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Klimaneutrale Logistik – alles wieder offen

Wasserstoff
Grüner Schwerlast-Verkehr

Wasserstoff in Brennstoffzellen galt vor wenigen Jahren als einzige Möglichkeit, die Lkw-Logistik grün zu bekommen. Inzwischen holt aber die Batterie auf und der H2-Verbrenner steht ebenfalls in den Startlöchern.

» Tobias Meyer, freier Mitarbeiter des Industrieanzeigers

Um bis 2050 klimaneutral zu werden, sucht die Logistikbranche händeringend nach einer Alternative zum fossilen Verbrenner. Bei wenigen hundert Kilometer Einsatzradius kann dafür durchaus der E-Motor passen, versorgt entweder per Ladesäule (BEV) oder Brennstoffzelle. Die Traton-Group, seit 2018 die Lkw-Dachorganisation der Volkswagen AG, ist mit ihren Marken Scania und MAN bereits rein batteriebetrieben auf der Straße. Die Reichweite des skandinavischen Sattelzugs beträgt 320 km bei 40 t Gesamtgewicht. Der litauische Logistiker Girteka hat kürzlich angekündigt, 600 der E-Trucks zu kaufen. Um deren 624-kWh-Akku in unter anderthalb Stunden vollzubekommen, bedarf es aber einer 375-kW-Schnellladestation, die während einer Pause des Fahrers verfügbar und frei sein muss. Daher arbeitet der Dienstleister hier aktiv mit Scania am Ausbau der notwendigen Infrastruktur.

Im regionalen Umschlag könnte das leichter planbar sein, als im Fernverkehr. Denn für die Langstrecken-Brummies sind derzeit schon einfache Parkplätze teilweise Mangelware. Erste Schritte sind aber auch hier bereits gemacht: Aral etwa elektrifizierte Anfang 2023 über 600 km des Rhein-Alpen-Korridors – eine stark befahrene Logistikroute, die unter anderem die Großräume Rhein-Neckar, Rhein-Main und Rhein-Ruhr verbindet. Aktuell wurden entlang der Route sechs 300 kW-Ladestationen eingerichtet, zwei weitere folgen demnächst. Pro Tag und Ladesäule sollen mehr als 20 Lkw während der gesetzlich vorgeschriebenen Fahrerpause von 45 Minuten grünen Strom für eine Reichweite von bis zu 200 km beziehen können. Um das Netz voranzubringen, gründeten Traton, Volvo und Daimler 2022 zudem ein Joint Venture, das in fünf Jahren 1700 Ladepunkte speziell für Lkw schaffen soll. Die drei Partner wollen hierfür zusammen 500 Millionen Euro investieren. Es handelt sich dabei nach Kenntnisstand der Unternehmen um die bisher bei Weitem größte Investition in Ladeinfrastruktur für schwere Lkw in Europa. In den Entwicklungsabteilungen steht derweil bereits das Megawatt-Ladesystem MCS, welches mit bis zu 1250 V und eigenem Stecker arbeitet. Beim aktuellen Standard CCS sind maximal 375 kW möglich, MCS dagegen kann in einer ersten Ausbaustufe 750 bis 1000 kW übertragen, theoretisch sind sogar bis zu 3,75 MW möglich. Anfang 2024 sollen an vier Stationen der A2 je zwei Testsäulen aufgestellt werden, wobei etwa Technik von ABB zum Einsatz kommen wird.

Elektro und Diesel ab 2026 gleichauf

Nach Schätzungen von MAN werden 2025 in der EU rund 11.000 Ladepunkte für Lkw nötig sein, 2030 wahrscheinlich schon weit mehr als 40.000. Die entsprechenden Lkw hat man bereits im Programm: Nach der vor vier Jahren als Kleinserie gestarteten 26-Tonner-Serie eTGM für den regionalen Verteilereinsatz bis 200 km sollen die ersten schweren Serienfahrzeuge nun schon 600 bis 800 km weit kommen. In der nächsten Generation ab etwa 2026 seien Reichweiten von bis zu 1000 km zu erwarten. Für diese Zeit prognostiziert MAN das Gleichziehen von Diesel- und E-Lkw hinsichtlich der Gesamtbetriebskosten sowie eine steigende Nachfrage nach E-Fahrzeugen – eine entsprechende Ladeinfrastruktur vorausgesetzt. 2030 könnten laut MAN dann bereits 60 % der Verteiler-Anwendungen und 40 % des Lkw-Fernverkehrs elektrifiziert sein.

