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Fürs Auto entwickelt, im Maschinenbau genutzt

Verbindungs- und Schweißtechnik: Neue Fügesysteme im Markt
Fürs Auto entwickelt, im Maschinenbau genutzt

Die Fügetechniker werden immer kreativer. Auf der Stuttgarter Fachmesse für Verbindungs- und Schweißtechnik zeigten sie zum Beispiel Einpressbolzen, die Schrauben ersetzen können. Und das Fraunhofer IWU stellte völlig neue mechanische Fügemethoden vor.

Von unserem Redaktionsmitglied Olaf Stauß – olaf.stauss@konradin.de

Mit der Verbindungs- und Schweißtechnik ging in Stuttgart eine Fachmesse zu Ende, wie sie sich der Besucher wünscht: Kompetente Fachleute erwarteten die Konstrukteure auf den Ständen. Lösungen wurden besprochen, Neuheiten vorgestellt und Trends auf den gut besuchten Foren diskutiert. Dennoch sorgte die vor allem aus dem Südwesten kommende Besucherschaft dafür, dass die Messe ihren regionalen Charakter behielt. Für die Aussteller nicht verwunderlich: „Es ist eben eine Daimler- und Bosch-Hausmesse“, meinten sie schmunzelnd. In der Tat führten die Aussteller in ihren Gesprächen reflexartig nur die Anwendungsbeispiele aus dem Automobilbau an – und schielten wie gewohnt nach den großen Auftraggebern der Region. Diese schon zur Tradition gewordene Haltung ist für die Messe aber eher ein Nachteil. Erneut verkaufte sie sich unter Wert. Denn die in Stuttgart ausstellenden Fügetechniker hatten – getrieben vom Automobil-bau – Entwicklungsergebnisse zu bieten, die für den gesamten Maschinenbau von Bedeutung sind. Beispiele gibt es genug. So entwickelte die Arnold Umformtechnik GmbH & Co. KG, Forchtenberg-Ernsbach, die Einpressbolzen-Familie Tripress, um Befestigungs-Probleme eines Kfz-Zulieferers zu lösen. Der Kunde fertigte Sicherheitsgurt-Sys-teme und verwendete Schrauben, um ein Alu-Druckgussteil mit einem Kunststoffteil zu verbinden. Die Tripress-Bolzen indes reduzierten die Montagezeit im Vergleich zu den Schrauben um 80 %, erklärte Produkt-manager Thomas Jakob.
Möglich macht dies die dreifache Dreiecksform, die bei Arnold ausgetüftelt wurde: Sowohl der Querschnitt des Bolzens als auch der achsparallele Rändel und die umlaufenden Sperrrillen sind dreiecksförmig. Inzwischen ist das System auch bei anderen Branchen im Gespräch, beispielsweise zum Montieren von Steckdosen und Kunststoff-Rolladenkästen.
Die Profil Verbindungstechnik GmbH & Co. KG, Friedrichsdorf, stellte die Distanzstücke „Spacer“ vor. Sie verstärken Kastenprofil-artige Blech-segmente, wenn zum Beispiel Achsstrukturen an der Karosserie zu befestigen sind. Auch diese Neuerung dürfte für Blechverarbeiter außerhalb des Automobilbaus interessant sein. Weiteres Beispiel: Die Gebr. Titgemeyer GmbH & Co. KG, Osnabrück, hat ein modifiziertes Schließringbolzen-System entwickelt, bei dem die Bolzen nicht mehr über einen Zapfen mit Sollbruchstelle gesetzt werden. Der Anlass war der Lärm, der beim Abreißen der Zapfen entstand und den Kfz-Monteuren auf die Nerven ging. Das System Ti-Stud ist nun leiser und bringt zusätzliche Vorteile mit sich: Die kürzeren Bolzen lassen sich leichter zuführen. Und der ursprüngliche Korrosionsschutz bleibt intakt, weil das Verbindungselement nicht mehr verletzt wird.
Dass großes Interesse an den Neuerungen der Fügetechnik besteht, zeigten auch die gut besuchten Vorträge der Gesellschaft zur Förderung Angewandter Verbindungstechnik e.V. (GFAV). Rudolf Müller, beratender Ingenieur in Frankfurt, benannte die Trends beim mechanischen Fügen: Stanz-, Niet- und Setzköpfe lassen sich heute in die auf dem Markt gängigen Umformwerkzeuge integrieren. „Die mechanischen Fügeverfahren erlauben all die Taktzeiten, die beim Herstellen von Blechformteilen in Umformwerkzeugen üblich sind.” Just zur Messe hat zum Beispiel die Arnold Shinjo GmbH & Co.KG, Forchtenberg-Ernsbach, einen entsprechenden Stanzkopf für ihre Strux-Einpressschrauben auf den Markt gebracht. Er lässt sich in Folgeverbundwerkzeuge integrieren, aber auch in Robotersysteme.
Die Fraunhofer-Gesellschaft nutzte die Messe als Plattform, um die Gründung eines Arbeitskreises Fügetechnik aus zehn Instituten bekannt zu geben. „Zusammen wollen wir der Industrie verstärkt fügetechnische Systemlösungen anbieten“, sagte Arbeitskreis-Leiter Dr. Helmut Schäfer. Er ist Leiter Industrielle Klebtechnik und Mikromontage beim Bremer Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (Ifam), das die Klebtechnik im Verbund abdeckt. Als Beispiel für die Aktivitäten des Ifam nennt er die Weiterentwicklung von elektrisch leitfähigen Klebstoffen. Unter anderem können sie die Löttechnik ergänzen, wenn flexible Schaltungsträger zu bestücken sind, die nur begrenzt thermisch belastet werden dürfen. Einsatzort solcher „faltbarer“ Schaltträger sind zum Beispiel Maschinensteuerungen. Die Wissenschaftler haben sich unter anderem zum Ziel gesetzt, Härtezeit und -temperatur der Klebstoffe zu verringern und die Lagerungsbedingungen zu vereinfachen.
