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Gigafactory 4: Tesla produziert in Brandenburg

Tesla Gigafactory 4
Gigafactory 4 in Berlin Brandenburg

Ökologische Ursünde oder industrielles Vorbild? Ein Meilenstein für Smart Manufacturing oder purer Gigantismus? Bei der Beurteilung der Gigafactory 4 im brandenburgischen Grünheide scheiden sich die Geister. Fakt ist: Hier wird gerade Industriegeschichte geschrieben.

» Michael Grupp, freier Journalist in Stuttgart

Vor gerade einmal zwei Jahren hat Elon Musk die neue Gigafactory 4 vor den Toren Berlins angekündigt. Der erste Spatenstich erfolgte Mai 2020. Den Planungen nach sollen hier einmal 12.000 Mitarbeiter jährlich 500.000 E-Autos in Form des Tesla Modell X sowie des Mittelklasse-SUV Models Y bauen. Aktuell arbeiten allerdings erst rund 2.000 Werker in der Gigafactory – in dem strukturschwachen Gebiet gestaltet sich der Personalaufbau schwierig. Und das, obwohl Tesla schon in der niedrigsten Lohngruppe ein Brutto-Gehalt von 2.700 Euro aufwärts zahlt. Mit einer einschlägigen Ausbildung beginnt das Einstiegsgehalt bei 3.500 Euro brutto. „Ein Kracher für diese Ebene“, urteilt der Chef der örtlichen Arbeitsagentur.

Teslas erste Pläne sahen einen Produktionsanlauf bereits im Juli 2021 vor; also nach nur etwas mehr als einem Jahr. Eine nicht unrealistische Vorgabe in Anbetracht der Gigafactory 3 in der Nähe von Schanghai, wo bereits nach einem Jahr Bauzeit erste Fahrzeuge produziert und ausgeliefert werden konnten – und das in akzeptabler Fertigungsqualität, wie die asiatische Fachpresse bescheinigt.

So schnell genehmigen die Preußen nicht

Im Brandenburgischen wurden die ambitionierten Pläne jedoch aus mehreren Gründen ausgebremst. Inzwischen sind zwar bereits die ersten zweitausend als Vorserie deklarierten Fahrzeuge vom Band gerollt, verkauft werden dürfen diese Einheiten allerdings nicht. Sie werden wohl ausführlichen Tests und/oder dem Recycling zum Opfer fallen. Die Gründe für die Verzögerungen: Einsprüche von Anliegern und Naturschützern, mehrfach geänderte Planungsunterlagen sowie fehlende Baufreigaben.

Pro und kontra Umwelt

Verzögerungen aufgrund umweltrecht-
licher Bedenken stoßen vor allem im Ausland auf Unverständnis. Elon Musk selbst äußerte sich zu den Umweltschützern von Grüner Liga und Nabu in einem Tweet sehr deutlich: „Diese Leute sind entweder dubios, verrückt oder beides“. Gestritten wurde im Bauverlauf beispielsweise über ungenehmigte Abwasser-Rohre und Kühlmitteltanks, über Stromaggregate, Störfallszenarien und vor allem über das Wasser. Fakt ist, dass die Gigafactory an ein Wasserschutzgebiet grenzt und jährlich 1,4 Mio. m3 Trinkwasser benötigt. Die nahe gelegene Erdöl-Raffinerie verbraucht allerdings das Zehnfache. Zudem benötigt die Fabrik mit 2,2 m3 pro Fahrzeug weniger Wasser als der Branchen-Durchschnitt mit etwa drei Kubikmetern. Für die gefällten 50.000 Plantagen-Kiefern pflanzt Tesla einen dreifachen Ausgleich in Form von ökologisch wertvollerem Mischwald – allerdings in 50 km Entfernung, wie Beobachter kritisch anmerken. Zudem seien zwar viele Ameisen und Eidechsen umgesiedelt worden, nicht aber die Eichhörnchen und Wildschweine. Umweltschützer sprechen von tierischer Triage.