Den Anfang macht der Logistik-Konzern DB Schenker: „Wir wollen so früh es geht Erfahrungen mit E-Trucks in der Praxis aufbauen. Deshalb war es uns wichtig, die ersten MAN eTrucks zu erhalten. Das bringt uns unserem Ziel, im Landtransport bis 2040 net zero unterwegs zu sein, wieder einen Schritt näher“, sagt Cyrille Bonjean, Head of Land Transport bei DB Schenker Europa, erster Pilotkunde dieser eTrucks. Dafür will man eine eigene Ladeinfrastruktur sowie eine intelligente Routenplanung etablieren. Bis 2026 plant das Unternehmen 100 MAN eTrucks in seine Flotte aufzunehmen. Die ersten Fahrzeuge sollen im ersten Halbjahr 2024 übergeben werden.

Auch bei der Brennstoffzelle geht es bereits in die Praxis: Ende Januar 2023 rollte beispielsweise der Hyundai Xcient Fuel Cell das erste Mal vom Gelände des Rewe-Logistikzentrums in Köln. Nach Aussage des Unternehmens können durch den Einzeleinsatz des LKW und grün produziertem Wasserstoff pro Jahr ca. 58 t CO2 im Vergleich zu einem herkömmlichen Diesel-LKW eingespart werden. Der 27-Tonner fast 18 Europaletten und hat eine Reichweite von rund 400 km. Der Verbrauch liege bei etwa 8 kg Wasserstoff pro 100 km, eine Vollbetankung mit 32 kg dauert rund 11 Minuten. In der Schweiz fahren die südkoreanischen H2-Lkw bereits seit 2020.

Auch andere Hersteller arbeiten an entsprechender Technik und räumen Schwachpunkte aus. So wurde beispielsweise immer wieder angemerkt, dass anspruchsvolle Langstrecken-Gebirgsrouten die Brennstoffzelle an ihr Limit bringen könnte. Daimler hat daher entsprechende Tests absolviert und den hauseigenen Mercedes-Benz GenH2-Truck-Prototyp über den Brennerpass geschickt, eine der Hauptschlagadern des europäischen Frachtverkehrs. Allein 2019 wanderten rund 40 Millionen Tonnen Fracht über den 1370 m hohen Alpenübergang zwischen Österreich und Italien. Während der einwöchigen Testfahrten überquerten die Daimler-Ingenieure den Brenner mehrmals mit dem beladenen Sattelzug. Die Erkenntnisse der ersten Höhenerprobungsfahrten über das Zusammenspiel von Brennstoffzelle und Batterie in anspruchsvoller Topographie sowie über die vorausschauende Betriebsstrategie auf der Brennerstrecke fließen nun in die weitere Entwicklung ein. Der Lkw soll so auf eine Reichweite von 1000 km und mehr kommen. Weitere Erprobungsfahrten im Gebirge sind für das kommende Jahr geplant, der Serienstart ist für die zweite Hälfte des Jahrzehnts vorgesehen.

Das Ende einer Ära

Wie ernst es Daimler mit dem Kurs weg vom Verbrenner ist, verdeutlicht eine Ende Januar unterzeichnete Kooperation: „Im Rahmen unserer strategischen Ausrichtung auf den lokal CO2-neutralen Transport haben wir bereits im vergangenen Jahr angekündigt, dass Daimler Truck keine eigenen Mittel mehr in die Weiterentwicklung der eigenen mittelschweren Motoren für die Abgasstufe Euro VII investieren wird“, so Andreas Gorbach, Mitglied des Vorstands der Daimler Truck AG. Daher wird die mittelschweren und schweren Diesel künftig der Motorenbauer Deutz weiterentwickeln und teilweise auch selbst produzieren. Der Kölner Traditionshersteller zahlt dafür Lizenzgebühren, Daimler steigt dort im Gegenzug via Aktie mit 4,19 % ein. Beide Transaktionen belaufen sich insgesamt auf einen mittleren zweistelligen Millionen-Euro-Betrag. „Die Kooperation verbessert unsere Ausgangsposition, da wir Zugriff auf hochentwickelte Motoren erhalten und gleichzeitig neue Kundengruppen erschließen. Gerade im Schwerlastbereich und in der Landwirtschaft werden konventionelle Antriebe mit Verbrennungsmotoren weiterhin noch benötigt – und können durch den Einsatz synthetischer Kraftstoffe umweltfreundlich betrieben werden. Wir werden deshalb in den nächsten Jahren nicht nur unser klimaneutrales Produktportfolio weiterentwickeln, sondern auch im klassischen Motorengeschäft weiter wachsen“, sagt Deutz-CEO Sebastian Schulte.