Zum Fügetechnik-Arbeitskreis gehört auch das Fraunhofer-Institut für Werkzezeugmaschinen und Umformtechnik (WU). Dr. Reinhard Mauermann, Leiter Prototypen/Fügen, brachte von Dresden die Nachricht über neue mechanische Fügeverfahren mit. Das IWU arbeitet am „Taumel-Nietclinchen“ und am „Hydro-Stanznieten“. Ersteres unterscheidet sich vom Taumel-Clinchen dadurch, dass der Stempel einen Niet als Hilfsfügeteil ins Blech drückt. Das Verfahren kommt ohne Matrize aus. Als Auflage genügt ein flacher Amboss. Mauermann: „Es ist absehbar, dass wir Festigkeiten wie beim Stanzen mit Halbhohlniet erreichen.“ Das ebenfalls neue Hydro-Stanznieten findet simultan zum Innenhochdruckumformen statt. Dabei entsteht eine Fügeverbindung zwischen IHU-Teil und dem Fügepartner, die spätere Schweißarbeiten überflüssig machen könnte. Erste Versuche sind erfolgreich verlaufen.
Im Gegensatz dazu sind die klassischen Fügeverfahren wie Nieten, Clinchen oder Stanznieten schon sehr ausgereift. Veränderungen ergeben sich hier eher bei den Verarbeitungs-Anlagen. Die Avdel Verbindungselemente GmbH, Langenhagen, hat damit begonnen, ihre Systeme neu durchzukonstruieren. Uwe Kaddatz, Leiter Sondermaschinenbau, möchte „weg von Sonderlösungen und hin zu einem modularen Aufbau.“ Seine Vorgabe an die Konstrukteure war, „nur Standardelemente aus den Katalogen der bekannten Komponenten-Anbieter zu wählen.“ Will der Anwender beispielsweise auf eine andere Nietgröße umsteigen, benötigt er jetzt laut Kaddatz nicht mehr als 5 min zum Umrüsten. Bei den Anlagen für Blindnietmuttern und Dornbruchniete ist die Konstruktionsarbeit schon abgeschlossen, als nächstes kommen die Magazinniete dran. „Jetzt, wo wir die Plattform haben, entwickeln wir die Systeme immer schneller.“
Ähnliches lässt sich auch bei der Tox Pressotechnik GmbH & Co. KG aus Weingarten beobachten, die eine modular aufgebaute Zangengeneration ihrer Tox-Kraftpakete auf den Markt gebracht hat. Die Systeme seien kompakter geworden, schneller zu warten, weniger störanfällig und günstiger, heißt es auf dem Stand.
Das Missgeschick eines Kunden hat die KVT Koenig Verbindungstechnik GmbH, Illerrieden, dazu bewogen, die Längensensorik FLM für den Einpressautomaten Pemserter 2000 zu entwickeln. Versehentlich hatte er einige hunderttausend Einpresshülsen mit Hülsen falscher Länge vermischt. Die KVTler bauten daraufhin ein Gerätchen mit einem pneumatischen Steigrohr und zwei Lichtsignalen, das über drei mögliche Schaltzustände jede falsche Länge erkennt und ausschleust. Was den Kunden rettete, soll nun auch andere Anwender schützen: FLM lässt sich leicht in die Zuführeinheit der Einpressautomaten für Bolzen oder Hülsen integrieren, ohne die Geschwindigkeit zu verringern. „Damit kann sich der Anwender noch besser gegen Fehler absichern“, urteilt Bernd Scharnke von KVT.
Wie ein kleines, dynamisches Team in der Fügetechnik schnell Fuß fassen kann, zeigt das Beispiel der Tecfast Verbindungssysteme GmbH in Denkendorf. Geschäftsführer Jürgen Schmidt stellte in Stuttgart sein Unternehmen vor, das sich von einer ausländischen Mutter abgenabelt hat. Primär versteht sich Tecfast als Handelsunternehmen mit Schwerpunkt in der Blindniettechnik, agiert aber immer öfter als Hersteller. Schmidt erarbeitet individuelle, fügetechnische Lösungen, wenn’s sein muss auf die Schnelle. Meist handelt es sich um automatische Zuführungen und Prozessüberwachungen. Das Team besteht mit ihm aus sechs Festangestellten, darunter vier technischen Fachleuten. „Wir versuchen, uns klein und schlagfertig zu halten und arbeiten mit vielen Partnern zusammen. In nur sechs Monaten haben wir ein Netz von Produzenten in China, Frankreich und Taiwan aufgebaut.“ Die Schaltzentrale ist Denkendorf, wo sich auch ein 1400 m² großes Lager befindet. Was nicht zu den Kernaufgaben gehört, delegiert Schmidt nach außen. In Stoßzeiten werden beispielsweise Behindertenwerkstätten zum Verpacken von Materialien eingespannt.
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