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Gut gemeint – aber ohne Chance

SCM: Warum eine interessante Software niemand einsetzt
Gut gemeint – aber ohne Chance

Mit Millionen an Subventionen entwickelten Forscher und Anwender eine neue SCM-Software. Doch jetzt will das Liefernetzwerkmanagement Li-Net niemand haben. Nicht einmal die zahlreichen Entwicklungspartner selbst. Dabei sind die Ideen nicht schlecht.

Thomas Baumgärtner ist Journalist in Kusterdingen

Mit Li-Net soll alles besser werden. Besonders einer bestimmten, unheilvollen Entwicklung wollen die Erfinder des Lieferantennetzwerkmanagements in der Automobilindustrie (Li-Net) einen Riegel vorschieben: der Ausbreitung heterogener Systeme bei SCM-Lösungen.
Handlungsbedarf scheint angebracht. Denn ohne Zweifel entwickelte sich das Supply Chain Management (SCM) zu einem der Kernthemen innerhalb der Automobilindustrie. Dabei zeigt sich der Begriff, der von Gliedern einer langen, zusammenhängenden Kette ausgeht, überholt. Die Branche spricht zunehmend von Lieferantennetzwerken, um die Vielzahl der Querverbindungen deutlich zu machen, die typisch für das Zusammenwirken geworden sind.
Auf reges Interesse stieß im vergangenen Jahr denn auch eine Veranstaltung des Instituts für Produktionsmanagement der Fachhochschule Braunschweig, das Institutsleiter Professor Dr. Johannes Walter mit „Integriertes Supply Network Management“ überschrieb. Tenor dort: Die „Netzwerkfähigkeit“, so Walter, sei ein wesentliches Wettbewerbs- und Erfolgskriterium.
Doch spätestens bei der Rollenverteilung innerhalb eines Netzwerkes fangen die Klagen an. Vor allem die Zulieferer bemängeln, dass der OEM stets bestimmender Faktor im Zusammenwirken sei und bei der Software die von ihm definierten Prozesse als Standard vorgebe. Je nachdem, mit wie vielen Automobilherstellern ein Zulieferer zusammenarbeitet, muss er die entsprechenden Systeme vorhalten. Vor allem Logistikdienstleister bekommen das zu spüren. „Die Anwendung solch heterogener Systeme ist mit einem immensen Aufwand verbunden“, so Michael Mantel von der Albert Craiss Internationale Spedition GmbH in Mühlacker.
Um dem Systemwirrwar ein Ende zu bereiten, legte eine Interessengemeinschaft von 14 Partnern (siehe Kasten) dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Programmes „Forschung für die Produktion von Morgen“ eine Ideenskizze vor – und erhielt den Zuschlag. Mit damals 9,6 Mio. DM war das Projekt veranschlagt, die Hälfte davon floss als Fördergelder.
Mitte 2000 begann das ehrgeizige Projekt – und endete jetzt doch im babylonischen Spargewirr der Softwaresysteme und Interessen. „Es fehlt ein zugkräftiger Pilotanwender“, muss Frank Gehr vom Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung zugeben. Nachdem nach Abschluss der Arbeiten nicht mal die Beteiligten den Finger hoben, um als Anwender in die gelebte Praxis zu gehen, bemühen sich nun Berater und PR-Profis darum, die Lösung unters Volk zu bringen.
Immerhin 45 Mannjahre verschlang die 2,5 Jahre dauernde Entwicklung. Und im Prinzip ist das Ergebnis nicht schlecht: Die Software Li-Net umfasst die Planungsprozesse in einem Netzwerk, inklusive der simultanen Planung von Bedarfen und Kapazitäten über die einzelnen Lieferstufen. Laut Li-Net-Entwickler ebenfalls abgedeckt werden die Kernprozesse der Materialflussplanung und -steuerung sowie das Behältermanagement in geschlossenen Behälterkreisläufen. Zusätzlich könnten auch Bedarfs- und Kapazitätsszenarien simuliert werden.