Auf der grünen Heide

Aber nicht nur der Umweltschutz, auch Planungsänderungen haben das Projekt verzögert. So legte Tesla Mitte 2021 einen neuen 21.000 Seiten starken Antrag vor – obwohl die Fabrik nach eigenen Angaben schon zu 80 % fertiggestellt war. Demnach sollten anfangs weniger Fahrzeuge, dafür aber auch noch die notwendigen Batteriezellen aus der eigenen Fertigung kommen: mit einer geplanten Kapazität von 50 Gigawattstunden eine der größten Batteriewerke Europas. Insgesamt reicht das für alle hier geplanten Teslas. Das macht Sinn: Der Akku entspricht in seiner Bedeutung dem des Motors in einem
Verbrenner-Fahrzeug. Rund 15.000 Euro zuzüglich Einbau kostet der Ersatz-Akku für das Tesla Modell X.

Parallel zur Zellenfertigung kam nachträglich auch noch eine fabrikeigene Kunststofffertigung für Spiegel und Stoßstangenteile hinzu. Mit dieser Entscheidung haben die Planer ihre Fertigungstiefe und damit auch die Wertschöpfung auf breiter Basis erhöht. Weggefallen ist dafür eine geplante Teststrecke mit Rüttelpisten. Schüttel- und Klappertests werden jetzt hydraulisch durchgeführt. Als realistischer Termin für die finalen Baufreigaben wird derzeit Ende März 2022 gehandelt, danach sollen die ersten in Deutschland gefertigten Teslas ausgeliefert werden. Vorerst nur in den Farben Schwarz und Weiß, ab Mai soll es dann farbig werden.

Fünf Milliarden und keine Subventionen

Naturgemäß entspricht der Bau der neuen Gigafactory in Grünheide einem Greenfield-Ansatz: Alles ohne Einschränkungen durch bestehende Gebäude und Prozesse zu realisieren – freilich auch ohne auf bestehende Infrastruktur zurückgreifen zu können. Das kostet: Rund fünf Milliarden Euro legt Tesla dafür auf den Tisch. Eine Milliarde davon wollte der deutsche Staat übernehmen – Elon Musk verzichtete medienwirksam auf diese Subvention. Nicht ganz freiwillig, wie sich inzwischen herausstellte. Denn die Milliardenförderung aus den Töpfen des europäischen IPCEI-Programms war an die Bedingung geknüpft, ausschließlich innovative Produktionsmethoden einzusetzen. Viele der neu entwickelten Maschinen in Grünheide werden inzwischen aber auch in der Gigafactory 5 in Texas verwendet, die schneller fertig geworden ist. Hier ist Musk Opfer seiner Agilität geworden.

Alles neu macht der Musk

„Tesla hat die Möglichkeit, die Prozesse der Fahrzeugproduktion und in der Fabrik völlig neu zu erfinden. Tesla baut die Autofabrik der Zukunft“, konstatiert Adam Jonas, Morgan Stanleys Top-Autoanalyst. Andere Analysten vergleichen die Bedeutung von Teslas Innovationen gar mit der Einführung von Henry Fords revolutionärem Fließband. VW-Konzernchef Herbert schätzt, dass Tesla in Brandenburg ein Elektroauto in einem Drittel der Zeit zusammenbauen kann, die seine Marke dafür benötigt.

Tesla setzte in der Vergangenheit auf eine möglichst hohe Automation aller Fertigungsprozesse. Ein Fehler, wie er 2018 eingestand: „Wir hatten dieses verrückte, komplexe Netzwerk von Laufbändern. Aber es funktionierte nicht. Die übertriebene Automatisierung bei Tesla war ein Fehler. Um genau zu sein, mein Fehler. Menschen sind unterbewertet”.

Maschinen ersetzen Roboter

Und so setzt Musk in der neuen Gigafactory nicht auf automatisierte Prozessketten, sondern eher auf den Einsatz einzelner gigantischer Maschinen. In der Tesla Gießerei werden beispielsweise der vordere und hintere Unterboden in riesigen Gussrobotern aus einem einzigen Stück Metall gefertigt. Zum Vergleich: Das hintere Karosserieteil des bisherigen Model 3 besteht aus mehr als 70 einzelnen Metallteilen. Sie wurden bislang wie bei anderen Herstellern konventionell mithilfe von Fügeverfahren wie Schweißen, Schrauben, Nieten und Kleben zur finalen Karosserie zusammengefügt. Das integrierte Verfahren spart aber nicht nur Zeit und senkt die Kosten um circa 40 %, sondern optimiert auch das Gewicht – und jedes Gramm zählt bei der späteren Reichweite der E-Mobile.