Grüne Verbrenner

Zur grünen Agenda gehört dabei inzwischen auch der Wasserstoff-Verbrennungsmotor: Deutz möchte 2024 einen entsprechenden Sechszylinder im Bereich von 275 PS in den Markt bringen. Aktuell wird dieser als Stationärmotor bereits im Einsatz getestet, künftig aber soll er vor allem schwere Fahrzeuge antreiben. Als Basis dient ein bestehendes Motorenkonzept, das angepasst wurde: Als erstes Unterscheidungsmerkmal zum Diesel ist der H2-Motor ein Fremdzünder, sprich Otto-Technik. Daher braucht er eine andere Brennraumgeometrie, was großteils die Kolben realisieren. Der Kopf weißt entsprechend ebenfalls völlig andere Schwerpunkte auf: Zündkerze, Einspritzsystem im Saugrohr, höhere Kühlung. Das Aufladesystem ist ebenfalls komplett neu. „Lange herrschten Ängste vor, der sehr feine Wasserstoff könnte sich auch im Kurbelgehäuse anreichern und dort explodieren. Das konnten wir aber entkräften“, versichert uns Deutz-Konstruktionsleiter Paul Grzeschik. Auch das entstehen von Wasser – aus dem Sauerstoff in der Luft und Wasserstoff – im unteren Rumpfteil wird gerade ausgiebig untersucht, da es zu Korrosion und Beeinträchtigung der Schmierung führen könnte. Auch hier seien aber derzeit keine wirklichen Probleme absehbar.

Eine weitere Herausforderung für die Kölner Motorenbauer war die extreme Klopfneigung des Wasserstoffs, kein Treibstoff sei hier schlimmer. Den unkontrollierten Nebenverbrennungen kann man entweder durch Verdünnung mit Luft beikommen oder durch eine Abgasrückführung. „Mit der Verdünnung durch Luft hätte aber die Aufladung sehr viel komplexer werden müssen, zudem wäre die Leistungsdynamik schlechter gewesen“, sagt Grzeschik. Auch wenn der Wasserstoff ohne CO2-Emission verbrennt, die Stickoxide (NOx) bleiben. Denn sie entstehen, da der in der Luft enthaltene Stickstoff ebenfalls in die Verbrennung involviert ist. Das Problem ist hier also nicht der Treibstoff. Daher braucht es weiterhin eine Abgasnachbehandlung, die aber wesentlich kleiner dimensioniert sein kann, etwa ohne den Partikelfilter.

Auch andere Hersteller sind in diesem Bereich bereits aktiv: Liebherr hat beispielsweise ebenfalls erste Prototypen vorgestellt: Einen 13,5-Liter-Sechszylinder mit Saugrohreinspritzung (PFI) sowie einen Vierzylinder mit 9 l Hubraum als Direkteinspritzer. Letzterer biete ein höheres Potenzial in Bezug auf Verbrennungseffizienz und Leistungsdichte, wobei Liebherr auch noch andere Einspritzverfahren testet. Mit der Serienproduktion will man spätestens 2025 beginnen. Neben wasserstoffbetriebenen Motoren forsche man zudem am Einsatz von alternativen Kraftstoffen. Ein Beispiel dafür ist ein Dual-Motor, der mit einer kombinierten Wasserstoff-HVO-Einspritzung (hydriertes Pflanzenöl) bzw. mit reinem HVO betrieben werden kann. Diese Technologie soll künftig einen flexibleren Fahrzeugbetrieb mit unterschiedlichen Konfigurationen ermöglichen.

