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Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Unternehmen nutzen Leihkräfte, um Personal flexibel an die Auftragslage anzupassen
Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Mit Zeitarbeitern können Unternehmen Produktionsspitzen puffern. Doch die Qualifikation muss stimmen. Vor allem größere Unternehmen nutzen diese Flexibilisierungsmaßnahme. Jetzt hat ein neues Gesetz die Rahmenbedingungen verbessert.

Thomas Preuß ist Journalist in Stuttgart

Glaubt man einer Umfrage der Innofact AG vom Sommer vergangenen Jahres, müssen deutsche Unternehmen zunehmend ihre Produktion an Schwankungen des Marktes und an die Auftragslage anpassen. Sie tun dies, indem sie mehr Flexibilisierungsinstrumente einsetzen: Überstunden, befristete Verträge und Zeitarbeit. Das hat das Düsseldorfer Marktforschungsinstitut im Auftrag des Personaldienstleisters Randstad Deutschland GmbH & Co. KG, Eschborn, bei 430 Personalentscheidern herausgefunden. Danach greifen vier von fünf Unternehmen auf Überstunden der Stammmitarbeiter zurück, um veränderte Anforderungen im Betrieb zu puffern. Drei von vier stellen befristete Mitarbeiter ein, 68 % nutzen die Zeitarbeit. 2003 waren es noch 61 %.
Die Flexibilität hilft allerdings nichts, wenn die Qualifikation nicht stimmt. „Wenn ich zur Betreuung eines Zeitarbeiters einen meiner Festangestellten abstellen muss, habe ich nichts gewonnen“, sagt Dr. Hans-Jürgen Wolf, Geschäftsführer der Schnelldorfer Maschinenbau GmbH in Schnelldorf. Er baut mit seinem kleinen Team Sondermaschinen zum automatisierten Schweißen und hat in Spitzenzeiten schon mal Schlosser und Elektrotechniker ausgeliehen, aber mit gemischten Erfahrungen. „Unsere Maschinen müssen absolut zuverlässig arbeiten“, sagt Wolf. „Jede Schraube, jede Verdrahtung muss sitzen. Sonst wird schnell ein Service-Fall ausgelöst.“ Die Schlosser hätten ganz gut gearbeitet, die Elektrotechniker durchweg leider nicht. Schuld ist, vermutet Wolf, nicht nur die mangelnde Ausbildung, sondern auch die fehlende Identifikation mit dem Betrieb, wenn jemand ein paar Wochen hier, ein paar Wochen dort arbeitet. Bei Routinearbeiten hält der Ingenieur Zeitarbeiter jedoch für eine gute Lösung.
Deutlich zufriedener äußert sich Heinrich Wagener, Inhaber der Wagener Gastronomie Engineering GmbH in Sögel, einem Städtchen in der Nähe von Papenburg. Der Betrieb baut „alles, was in Edelstahl geht, zu Lande, zu Wasser oder mit Luft“. Zu seinen Rennern zählen Zapfanlagen für Dorfkneipen („zu Lande“) oder für Luxus-Passagierschiffe („zu Wasser“) sowie Lüftungstechnik oder Ablufthauben („mit Luft“). Allein auf den Luxusschiffen der Meyer-Werft, die ein paar Dörfer weiter gebaut werden, befinden sich bis zu 3000 m² Küchenfläche. Dafür werden bis zu 100 Dunstabzugshauben gebraucht.
Wagener hat in den letzten Jahren gelegentlich Schweißer von Zeitarbeitsfirmen entliehen und war „immer zufrieden“. Die Mitarbeiter seien sogar oft überqualifiziert gewesen. Sobald im Betrieb ein Bedarf entsteht, nimmt er Kontakt mit einigen Dienstleistern in der Umgebung auf, gibt ihnen etwa eine Woche Zeit, jemanden mit der richtigen Qualifikation anzubieten. Der Dienstleister, der den besten Mitarbeiter liefert, erhält den Zuschlag. In größeren Unternehmen steht davor die Besprechung mit dem Betriebsrat: Der sichtet den Lebenslauf des Vorgeschlagenen und muss sein Plazet geben.
Unabhängig von der Unternehmensgröße soll es schnell gehen, bis die Leiharbeiter anfangen, damit die Produktion weiterlaufen kann. Das gilt für die Entscheidung an sich wie für die Einarbeitung. In Kauf genommen werden von den meisten Unternehmen Einarbeitungszeiten von ein oder zwei Tagen – jedenfalls im kaufmännischen Bereich und in der Produktion, wenn geschweißt oder montiert wird. In der Fertigung, im Labor oder in der Entwicklung sind ein bis zwei Wochen Einarbeitungszeit üblich, manchmal länger. Das ist abhängig von den Prozessen und der Anzahl der Ansprechpartner, mit denen die Zeitarbeiter zu tun haben.
Während Unternehmer wie Wolf oder Wagener nur gelegentlich auf eine Leihkraft zurückgreifen, machen die Verleiher das große Geschäft vorwiegend mit Großunternehmen. Diese sind oft über eine Software mit einem oder mehreren Zeitarbeitsunternehmen vernetzt und melden ihre Bedarfe online.
