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Großkurbelwellen komplett bearbeiten

Thyssen Umformtechnik setzt auf Drehfrästechnologie
Großkurbelwellen komplett bearbeiten

In der Fertigung von Großkurbelwellen hat die Thyssen Umformtechnik + Guss GmbH in Remscheid technologisch ein neues Zeitalter eingeläutet. Die Drehfrästechnologie der Chemnitzer Niles-Simmons Industrieanlagen GmbH erlaubt es jetzt, die großen Werkstücke in einer Aufspannung fertig zu bearbeiten.

Dipl.-Ing. Peter Merkel ist Chefkorrespondent im Konradin Verlag

Großkurbelwellen finden sich vorwiegend im Schiffbau in Haupt- und Nebenantrieben oder in der Stromerzeugung etwa im mobilen Einsatz auf Lkw oder Großcontainern. In Remscheid bei der Thyssen Umformtechnik + Guss GmbH erreichen die zu bearbeitenden Kurbelwellen Längen von 1,5 bis 5,5 m. Als Werkstoff der stets vorgeschmiedeten Rohlinge kommen mit Chrom und Vanadium legierte Stähle zum Einsatz. Keine besonders günstigen Voraussetzungen für die Bearbeitung, zumal sie meistens auch noch induktiv auf bis zu 50 HRC gehärtet sind.
Große Stückzahlen fallen fast nie an. Seriengröße eins ist da vorrangig die Regel. In seltenen Fällen sind auch schon einmal bis zu 20 Werkstücke zu bearbeiten. In diesem für das Unternehmen typischen Bereich, der die frei verfügbaren Kurbelwellen dieser Größenordnung betrifft, sind die Remscheider nach eigenen Aussagen zumindest in Europa Marktführer. „Mit den jetzt in neue Technologien getätigten Investitionen dürften wir zu den bedeutendsten Herstellern von Kurbelwellen weltweit gehören“, ist Dipl.-Ing. Roland Boeddinghaus, der Technische Leiter, überzeugt.
Bisher wurden die Großteile konventionell auf verschiedenen Maschinen bearbeitet. Das hatte erhebliche Durchlaufzeiten zur Folge. Darüber hinaus mußten die beteiligten Mitarbeiter über ein detailliertes Know-how verfügen, um die jeweils günstigste Bearbeitungsfolge festzulegen. „So waren bisher rund 50 Arbeitsgänge erforderlich, die durch den Einsatz der Drehfrästechnologie von Niles-Simmons auf etwa 20 reduziert wurden“, erklärt Boeddinghaus. Auf den inzwischen fünf modularen CNC-Drehfräsbearbeitungszentren der Baureihe N 50 aus Chemnitz erlauben Dreh-, Fräs-, Bohr- und Drehfrästechnik die Komplettbearbeitung unter Einsatz hoher Leistung. Allein an der Frässpindel stehen 50 kW zur Verfügung.
„Wir haben in den zurückliegenden Jahren nach einer Technologie gesucht, mit der Kurbelwellen dieser Größenordnung sinnvoll, produktiv und nicht zuletzt gewinnbringend zu bearbeiten sind“, blickt Boeddinghaus zurück. Schon vor Jahren wurde eine Bohr-/Fräsmaschine angeschafft, die diesen Forderungen in Ansätzen gerecht wurde. Als am Markt die Drehfrästechnologie in Drehmaschinen angeboten wurde, wollten die Remscheider ihre komplexen Arbeitsgänge endlich auf einer Maschine vereinen. „Die Wahl fiel auf Niles-Simmons, weil dort die Bereitschaft bestand, mit uns gemeinsam diese Technologie rund um das Drehfräsen entsprechend fortzuentwickeln und auch wirtschaftlich und produktiv einzusetzen“, erläutert der Technische Leiter.
Vor etwa zwei Jahren wurde das Vorhaben mit einer Maschine der Größe bis zu 4 m Spitzenweite in Angriff genommen. Zwar wies die Fräseinheit noch nicht die hohe Leistung von heute 50 kW aus, aber die in Richtung Drehbearbeitungszentrum konzipierte Drehmaschine bezog schon das Drehfräsen mit ein.
Bekanntlich ist eine Hälfte der Lagerzapfen einer Kurbelwelle nicht zentrisch angeordnet und kann daher auch nicht in einer Aufspannung gedreht werden. Dieses Problem ist jetzt durch die Drehfräsbearbeitungszentren aus Chemnitz gelöst. Die zentrisch angeordneten Lager werden aus wirtschaftlichen Gründen gedreht. „Wir haben aber auch die Möglichkeit, diese Sitze durch Drehfräsen zu bearbeiten“, stellt der Technische Leiter fest.