Bei MAN hat man dieses Thema natürlich ebenfalls bereits auf dem Schirm: „Auch künftig wird es die Hauptaufgabe sein, den Verbrauch weiter zu reduzieren, da das den größten Effekt hat: Der Nutzer spart Kraftstoff und gleichzeitig werden weniger Abgase produziert“, sagt Werner Kübler, Head of Engineering bei MAN Engines. Die Technologie für alternative Kraftstoffe bzw. Antriebe habe man im Portfolio, egal ob für Biomethan bzw. Erdgas, Methanol oder Wasserstoff. „Viel wichtiger ist die Frage, ob der Fahrzeugbauer diese auch integrieren kann und ob dessen Kunde die notwendige Infrastruktur für den Einsatz bei sich vorfindet.“ Das Nadelöhr sieht Kübler im Tank. Denn Wasserstoff in der üblichen Speicherform benötigt das doppelte Volumen im Vergleich zum Biomethan oder Erdgas bei gleicher Energieausbeute im Verbrenner. Im Vergleich zum Diesel müssten die Tanks theoretisch mehr als das zehnfache Volumen aufweisen. Die Brennstoffzelle dagegen käme mit etwas kleineren Tanks weiter, da sie den Wasserstoff effizienter nutzen kann. Der Vorteil der H2-Motoren aber ist, dass sie schnell zu implementieren wären und so die Nachfrage nach passender Infrastruktur zeitnah ankurbeln könnten. Da sie zudem sehr robust sind, setzen vor allem Baumaschinen- und Landtechnikhersteller zunehmend auf die H2-Verbrenner.

Hype versus Realität

Wie unsicher die Wasserstoff-Implementierung für die Logistik auf der Straße noch ist, zeigt das auf und ab der Start-Ups: Der erst 2015 gegründete Lkw-Hersteller Nikola wurde schnell als zweiter Tesla gehandelt. Das große Versprechen lautete Brennstoffzellen-Trucks samt eigener, energieautarker Tankstellen, die den Wasserstoff selbst produzieren. Nach Täuschungsvorwürfen musste man sich dann aber der Realität stellen, die Aktie brach ein. Inzwischen sind namhafte Größen wie Bosch sowie die Iveco-Mutter CNH eingestiegen und die ersten Maschinen vom Band gelaufen, unter anderem in einer neuen Fabrik in Ulm. Kürzlich hat der Energieversorger GP Joule dort 100 Fahrzeuge bestellt, die bis 2025 geliefert werden sollen. Dafür muss das Personal um 100 neue Stellen aufgestockt werden.

Dass Wasserstoff kein völliger Selbstläufer ist, zeigt auch die Geschichte von Clean Logistics: 2019 trat man an, um Bestandslastwagen und Busse auf Brennstoffzellen umzurüsten. Im letzten Jahr plante das Hamburger Unternehmen noch mit bis zu 450 Fahrzeugen, die Mitarbeiterzahlen wuchsen. Obendrauf wurde ein hauseigener Sattelschlepper präsentiert. Um schnell die erforderlichen Formalitäten zur Herstellung eigener Fahrzeuge zu erledigen, übernahm man den niederländischen Fahrzeugbauer Ginaf. Für frisches Kapital ging man via Mantelkonstrukt schnell an die Börse. So solide stand das junge Unternehmen dann aber doch nicht: Im Winter geriet es in finanzielle Schieflage, der Aktienkurs fiel, das Vertrauen schwand. Ende Januar musste Clean Logistics in die Insolvenz und wurde kürzlich durch die Faun-Tochter Enginius Tec übernommen.

Alles wieder offen

Es scheint also, als sei die Energiewende in der Logistik wieder relativ technologieoffen. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob sich eine Technik generell durchsetzt oder je nach Kundenwunsch Brennstoffzelle, Batterie oder H2-Motor parallel verfügbar sein werden. Und da sich die EU für das ab 2035 besiegelte Verbrennerverbot – das auch für kleine Lkw gilt – hichsichtlich E-Fuels doch noch zu einer Ausnahme hinreißen ließ, stünde noch eine vierte Option parat. Entscheiden wird dann der Kunde.


Im Überblick

Die Brennstoffzelle ist nicht mehr der alleinige Hoffnungsträger der künftigen
Lkw-Logistik.


Alexander Gölz, Chefredakteur Industrieanzeiger
Bild: Tom Oettle

Ohne H2-Tanke kein H2-Lkw

Die Autobahn ist in Deutschland seit Jahren mit über 70 % für den Großteil des Güterverkehrs zuständig, etwa 500 Milliarden Tonnenkilometer kommen so jährlich zusammen. Eine solche Branche kann daher nicht einfach so umgekrempelt werden. Gleichzeitig ist es aber trotzdem allerhöchste Eisenbahn, möglichst zügig eine Lösung zu finden, die auf Grund ihrer Flexibilität geschätzten Lkw klimaneutral zu bekommen. Dafür muss aber neben der Technologie der Hersteller auch die Infrastruktur schnell vorhanden sein, um den Spediteuren den Wechsel überhaupt zu ermöglichen.

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