Basis für die Li-Net-Installation sei die in den Unternehmen vorhandene IT-Landschaft, wobei bestehende Datenformate in ein gemeinsames System überführt werden. Da die Software modulartig aufgebaut ist, kann sie an die Bedürfnisse vor Ort angepasst werden.
Nach Meinung von Dr. Georg Urban, Projektkoordinator Li-Net, behebt die neue Software ganz gezielt die Schwachstellen bisheriger Lösungen: Denn „Durchgängigkeit, Gleichzeitigkeit und Abgestimmtheit im Netz“ wären bislang nicht gewährleistet gewesen. Schließlich würde in klassischen Supply Chains sequenziell von Lieferstufe zu Lieferstufe gearbeitet. „Dadurch“, so Urban, „wird die Durchgängigkeit bis zum letzten Lieferanten gefährdet und die Gleichzeitigkeit des Informationsstandes über alle Partner nicht gewährleistet.“ Die Endfertiger würden innerhalb eines in jährlichen Einkaufsverträgen ausgehandelten Lieferabrufspielraumes die Produktionsprogramme frei nach ihren Kriterien gestalten. Optimierungsmöglichkeiten im Verbund würden bisher nicht berücksichtigt, meint Dr. Georg Urban.
Wenn die SCM-Software Li-Net all diese Schwachstellen beseitigen soll, mutet das Desinteresse an der vermeintlichen Super-Lösung seltsam an. Das Projekt erinnert ein wenig an die Versuche, Standards für den CAD-Datenaustausch zu vereinbaren. Seit Jahrzehnten versucht sich die Initiative Prostep daran – redlich, aber ohne den großen Durchbruch.
Vielleicht ist aber Li-Net auch nur seiner Zeit voraus, wie manche der Erfinder wohl hoffen. Beim Stuttgarter Automobilzulieferer Behr, der zu den Initiatoren gehört, will man von der Idee nicht lassen. „Wir müssen erst noch unsere Hausaufgaben machen“, meint Harald Wahl, bei Behr zuständig für SCM. Der Zulieferer, der es in den letzten Jahren verstanden hat, sich in der automobilen Wertschöpfungskette gut zu positionieren und deshalb auch enorm gewachsen ist, muss zunächst eigene Prozesse unter die Lupe nehmen. „Wir sind dabei, die Prozesse entlang der internen Lieferkette zu standardisieren“, heißt es. Erst dann würde man daran gehen, die Standardisierung der Prozesse hin zu den Kunden und Lieferanten voranzutreiben.
In einem Statement zum Projekt Li-Net äußert man sich bei Behr mit einer Mischung aus sehr vorsichtigem Optimismus und selbstkritischer Lernbereitschaft: „Nach Abschluss des Li-Net-Forschungsprojektes“, heißt es in dem Papier, „ergibt sich für Behr die Notwendigkeit einer Neuausrichtung des Supply Chain Managements. Folgende Erkenntnisse sind ausschlaggebend: Das Projekt Li-Net
  • benennt die kritischen Erfolgsfaktoren, damit die Vision eines automobilen Netzwerkmanagements in nicht allzu ferner Zukunft Realität werden kann und
  • zeigt auf, welche Hausaufgaben beim Systemlieferanten zu leisten sind, um sowohl den zukünftigen als auch den sich schon heute abzeichnenden Herausforderungen in automobilen Liefernetzwerken erfolgreich gewachsen zu sein.“
Man darf gespannt sein, ob Li-Net eines Tages noch zum Zug kommt. Die Automobilhersteller warten jedenfalls nicht darauf, bis sich die Zulieferer sortiert haben werden. Sie schreiben weiterhin immer mehr Prozesse vor, an denen sich Lieferanten ausrichten müssen.
Netzwerkfähigkeit – ein wesentliches Wettbewerbs- und Erfolgskriterium
Vielleicht ist Li-Net nur seiner Zeit voraus
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