Die Hublager werden ausschließlich drehgefräst. Erprobt wurde das zunächst an nicht vergüteten Teilen mit Hartmetall. Jetzt werden die bis zu 50 HRC induktiv gehärteten Teile erfolgreich mit CBN-Schneiden bearbeitet. „Mit dem Einsatz dieser Maschinen haben wir eine deutliche Verbesserung der Qualität erzielt,“ resümiert Boeddinghaus. Im Bereich der Durchmesser erziele man mit dem Drehfräsen gleiche Ergebnisse wie beim Schleifen. Daher könne das Vorschleifen entfallen.
Die neue Bearbeitungsweise hat in Remscheid aber noch mehr bewirkt. So verkürzte sich zum Beispiel die Durchlaufzeit für nitrierte Wellen um ganze 50 % von zwölf auf sechs Wochen. Und auch früher aufgetretene Beschädigungen durch häufigeres Umspannen sind praktisch entfallen. Alles das hat bewirkt, daß die Stückkosten drastisch reduziert werden konnten. Darüber hinaus entfallen die Zwischenlagerplätze für die halbfertigen Wellen, und auch der Transportaufwand ging deutlich zurück. In den Hallen wurde zusätzlicher Platz geschaffen, weil viele der alten Maschinen nicht mehr benötigt werden.
Vom Gütertransport bis zur Informationslogistik wird alles geboten
Die Aufstellung der neuen Maschinen wurde so konzipiert, daß die Mitarbeiter mehrere Maschinen bedienen können. Bei Laufzeiten von bis zu 24 Stunden je Kurbelwelle bietet sich das geradezu an. Da die neuen Maschinen konsequent im DNC-Betrieb laufen, ist die Arbeitsvorbereitung durch die Programmierung stark in die Arbeitsabläufe mit einbezogen. Als Folge davon zieht die gesamte Engineering-Gruppe derzeit in Büros, die unmittelbar neben der Fertigung eingerichtet wurden. Berührungsängste zwischen Werkstatt und Weißkitteln sollen dadurch abgebaut werden.
Auch die Meister haben aus diesen Erwägungen neue Büros in direkter Nachbarschaft zu den Maschinen erhalten. „Wenn Probleme auftreten, sind alle direkt und indirekt Betroffenen unmittelbar vor Ort“, sagt Boeddinghaus. „Ausfälle an diesen Maschinen müssen innerhalb kürzester Zeit behoben werden.“ Auch das logistische Umfeld wird zum Beispiel durch die Installation des PPS-Systems R/3 4.0 von SAP auf die neue Technologie abgestimmt.
Bedient werden die komplexen Maschinen ausschließlich von Facharbeitern, die nach und nach auch in der Programmierung ausgebildet werden. Bei der Einführung der neuen Technologie war die Suche nach Fachkräften eines der größten Probleme. Immerhin sollten sie neben der Bedienung der Maschinen auch selbständig kleinere Störungen beheben, die Eigenarten der Kurbelwellen kennen und damit das gesamte System beherrschen können.
Natürlich verlief die Einführung der neuen Maschine nicht völlig ohne Probleme. Die meisten konnten jedoch schon gelöst werden, bevor die vier anderen Maschinen folgten. „Entstanden sind die Probleme durch die völlig neue Abfolge der Arbeitsschritte in nur einer Aufspannung“, weiß der Technische Leiter. Was vorher über die Erfahrung der Mitarbeiter abgefangen werden konnte, mußte jetzt durch Zusammenfassen von Arbeitsgängen neu geordnet werden. Die Organisation hat sich dadurch vereinfacht. Es konnten Musterarbeitspläne erstellt und Teilefamilien zusammengefaßt werden.
Die Thyssen Umformtechnik + Guss GmbH will diese Fertigung ausbauen. Vier weitere Maschinen sind detailliert geplant und konzipiert. Laut Boeddinghaus seien noch nicht alle Ziele erreicht, die man sich gesetzt habe. Dazu sei die Anlaufphase auch noch nicht abgeschlossen. „Technologisch haben wir das Geplante bereits erreicht“, stellt er fest, „nun wollen wir den Ausstoß der Maschinen erhöhen und bald alle Kurbelwellen darauf fertigen.“ Er glaubt, in einem Jahr diese Ziele zu erreichen.
Auch die Chemnitzer haben von der Zusammenarbeit profitiert. Sie konnten ihre Maschinen technologisch perfektionieren. Daraus resultieren ein längerer Y-Weg, eine besonders präzise C-Achse, deren Genauigkeit auf einem Schneckenrad der Qualität 4 beruht sowie die höhere Steifigkeit des Frästurmes, die letztlich zu einer Rundheit von 15 µm geführt hat. Das allerdings hätten die vorsichtigen Chemnitzer Maschinenbauer nicht vorab garantieren wollen.
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