als 4 PL kauft Yanlong weltweit bei den Zulieferern ein. Birkart holt die Autoteile bei den Herstellern ab und bringt sie nach China. Hier übernimmt Yanlong die Waren und organisiert die Inlandsdistribution über chinesische Subunternehmer. Die Autoteile werden in einem Netzwerk von Zolllagern nahe den Haupt-Fertigungswerken eingelagert. Sobald ein Hersteller Komponenten benötigt, stellt Yanlong die Kauf-Urkunde aus, zahlt den Einfuhrzoll und liefert just in time.
Vor dem Hintergrund der in China boomenden Automobilindustrie erweitert Yanlong seine Kundenbasis kontinuierlich; entsprechend wachsen Anzahl und Komplexität der kontrollierten Versorgungsketten. Da die Automobilzulieferer weltweit produzieren, braucht der chinesische 4 PL einen global agierenden Logistikpartner, den er in Birkart gefunden hat.
Dennoch sind Zweifel am Erfolg der 4 PL angebracht. Denn der Transport- und Logistikmarkt, und da sind sich alle einig, wird in Zukunft oligopolistische Strukturen ausbilden. Nach der Studie von Wagener und Herbst haben auf Anhieb über die Hälfte der Befragten dieser These zugestimmt. Für eine neue Generation von Logistikdienstleistern dürfte es schwer werden, in den Markt einzutreten. Schon heute haben Neueinsteiger ohne Logistikerfahrung keine Chance, sich in der Branche zu etablieren – mit welchen Dienstleistungen auch immer. Als Eintrittsbarriere wirkt vor allem der fehlende Kundenzugang.
Doch auch andere Gründe machen es potenziellen Dienstleistern schwer. Professor Wolf-Rüdiger Bretzke, der Logistik an der Universität Duisburg-Essen lehrt, weist beispielhaft auf das Stichwort Bestandsmanagement und die Schnittstelle zwischen Logistik und Vertrieb hin. „Wenn ein Logistikdienstleister für einen Hersteller das Bestandsmanagement übernimmt, wie soll dann bei ungeplanten Unter- oder Überbeständen an der Schnittstelle zwischen Bedarfsplanung und Bestandsdisposition herausgefiltert werden, ob Fehler in der Absatzprognose oder Dispositionsfehler den Ausschlag geben?“ Die Absatzprognose ist Sache des eigenen Vertriebs, die Disposition aber die des Dienstleisters. Die Grenze lasse sich nicht klar ziehen und in Verträgen kaum regeln. Denn für Überbestände können auch eine ausufernde Variantenvielfalt, misslungene Produktinnovationen oder eine missratene Werbekampagne ursächlich sein.
„Ähnliche Schnittstellenprobleme lassen sich im Einkauf finden“, sagt Bretzke. „Wenn etwa ein Einkäufer entscheidet, ein bestimmtes Material auf Grund von Preisvorteilen von einem Lieferanten aus Osteuropa zu beziehen, dessen Termintreue aber schlechter ist als die seines Vorgängers, kommt dann der Dienstleister als oberster Supply Chain Manager für die Folgen unerwarteter Lieferengpässe auf?“ Oder für erhöhte Sicherheitsbestände? „Ein zu weit getriebenes Outsourcing kann sich auch als Sackgasse erweisen“, warnt der Wissenschaftler, denn Koordinationsprobleme seien die logische Folge.
Prof. Hans-Christian Pfohl vom Fachgebiet Unternehmensführung & Logistik der Technischen Universität Darmstadt blickt schon über die Zeit der 4 PL hinaus auf die Epoche der „X PL“: „Der Markt könnte sich bald teilen in ‘virtuelle Spediteure’ und Logistikdienstleister mit eigenen Kapazitäten“, sagt Pfohl. Der virtuelle Spediteur, so die Meinung einzelner Experten, werde zukünftig die Preisführerschaft übernehmen. Ihm stünden genügend Kapazitäten zur Verfügung, auf die er bei Bedarf zurückgreifen könnte. Er brauche aber keine eigenen Kapazitäten auszulasten. Der Logistikdienstleister dagegen übernehme die Qualitätsführerschaft, da er hier den besseren Überblick habe. Offen bleibt, wie der Kampf zwischen Preis und Qualität ausgeht. So könnte der 5 PL kommen, ohne dass die Branche vom 4 PL wirklich Kenntnis genommen hätte.
Alte Schnittstellen werden geschleift, neue entstehen
Virtuelle Spediteure übernehmen Preisführerschaft
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