Insgesamt acht Gigapressen sollen in Grünheide eine Vielzahl kleinerer Schweißroboter, Druckgussmaschinen und Handling-Automaten ersetzen. Sie stammen vom norditalienischen Hersteller Idra srl, sind 20 Meter lang, über fünf Meter hoch und nach eigenen Angaben die größten Druckgussmaschinen der Welt. Sie verarbeiten Aluminiumlegierungen bei 850 °C und formen das Metall mit einem Druck von 6.100 t.

Just in Tesla

Bei der Logistik setzt Tesla auf „Just in
time“ – um Lagerkosten zu sparen, sollen die meisten Zuliefererteile punktgenau angeliefert werden. Das wiederum setzt eine Infrastruktur mit funktionierendem Straßen- und Schienennetz voraus. Eine vorläufige Autobahnabfahrt haben die amerikanischen Unternehmer mit Erlaubnis der Behörden selbst gebaut und pünktlich zur Eröffnung des Werks eingeweiht. Eine größere, öffentlich nutzbare Abfahrt wird nach derzeitigem Planungsstand voraussichtlich im Jahr 2026 fertig.

Einen vorhandenen Gleisanschluss haben die Amerikaner auch bereits gekauft – betreiben dürfen sie die Strecke aber nicht selbst. Das darf gemäß dem Allgemeinen Eisenbahngesetz nur der bisherige Besitzer, die Deutsche Regionaleisenbahn (DRE). Zudem liegt der bestehende Bahnhof vier Kilometern vor den Werkstoren, Shuttlebusse überbrücken die Distanz. Effizienz geht anders, Tesla plant bereits einen eigenen Gleisanschluss.

Think big, grow fast

„Ich bin zuversichtlich, dass wir Ende des nächsten Jahres die Massenproduktion erreichen“, so Elon Musk während der Eröffnungsfeier. Der CEO rechnet mit 5.000 bis 10.000 Autos pro Woche: „Hoffentlich näher an 10.000“. Das entspricht bereits annähernd einer Vollauslastung der auf 500.000 Fahrzeuge pro Jahr ausgelegten Fabrik.

Eine bereits angedachte Erweiterung der Gigafactory liegt derzeit auf Eis: zugunsten des konzentrierten Ausbaus der Zellenfertigung. Nach den Erweiterungsplänen sollte das bestehende Werk einfach gespiegelt und die Kapazität damit verdoppelt werden. Die ungelösten Fragen rund um die Wasserversorgung sowie eine angestrebte Konsolidierung und
Perfektionierung der neu aufgebauten Produktionslinien haben dem – zumindest vorläufig – einen Riegel vorgeschoben.

Die Konkurrenz schläft nicht,
sie beobachtet und investiert

Milan Nedeljkovic, Produktionschef bei BMW, findet Teslas Ansatz zumindest spannend, verweist aber darauf, dass
große Gusskomponenten die Flexibilität einschränken. Das gilt umso mehr, wenn verschiedene Modelle auf derselben Montagelinie gebaut werden sollen. Hier ist Tesla mit der eingeschränkten Modell-
palette im Vorteil. „Wenn es funktioniert, werden wir es vielleicht in Betracht ziehen“, so Nedeljkovic.

Als direkte Reaktion auf die Tesla-Pläne überlegt VW seinerseits, bei Wolfsburg
eine neue Elektroauto-Fabrik für 250.000 Fahrzeuge jährlich aus dem Boden zu stampfen. 160 Mrd. Euro will VW in den nächsten fünf Jahren für einen Umbau des Konzerns zu einem innovationsgetriebenen Technologieanbieter in die Hand nehmen. Elektromobilität und Digitalisierung nehmen dabei den größten Teil ein: 89 Mrd. Euro. Dagegen wirken die fünf Mrd. Euro für die Gigafactory auf der Grünheide nachgerade bescheiden.


Fazit

Die Gigafactory dient als Leitplanke für die Auto-

mobilindustrie. In der Produktion behält der Mensch das Steuer in der Hand.

Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
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