Wenn dann mehrere Verleiher ähnlich qualifizierte Kräfte anbieten können, geht es „nur noch über den Preis“, wie Ute Sanftleben (Name geändert) betont, Personalberaterin in einem großen Bauunternehmen. „Manchmal“, sagt sie, „versuchen die Zeitarbeitsunternehmen sogar, über eine Anzahl Tage, die die Leihkräfte unbezahlt arbeiten, sich gegenseitig auszustechen.“
Sanftleben möchte, wie auch manche andere Befragte, ihren richtigen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen. Das scheint ein Phänomen großer Unternehmen zu sein: Sie setzen Zeitarbeiter ein, wollen aber nicht darüber reden. Denn das könnte Spekulationen Vorschub leisten, dass durch Zeitarbeiter feste Stellen vermieden werden. Oder, wie in dem besagten Bauunternehmen: Man kann „kaum die eigenen Mitarbeiter auslasten“ oder hat gerade eine Entlassungswelle hinter sich, was auch niemand an die große Glocke hängen will. Deshalb wurde dort übrigens seit fast zwei Jahren kein Zeitarbeiter mehr eingesetzt.
Sanftleben hat nicht nur gute Erfahrungen mit Zeitarbeitern gemacht: Manchmal seien Kräfte nicht erschienen, dann entsprach die Qualifikation nicht den Versprechungen des Anbieters. Beispielsweise in dem Fall eines jungen Mannes, der ein bestimmtes Abrechnungsprogramm hätte beherrschen sollen, aber noch nie davon gehört hatte. „Die Verleiher müssen ihre Leute ja auch unterbringen“, zeigt Ute Sanftleben fast schon Verständnis, „aber für uns ist so etwas ärgerlich, weil wir Zeit verlieren und die Einarbeitung Kräfte bindet.“ Die schwarzen Schafe merkt man sich, so dass fast alle Personalentscheider ausschließlich auf vorhandene, gute Kontakte zurückgreifen. Und umgekehrt gilt: „Wer einmal einen Fuß in der Tür hat“, sagt Sanftleben, „der ruft regelmäßig an oder schaut persönlich vorbei.“
Heide Franken, Geschäftsführerin von Randstad Deutschland, sieht „wachsende Flexibilitätsansprüche von Unternehmen“ und glaubt weiter an die Zukunft der Branche: Deutschlands größter Verleiher hat seinen Umsatz 2004 hierzulande um 11 % gesteigert.
Rückenwind kommt vom Gesetzgeber: Seit dem 1. Januar 2004 müssen Zeitarbeitsfirmen ihre Beschäftigten im Hinblick auf Entgelt und sonstige Arbeitsbedingungen vergleichbaren Stammmitarbeitern des Entleihbetriebs grundsätzlich gleichstellen. Abweichungen sind in der Regel nur zulässig, wenn sich die Höhe des Arbeitsentgelts nach einem Tarifvertrag für Arbeitnehmerüberlassung richtet. Durch einen eigenen Tarifvertrag können Zeitarbeitsunternehmen das „Equal Treatment“ also prinzipiell vermeiden.
In der Praxis heißt das: Ein Zeitarbeiter bei Porsche, Daimler-Chrysler oder Opel müsste zu den (höheren) Tarifgehältern der Automobilindustrie bezahlt werden – oder der überlassende Dienstleister wendet einen eigenen Tarifvertrag an. Im Laufe des vergangenen Jahres hat die Zeitarbeitsbranche daraufhin vier Flächentarifverträge abgeschlossen. Nach Ansicht des Bundesverbandes Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen e. V. (BZA), Bonn, sind alle vier für die Zeitarbeitsunternehmen und deren Kunden vorteilhafter als die Gleichbehandlung.
Das Gesetz bedeutet vor allem eine Besserstellung der Arbeitnehmer. Für die entleihenden Unternehmen hat sich die finanzielle Situation zwar eher verschärft, aber die Entleihbedingungen sind besser, der Rahmen verlässlicher geworden. Ein befragter Automobilhersteller arbeitet nur noch mit Verleihern zusammen, die einen eigenen Tarifvertrag haben.
Eine weitere Veränderung: Zeitarbeitsverträge dürfen nun auch unbefristet geschlossen werden. Bis Ende 2003 galt noch ein Maximum von 24 Monaten. Allerdings wird das selten ausgeschöpft, vor allem wenn der Betriebsrat ein Wörtchen mitzureden hat. Der argumentiert typischerweise pro Festeinstellung. Arbeitnehmerüberlassungen müssen in der Industrie daher gut begründet werden, etwa mit langer Krankheit oder Ruhestand eines Mitarbeiters, für den die Personalabteilung nicht sofort Ersatz findet.
Buchtipp Seite 78
Einarbeitung muss schnell gehen
Verträge dürfen nun auch unbefristet geschlossen werden
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